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Schlosses. Unh was ich Euch da erzähle, ist
durchaus nicht erfunden; zweimalhunderttausend
Provencalen haben es gesehen.
Nachdem es während einer vollen Stunde im
Finstern umhergetappt und wer weiß wieviel
Stufen einer Wendeltreppe hinaufgeklettert war,
muß man sich den Schrecken des unglücklichen
Maultieres vorstellen, als es plötzlich auf einer
Plattform vom hellsten Sonnenlicht geblendet
wurde und tausend Fuß unter sich ganz Avignon
erblickte, das ihm arg phantastisch erschien mit
feinen nußgroßen Buden auf dem Marktplatz, den
Soldaten des Papstes vor ihrer Kaserne, wie rote
Ameisen anzuschauen, und dort unten auf einem
Silberfaden eine mikroskopisch kleine Brücke, wo
man tanzte... Ach, du armes Tier! wie entsetzte es
sich! Von dem Schrei, den es darüber ausstieß,
erzitterten alle Fenster des Schlosses.
— Was gibt es, was hat man ihm getan? rief
der gute Papst, auf den Balkon hinausstürzend.
Tistet Vedene war schon wieder aus dem Hofe,
machte ein weinerliches Gesicht und raufte sich die
Haare:
— Ach, Hoher Heiliger Vater, was es gibt?
Euer Maultier... Mein Gott! was soll nun wer¬
den?... Euer Maultier ist ja auf den Glockenturm
gestiegen...
— Ganz allein???
— Fa, Hoher Heiliger Vater, ganz allein... dort!
seht nur da oben... Seht Ihr nicht die Spitzen
seiner Ohren hervorleuchten?... Man könnte
meinen, es wären zwei Schwalben...
— Daß Gott erbarm! rief der arme Papst, den
Blick nach oben wendend... Aber, ist es denn toll
geworden? Willst du gleich herunterkommen, du
unglückliches Tier!
Weiß der Himmel! es wäre schon gerne hinab¬
gestiegen... aber wie? Auf der Treppe? daran war
garnicht zu denken; die kann man wohl gerade
noch hinaufsteigen, aber beim Hinabsteigen könnte
man sich hundertmal die Beine brechen... und das
arme Maultier geriet in Verzweiflung. Es ließ
feine großen, durch den Schwindel getrübten Augen
auf der Plattform umherschweifen und dabei
dachte es an Tistet Vedene: — Oh, du Bandit!
wenn ich wieder hinunterkomme, was sollst du
morgen für einen Fußtritt haben!
Dieser Gedanke an den Hufschlag, den es ver¬
abfolgen wollte, gab ihm selbst wieder ein wenig
Mut; sonst hätte es sich nicht mehr aufrecht halten
können... Endlich kam man dazu, es herunter¬
zuholen; aber man hatte allerlei Mühe damit.
Mit einer Winde, mit Stricken und mit einer
Tragbahre ging das Herablassen vor sich. Und
man kann sich denken, was das für eine Demüti¬
gung für das Maultier eines Papstes war, als es
in dieser Höhe baumelte und mit den Füßen in
der Luft strampelte, wie ein an einem Faden
hängender Maikäfer. Und ganz Avignon sah
dabei zu!
Das unglückliche Tier schlief deshalb die ganze
Nacht nicht. Es war ihm immer zumute, als ob
es sich unter dem Gelächter der ganzen Stadt auf
dieser verdammten Plattform herumbewegte.
Dann dachte es auch an diesen schändlichen Tistet
Vedene und an den famosen Fußtritt, den es ihm
am nächsten Morgen verabfolgen wollte. Oh,
meine Freunde, das sollte ein Fußtritt werden!
In Pamperigouste würde man noch den Rauch
sehen können... Nun, was glaubt Ihr, was Tistet
Vedene tat, während ihm dieser schöne Empfang
im Stalle zugedacht war? Er fuhr singend in
einer päpstlichen Galeere die Rhone hinunter und
begab sich mit einer Schar junger Adeliger, die die
Stadt jedes Jahr zur Königin Johanna schickte,
um sich in der Diplomatie und der guten Lebens¬
art auszubilden, nach Neapel. Tistet war nicht
adelig: aber der Papst wünschte, ihn für die sorg¬
same Wartung, die er seinem Tiere hatte ange¬
deihen lassen und besonders für den Eifer, den
er kurz vorher am Rettungstage entfaltet hatte, zu
belohnen.
So sah also unser Maultier am nächsten Mor¬
gen, daß ein Strich durch seine Rechnung ge¬
macht war.
— Ah, der Bandit! er hat etwas geahnt!...
dachte es und schüttelte wütend seine Schellchen...
aber das Macht nichts; geh, Elender! Du wirst ihn
schon noch bekommen, deinen Fußtritt... Ich hebe
dir ihn auf...
Nach Tistets Abreise war für das Maultier des
Papstes alles wieder beim alten; es halle sein
ruhiges Leben und Treiben wieder wie früher.
Kein Quinquet, kein Beluguet war mehr im
Stalle zu sehen. Die schönen Tage mit gewürztem
4*