103 —
knarrten die schweren Wagenräder unter Hott und
Hüh der Treiber über die Steppe auf den vorspringen¬
den nahen Bergkegel zu.
Giebel trabte voran und fand bald ein Plätzchen
wie er es wünschte. Rings steiler Abhang. Nur ein
einziger schmaler Wegzugang war zu verteidigen. Hohe
Klippen im Rücken, von denen kein Feind auf den
Lagerplatz herunterkriechen oder schießen konnte, denn
vorspringende Schroffen verdeckten ihn.
Als die kurze afrikanische Dämmerung in das
Nachtdunkel überging, war bereits Wagen neben Wagen
aufgefahren und vor dem Wegezugang wölbte sich ein
hoher Steinwall, den die Lerchtkranken mit vieler
Mühe zusammengerollt hatten. Stunde um Stunde
verrann von der schweigenden Nacht. Giebel faß aus
seinem Ausguck und träumte. Da hörte er einen
schrillen Schrei, wie ihn die Bastards im höchsten
Zorn auszustoßen pflegen. Karl hatte die sechs Boys
vor kurzem zum Absuchen des Vorgeländes auf die
Steppe geschickt. Da konnte der Schrei einen Angriff
der Orlogleute bedeuten. Mit einem Satz war der
Gefreite von dem Auslug herunter und weckte die
Kameraden, dann eilte er schußbereit an den Stein¬
wall. Bald schlich ein dunkler Körper heran. „Wer
da!" rief Giebel. Da kam es jammernd zurück?
„Hier Josua ist! O Master Giebel, Feind ist da!
Feind hat Bastards alle totschlagen! Und Josua ist
allein übrig und ist verwundet!" Bei den Worten
taumelte der Boy gegen die Steinmauer und Karl zog
ihn zu sich herrüber.
Mit entsicherten Gewehren und bereit gelegter
Munition standen die vier Reiter die ganze Nacht, um
ihr Leben und die Kolonne zu verteidigen. Aber nichts
rührte sich, nur in der Ferne fielen einige Schüsse.
Als der Morgen graute, entdeckte Giebel mit dem
Fernglas am Fuße des Hügels ein einsam grasendes
Pferd. Kein Zweifel war möglich, es war ein Gaul
der Kolonne. Wo aber war der Reiter? Giebel eilte
den Hügel hinab und das Tier wieherte, als es ihn
bemerkte. Es trabte unter allen Zeichen der Erregt¬
heit einige Schritte weiter und scharrte dann mit den
Vorderhufen. Karl rannte hinzu und blieb entsetzt
stehen. Vor ihm lag mit einer frischen Wunde am
Kopf Unteroffizier Notnagel, fein alter Regiments¬
kamerad. Giebel rieb ihm die Stirne mit Branntwein
und öffnete Rock und Koppel. Da atmete der Verwundete,
schlug die Augen auf, sah seinen Retter groß an und
flüsterte: „Mein alter Olkopp!" Dann fiel er wieder
in seine Ohnmacht zurück. Karl. pfiff sogleich den Boy
heran und dann wuchteten alle beide den Unteroffizier
auf den Gaul und transportierten ihn zum Lagerplatz.
Hier erzählte Notnagel die schlimme Botschaft, die er
in der Nacht schon hatte bringen wollen, daß der
Oberleutnant mit seinen Reitern in einen Hinterhalt
geraten war. Nur wenige hatten sich zur Feste durch¬
schlagen können. Die anderen blieben im Kampf mit
der Übermacht.
„Gut daß wir hier oben sind!" rief Giebel zuver¬
sichtlich. „Hier können wir uns noch lange halten!
Nur nicht bange sein! Uns sängt hier keiner. Und
zu futtern haben wir mehr als genug. Nur Wasser
— oas fehlt!"
Aber das Wasser fehlte nicht. Das hatte indessen
Notnagels Pferd ausfindig gemacht. Unbeobachtet
hatte sich das Tier schnuppernd an der Felswand
herumgetrieben und war dann in ein helles Wiehern
ausgebrochen. Karl lief, den Gaul einzufangen und
entdeckte dabei ein schmales Rinnsal, das langsam
Tropfen um Tropfen in die dünne Moosdecke der
Steinwand sickern ließ.
