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lieh. „Es ist zu amüsant." murmelte er. ..Wie
sie wohl aussehen mag? Ätcin oder grob, blond
oder braun, hübsch oder hätzlich? Alt kann sie der
Stimme nach nicht sein . . . Mir kann es gleich
sein, ich bin gefeit gegen alle weiblichen Reize,
seit . . Das Ende verlor sich in einem schweren
Seufzer.
Mittwoch, 12. August 1900.
Die Telephonleitung, die in das Contor I. P.
Bornstätt's u. Sohn führte, lieb die elektrische
Glocke hell erklingen und rief den Buchhalter der
Firma herbei. Es war wieder um die späte
Stunde, wie an den beiden vorhergehenden
Tagen, und Eromann befand sich allein im
Zimmer.
Mit einigen hastigen Schritten eilte der junge
Mann zum Fernsprecher.
Ein erfreutes Lächeln glitt über sein männlich
hübsches Gesicht, als die Worte herüberkamen:
„Ist der Herr Buchhalter noch da?"
„Ja wohl. Was befehlen Sie, mein Fräulein?"
„Unsern allerherzlichsten Dank für die schönen
Trauben und Blumen, von meiner Mutter
und mir."
„Wie wissen Sie, daß gerade ich sie gesandt
habe?" fragte Erdmann zurück. „Es war ja keine
Karte dabei."
„Nein, aber wir kennen hier keine Seels, da wir
erst kurze Zeit in der Stadt wohnen. Sie haben
ein gütiges Herz, mein Herr, das beweisen Sie
täglich, seit wir miteinander durch's Telephon
plaudern."
„Da ist nichts Großes dabei, mein Fräulein.
Ich wollte eben Ihrer Frau Mutter eine kleine
Erquickung senden, und da alle jungen Damen
Blumen lieben, so war ich so frei. Ihnen die
Rosen zu verehren."
„Sie haben meine stille Liebhaberei erraten.
Ich habe mich sehr gefreut, mein Herr, obgleich
die Marschall Niel und La France eine traurige
Erinnerung weckten. Ich schloß die Augen, und
der süße Duft zauberte mir Vergangenes wieder."
„Wie traurig Sie das sagen! Es tut mir leid,
die Ursache dazu gegeben zu haben. W'ssen Sie,
mein Fräulein: ich trage auch eine Marschall Niel
in meiner Brusttasche. Sie war einst frisch und
blühend, jetzt ist sie trocken und welk ... es
knüpft sich eine liebe Erinnerung daran."
Eine ziemlich lange Pause von drüben, dann die
etwas zögernde Frage: „Darf ich es wissen?"
„Es ist nicht viel, aber Sie sollen es hören,
mein Fräulein. Sie haben mir bereits Vertrauen
erwiesen, und so will ich Ihnen auch etwas aus
meinem Leben erzählen. Ich war in Hamburg
Commis bei A. Sellhof u. Co. Mein Prinzipal
war mit mir zufrieden, und doch fühlte ich mich
oft recht unglücklich, denn . . ." hier räusperte
der Redner sich verlegen — „ich verehrte seine
einzige, schöne Tochter. Da war einmal ein Ball
im reichen Kaufmannshause, und ich hatte die
Ehre, eingeladen zu werden. Bescheiden stand ich
an der Türe und blickte in das fröhliche Treiben,
und doch sah ich nur ihre Gestalt, hörte nur ibr
Helles Lachen, wenn sie in meiner Nähe war.
„Warum tanzen Sie nicht?" fragte sie, auf mich
zuschwebend. „Ich wage es nicht, Sie aufzufordern,
gnädiges Fräulein," gab ich zurück, „und ... an
den Andern liegt mir nichts." Diese letzten Worte
murmelte ich so leise, daß ich hoffte, sie habe
es nicht gehört. Und doch stieg eine heiße Röte
in ihr reizendes Gesicht, und sie sagte schnell:
„Wollen Cie diesen Walzer?" Es war mir. als
wüchsen mir Flüge!, als klänge die Musik fröh¬
licher, als ich mit ihr dahinschwebte. Dann . . .
war alles zu Ende: ich verbeugte mich, und da fiel
gerade eine Rose von ihrer Schulter zur Erde, eine
Marschall Niel. Ich hob sie auf und habe sie
seitdem als Andenken behalten an die glücklichsten
Minuten meines Lebens."
„Wie lange ist es her seit jenem Abend?"
Erdmann hörte verwundert, aber dankbar, daß
die Stimme der Unbekannten bebte.
„Drei Iahre. Ich verließ bald nach jenem
Ball Hamburg und Deutschland, denn ich fühlte,
daß ich besser daran tat."
„Und wo waren Sie seitdem?"
„In Newyork, San Francisco und Brasilien.
Dort habe ich viel gelernt, und bin erst feit kaum
einem Monat wieder in Europa."
„Und seither hörten Sie nichts mehr von der
Tochter Ihres früheren Prinzipals?"
„Niemand weiß, was aus ihr geworden. Sell¬
hof geriet in Concurs und ist gestorben, und . . .
sie ist wohl längst verheiratet - .
„Ich werde gerufen!" rief es plötzlich vom Amt.
„Gute Nacht, Herr Erd . . ." Hier stockte mit
einem Male die Stimme.
„Wie wissen Sie meinen Namen?!" rief der
Buchhalter erregt. „O bitte, noch eine Sekunde
bleiben Sie!"
Keine Antwort. Der junge Mann ging ver¬
stimmt nach Hause.
. Donnerstag, 13. August 1900.
„Wie langweilig!" murmelte Arthur Erdmann
vor sich hin. „Es scheint, daß sie mir heute nicht
antworten kann oder nicht antworten will. Da
habe ich bereits drei Mal anzuknüpfen versucht.