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Vatikanische Gärten: Die Leonina.
Hans Peters Heimatstadt war ein Nest von ganzen
tausend Einwohnern. Auf einem kleinen Hügel stan¬
den die Häuser mit den schwarzen Querbalken dicht
zusammengedrängt. Grüne Gärten und Heckenwege
liefen zwischen ihnen durch, als wären sie von einem
besonders gut aufgelegten Engel an einem freien
Sonntagnachmittag grad so hineingestickt worden. Von
der ehemaligen Stadtherrlichkeit der alten Feste aber
war nicht mehr viel übrig als der schöngesiegelte Frei¬
brief im Rathaus. Das lag mit seiner hohen Frei¬
treppe vorne am Marktplatz, schräg gegenüber von
Kaspar Peters Schuhwarenhandlung. Und dicht da-
Vattkanische Gärten: Das Kasino Pius IV.
neben die Einhorn-Apotheke
des Apothekers Schmiedeboom.
Den hat noch niemals einer
ohne Zigarre im Mund ge¬
sehen, und von dem hat noch
niemand etwas anderes ge¬
hört, als dauernde Klagen
über schlechten Geschäftsgang.
Im übrigen war er voller
Schrullen, wie alle Apotheker,
und galt allgemein für stein¬
hagelreich.
Ihn lernte Hans Peter im
dritten Jahr seines Lebens
auf eine höchst seltsame Art
näher kennen.
Apotheker Schmiedebooms
Karlchen war zwei Jahre äl¬
ter als Hans^ Und vor dem
hatte Hans Peter eine gren¬
zenlose Hochachtung. Denn er
konnte Radschlagen, lebende
Hummeln verschlucken und ba¬
dete stets auf dem Birnbaum
hinter der Apotheke. Dazu
holte er sich bei der Marie
aus der Küche einen Kohlen¬
eimer, brachte chn voll Wasser mit Stricken und un¬
säglichen Mühen bis hoch in den Baum hinein, ließ
ihn an einem starken Ast herunter, setzte sich darüber,
zog Strümpfe und Schuhe aus und badete sich quitsch-
vergnügt.
Das hätte Hans Peter nie fertiggebracht. Er war
still und versonnen geworden, etwas altklug vom
Vater her und gänzlich unpraktisch. Er hörte für sein
Leben gern ernste und frohe Geschichten, wie sie die
Frau Schmiedeboom so schön spannend erzählen
konnte. Aber um den Apotheker und ähnliche Leute
machte er bisher stets einen weiten Bogen.
An jenem Tag nun war
Karlchen hinter einer Maus
her, Türen schlugen zu, Rufen
und Gejohle. Dann alles
mäuschenstill. Hans Peter
duselte eine Weile so mählich
vor sich hin, dann ging er
Karlchen suchen. Immer brav
ein Bein nach dem andern,
den Schürzenzipfel eifrig kau¬
end im Mund, balanzierte er
die knarrende Holzstiege hin¬
unter. Es dauerte endlos
lange, bis er Karlchen tief im
Arzneikeller fand.
Der war für beide streng¬
stens verboten, sonst auch im¬
mer abgeschlossen, und Hans
schlich langsam und zaghaft
und auf den Zehenspitzen hin¬
zu. Die Maus war vergessen,
denn Karlchen roch an jeder
Flasche, die er nur erreichen
konnte. Es war ein hin¬
gebendes Genießen. Und Hans
roch mit. Der war gar nicht
so schlimm, der Arzneikeller.