„Wasser! Wasser!" jubelte der lange Gefreite. „Den
möchte ich sehen, der uns hier herunterjagt!"
Seit vierzehn Tagen und Nächten ein steter Kampf
um das Leben. Die Kundschafter der schwarzen Rebellen
hatten schon in der zweiten Nacht die Spur der in
Sicherheit gebrachten Kolonne aufgenommen und ihr
Versteck gefunden. Sofort schlossen sie den Bergkegel
auf seinen drei freigelegenen Seiten ein und versuchten
täglich und nächtlich den einzigsten Zugang mit List
zu nehmen. Der Gewalt wichen sie aus. Ihre Er»
fahrungen beim ersten Anrennen hatten sie vor den
Gewehren der fünf Verteidiger gewarnt. War auch
des Unteroffiziers Kopf verbunden, daß nur noch ein
Auge hervorsah, so lag der Finger doch sicher am
Abzug und auf jeden Schuß purzelte einer der Orlog¬
leute mit wildem Schrei den Abhang hinunter. Karl
Giebels Flinte war nickt weniger erfolgreich.
„Hei, ist das eine Schießübung!" rief der lange
Waldmensch einmal über das andere, wenn er seine
Treffer beobachtete. „Jungens, das ist eine andere
Sache als auf dem Schießstand sich plagen!"
Die Nächte wachten die beiden abwechselnd hinter
dem Wall, an dessen Verbesserung die kranken Kame¬
raden fleißig gearbeitet hatten. Proviant aller Art
besaß man und der stets vor Todesangst zitternde Boy
verstand allerlei Suppen zu kochen. So stand man
gerade keine Not aus, aber die lauge Dauer der Be¬
lagerung schwächte täglich mehr die Kräfte. Und
woher sollte jemals befreiende Hilfe kommen? Not¬
nagel beschloß, in einer dunklen Nacht den Boy als
Boten zur Feste zu senden, vielleicht stand es dort jetzt
besser, so daß eine starke Patrouille zur Befreiung ge¬
schickt werden konnte. Aber der Bastard war zu feige
für solche Tat. Die kranken Reiter fühlten sich noch
zu schwach und Notnagels Augen hatten unter der
Verwundung gelitten. So blieb nur noch Karls Opfer
anzunehmen, denn schon wiederholt hatte er sich er¬
boten, Rettung zu suchen und sich durch die Feinde
hindurch zu schleichen. Anfangs wollte Notnagel
nichts davon wifsen. Endlich gab er nach und Karl
nahm Abschied von den Kameraden. Zuletzt trat er
an den Unteroffizier heran.
„Herr Unteroffizier, zu Hause, in unserer Kaserne,
da hängt doch unsere. Ehrentafel." „Das weiß ich
wohl, du alter guter Ölkopp, aber wozu das?" „Herr
Unteroffizier, wenn ich nun nicht wiederkomme — und
wenn sie mich fangen — oder totschlagen?"
„Ach was! Du mit deinen Beinen tvirst den
schwarzen Hunden schon entschlüpfen. Aber kriegen sie
dich doch, dann nimmst du eben deine Quadratfloffen
und — hackst Holz!"
„Ja, das tue ich auch, Herr Unteroffizier, aber
wenn sie mich nun unterkriegen, dann — dann möchte
ich gerne auf der Ehrentafel stehen!"
Die letzten Worte stieß der lange Giebel hastig
hervor und sah nun schüchtern wie ein Knabe zu
seinem Vorgefetzten herab. Der machte ein nachdenk¬
liches Gesicht, weil er nicht recht wußte, ob er der
aufsteigenden Rührung nachgeben oder lachen sollte.
Wre er aber dem langen Kerl da vor sich in die großen
Kinderaugen guckte, da machte er feine Arme weit
auseinander, zog ihn an sich und sagte: „Karl, wenn
du als Pflicht- und ehrliebender Soldat vor dem Feinde
fällst, dann verspreche ich dir, daß du auf unserer