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-m Eine Schreckiensncrcht. -M- 
der Psarrchrouik des Fischerdorfes Drottning 
^ auf der dänischen Insel Seeland ist eine Begeben¬ 
heit non dem damaligen Pfarrer aufgezeichnet, die er 
selbst erlebt hat, die aber nie aufgeklärt worden ist. 
Der alte Pfarrer saß an einem Sonnabend ganz 
spät in seinem Studierzimmer; seine Familie war 
chon zur Ruhe gegangen. Da es beinahe 12 Uhr 
war, wollte er soeben das Haus verschließen, ein Ge¬ 
schäft, das er jeden Abend so spät verrichtete, da er 
wußte, daß kein Einbruch non den ehrlichen Bewohnern 
des Dorfes zu befürchten war. 
Plötzlich traten zwei Männer in fremdartiger 
Kleidung in sein Zimmer und forderten ihn auf, sie 
sogleich zur Kirche zu begleiten und dort eiligst eine 
Trauung zu vollziehen. 
Der Geistliche machte ihnen bemerklich, daß dies 
seiner Amtspflicht zuwider wäre; allein sein Sträuben 
nützte ihm nichts. Der Bornehmere von den beiden 
legte ihin eine Börse mit Gold hin, zeigte aber zu 
gleicher Zeit eine Pistole mit dem Bemerken, daß diese 
für ihn bestimmt sei, wenn er sich weigerte, seine Bitte 
zu erfüllen. 
Dem Pfarrer blieb hiernach nichts übrig, als den 
Talar anzuziehen und mit den Fremden zu gehen. 
Als er den Schlüssel zur Kirche mitnehmen wollte, 
sagte der eine der Männer, daß es dessen nicht be¬ 
dürfte, weil die Kirche bereits offen sei. 
Dort angelangt, fand der Pfarrer die Tür er¬ 
brochen und in dein Gotteshause eine große Anzahl 
fremder Kriegsleute, die in einer ihm ganz unbekannten 
Sprache heftig durcheinanderredeten. 
Seine Aufmerksamkeit lenkte sich indessen auf 
andere Gegenstände. Tie Kirche war hell erleuchtet, 
und nicht fern vom Altar stand ein Sarg mit zurück- 
gestelltem Deckel; einer von den vielen Grabsteinen, die 
den Boden der Kirche bedeckten, war ausgehoben und 
lehnte gegen einen der Kirchenstühle. 
Starr vor Schreck blickte der alte Mann umher, 
und seine Augen suchten das Brautpaar, das er ein¬ 
segnen sollte. Endlich erblickte er in einem Kirchen¬ 
stuhl eine bleiche, junge und hübsche Frau in einem 
himmelblauen Seidenkleide, das Haar und die Brust 
reich mit Juwelen und Ketten geschmückt, ihr zur Seite 
ein altes Weib mit boshaften, hämischen Mienen in 
einem abenteuerlichen, bunten Aufzuge. Nach einer 
Pause schritt der Fremdling, der den Pfarrer auf¬ 
gefordert und abgeholt hatte, zu der angeblichen Braut 
rind zog sie fast mit Gewalt zum Altar; da sie aber 
heftig weinte und zitterte, so unterstützte jene Alte sie 
und blieb ihr zur Seite stehen. 
Der Bräutigam winkte nun dem Geistlichen, die 
Trauung zu beginnen. Dieser fragte nach beider 
Namen, und der Bräutigam antwortete kurz und 
barsch: „Iwan" und „Katharina", weiter bedürfe es 
nichts. Während der heiligen Handlung wurde die 
Braut mehrmals ohnmächtig, aber die Alte rieb ihr 
die Schläfe mit einer stark riechenden Essenz und rief 
sie so zum Bewußtsein zurück. 
