Full text: 56.1928 (0056)

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ine der Klagen, die in der heutigen Zeit am 
meisten erhoben werden, ist d i e, daß unsere 
Verkehrswege für die Menge der Fahrzeuge 
nicht mehr reichten. Die an Schienen gebundenen, 
Eisenbahn und elektrische Straßenbahn, empfindet 
man schon wieder als unmodern, ja die letztere sogar 
vielfach als Verkehrshindernis. Aber ob Wohl einer 
unserer vielen Leser, die da eines Abends zwischen 
6 und 7 Uhr als Fußgänger an einer der Straßen¬ 
kreuzungen der Saarbrücker Bahnhofstraße diesen 
Verkehr hin und her an sich vorübersluten sah, sich 
Gedanken gemacht hat über die Entwicklung dieser 
Fortbewegungsmittel? Solche Gedanken kamen dem 
Kalendermann neulich, als er an Korn's Ecke auf 
das neueingeführte „Freigabezeichen für Fußgänger" 
des Verkehrspolizisten wartete, und deswegen mochte 
er heute einmal davon plaudern. 
Wir wissen aus den Funden bildlicher Darstel¬ 
lungen in Assyrien, Babylonien, Ägypten wie im 
fernen Osten, wir wissen aus den alten Schriftstellern 
wie aus der Bibel, daß schon in uralten Zeiten das 
„Fahren" bekannt war, daß es weit mehr ver¬ 
breitet war als das Reiten, ja, trotz des Mangels 
an gebahnten Wegen vielleicht älter ist wie dieses. 
Aber trotzdem ist nicht der Wagen das älteste Land¬ 
transportmittel, sondern einerseits die Schleife, 
aus der sich der spätere Schlitten entwickelte, und 
andererseits die T r a g st a n g e, an der zwei oder 
mehr Personen Lasten fortbewegten, die der einzelne 
nicht zu tragen vermochte. Aus der Tragstange, von 
der auch heute noch in manchen Ländern, z. B. in 
Armenien, viel Gebrauch gemacht wird, hat sich dann, 
indem man zwei parallele Stangen durch ein Tuch 
oder einen Korb verband, die Sänfte entwickelt, 
in der nun nicht mehr Lasten, sondern Menschen ge¬ 
tragen wurden, wobei im Mittelalter anstatt der 
menschlichen Träger vielfach zwei Pferde oder Maul¬ 
tiere traten, und die in Japan und China heute noch 
ht Benutzung ist. Über die in unserer Nähe, in 
Mainz, benutzten „Portechaisen" erzählt der Main¬ 
zer Schriftsteller Conrad Kraus, daß es Schilder¬ 
häusern ähnliche Kasten gewesen seien, mit einem 
Schieferdach und so schwer, daß zwei kräftige Leute 
sie sogar leer nur mit Mühe trugen. Erst 1767 führte 
der damals zum Domkapitular ernannte Gvaf Da¬ 
mian von der Lehen leichte, elegante Sänften mit 
Lederdach nach Pariser Muster ein. Sie hielten sich 
bis Mitte des 19. Jahrhunderts, wo beispielsweise 
das St. Rochushospital noch eine besaß. Die Porte- 
chaisen-Träger bildeten eine Innung und hatten 
allein das Recht, an öffentlichen Straßen auf Kund¬ 
schaft zu „lauern". 
Das wäre die Geschichte der Sänfte. — Und nun 
zum Wagen. 
Erst mußte der Mensch die endlose Drehbewegung 
des Rades, eine der wichtigsten technischen Erfin¬ 
dungen, wofür die Natur kein Vorbild bot, erfunden 
haben, ehe derselbe aufkommen konnte. Die ältesten 
geschichtlichen Wagen waren plumpe Kasten mit 
schwerfälligen hölzernen, aus einem Baumstamm ge¬ 
schnittenen und nur oben abgerundeten Scheiben¬ 
rädern. Solche Wagen hat man auch bei uns in 
Mitteleuropa vielfach gefunden, da zwischen 1000 und 
500 v. Chr. vornehme Krieger häufig mit ihren Wa¬ 
gen beerdigt wurden. So fand man in einem Grab 
in Dejbjeig in Jütland zwei hölzerne mit Bronze 
beschlagene vierräderige Wagen. Der Wagenkasten 
ist ohne Federung mit den Achsen verbunden. Vorder¬ 
räder und Deichsel sind an ihn ohne Drehvorrichtung 
starr befestigt. *) 
Derartige Konstruktionen erhielten sich bei uns 
lange, **) während man z. B. in Assyrien schon sorg¬ 
sam konstruierte bronzene Wagenräder mit richtig ge¬ 
lagerter Nabe und Speichen kannte. Der „vorneh¬ 
mere" Magen, als Streit-, Renn- und Triumpfwagen 
bekannt, war jedoch zweiräderig. So beschreibt (um 
800 v. Chr.) Homer den Wagen der Göttin Hera, daß 
er achtspeichige Bronzeräder, eiserne Achsen und bron¬ 
zenes - Untergestell hätte, und daß der Wagen¬ 
kasten in vergoldeten Lederriemen hinge.. — Im 
allgemeinen war jedoch an diesen zweiräderigen Wa¬ 
gen die Deichsel an der Achse unbeweglich be¬ 
festigt. Vorn an der Deichsel war das gepolsterte 
Joch, das am Widerrist des Pferdes saß und an Brust 
und Bauch befestigt wurde. Die Pferde, bis zu vier, 
spannte man nebeneinander. Die Fahrenden, meistens 
neben dem Krieger noch ein besonderer Wagenlenker, 
pflegten in dem Wagen zu st e h e n. (Abb. 1.) 
*) Feldhaus. **) siehe Bild: „basischer Wagen", Kal. 26, S. 91.
	        
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