Full text: 56.1928 (0056)

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Mateo falcone, der Korse, 
Novelle von Prosper Mérimée. 
Prosper Mérimée wurde am 28. September 
1803 in Parts geboren. Er studierte die Rechte und 
schlug die Beamtenlausbahn ein. Daneben widmete 
er sich der Politik und — eine Frucht seiner Abkunft, 
denn sein Vater Jean François Léon Mérimée war 
ein angesehener Maler, und auch seine Mutter war 
Malerin — den bildenden Künsten. Als Beamter 
kam er rasch zu höheren Stellen, schon 27 jährig (1831) 
Kabinettschef des Grafen d'Argout, des damaligen 
Ministers des Äußeren, verblieb er auch für die 
tolge in der Zentralverwaltung, wurde schließlich 
eneraltnspektor der historischen Denkmäler, Senator, 
Präsident der Kommission für die Reorganisation der 
Kaiserlichen Bibliothek, ward Mitglied der Akademie 
Française und Grohosstzier der Ehrenlegion, in welcher 
Stellung er 1870 starb. 
Als Dichter war der kaum 22jährige zuerst mit 
einem anonymen Werk «Le Théâtre, de Clara Gazul, 
comédienne espagnole» an die Öffentlichkeit ge¬ 
treten. Er bezeichnete dies Werk,' dessen zweiter Auf¬ 
lage er 1830 einen weiteren Band hinzufügte, als 
Übersetzungen kleiner spanischer Komödien. In Wirk¬ 
lichkeit aber war er selbst der Verfasser. Zwei Jahre 
später erschien ein neues Werk, eine Sammlung illy¬ 
rischer Lieder «La Guzla» eines Serben „Hyazinth 
Maglanowitsch". Auch diese Sammlung, die überall 
das größte Aufsehen erregte und allerorts für echt 
gehalten wurde, war eine Mystistkatton. Ihr Ver¬ 
fasser war ebenfalls Mérimée. 
Schon diese beiden Werke lassen die charakteristischen 
Züge des Dichters erkennen: eine außerordentliche 
Klarheit und Folgerichtigkeit, und eine wunderbare 
Gabe der Einfühlung in Sitten und Gebräuche fremder 
Lande. Dank dieser wurde er in seinen späteren 
Geschichten für Frankreich der Begründer der ethno¬ 
graphischen Novelle. „Während andere sich mit 
einer sehr allgemeinen Vorstellung von dem Volke, 
worunter sie ihre Geschichte spielen lassen, begnügen, 
strebt die ethnographische Novelle im strengeren Sinne 
nach Treue bis in die Einzelheiten, vor allem aber 
darnach, die Handlung aus den besonderen 
Zuständen dort wachsen zu lassen, so daß sie 
sich gar nicht irgendwo anders in solcher Weise ab¬ 
spielen könnte. Es genügt ihr also nicht, um der 
romantischen Ausmachung willen eine Handlung, die 
überall vor sich gehen kann, nach irgend einem fremden 
Lande zu verlegen und dann rasch angelesene Kennt¬ 
nisse zur Dekoration zu oeriuenden Das Stu¬ 
dium muß die Grundlage solcher Novellen bilden.*) 
Gerade diese Bemerkung wird der Leser auch bei 
der hier abgedruckten Erzählung aus Korsika 
(Mateo Falcone) machen. Wie sehr aber neben dem 
Studium auch die scharfe Beobachtungsgabe und die 
*) Otto Hauser. 
eigene Anschauung Mérimée bei seinem Werke unter¬ 
stützten, ersehen wir aus dem spanischen Briefe.*) 
Dabei ist Mérimées Stil einfach und klar, ohne alle 
Überschwenglichkeit, sachlich, fast nüchtern anmutend. 
Der Erzähler tritt hinter seine Erzählung völlig 
zurück. Gerade weil Mérimée sich darin „von der 
Gesinnungsweise des Tages", d. h. von der damals 
blühenden Romantik, frei hielt, erntete er dos 
höchste Lob Goethes. 
Goethe ist es auch, der Mérimée gegen einen 
anderen Vorwurf verteidigt, den, zu sehr die Nacht¬ 
zeiten des Lebens zu schildern, grausige Vorgänge, 
die doch aus den eben erwähnten ethnographischen 
Bedingungen sich ergeben. Eckermann hatte ihn auf 
die „abscheulichen Gegenstände" der Guzla aufmerksam 
gemacht, worauf Goethe erwidert: „Mérimée hat 
diese Dinge ganz anders traktiert als seine Mit¬ 
gesellen. Es fehlt diesen Gedichten nicht an allerlei 
schauerlichen Motiven ; allein alle diese Wider¬ 
wärtigkeiten berühren nicht das Innere des Dichters, 
er behandelt sie vielmehr aus einer gewissen Ferne und 
gleichsam mit Ironie... Er hat sein eigenes Innere 
dabei gänzlich verleugnet... Mérimée ist freilich ein 
ganzer Kerl; wie denn überhaupt zum vbjektiven 
Behandeln eines Gegenstandes mehr Kraft und Genie 
gehört, als man denkt"... 
Von den vielen Schöpfungen Mérimées, der auch 
archäologische und geschichtliche Arbeiten herausgab, 
sind uns Deutschen zwei besonders bekannt geworden, 
doch beide nicht io sehr im Original, sondern nur 
ihr Stoff als Librettounterlage; „Carmen" durch 
Bizets gleichnamige Oper, die „Chronik der 
Regierung Karls IX. durch Meyerbeers „Hu¬ 
genotten". Aber auch die hier wteoergegebene Er¬ 
zählung „Mateo Falcone" hat keinen Geringeren 
als Chamisso veranlaßt, sie nochmals in Terzinen 
widerzugeben, wenn auch der Eindruck dieser Verse 
nicht annähernd die Stärke der Prosa des Urbilds 
erreicht. 
enn man Porto Vecchio verläßt und sich nach 
Nordosten wendet, dem Innern der Insel **) 
zu, so sieht man das Terrain ziemlich schnell 
ansteigen, und nach dreistündigem Marsch aus ge¬ 
wundenen Pfaden, die durch große Felsblöcke ver¬ 
sperrt und oft durch Schluchten unterbrochen werden, 
befindet man sich am Rande eines sehr ausgedehn¬ 
ten „Maquis". Ein solcher Maquis ist die Heimat 
*) eite 97 des Kalenders. 
**) Korsika.
	        
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