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Mer. Hier tritt man unangemeldet ein, wie ihr
Sonntags in die Schenke tretet.
Ich schwitzte dicke Tropfen, und doch war ich
erstarrt, ich fror! Meine Haare sträubten sich! Es
roch nach verbranntem, nach geröstetem Fleisch,
in meine Nase drang ein Geruch, wie jener, der
sich in unserem Cucugnan verbreitet, wenn der
Hufschmied Eloy den Huf eines alten Esels brennt,
um ihn zu beschlagen. Ich verlor den Atem in
dieser mit Brandgeruch erfüllten, stinkenden Luft;
ich hörte ein entsetzliches Geschrei, Seufzer, Ge¬
heul und Flüche.
„Nun! Kommst du herein oder nicht, du!"
schreit mir ein gehörnter Dämon entgegen, indem
er mit seiner großen Gabel nach mir sticht.
„Ich? Ich gehe nicht hinein. Ich bin ein Freund
Gottes"... „Na, du Lumpenhund! Was willst du
denn hier?"
„Ich komme... Ach, ich kann mich nicht mehr
auf den Beinen halten... Ich komme... Ich
komme von weit her ... und wollte gehorsamst
anfragen... ob ... ob sich zufällig ... vielleicht
einer hier befindet... einer von Cucugnan ..."
„Ach, Blitz und Hagel! Du stellst dich wohl
dumm, du! Als ob du nicht wüßtest, daß ganz
Cucugnan hier ist. Komm her, du hä߬
licher Rabe, guck herein und sieh, wie wir sie hier
verarbeiten, deine famosen Cucugnaner ..."
* * *
Und ich sah mitten in einem entsetzlichen
Flammenwirbel:
Den langen Coq-Galline — ihr habt ihn alle
gekannt, meine Brüder — Coq-Galline, der sich
so oft betrank und so oft seine arme Clawon miß^
handelte.
Ich sah Catarinet ... den Nickel ... mit ihrer
Stumpfnase... Ihr erinnert euch doch, ihr
Schelme! ...
Ich sah Pascal Doigt-de-Poix, der sein Öl aus
Juliens Oliven preßte.
Ich sah Babet, die Ähvenleserin, die beim
Ährenlesen Händevoll aus den Garben stahl, um
ihre Garbe rascher binden zu können.
Ich sah Grapasi, der das Rad seines Schiebe¬
karrens so billig schmierte.
Und Dauphine, die ihr Brunnenwasser so
teuer verkaufte.
Und Tortillard, der wenn er mir mit der
Monstranz begegnete, ruhig seines Weges weiter
ging, die Mütze auf dem Schädel und die Vfeife
im Maul... als wenn er einem Hunde begegnet
wäre.
Und Coulau mit seiner Zette, und Jacques,
und Pierre und Toni...
Erschüttert, bleich vor Furcht, seufzten die Zu¬
hörer. In der offenen Hölle erblickte dieser seinen
Vater, jener seine Mutter, ein anderer seinen
Großvater, noch ein anderer seine Schwester...
„Ihr fühlt wohl, meine Brüder", fuhr der gute
Abb6 Martin fort, „ihr fühlt wohl, daß das so
nicht weiter gehen kann. Eure Seelen sind mir
anbefohlen und ich will, ich will euch vor dem Ab¬
grunde schützen, in den ihr alle kopfüber zu stürzen
im Begriff seid. Morgen mache ich mich an die
Arbeit, nicht später als morgen. Und an Arbeit
wird es nicht fehlen! Ich will euch sagen, wie ich
es mache. Was gut gehen soll, muß in gehöriger
Reihenfolge vorgenommen werden. Wir wollen
daher auch der Reihe nach gehen, wie man es in
Ionquitzres beim Tanzen macht."
Morgen, Montag, werde ich die alten Männer
und Frauen in die Beichte nehmen. Das wird
nicht viel sein.
Dienstag, die Kinder. Das wird bald geschehen
sein.
Mittwoch, die jungen Burschen und Mädchen.
Das kann laqge dauern.
Donnerstag, die Männer. Wir wollen es kurz
machen.
Freitag, die Weiber. Ich sage: macht keine
Geschichten!
Samstag, den Müller... Einen Tag für ihn
ganz allein, das wird- nicht zuviel sein ...
Und wenn wir am Sonntag fertig sind, werden
wir sehr glücklich sein.
Seht ihr, meine Kinder, wenn das Korn reif
ist, muß man es schneiden; wenn der Wein ab¬
gezogen ist, muß man ihn trinken. Hier gibt es
genug schmutzige Wäsche; die muß man waschen
und gut waschen.
Die Gnade des Himmels sei mit euch, Amen!
Gesagt, getan! Die Lauge wurde nicht geschont.
Seit diesem denkwürdigen Sonntage verbreiten
die Tugenden von Cucugnan ihren Wohlgeruch
auf zehn Stunden in die Runde.
Und der gute Pastor Martin, glücklich un-
voller Jubel, hat gestern Nacht geträumt, daß er,
gefolgt von seiner ganzen Herde, in glänzender
Prozession inmitten brennender Kerzen, einer
Wolke balsamisch duftenden Weihrauchs und
eines Chors von Kindern, die das Tedeum sangen,
den erleuchteten Weg emporstieg, der zur Stadt
Gottes führt.
Das ist die Geschichte des Pfarrers von Cu¬
cugnan. So hat mir der große Bettelmann von
Roumanille aufgetragen sie euch zu erzählen und
der hatte sie von einem guten Kameraden.