Die französischen Grubenkonzerte und wir
Von Dr. Szliska, Rektor, Spiesen-Saar
Kaum hatten die französischen Soldaten 1918
den saardeutschen Boden betreten, so begann auch
schon eine zielklare Werbetätigkeit um den saar-
deutschen Menschen. Die französischen Kultur¬
politiker erstrebten einen starken Vorstoß in den
Volksdeutschen Raum des deutschen Westens, um
hier mit Hilfe der phantastischen 150 000 Saar¬
franzosen und ihrer kulturellen Bedürfnisse
später politische Ansprüche anmelden und fordern
zu können. Wir sehen hier von allen plan¬
mäßigen kulturpolitischen Arbeiten im Unter¬
richt, in der Presse usw. ab und betrachten nur
einmal kurz die französische Werbung durch die
Musik.
Wir müssen uns 15 Jahre zurückversetzen. Der
fremde General Andlauer diktierte, französische
Soldaten durchzogen unsere Straßen. Zurück¬
haltung und maßlose Verbitterung auf unserer
Seite. Andlauer wollte mit allen Mitteln eine
Verbindung mit dem Saarvolke gewinnen. Gab
es da — von seiner Warte aus gesehen — ein
besseres Mittel als die Musik?! Platzkonzerte
wurden angesetzt. Mit viel Tam-Tam wurde die
Bevölkerung auf diese edle Gabe der „siegreichen
Truppen" hingewiesen. Noch bedeutender sollten
die kultischen Umzüge der mohammedanischen
Truppen an den Samstagabenden wirken.
Von den Kasernen zogen die fremden Musi¬
kanten durch die Hauptstraßen, z. B. des Ortes
Sulzbach, zogen bis zum Schnappacher Weg und
hielten zu einer längeren „Serenade" auf dem
im Mittelpunkt gelegenen Marktplatz. Fremde
Weisen entlockten sie fremdartigen Instrumenten.
Das war fremde — westliche, ja afrikanische
Kultur. Das zog nicht an. Mancher hörte aus
Neugierde und lehnte dann instinktiv ab. Er
dachte der Zeiten, in denen deutsche Musikanten
hier gestanden hatten — nein — das hier war
Fremdes, das konnte seine Seele nicht zum
Schwingen bringen; denn seine Seele war
deutsch. War es nicht einmal so weit, daß ein
grader Bergmann, der da stand, in seiner Wal¬
lung so weit ging, heftig den Kopf schüttelnd,
sich von den Wenigen, die neugierig lauschten,
entfernte und seiner innern Ablehnung grimmig
Ausdruck verlieh mit den Worten: „Wir senn
doch kä Hottentotten." Sprang nicht ein junger
— blutjunger fremder Offizier mit seiner Reit¬
peitsche auf den Mann zu und schlug ihm ins
Gesicht?! So also konnte das starkwurzelnde
deutsche Volkstum nicht überwunden werden.
Diese Art der kulturellen Eroberung wurde des¬
halb bald eingestellt. Doch glaubte man höheren
Ortes weiter an die Macht der Musik in diesem
Prozesse der „friedlichen Durchdringung".
Inzwischen hatte ja das politische Wollen Fort¬
schritte zu Gunsten der Hinausschiebung der
Grenze erreicht. Der Friede war diktiert und
rechtskräftig geworden. Das Saargebiet war ge¬
bildet, die Regierungskommission hatte die Ver¬
waltung des Landes und die neue Bergverwal¬
tung die Ausbeutung der Gruben übernommen.
Die Regierungskommission, die ja immer wie¬
der zur Durchführung französischer Wünsche zur
Verfügung stand, scheidet bei unserer weiteren
Betrachtung aus. Die Bergverwaltung aber
— die eigentlich mit der kulturellen Betreuung
des Landes und seiner Bewohner nichts zu tun
hatte — scheint doch oft dies als ihre erste Auf¬
gabe betrachtet zu haben. Und so sehen wir sie
denn auch bei der musikalischen Durchdringung
des deutschen Saarvolkes an erster Stelle. Noch
mehr als die Regierungskommission es bereits
getan hatte, zerschlug sie die führende Ober¬
schicht: französische Ingenieure zogen ein, die
deutschen Vergräte und Assessoren wurden zur
Verfügung gestellt. Die oberen Beamten waren
fast ausschließlich Franzosen. Eine wichtige Tat¬
sache im Volkstumskampf war geschaffen. Deut¬
lich ist nunmehr das Bestreben nach Gewinnung
der restlichen Oberschicht, der mittleren und der
unteren Schicht erkennbar. Die französischen
Kulturgüter sollten ihnen — ihrem geistigen
Niveau entsprechend — dargestellt, sie selbst da¬
durch gewonnen werden. Das hat in Neunkirchen
ein Kapitän eines Tages klar und deutlich er¬
klärt: „Wir wollen Sie nicht zwingen, sondern wir
wollen Sie gewinnen," so sagte er wörtlich. So
wurde auch die Abhaltung von drei Arten
von Konzerten beschlossen.
In Saarbrücken selbst sollte die Oberschicht
mit den ersten Komponisten durch die her¬
vorragendsten Pariser Künstler bekannt ge¬
macht werden. Hier finden wir Fourestier
(Laureat de l'Academie des Beaux-Arts-
Prise Rossini), die Sängerin litte. Du-
mont, den Geiger M. H. Fricquegnon, 1. Geiger
des Pariser Konservatoriums, M. A. Bateau,
Eello, 1. Preis des Pariser Konservatoriums,
Prof. Skohoutil, Frl. Sanrezac, M. G. Reit-
linger, 1. Preis des Pariser Konservatoriums,
Mme. Cesbron-Viseur und die Herren Soria
und Huberty, „Solistes de l'Opera". Die Vor¬
tragsfolge dieser Veranstaltungen zeigte zudem
das Wollen der Veranstalter kristallklar.
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