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Urwalds zu Gesicht zu be¬
kommen. Diese Pygmäeu
hat schon Herodot, der Vater
der Geschichte, 500 Jahre
v. Chr., erwähnt. Er nannte
sie « gorii », was man
lange mit Gorilla übersetzt
hat, da man nicht an Men-
schen glauben mochte, bis
Livingstones und Stanleys
Entdeckungen ein anderes
bewiesen. Wenn Herodot
ihr Vorhandensein an den
Küsten erwähnt, so läßt
das darauf schließen, daß sie
einstmals das ganze äqua¬
toriale Afrika bewohnten
und vor den einwandernden
Äthiopiern und Bantunegern
in das Innere des Urwalds
zurückgewichen sind. Tat¬
sächlich haben auch die An¬
gehörigen dieser Stämme
vor den Pygmäen einen
außerordentlichen Respekt;
sie betrachten sie als die
eigentlichen Besitzer des
Landes und fürchten ihre
aus den Gipfeln der
Bäume so unvorhergesehen
anschwirrenden Giftpfeile.
Man befindet sich also
einer Urrasse aus den
Kindheilstagen der Welt
gegenüber. —
Es war auf der Station Aremi, wo der Admi¬
nistrateur dem Maler Jacovleff und seinen Freunden
solche Wesen vorstellte *). „Sie sind", sagt I., „etwa
1,20—1,35 m groß. Obgleich ein wenig degeneriert,
stellen sie doch keine Krüppel dar und ebensowenig
kann man sie als „Zwerge" bezeichnen. Ihre Körper
haben vielmehr noch kindliche Proportionen, das heißt,
das Verhältnis des Kopfes zur Gesamthöhe ist Va
bis 1/7, und zwar führt die Kürze der Beine zu dieseut
Ergebnis, während der Rumpf noch die normale Pro¬
portion eines Mannes von kleiner Statur hat. Im
Gegensatz dazu sind die Arme überlang und die Hände
hängen im allgemeinen bis über die Knie, derart,
daß ihr ganzer Körperbau an den Schimpansen er¬
innert. Aber das ist schließlich auch ganz normal
angesichts ihrer Lebensweise; denn die „Tick-Tick"
(wie die Eingeborenen sie gewöhnlich nennen) pflegen
mehr auf wie unter den Bäumen zu hausen.
Der Kopf ist umfangreich, eine gewölbte Stirn über
gut entwickelten Kiefern. Übrigens haben diejenigen
*) Wir zitieren hier den Bericht des Malers Jacovleff und des
Leiter? der Film- und Photograph. Abteilung, Leon Peirier.
linier ihnen, die ihr Blut
von Kreuzungen rein ge¬
halten haben (es gibt deren
bei der Station Arebi aller¬
dings nicht viele), mehr
einen semitischen Typus
als den des Negers. Die
Haut ist hellfarbig, mehr
kupferrot. Die Behaarung
ist stark entwickelt: Bart
und häufig auch auf der
Brust ein dichter Haarfilz.
Der Blick ist lebhaft,
lnanchmal wohl auch bos¬
haft, aber niemals sahen
wir bei ihnen jenen stump¬
fen fast tierischen Ausdruck
mancher Neger. Die Pyg¬
mäen haben einen sehr
boshaften Charakter, sagte
uns der Mantwu, der uns
als Dolmetscher diente.
Aber dieser Mamwu kannte
die einsilbige und guttu¬
rale Sprache der Tik-Tik
so wenig, daß wir es vor¬
zogen, uns mit Panto¬
mimen zu behelfen. Wir
boten ihnen Brot und
Salz, dessen Anblick um
ihre Lippen ein befriedig¬
tes Lächeln spielen ließ.
Der Pygmäe ermangelt
keineswegs der Intelligenz.
Er erregt sich leicht, ver¬
steht ziemlich rasch, was
inan von ihm will, kurz, seine Vernunft scheint voll¬
ständig.
Wie zu Zeiten Stanleys leben die Pygmäen auch
heute noch als zahlreiche Familie im Urwald, den sie
nie verlassen wollen. Nur der Köder von Salz und
von Bananen gestattete es dem Administrateur, diese
hier zu ihrem großen Leidwesen einen Tag bei dem
Posten festzuhalten. Bei jeder Gelegenheit offen¬
barten sie ihr Verlangen, wieder zu verschwinden,
und um sie weiter zu beobachten, mußten wir ihnen
in den Wald hinein folgen.
Bei den Pygmäen ist der Begriff der Familie noch
unbekannt, somit gibt es auch noch keine Stammes¬
bildung. Die Inzucht scheint ziemlich häufig. Die
übersinnlichen Vorstellungen scheinen gering, fast nie¬
mand trägt ein Amulett, ebensowenig gibt es ge¬
werbsmäßige Zauberer. Nach den Angaben der Ein¬
geborenen waren sie niemals Menschenfresser, hin¬
gegen dürften sie selbst den umwohnenden Neger¬
stämmen des öfteren als Wildbret gedient haben.
Das erklärt denn auch die geringe Sympathie, die
zwischen beiden herrscht. Zwar zwingt die Notwendig-
Cin Sara-Häuptling.