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Piene gekommen feien, um ihn zu verhaften. Aber
^ warum solch ein Gedanke? Halte Mateo irgend-
L welche Händel mit der Justiz? Nein, er genoß einen
i rechtschaffenen Ruf. Er war, wie man sagt, ein
k aut beleumundeter Privatmann; aber er war Korse
und Bergbewohner dazu, urrd es gibt wenige kor¬
sische Bergbewohner, die nicht bei sorgfältiger Prü¬
fung ihres Gedächtnisses irgendeine strafbare Sache
vorfänden, wie Gewehrschüsse, Stilettstiche und ähn¬
liche Kleinigkeiten. Mateo hatte mehr als jeder
andere ein reines Gewissen; denn seit zehn Jahren
hatte er kein Gewehr mehr gegen einen Menschen
gerichtet; dennoch war er vorsichtig und setzte sich
in Positur, um, falls es not täte, sich wirksam zu
verteidigen.
„Frau", sagte er zu Giuseppa, „stell deinen Sack
hin und halt dich bereit." Sie gehorchte sofort. Er
gab ihr das eine Gewehr, das er am Riemen trug
und das ihn hätte hindern können. Er lud dann das
andere und näherte sich langsam seinem Haus, in¬
dem er den Bäumen entlang ging, die sich am Wege
hinzogen, und er war bereit, sich bei der geringsten
feindlichen Kundgebung hinter den dicksten Stamm
zu werfen, von wo aus er gedeckt hätte feuern können.
Seine Frau tat das gleiche, wobei sie sein zweites
Gewehr und seine Jagdtasche trug; denn die Aus¬
gabe einer guten Hausfrau im Fall eines Kampfes
ist, die, die Waffen ihres Mannes zu laden.
Andererseits befand sich der Adjutant in großer
Verlegenheit, als er Mateo derart näherkommen sah,
mit berechneten Schritten, das Gewehr im Anschlag
und den Finger am Abzug. Wenn es sich zu¬
fällig träfe, sagte er sich, daß Mateo ein Verwandter
oder ein Freund Gianettos. wäre, würden die La¬
dungen seiner zwei Gewehre bei uns ihr Ziel er¬
reichen, so sicher wie die Briefe mit der Post, und
wenn er auf mich zielte, trotz der Verwandschaft!...
In dieser Unschlüssigkeit wählte er einen sehr
tapferen Ausweg: er ging nämlich ullein auf Mateo
zu, um ihm die Sachlage zu erklären, indem er ihn
gleich als einen alten Bekannten ansprach; aber der
kurze Zwischenraum, der ihn von Mateo trennte,
schien ihm gräßlich lang.
,,Holla! na, alter Kamerad", ries er, „wie geht's,
mein Wackerer? Ich bin's, Gamba, dein Vetter."
Mateo war, ohne ein Wort zu erwidern, stehen¬
geblieben, und in eben dem Maße, in dem der andere
sprach, hob er den Lauf feines Gewehres sachte in
die Höhe, so daß er in dem Augenblick, in dem der
Adjutant bei ihm ankam, gegen den Himmel gerich¬
tet war.
„Grüß Gott, Bruder", sagte der Adjutant, indem
er ihm die Hand reichte, „es ist lange her, daß ich
dich nicht mehr gesehen habe."
„Grüß Gott, Bruder."
„Ich war gekommen, um dir und meiner Cousine
Pepa im Vorbeigehen guten Tag zu sagen! Wir
haben heute einen langen Marsch hinter uns; aber
wir sind nicht zu beklagen, denn wir haben einen
famosen Fang gemacht. Soeben haben wir Gianetto
Sanpiero gefaßt."
„Gott sei gelobt!" rief Giuseppa. „Er hat uns
vorige Woche eine Milchziege gestohlen."
Diese Worte freuten Gamba.
„Der arme Teufel", sagte Mateo, „er hatte
Hunger."
„Der Kerl hat sich wie ein Löwe verteidigt", fuhr
der Adjutant ein wenig verletzt fort; „er hat mir
einen meiner Voltigeure erschossen, und damit nicht
zufrieden, hat er dem Korporal Chardon den Arm
zerschmettert; aber 's ist nicht so schade drum, 's ist
nur ein Franzose ... Dann hat er sich so gut ver¬
steckt, daß der Teufel ihn nicht hätte entdecken können.
Ohne meinen kleinen Vetter Fortunato hätt' ich ihn
niemals finden können."
„Fortunato!" rief Mateo.
„Fortunato!" wiederholte Giuseppa.
„Ja, der Gianetto hatte sich in dem Heuhaufen
dort verborgen; aber mein kleiner Vetter hat mir
das Versteck gezeigt. Auch werd' ich's seinem Onkel,
dem Korporal, erzählen, damit er ihm dafür ein
schönes Geschenk schicke. Und sein und dein Name
werden im Rapport sein, den ich dem Staatsanwalt
senden werde."
„Verflucht!" sagte Mateo ganz leise.
Sie waren bei der kleinen Truppe angekommen.
Gianetto lag schon auf der Tragbahre und war zum
Aufbruch bereit. Als er Mateo in der Gesellschaft
von Gamba sah, lächelte er auf feltfame Art; dann
wendete er sich nach der Tür des Hauses, spie aus
die Schwelle und sagte: „Haus eines Verräters!"
Nur ein den Tod herbeiwünschender Mensch konnte
das Wort „Verräter" gegen Mateo gebrauchen. Ein
tüchtiger Stilettstich, der nicht hätte wiederholt
werden brauchen, hätte sofort die Beleidigung ge¬
lohnt. Indessen machte Mateo keine andere Gebärde,
als daß er die Hand an die Stirne führte, gleich
einem zu Boden gedrückten Menschen.
Fortunato war in das Haus getreten, als er
seinen Vater nahen sah. Er kam bald wieder mit
einer Tasse Milch, die er mit niedergeschlagenen
Augen dem Gianetto darbot. „Weg von mir!" schrie
ihm der Geächtete mit zermalmender Stimme zu.
Darauf wendete er sich zu einem der Voltigeure.
„Kamerad, gib mir zu trinken", sagte er. Der Sol¬
dat legte ihm seine Feldflasche zwischen die Hände,
und der Bandit trank das Wasser, das ihm ein
Mensch gab, mit deut er noch vor kurzer Zeit Ge¬
wehrschüsse gewechselt hatte. Darauf bat er, daß man
ihm die Hände statt im Rücken kreuzweise über der
Brust zusammenbinde. „Ich liebe es", sagte er,
„bequem zu liegen". Man beeilte sich, ihn zufrieden
zu stellen; dann gab der Adjutant, das Zeichen zum
Aufbruch, sagte Mateo Lebewohl, der ihm aber nicht
antwortete, und stieg beschleunigten Schrittes die
Ebene hinunter.
Zehn Minuten verstrichen, bevor Mateo den
Mund öffnete. Das Kind schaute mit unruhigen
Augen bald zu seiner Mutter, bald zu seinem Vater,
der, aus sein Gewehr gestützt, ihn mit einem Aus¬
druck wachsenden Zornes betrachtete.
„Du fängst gut an!" sagte endlich Mateo mit
einer ruhigen, aber für denjenigen schrecklichen
Stimme, der den Mann kannte.
„Vater!" rief das Kind, indem es, die Augen voller
Tränen, vorwärts schritt, um sich vor des Vaters
Knie zu werfen. Aber Mateo schrie: „Bleib weg!"