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Der Erfinder des Zündnadelgewehrs.')
Von Hanns v. Zobeltitz.
Als im Jahre 1866 die Kanonen in Böhmen und
am Main donnerten, wuchsen dem jungen, sehr jungen
Daheim plötzlich die Flügel. Es stand damals in
seinem zweiten Jahre und hatte gegen eine sehr starke,
fest eingewurzelte Konkurrenz, aber auch gegen eine
Summe von Vorurteilen anzukämpfen, die sich aus
seinem Programm ergaben. Ein Muckerblatt nannten
es die einen, weil es dem christlichen Hause dienen
wollte, ein Kasernenblatt die andern, weil es in warm¬
herzigem Patriotis¬
mus für die Inter¬
essen der vielge¬
schmähten preußischen
Armee und Marine
eintrat. Dem Libe¬
ralismus, wie ihn
die Konfliktszeit in
Preußen geformt
hatte, war es ein
Dorn im Auge.
Da kam der Krieg,
und das Daheim setzte
mit einer Kriegsbe¬
richterstattung ein,
wie sie damals für die
deutschen illustrier¬
ten Zeitschriften gänz¬
lich neu war. Es
entsandte aus dem
Stamm seiner Mit¬
arbeiter sofort eigene
Korrespondentennach
den Kriegsschau.
Plätzen in Böhmen
und am Main, und
es halte Glück mit
diesen Männern; be¬
sonders die Berichte
von Georg Hiltl
waren in ihrer leben¬
digen Art geradezu
meisterhaft. Aber das
Daheim gewann auch
den ersten der damals
lebenden deutschen
Schlachtenmaler, den
bald darauf zur euro¬
päischen Berühmtheit
gelangenden Georg
Bleibtreuals Spezial¬
zeichner und brachte,
mit einer für jene
Tage geradezu uner¬
hörten Schnelligkeit, fast in jeder seiner Kriegsnummern
Zeichnungen des Meisters. Die ältesten seiner
Abonnenten werden sich sicher noch einiger dieser
Blätter erinnern, die sich in ihrer ergreifenden Leben¬
digkeit dem Gedächtnis wunderbar einprägten, wie
z. B. der Tod des Generalleutnants Hiller von
Gärtringen bei der Erstürmung des Dorfes Chlum.
Mir ist es noch heute deutlich im Gedächtnis, mit
welcher Spannung ) damals in meinem Elternhause
jede Daheim-Nummer erwartet wurde.
Beim alten Dreyse.
Aus Jahrgang 1866 des Daheim. (Verkleinert.)
Weshalb ich heute davon spreche?
Ich erfuhr zufällig, daß die Enthüllung eines
Denkmals für einen Mann bevorstehe, den unsere all¬
zuschnell lebende Zeit fast schon vergessen hat, von
dem viele der Jüngeren nicht viel mehr wissen, als
den Namen: eines Mannes, der damals neben den
großen Heerführern im Vordergründe des Interesses
stand und dies Interesse verdiente. Nikolaus von
Dreyse heißt er — und sein gewaltiges Verdienst war
es, daß er dem preu-
ßischenHeerdasZünd-
nadelgewehr gab.
Und als ich da¬
von Hörle, daß ihm
endlich in Sömmer¬
da, der Stalte seiner
Wirksamkeit, das
Denkmal errichtet
werden wird, das
ihm schon lange ge¬
bührte, da fiel mir
auch ein, daß das
Daheim in einer
seiner ersten Kriegs-
nummeru einen Ar¬
tikel gebracht hatte
über einen „Besuch
beim Erfinder des
Zündnadelgewehrs."
Damit stieg auch die
Erinnerung an diesen
Artikel, der damals
großes Aufsehen er¬
regte, denn das
moderne Interview
war eigentlich noch
nicht erfunden, wieder
in mir auf, und ich
nahm mir den alten
verstaubten Daheim¬
band von anno 1866
vor.
Wenn ich den
Auftrag hätte, zur
Enthüllung des Denk¬
mals einen Festartikel
zu verfassen, könnte
ich eigentlich nichts
besseres tun, als
jenen Besuch beim
alten Dreyse abzu¬
schreiben. Den
Verfasser kenne ich
nicht; der Beitrag ist mit LI. gezeichnet. Aber jeden¬
falls ist der Artikel ein kleines Meisterstück. Er geht
gleich in moäin.8 res; er zeigt uns den Mann und sein
Werk. Vor sein Haus führt er uns, von dem uns in
goldenen Buchstaben aus blauem Felde das Wort be¬
grüßt: „Bete und arbeite." Dann läßt er den Erfinder
sprechen, und man hat das sichere Gefühl: so sprach
der alte Dreyse — er war damals schon 78 Jahre
alt — wirklich! Das erste aber, was der Greis sagt,
ist ein Wort der Trauer, ist die Klage, daß unsere
) Zuerst erschienen tm Daheim, Jahrgang 1809.