Volksvertretung wählen lassen mutz. 2m März
kommt eine Verordnung heraus über die Ein¬
richtung eines Landesrates und eines Studien-
ausschusses. Hiernach ist für den Landesrat die
Wahl von 30 Mitgliedern vorgesehen und für
den Studienausschutz die Ernennung von 8 Mit-
gliedern. Die Presse lehnt die Verordnung ein¬
mütig ab; denn was gewährt wrrd, ist nur ein
„Scheinparlament". Immerhin bedeutet diese
Einrichtung gegenüber dem bisherigen Zustand,
bei dem als Vertretung die Kreistage gelten,
eine Verbesserung; schon deswegen, weil der
Landesrat in einem Wahlgange von den Wahl¬
berechtigten des ganzen Gebietes gemeinsam ge¬
wählt wird, während die Kreistage für jeden
Kreis gesondert gewühlt werden. Der Landesrat
kann sodann auch einheitliche Beschlüsse fassen,
während die Kreistage in getrennten Sitzungen
verhandeln und beschlietzen müssen. Daher geben
die Parteien auch die Parole zur Wahlbetei¬
ligung aus.
Die Regierungskommission tut alles mögliche,
um in dem Landesrat ein ihr möglichst will¬
fähriges Werkzeug zu erhalten und durch eine
grotze Zersplitterung der Stimmen die Aus¬
schaltung besonders prominenter politischer saar¬
deutscher Führer zu erreichen. Sie schreibt zum
Beispiel das System der freien Listenwahlen
vor; in der Erwartung, datz die Führer von den
Listen gestrichen werden. Auch kann nur der ge¬
wählt werden, der im Saargebiet geboren ist.
Am 25. Mai findet die Wahl statt. Ergebnis:
Alle aufgestellten Führer der deutschen Parteien
werden gewählt. Die von der Regierungskom¬
mission, den Franzosen und Französlingen be¬
günstigten Listen gehen völlig leer aus. Die er¬
hoffte Zersplitterung tritt nicht ein; denn die
Wähler üben strengste Disziplin und geben ihre
Stimmlisten ohne Streichungen ab. So wird
diese Wahl zu einem großen Sieg der deutschen
Sache. Der gewählte Landesrat protestiert in
seiner ersten Sitzung (19. 7. 22) gegen die
Schaffung eines „Scheinparlaments" unter dem
Namen Landesrat und fordert die für ein Par¬
lament selbstverständlichen Rechte. In einer be¬
sonderen Erklärung legt der Landesrat ein feier¬
liches Treuegelöbnis zum deutschen Vaterlande
ab und verlangt, daß die Regierungskommission
dafür sorgt, daß die bisher an der Saar be¬
triebene Verwelsthungsarbeit aufhört.
Widerrechtliche Einkührung
der Frankenwährung
Mai 1 92 3: Die Negierungskommission ver¬
ordnet, daß ab 1. Juni als alleiniges gesetzliches
Zahlungsmittel im Saargebiet die französische
Währung gilt. Damit findet ein langer Kamps
um die Währung durch einen vertragswidrigen
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Machtspruch seinen vorläufigen Abschluß. 2mm,
wieder versuchten die französische Bergverm
tung und die Regierungskommission, die SB
völkerung dahin zu bringen, datz sie die (fr,
sührung der Frankenwührung forderte. 2n erst
Linie wurde hierfür die Markinslation ausx
nutzen versucht. Den Arbeitern, Angestellten m
Beamten der Gruben sowie den Beschäftig
bei den Behörden werden die auf Grund fc.
steigenden Markentwertung notwendigen Lch
bzw. Gehaltserhöhungen in Mark verweis
und gesagt: „Fordert Erhöhung in Frank«
Währung, die wird bewilligt." Die Rot i
Bevölkerung steigt daher immer mehr. Trotzd,
wird — abgesehen von Ausnahmen — es imm
wieder grundsätzlich abgelehnt, Frankenzahlu,
zu fordern. Weite Kreise hungern lieber, i
daß sie sich zur Forderung der französisch,
Währung bringen lassen. Sie haben später an
die große Genugtuung, daß, als kurz darauf)
Frankeninflation einsetzt, auch die, die sich it|
dem Franken gesehnt oder ihn gar cjeforbe
haben, erklären: „Hätten wir das gewußt" u[n
ganz abgesehen davon, daß das Festhalten an fc
deutschen Währung in der schwersten Notzeit«
sich schon eine innere Genugtuung verleiht. Pol
tisch und wirtschaftlich genutzt hat den Franzost
die Verdrängung der Mark aus dem Saa
gebiet nicht im geringsten. 2m Gegenteil, d,
Währungsexperiment hat ihnen allerlei gekost,
und man darf wohl annehmen, daß. hätten s
den Ausgang der Abstimmung geahnt, sie st
„schwer gehütet hätten," der Saarbevölkerm
die französische Währung aufzuzwingen.
Hundert Tage Bergarbeiterstreik
Anfang 1 92 3: Die willkürliche Besetzm
des Ruhrgebietes löst an der Saar eine ungt
heuer grotze Entrüstung aus und das Saarvo
protestiert mit allem Nachdruck dagegen. Zu'
Zeichen des Protestes wird am 15. Januar st
die Zeit von 11 bis 11.30 Uhr die gesam
Tätigkeit eingestellt. Wieder stehen alle Räd,
still. Vielfach kommt es während dieser halb,
Stunde zu spontanen vaterländischen Kun!
gebungen, bei denen immer wieder patriotist
Lieder gesungen werden.
2m Saarbergbau spitzen sich die Verhältnis
mehr und mehr zu. Die von den Arbeitern ü
stellten Forderungen werden von der französisch
Bergverwaltung abgelehnt oder die Entsch
düng immer wieder hinausgeschoben. Schließ
reißt den Saarbergleuten der Geduldsfaden. 4
4 Februar treten sie geschlossen in den Stu
Rund 72 000 Bergleute, d. h. 99 Prozent i
Belegschaft, beteiligen sich daran. Ein Riest
kämpf hat seinen Anfang genommen. Die D
zösische Vergverwaltung gibt am 9. Februar k