Oer Knabe mit dem Eisernen Kreuz
Zu Anfang des Jahres verschied in Offen¬
burg (Baden) im Aller von 38 Jahren der
Kaufmann Emil Huber, der als Deutschlands
jüngster Kriegsfreiwilliger in die Geschichte
des großen Völkerringens eingegangen ist.
*
Mobilmachung 1914. Wie überall in deut¬
schen Landen, so hallen auch die engen Straßen
des badischen Städtchens Offenburg von dem
Gleichschritt der marschierenden Truppen wider,
junge Kehlen singen fröhliche Soldatenlieder,
hübsche Mädchen winken mit den Taschentüchern,
über Helme und Gewehre regnet es Blumen. Der
Realschüler Emil Huber begleitet seinen ältesten
Bruder zum Bahnhof. „Du, Otto", sagte er, „ich
bleib' auch nicht zu Haufe, ich komme nach, und
wenn ich Dir die Stiefel wichsen müßte!" Der
Ersatzreservist lächelt. „Paß auf, Emil, daß Dir
der Vater nicht den Hosenboden stramm zieht.
Bist doch noch ein Junge, noch nicht einmal
14 Jahre alt, so was geht schön brav in die
Schule und lernt französische Vokabeln!" Der
Untertertianer wäre um eine entsprechende Ant¬
wort nicht verlegen gewesen, aber was er denkt,
behält er doch lieber für sich.
Herrgott, er ist doch kein Knabe mehr. Mit
einem Gardemaß von 1,78 Meter stellt man schon
einen strammen Burschen dar, dem man nicht
geringschätzig über die Schulter sehen kann, und
was die Kräfte anbelangt, davon wisien der
Turnlehrer und die Mitschüler manch Liedlein zu
singen. Aber freilich, die kurzen Hosen stehen
einem angehenden Rekruten schlecht an. Doch
dem wäre abzuhelfen; man zieht einfach lange
an, Vaters schöne Sonntagshosen etwa, die so¬
wieso unnütz im Schrank hängen...
Mit diesem väterlichen Kleidungsstück angetan,
trappt er am nächsten Tag ins Rathaus. Er hat
Glück — ein eben erst eingestellter Hilfsbeamter
fertigt ihn ab. „Ich möchte mich als Freiwilliger
melden und brauche einen Geburtsschein!" —
„Die Daten bitte!" — Emil hat ein boshaftes
Lächeln im Gesicht. „Geboren am 7. Oktober
1897" sagt er ganz frech. Der Büroangestellte
mustert ihn zweifelnd von oben bis unten. „Jung,
sehr jung für sein Alter!" murmelt er vor sich
hin. „Geschonte Jugend" kommt es schlagfertig
zurück. Freilich schlägt dem Emil das Herz bis
zum Hals hinauf, aber soviel weiß er, daß man
in kritischen Augenblicken seine äußere Ruhe be¬
wahren muß. Und so stürmt er dann wenige Mi¬
nuten später jubelnd auf die Straße. Ein paar
Federstriche haben ihn um drei Jahre älter und
damit kriegstauglich gemacht.
Dem gestrengen Vater gesteht er den Schwin¬
del offen ein. Dieser fährt zuerst erschrocken auf:
„Malefizbengel!" Aber Emil läßt ihn nicht zu
Worte kommen. Ganz heiß werden seine Wan¬
gen, als er von der hohen Pflicht spricht, die in
diesen 'heiligen Stunden das Vaterland von
jedem Menschen verlangt, der sich gewachsen fühlt,
ein Gewehr zu tragen und die bedrohte Heimat
zu verteidigen. Das Alter darf da keine Rolle
spielen, und im übrigen: „Vater, ich kann nicht
zu Hause bleiben, ich kann einfach nicht!" Schwe¬
ren Herzens erhält er schließlich die elterliche Ein¬
willigung. Als das sein um fünfviertel Jahre
älterer Bruder Ludwig sieht, ist auch dieser vom
Begeisterungssturm erfaßt. Und die Eltern geben
auch ihm seufzend ihr schriftliches Jawort. Mit
dem gleichen Schwindel, den sich Emil ausge¬
dacht, gelingt am nächsten Tag auch Ludwig die
Erreichung eines höheren Alters. Die lange Hose
des Herrn Papa hat dabei wieder redlich mit¬
geholfen. ..
Bei der Vereidigung kommt freilich die ganze
Geschichte heraus. Aber der Hauptmann drückt
ein Auge zu und sagt nichts. Insgeheim freut er
sich über den Schneid dieser kindlichen Rekruten.
Am 18. November 1914, dem Tag des Aus¬
marsches, treten sie zum letzten Mal vor die
Eltern. Die Mutter hat gerötete Augen. Der
Vater kann kaum ein Wort aus seiner Kehle
bringen. „Seid tapfer, Eltern, wie wir es sein
werden!" meinen die Iungens tröstend. Ach Gott,
sie wisien nicht, welch trauriges Geheimnis die
Eltern vor ihnen verbergen. Eben hatte der Post¬
bote ein Schreiben gebracht: „Ihr Sohn Otto
auf dem Felde der Ehre gefallen!" Die Brüder
sollen vorerst nichts davon erfahren, nein, sie
sollen einen fröhlichen Ausmarsch haben! Erst
als sie in der 2. Kompanie des IR. 172 an der
Westfront stehen und ihren Bruder, der dem glei¬
chen Truppenteil angehörte, nicht vorfinden, ahnen
sie, was geschehen ist. Erst jetzt begreifen sie das
stille Heldentum ihrer Eltern.
Der Krieg läßt den Jungen zu trübseligen Ge¬
danken keine Zeit; in den Schlammgräben von
Ppern werden sie scharf angepackt. Dezember
1914 wird Ludwig krank ins Lazarett eingelie¬
fert, Emil aber kämpft wie der Teufel weiter, kei¬
ner sollte daran einen Zweifel haben, daß der
jünaste deutsche Frontsoldat nicht auch einer der
tüchtigsten sein könne. Januar 1915 streckt ihn
ein schwerer Kopfschuß nieder. Nachdem er in
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