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ine der Klagen, die in der heutigen Zeit am
meisten erhoben werden, ist d i e, daß unsere
Verkehrswege für die Menge der Fahrzeuge
nicht mehr reichten. Die an Schienen gebundenen,
Eisenbahn und elektrische Straßenbahn, empfindet
man schon wieder als unmodern, ja die letztere sogar
vielfach als Verkehrshindernis. Aber ob Wohl einer
unserer vielen Leser, die da eines Abends zwischen
6 und 7 Uhr als Fußgänger an einer der Straßen¬
kreuzungen der Saarbrücker Bahnhofstraße diesen
Verkehr hin und her an sich vorübersluten sah, sich
Gedanken gemacht hat über die Entwicklung dieser
Fortbewegungsmittel? Solche Gedanken kamen dem
Kalendermann neulich, als er an Korn's Ecke auf
das neueingeführte „Freigabezeichen für Fußgänger"
des Verkehrspolizisten wartete, und deswegen mochte
er heute einmal davon plaudern.
Wir wissen aus den Funden bildlicher Darstel¬
lungen in Assyrien, Babylonien, Ägypten wie im
fernen Osten, wir wissen aus den alten Schriftstellern
wie aus der Bibel, daß schon in uralten Zeiten das
„Fahren" bekannt war, daß es weit mehr ver¬
breitet war als das Reiten, ja, trotz des Mangels
an gebahnten Wegen vielleicht älter ist wie dieses.
Aber trotzdem ist nicht der Wagen das älteste Land¬
transportmittel, sondern einerseits die Schleife,
aus der sich der spätere Schlitten entwickelte, und
andererseits die T r a g st a n g e, an der zwei oder
mehr Personen Lasten fortbewegten, die der einzelne
nicht zu tragen vermochte. Aus der Tragstange, von
der auch heute noch in manchen Ländern, z. B. in
Armenien, viel Gebrauch gemacht wird, hat sich dann,
indem man zwei parallele Stangen durch ein Tuch
oder einen Korb verband, die Sänfte entwickelt,
in der nun nicht mehr Lasten, sondern Menschen ge¬
tragen wurden, wobei im Mittelalter anstatt der
menschlichen Träger vielfach zwei Pferde oder Maul¬
tiere traten, und die in Japan und China heute noch
ht Benutzung ist. Über die in unserer Nähe, in
Mainz, benutzten „Portechaisen" erzählt der Main¬
zer Schriftsteller Conrad Kraus, daß es Schilder¬
häusern ähnliche Kasten gewesen seien, mit einem
Schieferdach und so schwer, daß zwei kräftige Leute
sie sogar leer nur mit Mühe trugen. Erst 1767 führte
der damals zum Domkapitular ernannte Gvaf Da¬
mian von der Lehen leichte, elegante Sänften mit
Lederdach nach Pariser Muster ein. Sie hielten sich
bis Mitte des 19. Jahrhunderts, wo beispielsweise
das St. Rochushospital noch eine besaß. Die Porte-
chaisen-Träger bildeten eine Innung und hatten
allein das Recht, an öffentlichen Straßen auf Kund¬
schaft zu „lauern".
Das wäre die Geschichte der Sänfte. — Und nun
zum Wagen.
Erst mußte der Mensch die endlose Drehbewegung
des Rades, eine der wichtigsten technischen Erfin¬
dungen, wofür die Natur kein Vorbild bot, erfunden
haben, ehe derselbe aufkommen konnte. Die ältesten
geschichtlichen Wagen waren plumpe Kasten mit
schwerfälligen hölzernen, aus einem Baumstamm ge¬
schnittenen und nur oben abgerundeten Scheiben¬
rädern. Solche Wagen hat man auch bei uns in
Mitteleuropa vielfach gefunden, da zwischen 1000 und
500 v. Chr. vornehme Krieger häufig mit ihren Wa¬
gen beerdigt wurden. So fand man in einem Grab
in Dejbjeig in Jütland zwei hölzerne mit Bronze
beschlagene vierräderige Wagen. Der Wagenkasten
ist ohne Federung mit den Achsen verbunden. Vorder¬
räder und Deichsel sind an ihn ohne Drehvorrichtung
starr befestigt. *)
Derartige Konstruktionen erhielten sich bei uns
lange, **) während man z. B. in Assyrien schon sorg¬
sam konstruierte bronzene Wagenräder mit richtig ge¬
lagerter Nabe und Speichen kannte. Der „vorneh¬
mere" Magen, als Streit-, Renn- und Triumpfwagen
bekannt, war jedoch zweiräderig. So beschreibt (um
800 v. Chr.) Homer den Wagen der Göttin Hera, daß
er achtspeichige Bronzeräder, eiserne Achsen und bron¬
zenes - Untergestell hätte, und daß der Wagen¬
kasten in vergoldeten Lederriemen hinge.. — Im
allgemeinen war jedoch an diesen zweiräderigen Wa¬
gen die Deichsel an der Achse unbeweglich be¬
festigt. Vorn an der Deichsel war das gepolsterte
Joch, das am Widerrist des Pferdes saß und an Brust
und Bauch befestigt wurde. Die Pferde, bis zu vier,
spannte man nebeneinander. Die Fahrenden, meistens
neben dem Krieger noch ein besonderer Wagenlenker,
pflegten in dem Wagen zu st e h e n. (Abb. 1.)
*) Feldhaus. **) siehe Bild: „basischer Wagen", Kal. 26, S. 91.