Full text: 64.1936 (0064)

leistet nicht viel auf ihrem Instrument, die 
Spielerin, und die Matrosen horchen auch nicht 
besonders interessiert auf ihr Spiels sie schauen 
auf die Frau, in deren Augen eine lichtlofe 
Schwermut liegt. 
„Die Frau ist doch Mutter!" Mitten in die 
Stille und in-die klagenden Violintöne sind diese 
Worte gedrungen. Keiner weiß, wer sie ge¬ 
sprochen hat, aber sie waren da! Laut und deut¬ 
lich! Die wetterharten Seemannsgesichter ver¬ 
ändern sich und als jetzt die schmächtige Frau 
mit dem Teller durch die Tische geht, da liegt 
manches größere Geldstück zwischen dem Kupfer. 
Die Frau hat von Jochem eine Mahlzeit be¬ 
kommen und will mit ihrem Instrument die 
Kneipe verlassen; da steht plötzlich ein riesiger, 
breitschultriger Seemann vor ihr. Er nimmt sie 
an der Hand und zieht sie neben sich auf die 
Bank. 
„Hat einer nicht gewußt, was er dir schuldig 
ist?" fragt er kurz. 
Die Frau schüttelt den Kopf. „Nein," sagt sie 
dann mit einer Stimme, in der ungeweinte 
Tränen zittern, „mein Mann blieb draußen", 
sie macht eine leichte Bewegung nach der See zu. 
„Ich habe noch so einen armen Wurm zuhause," 
fährt sie dann fort, „und —", sie kann nicht mehr 
sprechen, ein trockenes Schluchzen schüttelt ihren 
Körper. 
„Mutter!" Der Seemann legt schützend die 
Arme um die Frau und preßt die kantige Stirn 
an ihr Haar. „Ich war jetzt über ein Jahr auf 
See," jagt er stockend, „ich habe seit Jahren für 
meine alte Mutter gesorgt und es ist ihr gewiß 
nicht schlecht gegangen. Aber diesmal," seine 
Stimme wird brüchig, „diesmal habe ich meine 
Mutter nur am Kirchhof besuchen können und 
da habe ich erst gewußt, was für uns Menschen 
eigentlich das Wort „Mutter" bedeutet. Ich 
möchte für eine Mutter sorgen, für eine Mutter 
sckiaffen dürfen," fährt er fort, „sonst macht mich 
die Leere in meinem Dasein, die Heimatlosig¬ 
keit dort draußen, das Heimweh nach meiner 
Mutter noch unfähig zu arbeiten. Willst du dich 
und deine Kinder mir anvertrauen? Willst du 
dem Heimatlosen das Glück schenken, wieder je¬ 
mand in der Heimat zu wissen, für den er sorgt 
und arbeitet? Denn erst wenn wir Opfer brin¬ 
gen, wenn wir für etwas kämpfen können, dann 
wird die heimatlose Heimat, die für uns die See 
ist, erträglich." 
Da nimmt die Frau mit einer weichen mütter¬ 
lichen Bewegung den Kopf des starken Mannes 
zwischen die Hände und küßt ihn liebevoll aus 
den Mund. „Du großes, großes Kind," sagt sie 
innig — und dann mit warmer Sonne in den 
Augen: „Das schönste Erleben der Frau ist die 
Mutterschaft. Ich werde jetzt drei Kinder be¬ 
sitzen: eines zuhause, eines unter dem Herzen 
und eines dort draußen auf der blauen See." 
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Soldaten! 
Ueber den grauen Kanten der bayerischen 
Hochberge lastet die Hitze des Sommers. Steine 
und Geröll knirschen leise unter den Tritten der 
Nagelschuhe eines Bergsteigers, der mühsam 
Schritt um Schritt dem Gipfel des grimmigen 
Riesen zustrebt, der nur ungerne den winzigen 
Fuß der Menschen auf seinem stolzen Nacken 
duldet. 
Der Bergsteiger scheint sehr ermüdet zu sein. 
Ab und zu hebt er den Blick und betrachtet ent¬ 
zückt die herrliche Fernsicht, sieht hinunter in die 
grünen Täler, die zu seinen Füßen liegen und 
in die gewaltigen Schluchten, die senkrecht in 
finstere Tiefen stürzen. 
„Ich glaube, ich bin vom Wege abgekommen!" 
sagt er bang vor sich hin und trocknet den 
Schweiß von seiner Stirne. „Hunger habe ich 
seinen, aber Durst, einen Durst, der an die 
Tage des Krieges, an den Schützengraben er¬ 
innert^ Dabei nirgends eine Quelle, nirgends 
ein Tröpfchen Wasier. Vis ich zum Unterkunfts- 
iiaus komme, werden immerhin noch ein paar 
Stunden vergehen. Aber es muß geschafft wer¬ 
den, zurück kann ich nicht mehr!" 
Immer kantiger werden jetzt die Steine, 
immer steiler die Standfläche, immer tiefer das 
Geröll. Vollkommen erstorben ist in dieser Höhe 
die Vegetation, sie grüßt nur noch mit frohen 
Augen herauf aus der Tiefe, bildet eine üppige 
Umrahmung zum klaren Spiegel des Sees. 
„Das ist kaum noch auszuhalten!" Der Berg¬ 
steiger setzt sich auf eine Felskante und leckt an 
den trockenen Lippen. Wenn nur wenigstens ein 
Mensch käme, den ich nach der Richtung und 
nach dem Steig fragen könnte. Die Markierung 
sehe ich auch nicht mehr!" 
Der einsame Tourist mag Ende der Vierzig 
zählen. Seine große Gestalt, die klugen Augen 
und die Hornbrille deuten auf den geistigen 
Arbeiter. Verzweifelt starrt er in die Tiefe. 
Nichts rührt sich um ihn, totenstill ist es. Nur 
einige schwarze Bergdohlen umkreisen ab und zu 
seinen Ruheplatz. 
„Was ist denn los, Kamerad?" Freudig über¬ 
rascht wendet sich der Bergsteiger um. Hinter
	        
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