Als die Ringe gewechselt und der Segen gesprochen 
war, legte man dem Geistlichen Papier und Feder 
hin, um sofort einen Trauschein auszustellen. Auch 
hierbei durfte er nur die beiden erwähnten Namen 
aufschreiben. Die eigentliche Trauhandlung hatte er 
auf Anweisung in griechischer Sprache vollziehen müssen. 
Nun bedurfte man seiner nicht mehr; die gold¬ 
gefüllte Börse wurde ihm in die Hand gedrückt, dann 
wurde er gleichsam mit Gewalt aus der Kirche ge¬ 
drängt, und die Kirchentür hinter ihm verschlossen. 
Erschöpft vor Aufregung und Schreck blieb er 
eine Weile an die Kirchwand gelehnt, stehen und 
lauschte, was nun geschehen würde. 
Jetzt begann ein furchtbarer Lärm in der Kirche, 
und viele Strmmen schrieen durcheinander, bis endlich 
eine Stimme Ruhe gebot. Alles wurde still, dann — 
siel ein Schuß und es wurde wieder still. 
Der alte Pfarrer zitterte an allen Gliedern und 
drückte sich in seiner Angst in eine Vertiefung der 
Kirchwand. Nach einer guten halben Stunde wurde 
die Kirche geöffnet und alle eilten nach dem nahen 
Meerufer. 
Als der Pfarrer sich etwas erholt hatte, eilte er 
zu den nächsten Häusern und weckte die Bewohner mit 
der dringenden Aufforderung, ihn zur Kirche zu be¬ 
gleiten, wo, wie er ahnte, ein schweres Verbrechen so¬ 
eben begangen worden war. Anfangs glaubten die 
Dorfleute, der alte Mann redete irre, endlich aber 
entschlossen sich einige, mit ihm zu gehen. 
Allmählich dämmerte der Morgen, und man konnte 
von dem hochgelegenen Kirchhofe ein großes Schiff, 
anscheinend ein Kriegsschiff, eiligst davonsegeln sehen. 
Noch brannten die Altarlichter, als der Pfarrer 
in die Kirche trat. Der aufgehobene Leichenstein lag 
wieder an seinem alten Platze, und der Sarg war 
verschwunden. Der Pfarrer bewog seine Begleiter, den 
Leichenstein wieder aufzuheben. Es wurde eine Leiter 
geholt, und der Pfarrer stieg zuerst in die Gruft. Dort 
unten stand jener Sarg, der Deckel war nur leicht auf-' 
gelegt, ohne vernagelt zu sein, und in dem Sarge lag 
die soeben eingesegnete Braut in ihrem vollen Anzuge, 
nur die Juwelen waren ihr abgenommmen worden. 
Sie blutete noch aus einer tiefen Wunde in der Brust, 
aber ihre jugendlich schönen Züge waren ruhiger als 
zuvor und stiller Friede lag auf ihrem Gefickt. 
Während die Dorfleute schweigend um oen Sarg 
standen, kniete der alte Geistliche bitterlich weinend 
nieder und küßte die kalte Stirn der Unglücklichen. 
Nachdem er sich etwas erholt hatte, machte er 
einen Bericht über diese schauerliche und rätselhafte 
Begebenheit und sandte ihn nach Kopenhagen an seine 
Behörde. Bald erschien auch von dort eine Kom¬ 
mission, die Angelegenheit an Ort und Stelle zu unter 
suchen. Die Herren forschten und fragten viel, mußten 
aber endlich, ohne etwas ausgerichtet zu haben, wieder 
abreisen. 
Die Begebenheit, die sich zu Anfang des vorigen 
Jahrhunderts ereignet hat, wird wohl für immer un¬ 
aufgeklärt bleiben. Man meinte, daß sie mit den in 
jener Zeit in Rußland vorgekommenen Polen-Revo¬ 
lutionen in Verbindung gestanden hätte. Die russischen 
Namen Iwan und Katharina wenigstens weisen auf 
jenes Land hin. Nur eine lebhafte Phantasie wird 
eine wahrscheinliche Lösung des Rätsels finden.
	        
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