Full text: 56.1928 (0056)

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Piene gekommen feien, um ihn zu verhaften. Aber 
^ warum solch ein Gedanke? Halte Mateo irgend- 
L welche Händel mit der Justiz? Nein, er genoß einen 
i rechtschaffenen Ruf. Er war, wie man sagt, ein 
k aut beleumundeter Privatmann; aber er war Korse 
und Bergbewohner dazu, urrd es gibt wenige kor¬ 
sische Bergbewohner, die nicht bei sorgfältiger Prü¬ 
fung ihres Gedächtnisses irgendeine strafbare Sache 
vorfänden, wie Gewehrschüsse, Stilettstiche und ähn¬ 
liche Kleinigkeiten. Mateo hatte mehr als jeder 
andere ein reines Gewissen; denn seit zehn Jahren 
hatte er kein Gewehr mehr gegen einen Menschen 
gerichtet; dennoch war er vorsichtig und setzte sich 
in Positur, um, falls es not täte, sich wirksam zu 
verteidigen. 
„Frau", sagte er zu Giuseppa, „stell deinen Sack 
hin und halt dich bereit." Sie gehorchte sofort. Er 
gab ihr das eine Gewehr, das er am Riemen trug 
und das ihn hätte hindern können. Er lud dann das 
andere und näherte sich langsam seinem Haus, in¬ 
dem er den Bäumen entlang ging, die sich am Wege 
hinzogen, und er war bereit, sich bei der geringsten 
feindlichen Kundgebung hinter den dicksten Stamm 
zu werfen, von wo aus er gedeckt hätte feuern können. 
Seine Frau tat das gleiche, wobei sie sein zweites 
Gewehr und seine Jagdtasche trug; denn die Aus¬ 
gabe einer guten Hausfrau im Fall eines Kampfes 
ist, die, die Waffen ihres Mannes zu laden. 
Andererseits befand sich der Adjutant in großer 
Verlegenheit, als er Mateo derart näherkommen sah, 
mit berechneten Schritten, das Gewehr im Anschlag 
und den Finger am Abzug. Wenn es sich zu¬ 
fällig träfe, sagte er sich, daß Mateo ein Verwandter 
oder ein Freund Gianettos. wäre, würden die La¬ 
dungen seiner zwei Gewehre bei uns ihr Ziel er¬ 
reichen, so sicher wie die Briefe mit der Post, und 
wenn er auf mich zielte, trotz der Verwandschaft!... 
In dieser Unschlüssigkeit wählte er einen sehr 
tapferen Ausweg: er ging nämlich ullein auf Mateo 
zu, um ihm die Sachlage zu erklären, indem er ihn 
gleich als einen alten Bekannten ansprach; aber der 
kurze Zwischenraum, der ihn von Mateo trennte, 
schien ihm gräßlich lang. 
,,Holla! na, alter Kamerad", ries er, „wie geht's, 
mein Wackerer? Ich bin's, Gamba, dein Vetter." 
Mateo war, ohne ein Wort zu erwidern, stehen¬ 
geblieben, und in eben dem Maße, in dem der andere 
sprach, hob er den Lauf feines Gewehres sachte in 
die Höhe, so daß er in dem Augenblick, in dem der 
Adjutant bei ihm ankam, gegen den Himmel gerich¬ 
tet war. 
„Grüß Gott, Bruder", sagte der Adjutant, indem 
er ihm die Hand reichte, „es ist lange her, daß ich 
dich nicht mehr gesehen habe." 
„Grüß Gott, Bruder." 
„Ich war gekommen, um dir und meiner Cousine 
Pepa im Vorbeigehen guten Tag zu sagen! Wir 
haben heute einen langen Marsch hinter uns; aber 
wir sind nicht zu beklagen, denn wir haben einen 
famosen Fang gemacht. Soeben haben wir Gianetto 
Sanpiero gefaßt." 
„Gott sei gelobt!" rief Giuseppa. „Er hat uns 
vorige Woche eine Milchziege gestohlen." 
