Tausend Jahre deutsche Kunst
Vom ersten germanischen Reich bis zur deutschen Wiedergeburt
Von Jakob Schug. (Mit Zeichnungen des Verfaffers)
Was ein Volk fühlt und denkt, drückt sich in
seiner Kunst aus. Unsere Heimat, Jahrhundert
um Jahrhundert von Kriegen heimgesucht, hat
zwar wenige Kunftdenkmäler früherer Zeiten,
trotzdem lag sie im Lauf der Geschichte an einer
Stelle unseres Vaterlandes, von wo aus Kräfte
gestaltend nach allen Himmelsrichtungen aus¬
strömten.
Die Mitte des Reiches Karls des Großen
war Aachen. Dort entstand der erste Steinbau
nördlich der Alpen. Seine Baumeister zwar
waren Menschen aus Italien, aber sein Vorbild
war jenes Grabmal des germanischen Fürsten
Theoderich in Ravenna.
Dieser Vau wurde die Grabkapelle Karls
und Bausymbol der Reichsmitte. Im Laufe
eines Jahrhunderts sind Um- und Anbauten er¬
folgt, aber manche von ihnen mußten nachträgt
lich mit dem karolingischen Bau verankert wer¬
den, so stark und mächtig sind besten Mauern.
Mit dem Münster zu Aachen beginnt die
Baukunst deS fränkisch-germanischen Reiches,
die Romanik 800 biß 1200 n. Chr.
Abb. 1.
Der alte, romanische Turm in Mettlach ist
der verkleinerte Nachfahre deS Aachener Baues
und zeigt uns, wie auch bei den bischöflichen
Herren das weltliche Bauen ihrer Zeit Vorbild
blieb.
Nach der Dreiteilung des karolingischen Rei¬
ches verschob sich die Mitte deS Reiches der
Deutschen an den Pfälzer Rhein, von Mainz
bis Speyer.
Hier entstehen, als Zeugen deutscher Kaiser¬
macht, die Dome in Mainz, Worms und Speyer.
Wie die Pyramiden in den Ebenen Ägyptens,
so ragen aus der Ebene des Rheins die gewal¬
tigen Gottesburgen der salischen und fränkischen
Kaiser. Um den Dom von Worms, den jüngsten
dieser Dome, rankt sich das erste deutsche Helden¬
epos, daö Nibelungenlied. Abb. 2.
Das Antlitz dieser kaiserlichen Bauherrn ist
uns von den Bildhauern gemeißelt erhalten ge¬
blieben. Abb. 3.
Hier ist Hoheit, Klugheit, Mut und Phan¬
tasie zum Bild deS geistigen und weltlichen Füh¬
rers geworden. Bauherrn und Bauwerk um¬
wittert die gleiche Luft. Es ist merkwürdig, daß
der letzte romanische Bau unserer engeren Hei¬
mat, die Klosterkirche von Maria Laach in der
Eifel, trotzdem er doch eine geistliche Kloster¬
kirche ist, ganz im Geist jener wehrhaften Chri¬
stenburgen am Rhein gebaut ist. Sie zeigt uns,
daß das Christentum bei den deutschen Verkün¬
dern jener Zeit ihre kämpferische Haltung nicht
gemindert hat. In der Umdichtung des Heiland¬
lebens in ein Heldenlied vom Herzog und seinen
Mannen im „Heliandlied", ist es uns auch durch
die Dichtkunst bestätigt.
In den Schatzkammern der romanischen Dome
ruhen Kostbarkeiten an Schmuck und Gewän¬
dern, die uns die hohe Handwerkskultur unserer
Vorfahren vor 1000 Jahren in reicher Fülle
zeigen. Die Malerei jener Zeit zeigen uns die
Bilderhandschriften, die Psalter und Gebetbücher
der deutschen Kaiser und Fürstinnen. Mit dem
Übergang der Karserwürde auf das Geschlecht
der Sachsen, den Nachkommen des „Rebellen"
Widukind, verschiebt sich das Gewicht der deut¬
schen Baukunst in deren Stammland nördlich
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