leidigen Spott zu lesen. Mit der Zeit ergab er
sich jedoch in die unvermeidliche Veränderung
und nach und nach fühlte er beinahe Zufrieden¬
heit in der Betreuung des Pferdes, das sich
schnell an ihn gewöhnte.
Die alte Schimmelstute Lotte war ein mageres
Tier. In der ewigen Dunkelheit, die es seit
Jahren schon umgab, waren seine Augen fast
ganz erblindet. Stumpf trottete es den ein¬
förmigen Weg zwischen den Schienen vor dem
rumpernden Grubenwagen. Seine Knie waren
müde, der Atem pfiff aus Haler Brust, und
Narben im Fell zeugten von bergmännischer
Vergangenheit.
Jupp gebrauchte die Peitsche nie. Er tätschelte
den Hals des Pferdes und suchte mit Liebkosun¬
gen das zu erreichen, was notwendig war, auch
wenn die Beine wankten unter der schweren Last.
In dem Pferde sah er etwas von seinem eigenen
Schicksal; ihn dauerte die schwache und seines
Erachtens gequälte Kreatur, mit der er zugleich
eine gewisse innere Notgemeinschaft empfand.
War in den Augen der Menschen oft Spott
oder Argwohn, Mitleid oder Ueberlegenheit zu
sehen, so deutete der Blick des Pferdes auf blin¬
des Vertrauen. Und so kam es, dag Jupp den
unfroh begonnenen Dienst bald lieb gewann.
Das Tier war ihm ein guter Kamerad gewor¬
den, mit dem er sich in stummer Zwiesprache ver¬
ständigte, dessen klaglos sanfte Ergebung ihm
ein Trost für eigenes Weh wurde. Er dachte
seiner, wenn ihn der Förderkorb zutage hob,
wenn er in Feierstunden in die Sterne träumte
oder sich von der Sonnenwärme umkosen ließ,
oft stieg heißes Mitgefühl in ihm auf, dag er
das Licht und die heitere Erde genießen durfte,
während das arme Tier unten an die ewige
Finsternis gekettet war. Freilich, auch den
Sonnenglanz würden die fast toten Augen des
Pferdes ja nicht richtig mehr schauen. Vielleicht
wäre nur ein Beben der Nüstern nach dem
Erasduft, der es an die Helle Tummelwiese der
Jugend, an die sorglosen Sprünge auf der Kop¬
pel erinnerte, zu sehen. Aus solchen Gedanken
heraus wuchs bei Jupp der Wunsch, dem Pferde
eine Freude zu bereiten, ihm von der Erde und
der Sonne ein Geschenk zu bringen, wie man es
beimreisend wohl für einen lieben Menschen mit
sich führt.
Längst teilte er das Frühstücksbrot mit dem
vierbeinigen Freund; die alte Schimmelstute
kaute gemächlich das Brot, kostete die Süßigkeit
des Zuckers und rieb dankbar die Nüstern an
der zerschäbten Jacke seines Herrn. In einem
kleinen Säckchen brachte er frisches Heu. hielt es
--U.M Pferd vor die Schnauze, umschlang den rup¬
pigen Nacken und fühlte auf Gesicht und Händen
warmen Tieratem. Der gutmütige Spott der
Bergleute über das ungewohnte Idyll berührte
ihn nicht. Er tat das Seine, um Lottes Leben
nach Möglichkeit zu erleichtern, fühlte sich zu¬
frieden in der Nähe des Pferdes, spürte beglückt
die ihm zur Begrüßung entgegenwitternde Dank¬
barkeit. Stumpf und reglos stand das Tier mit
tiefgesenktem Kopf, unbekümmert der Menschen,
die an ihm vorüberstreiften; doch sobald es
Jupps Schritt vernahm, reckte es den Hals,
schien es verändert, lebhaft und fast verjüngt zu
werden und oft entrang sich der alten Kehle
ein wiehernder Freudenlaut. Und Jupp war
derart beglückt von dem zärtlichen Vertrauen
des Schimmels, von dem bescheidenen, durch
Freundschaft erhellten Alltag, daß er mit keinem
Gedanken mehr eine Veränderung wollte, ja
selbst mit keinem der früher als unerreichbares
Vorbild bewunderten, kraftvollen Steiger ge¬
tauscht hätte. So ging es länger hin.
Eines Tages aber klappte Lotte vor dem
Kohlenzug zusammen, und der schnell herbei¬
gerufene Tierarzt hatte schon die Enadenkugel
bereit. Wie man unter Menschen sehr oft einer
großen Liebe erst recht bewußt wird, wenn es
ans Scheiden geht, so begriff Jupp nun zutiefst
im Herzen, wie lieb ihm das Pferd geworden
war. Er fürchtete den Verlust so sehr, daß
er, der immer scheu und still gewesen, sich ge¬
traute, für seinen Schützling energisch zu sprechen
Zunächst bat er den Tierarzt um Schonung.
Und als er mit seiner Bitte, dem alten Schim¬
mel wenigstens am Licht des Tages das Gnaden¬
brot zu geben, nicht durchkam, drang er scharf
protestierend bis zum Obersteiger vor, den sein
kämpferischer Eifer ins Staunen setzte. Dem
war von Jupps Freundschaft schon Kunde ge¬
worden und lächelnd gab er zu, man möge das
Pf.erd bei leichterer Beschäftigung auch weiter¬
hin in der Grube belassen.
Jupp war voll überströmenden Glücks, daß
seine Liebe ihm erhalten blieb; zärtlicher als je
zuvor umsorgte er das Tier, untersuchte Fesseln
und Gelenke wie ein kundiger Arzt, erleichterte
ihm die Arbeit wo er nur konnte. Seine innere
Begeisterung rang alle Widerstände nieder und
man ließ ihn als einen tüchtigen, etwas schwie¬
rigen Sonderling endlich fast ganz gewähren.
Alle seine Gedanken aber kreisten immer enger
um Lotte, die alte Schimmelstute, wie um eine
große, täglich bedrohte und neu zu erobernde
Liebe.
Und es war, as ob das Pferd diese Liebe
mit einem großen Opfer vergelten wollte. Eines
Tages, ohne daß ein Anzeichen gewarnt hätte,
ging an schmaler Stelle die Strecke zu Bruch,
Hölzer knickten, Steine prasselten nieder, gerade
über den leichten Kohlenzug, den Jupp langsam
auf dem gewohnten Geleise führte. Er wurde
niedergeschmettert, aber der ebenfalls fallende