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„Freundschaft allein genügt Ilse nicht, um einen
Mann zu heiraten. Nur aus wahrer Liebe könnte
sie es."
„Und da sie mir dieses Gefühl nicht schenken
kann, so gibt sie mir einen Korb!"
„Anna Werdau gibt Ihnen dafür ihr Iawort,"
tönte es schalkhaft in das Contor hinüber.
„Sehr schmeichelhaft, mein Fräulein, aber . . ."
„Und wenn nun Anna Werdau und Ilse Sellhof
beide Sie liebten? Wenn die Letztere Sie damals
vor drei Jahren als die reiche Erbin des Hauses
nur nicht lieben durfte, wenn sie sich Zwang auf¬
erlegen und ihrem Herzen gebieten mutzte, das
sie zu dem bescheidenen Commis hinzog, der ihr
besser gefiel, als alle die reichen Gecken, die sie
umschwärmten? Wenn Anna Werdau in dieser
kurzen Woche Ihren Charakter schätzen, Ihr Ge¬
müt verstehen, kurz. Sie lieben gelernt: welche
von beiden wählten Sie, mein Herr?"
„Mein Fräulein . . . Sie setzen mich in die
tödlichste Verlegenheit", stotterte Erdmann verwirrt.
„Nun, so heiraten Sie doch Beide!" rief es
neckend zurück.
„Aber da mützte ich Muselmann werden!" sagte
der Buchhalter in lichter Verzweiflung.
„Nicht nötig, durchaus nicht; denn . . ."
„Bitte, fahren Sie fort, ich verstehe Sie nicht."
'Qie&exixxebexie
Ueberall sucht man in neuerer Zeit durch Wort und Schrift
Interesse für hygienische Bestrebungen zu wecken, um die ge»
fährdete Volksgemndheit wieder zu heben. Leider haben diese
gesundheitlichen Belehrungen bei vielen Personen zu einer ge¬
wissen Aengstlichkeil geführt. Besonders macht sich eine über¬
triebene Furchl vor allem Staube vielfach bemerkbar, fei es,
daß man sreziell im Siaube die vielerwähmen Bazillen fürchtet,
»der die Schädlichkeit jedes Staubes für die Aimungsorgane
als weit gefährlicher hält, als sie in Wirklichkeit ist.
Zur Beruhigung so ängstlicher Gemüter sollen diese Zeilen
beitragen. Bor allem sei ihnen gesagt, daß ihre Staubfurcht
nutzlos ist! Wir Erdgeborenen sind eben allesamt zum Staub¬
schlucken verurteilt. Wer in staubfreier Luft leben wollte,
müßte sich ständig in Regenwetter, Schneefall oder im feuchten
Walde aufhalten, und das ist eben nicht möglich. Wir können
den Staub wohl bekämpfen, müssen ihn. nicht nur aus
hygienischen, sondern auch aus ästhetischen Gründen be¬
kämpfen — aber ihn beseitigen, vernichten oder vor ihm
fliehen, können wir nicht. Das weiß jedes Stubenmädchen
wie jede Hausfrau, jeder Handwerker wie Landwirt, jeder
Soldat wie Kaufmann. Unser ganzes Leben und Treiben,
jede Arbeit, ja jeder Schritt, den wir machen, erzeugt Staub;
de selbe teilt sich naturgemäß der Luft mit und wir müssen
ihn mitatmen. Das darf uns aber nicht beunruhigen. Ge¬
rade diese Allgegenwärtig'eit des Staubes sollte uns zum
tröstenden Beweise gereichen, daß er nicht so gefährlich sein
kann, wie ängstliche Gemüter glauben, weil sonst die Mensch¬
heit längst vernichtet sein müßte.
Was sollte denn auch werden im gesamten Wirtschaftsleben,
wenn die Staubfurcht sozusagen epidemisch würde? — Da
„Denn: Anna Werdau . . . und Ilse Sell- l
Hof . . . sind ein und dieselbe Person." Leise ’
wie ein Hauch kam es herüber: „Arthur, ich
liebe Dich!"
„Ilse!" Wie ein Schrei unbeschreiblichen Jubels
tönte es zu ihr, die zitternd und bebend vor dem
Sprech-Apparat sah.
Und dann — war es lange still, hüben und
drüben.
Die Türe des Amtszimmers schloh sich bald
darauf. Eine Frauengestalt schlüpfte eilig hinaus.
Zehn Minuten später rasselte eine Droschke
in rasendem Galopp um die Ecke und hielt vor
dem Nebenhause. Ein Herr sprang heraus und
stürmte die Treppe empor — eine Türe wurde
droben geöffnet, und — doch weiter darf ich nichts
berichten, nur, dah auf den Drähten des Tele¬
phons neckische Geisterchen hin und her flogen, die ;
schalkhaft lachten und des losen Streiches sich -
freuten, den sie vollführt haben.
Zwei junge, glückliche Herzen hatten sich in !
treuer Liebe gefunden, nicht wie sonst wohl, auf
dem Ball, in der Geselligkeit, auch nicht im
Hause oder gar durch die Feder, wie es ja zu¬
weilen vorkommt, sondern auf ganz neue Art. I
auf einem ganz seltsamen Wege, wie es bisher noch i
nie geschehen war — durch's Telephon!
§>faußfurc§f.
hörte ja alles Schaffen auf ur.d die Menschheit müßte bei
allem Fortschritt zugrunde geben. Nein, der Bauer, Hand¬
werker, Arbeiter darf keinen Staub scheu,n, wenn er für sich
und die Allgemeinheit schaffen will. Und hat man schon jemals
gehört, daß einer durch den Staub umgekommen ist? Wo i
Staub als Krankheitserreger verschrien wird, da sollte man \
erst einmal gründlich untersuchen, ob nicht Ueberarbeitung, !
Umereritährung oder übermäßiger Alkoholgenuß die Lunge j
gegen den Staub widerstandslos gemacht hat! Es wäre für
Staubscheue sehr gut, wenn sie solche Berufe näher studieren ;
wollten, bei welchen viel im Staube gearbeitet werden muß,
z. B Landleule in der Ernte, in der Scheuer, bei der FlachS-
bereikung — sie würden sich gewiß ihrer Staubfurcht schämen.
Wirkt es nicht lächerlich, wenn Perionen, die sich vor jedem
Stäubchen fürchten, draußen von rücksichtslosen Winden in
dichte Staubwolken gehüllt werden! Da nützt kein Schutz —
sie müssen die unreine Luft atmen, just wie sie die Soldaten
auf ihren Märschen so oft atmen müssen und doch gesund
bleiben, weil sie eben gesund sind.
Darum fort mit aller Staubfurcht! Bekämpfen wir den j
Schädling auch weiter aus hygienischen und ästberifchen Grün¬
den mit allen Mitteln, aber ohne Furcht I Lebe nur jeder
sonst in allem naturgemäß, so daß Körver und Geist nicht zu
Schaden kommen, und der gefürchtete Staub als Bestandteil
der Luft, die wir atmen, wird seine Gefährlichkeit verlierin.
Eine schon geschwächte Lunge mag sich so viel wie möglich
vor Siaub schützen — der geiunde Mensch aber macht sich
durch seine Staubfurcht lächerlich und seinem Mitmenschn
lästig. Das mögen alle Staubscheuen beherzigen!