wissenschaftliche Welt. Sie wurde eingeladen,
innerhalb kurzer Zeit die Leitung einer großen
chirurgischen Frauenklinik zu übernehmen sowie
beim nächsten medizinischen Kongreß einen Vor¬
trag zu halten. Der Name Dr. Margot Heiderich
war über Nacht berühmt geworden.
Die Besserung im Befinden des Patienten
machte Fortschritte. Am dritten Tage nach der
Operation trat die Aerztin an sein Bett. Sie
hatte inzwischen in Erfahrung gebracht, daß der
Mann der Ingenieur Wolfgang Tester war, der
erst vor einigen Wochen vom Ausland in die
Heimat zurückgekehrt sein sollte.
„Wie geht es, Herr Ingenieur?" erkundigte
sich fetzt Dr. Heiderich.
„Danke, Fräulein", antwortete der Mann,
„darf ich fragen, wer Sie sind?"
„Ich habe Sie operiert", sagte die Aerztin,
und fühlte zu ihrem Aerger brennende Röte auf¬
steigen.
„Sie — —?" Der Ingenieur versuchte, sich mit
einem Ruck aufzurichten, fiel aber sogleich wie¬
der mit einem Stöhnen in die Kissen zurück.
Mit welchem Recht?"
„Mit welchem Recht? Mit welchem Recht?"
wiederholte sich die Aerztin, als sie über den
langen Gang nach ihrem Zimmer schritt.
Die Gegenfrage stellte sie dem Ingenieur erst
vier Wochen später, da sie in elegantem Straßen-
kostllm im Salon einer Pension ihrem Patienten
gegenübersaß. Sie war unter dem Vorwand ge¬
kommen, sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
„Mit welchem Recht wollten Sie damals Ihr
Leben von sich werfen?"
„Mit dem Recht meines freien Willens, da es
mir nicht mehr wert schien, weiterzuleben.
Daran hat sich auch jetzt nicht viel geändert.
Vielleicht war es mein Lebenszweck, Ihnen als
Brücke zum Ruhm zu dienen", meinte bitter der
Ingenieur. Dann, einer plötzlichen Stimmung
gehorchend, erzählte er ihr seine Geschichte. Als
junger Mann hatte er ein Mädchen kennenge¬
lernt, das die große Liebe seines Lebens wurde.
Da sein Einkommen damals kaum für ihn selbst
reichte, verweigerten die Eltern des Mädchens
die Zustimmung zur Heirat. Die beiden jungen
Leute schworen sich aber die Treue, und der In¬
genieur nahm eine Stelle in den Tropen an, die
ihm eine aussichtsreiche Zukunft versprach.
Als es endlich soweit war, wollte er seine
Braut zu sich kommen lassen, doch schob diese die
Reise von Jahr zu Jahr hinaus. Endlich begab
sich der Ingenieur, einer plötzlichen Eingebung
folgend, nach Europa. Erst in der Heimat erfuhr
er, daß seine Braut schon vor drei Jahren ge¬
heiratet hatte. Sie hatte ihm immer noch ge¬
schrieben, weil sie zu feig' war, den Wortbruch
einzugestehen. „Es gibt einen Schmerz", schloß
der Ingenieur, „vor dem man nur in den Tod
flüchten kann. Darum griff ich zum Revolver."
Er hatte beim Fenster gestanden, während er
sprach. Als er sich nun umwandte, erschrak er.
denn er sah, daß die schönen Augen der Aerztin
tränenfeucht geworden waren.
Wochen vergingen. Die Aerztin hatte sich in
die Arbeit gestürzt, um über ihrem Beruf das
leise Weh im Herzen zu vergessen. Eines Tages
wurde ihr der Ingenieur gemeldet. Er kam, um
Abschied zu nehmen. Auf ihr „wohin?" deutete
er mit einer hilflosen Geste nach dem Süden. Er
.meinte damit in die Tropen zurück. Eine zeit¬
lang sprachen sie aneinander vorbei, dann ver¬
abschiedete sich der Ingenieur und wandte sich
zum Gehen. In der Tür aber drehte er sich rasch
noch einmal um und küßte der Aerztin beide
Hände. Dann war er fort. Langsam erstarrte
das gezwungene Lächeln um den Mund der
schönen Frau. und nun geschah etwas Sonder¬
bares. Dr. Margot Heiderich. die künftige Lei¬
terin der berühmten Klinik, warf sich über den
Tisch und schluchzte hilflos wie ein Kind. Auf
einmal spürte sie eine Hand auf der Schulter und
vernahm wie aus weiter Ferne die Worte:
„Wenn du mein armes Herz willst, Liebes, es
gehört ja dir. Nimm auch mich dazu."
Es sprach der Ingenieur Wolfgang Tester, der
zurückgekehrt war, um seine vergessenen Hand¬
schuhe zu holen.
Des Kindes -Opfer
Eine Geschichte vorn Schacht von Dörte Friedrich
ls sie in den Schacht einfuhren, sagte Nik¬
kei zu seinem Steiger: „Bäbchen hat eine
neue Uhr, ich versteh' mich so ein bißchen
auf Mechanik und habe sie ihr selbst aus altem
Material gemacht.
Zum Gehäuse habe ich eine alte Nickelfassung
genommen, die noch von der Urgroßmutter
stammt und zu nichts mehr nutze war. Hättest
einmal sehen sollen, wie das kleine Ding sich
gefreut hat, immer hat es die Uhr an das Ohr
gehalten und gelauscht, ob sie noch tickt, und
dann war die Freude groß, für das Kind ist es
die ganze Seligkeit."
Der Steiger hatte aufmerksam zugehört. Jetzt
ging ein breites Lächeln über seine markigen
Züge. Er kannte Nickel sehr gut. Als junger