Full text: 58.1930 (0058)

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Mer. Hier tritt man unangemeldet ein, wie ihr 
Sonntags in die Schenke tretet. 
Ich schwitzte dicke Tropfen, und doch war ich 
erstarrt, ich fror! Meine Haare sträubten sich! Es 
roch nach verbranntem, nach geröstetem Fleisch, 
in meine Nase drang ein Geruch, wie jener, der 
sich in unserem Cucugnan verbreitet, wenn der 
Hufschmied Eloy den Huf eines alten Esels brennt, 
um ihn zu beschlagen. Ich verlor den Atem in 
dieser mit Brandgeruch erfüllten, stinkenden Luft; 
ich hörte ein entsetzliches Geschrei, Seufzer, Ge¬ 
heul und Flüche. 
„Nun! Kommst du herein oder nicht, du!" 
schreit mir ein gehörnter Dämon entgegen, indem 
er mit seiner großen Gabel nach mir sticht. 
„Ich? Ich gehe nicht hinein. Ich bin ein Freund 
Gottes"... „Na, du Lumpenhund! Was willst du 
denn hier?" 
„Ich komme... Ach, ich kann mich nicht mehr 
auf den Beinen halten... Ich komme... Ich 
komme von weit her ... und wollte gehorsamst 
anfragen... ob ... ob sich zufällig ... vielleicht 
einer hier befindet... einer von Cucugnan ..." 
„Ach, Blitz und Hagel! Du stellst dich wohl 
dumm, du! Als ob du nicht wüßtest, daß ganz 
Cucugnan hier ist. Komm her, du hä߬ 
licher Rabe, guck herein und sieh, wie wir sie hier 
verarbeiten, deine famosen Cucugnaner ..." 
* * * 
Und ich sah mitten in einem entsetzlichen 
Flammenwirbel: 
Den langen Coq-Galline — ihr habt ihn alle 
gekannt, meine Brüder — Coq-Galline, der sich 
so oft betrank und so oft seine arme Clawon miß^ 
handelte. 
Ich sah Catarinet ... den Nickel ... mit ihrer 
Stumpfnase... Ihr erinnert euch doch, ihr 
Schelme! ... 
Ich sah Pascal Doigt-de-Poix, der sein Öl aus 
Juliens Oliven preßte. 
Ich sah Babet, die Ähvenleserin, die beim 
Ährenlesen Händevoll aus den Garben stahl, um 
ihre Garbe rascher binden zu können. 
Ich sah Grapasi, der das Rad seines Schiebe¬ 
karrens so billig schmierte. 
Und Dauphine, die ihr Brunnenwasser so 
teuer verkaufte. 
Und Tortillard, der wenn er mir mit der 
Monstranz begegnete, ruhig seines Weges weiter 
ging, die Mütze auf dem Schädel und die Vfeife 
im Maul... als wenn er einem Hunde begegnet 
wäre. 
Und Coulau mit seiner Zette, und Jacques, 
und Pierre und Toni... 
Erschüttert, bleich vor Furcht, seufzten die Zu¬ 
hörer. In der offenen Hölle erblickte dieser seinen 
Vater, jener seine Mutter, ein anderer seinen 
Großvater, noch ein anderer seine Schwester... 
„Ihr fühlt wohl, meine Brüder", fuhr der gute 
Abb6 Martin fort, „ihr fühlt wohl, daß das so 
nicht weiter gehen kann. Eure Seelen sind mir 
anbefohlen und ich will, ich will euch vor dem Ab¬ 
grunde schützen, in den ihr alle kopfüber zu stürzen 
im Begriff seid. Morgen mache ich mich an die 
Arbeit, nicht später als morgen. Und an Arbeit 
wird es nicht fehlen! Ich will euch sagen, wie ich 
es mache. Was gut gehen soll, muß in gehöriger 
Reihenfolge vorgenommen werden. Wir wollen 
daher auch der Reihe nach gehen, wie man es in 
Ionquitzres beim Tanzen macht." 
Morgen, Montag, werde ich die alten Männer 
und Frauen in die Beichte nehmen. Das wird 
nicht viel sein. 
Dienstag, die Kinder. Das wird bald geschehen 
sein. 
Mittwoch, die jungen Burschen und Mädchen. 
Das kann laqge dauern. 
Donnerstag, die Männer. Wir wollen es kurz 
machen. 
Freitag, die Weiber. Ich sage: macht keine 
Geschichten! 
Samstag, den Müller... Einen Tag für ihn 
ganz allein, das wird- nicht zuviel sein ... 
Und wenn wir am Sonntag fertig sind, werden 
wir sehr glücklich sein. 
Seht ihr, meine Kinder, wenn das Korn reif 
ist, muß man es schneiden; wenn der Wein ab¬ 
gezogen ist, muß man ihn trinken. Hier gibt es 
genug schmutzige Wäsche; die muß man waschen 
und gut waschen. 
Die Gnade des Himmels sei mit euch, Amen! 
Gesagt, getan! Die Lauge wurde nicht geschont. 
Seit diesem denkwürdigen Sonntage verbreiten 
die Tugenden von Cucugnan ihren Wohlgeruch 
auf zehn Stunden in die Runde. 
Und der gute Pastor Martin, glücklich un- 
voller Jubel, hat gestern Nacht geträumt, daß er, 
gefolgt von seiner ganzen Herde, in glänzender 
Prozession inmitten brennender Kerzen, einer 
Wolke balsamisch duftenden Weihrauchs und 
eines Chors von Kindern, die das Tedeum sangen, 
den erleuchteten Weg emporstieg, der zur Stadt 
Gottes führt. 
Das ist die Geschichte des Pfarrers von Cu¬ 
cugnan. So hat mir der große Bettelmann von 
Roumanille aufgetragen sie euch zu erzählen und 
der hatte sie von einem guten Kameraden.
	        
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