Diese Worte freuten Gamba. 
„Der arme Teufel", sagte Mateo, „er hatte 
Hunger." 
„Der Kerl hat sich wie ein Löwe verteidigt", fuhr 
der Adjutant ein wenig verletzt fort; „er hat mir 
einen meiner Voltigeure erschossen, und damit nicht 
zufrieden, hat er dem Korporal Chardon den Arm 
zerschmettert; aber 's ist nicht so schade drum, 's ist 
nur ein Franzose ... Dann hat er sich so gut ver¬ 
steckt, daß der Teufel ihn nicht hätte entdecken können. 
Ohne meinen kleinen Vetter Fortunato hätt' ich ihn 
niemals finden können." 
„Fortunato!" rief Mateo. 
„Fortunato!" wiederholte Giuseppa. 
„Ja, der Gianetto hatte sich in dem Heuhaufen 
dort verborgen; aber mein kleiner Vetter hat mir 
das Versteck gezeigt. Auch werd' ich's seinem Onkel, 
dem Korporal, erzählen, damit er ihm dafür ein 
schönes Geschenk schicke. Und sein und dein Name 
werden im Rapport sein, den ich dem Staatsanwalt 
senden werde." 
„Verflucht!" sagte Mateo ganz leise. 
Sie waren bei der kleinen Truppe angekommen. 
Gianetto lag schon auf der Tragbahre und war zum 
Aufbruch bereit. Als er Mateo in der Gesellschaft 
von Gamba sah, lächelte er auf feltfame Art; dann 
wendete er sich nach der Tür des Hauses, spie aus 
die Schwelle und sagte: „Haus eines Verräters!" 
Nur ein den Tod herbeiwünschender Mensch konnte 
das Wort „Verräter" gegen Mateo gebrauchen. Ein 
tüchtiger Stilettstich, der nicht hätte wiederholt 
werden brauchen, hätte sofort die Beleidigung ge¬ 
lohnt. Indessen machte Mateo keine andere Gebärde, 
als daß er die Hand an die Stirne führte, gleich 
einem zu Boden gedrückten Menschen. 
Fortunato war in das Haus getreten, als er 
seinen Vater nahen sah. Er kam bald wieder mit 
einer Tasse Milch, die er mit niedergeschlagenen 
Augen dem Gianetto darbot. „Weg von mir!" schrie 
ihm der Geächtete mit zermalmender Stimme zu. 
Darauf wendete er sich zu einem der Voltigeure. 
„Kamerad, gib mir zu trinken", sagte er. Der Sol¬ 
dat legte ihm seine Feldflasche zwischen die Hände, 
und der Bandit trank das Wasser, das ihm ein 
Mensch gab, mit deut er noch vor kurzer Zeit Ge¬ 
wehrschüsse gewechselt hatte. Darauf bat er, daß man 
ihm die Hände statt im Rücken kreuzweise über der 
Brust zusammenbinde. „Ich liebe es", sagte er, 
„bequem zu liegen". Man beeilte sich, ihn zufrieden 
zu stellen; dann gab der Adjutant, das Zeichen zum 
Aufbruch, sagte Mateo Lebewohl, der ihm aber nicht 
antwortete, und stieg beschleunigten Schrittes die 
Ebene hinunter. 
Zehn Minuten verstrichen, bevor Mateo den 
Mund öffnete. Das Kind schaute mit unruhigen 
Augen bald zu seiner Mutter, bald zu seinem Vater, 
der, aus sein Gewehr gestützt, ihn mit einem Aus¬ 
druck wachsenden Zornes betrachtete. 
„Du fängst gut an!" sagte endlich Mateo mit 
einer ruhigen, aber für denjenigen schrecklichen 
Stimme, der den Mann kannte. 
„Vater!" rief das Kind, indem es, die Augen voller 
Tränen, vorwärts schritt, um sich vor des Vaters 
Knie zu werfen. Aber Mateo schrie: „Bleib weg!"
	        
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