t
darüber kürzlich instruktive Angaben ma
chen. Bei einem Vergleich der Löhne und
der Lebenskosten im Jahre 1953 mit dem
Jahre 1936 (Index = 100) war die Ent
wicklung in 2 Zahlen ausgedrückt. Die In
dexzahl für die Löhne war auf 183.82 und
die für die Lebenskosten auf 579 angestie
gen. Die Lohnkaufkraft war also um 31,72
Prozent gefallen.
Zum Ankauf von einem Liter Oel war
1936 etwas mehr als eine Arbeitsstunde
erforderlich, heute bedarf es des Loh
nes von 4,30 Arbeitsstunden. Für 1 Kilo
Zucker: 1936 = 1,30 Arbeitsstunden und
1953 == 4 Arbeitsstunden. Für 1 Kilo
fleisch war 1936 der Lohn von 5 Ar
beitsstunden erforderlich und heute der
von 14 Stunden. Das sind die Hintergründe
fiir die vielen Streiks in Spanien, die nun
ihre ersten schwachen Erfolge in Bilbao
gezeitigt haben. („Die Arbeit“, Jan. 54)
Die spanische Frau und das Recht
Es findet zur Zeit eine Kampagne statt,
um die spanische Regierung zu veranlas
sen, die gesetzliche Stellung der verhei
rateten Frau zu verbessern, der nach dem
heutigen Gesetz das Recht auf ihre Woh
nung und ihre Kinder verweigert wird,
wenn sie sich von ihrem Manne trennt.
Das spanische bürgerliche Gesetzbuch,
das keine Scheidung erlaubt, sondern nur
eine gesetzliche Trennung, ermächtigt den
Mann, die Wohnung zu benutzen und gibt
ihm die Vormundschaft über die Kinder -
wenn sie mehr als drei Jahre alt sind,
* ohne Rücksicht auf die Schuldfrage.'
Außerdem können spanische Frauen kein
gesetzlicher Vormund sein und stehen in
diesem Falle auf gleichem Fuße mit „Ver
brechern, Halbidioten usw.“, wie A. B. C.,
Madrid, schreibt, die die Kampagne be
gann. Sie können keine Zeugen bei einem
Testament sein, „außer bei Epidemien oder
wenn der Erblasser in unmittelbarer Le-
Lebensgefahr ist“, sagt die Zeitung.
Die Kampagne wurde durch einen von
Senora Mercedes Formica, einer Rechtsan
wältin, geschrieben und im A. B. C. in
diesem Monat veröffentlichten Artikel ge
startet. Frau Formica führte eine, wie sie
sagte, einfache menschliche Episode an.
Eine Frau wurde von ihrem Gatten
zwölf mal mit Stichen verletzt. Das Ver
brechen folgte einem jahrelangen Streit
über die Tatsache, daß der Mann sich wei
gerte, seine Frau und drei Kinder zu un
terstützen. Die Frau war gezwungen, „vom
Morgen bis in die Nacht zu arbeiten, um
die Familie zu unterhalten“, wie Frau For
mica sagte. Sie behauptete, daß die Frau
nach dem Gesetz ihren Mann nicht zwin-
f en konnte, das Heim zu verlassen. Die
'rau hatte kein Geld einen Raum zu mie
ten und war daher genötigt zu bleiben, ob
wohl der Mann klar im Unrecht war.
A. B. C. kündigte an, daß sie hunderte
Antwortbriefen erhalten habe, meist von
Frauen, die auf eine Reform des bürger
lichen Gesetzbuches dringen. In einer neue
ren Ausgabe veröffentlicht sie einige wei
tere Fälle ehelicher Auseinandersetzungen
in Spanien.
Ein Fall betrifft eine Frau, die von
ihrem betrunkenen Mann so sehr geschla
gen worden war, daß sie in ein Kranken
haus gehen mußte. Sie leitete das Tren
nungsverfahren ein. Die ihr vom Gericht
zugestandenen vorübergehenden Unter
haltsgelder waren so gering, daß sie um
eine Arbeit nachsuchte. Nach spanischem
des
Gesetz mußte sie aber die Erlaubnis
Gatten haben, die dieser verweigerte.
In einem anderen Fall lebte das ver
heiratete Paar in der Wohnung der Mut
ter der Frau. Schließlich starb die Mutter.
Die Ehe zerbrach und das Gericht ver
urteilte die Frau, die Wohnung zu ver
lassen. Laut A. B. G. antwortete der Rich
ter auf die Einwände des Rechtsanwaltes
der Frau:
„Wenn der Mann eines Tages seine Frau
töten sollte, würde er natürlich verhaf
tet. In jedem Falle ist die Frau verant
wortlich für das, was geschehen ist, weil
sie es sich zweimal hätte überlegen sollen,
ehe sie heiratete.“
Einige führende spanische Juristen ha
ben sich an der Diskussion beteiligt. „A;
B. C.“ veröffentlichte verschiedene ihrer
Gutachten.
Don Eioy Montero, früherer Dekan der
juristischen Fakultät der Madrider Uni
versität, sagte: „Es müssen zwei grundle
gende Prinzipien in Rechnung gestellt wer
den. Nach Gottes Willen, wie es in der
Genesis heißt, muß die Frau, auch wenn
sie nicht die Sklavin ihres Mannes zu seii
hat, ihm untergeordnet sein, weil er über,
die Familie befiehlt. 1 :: Ich sehe kein
ernstliches Hindernis, den Frauen das
Recht zu geben, Zeugen bei einem Testa
ment zu sein. Selbst wenn sie; im Rufe
stehen, ein wenig geschwätzig zu sein,'
muß man doch zugeben, daß es auch viele
zuverlässige Frauen gibt, die keine Ge
heimnisse verraten.“
New York Times, 27: November 1953
Moskau und das Internationale Arbeitsamt
Der Generaldirektor des Internationa
len Arbeitsamtes, David A. Morse, hat die
Note der sowjetrussisehen Gesandtschaft in
Bern vom 4. Dezember beantwortet, wo
rin diese ihm von dem Wunsch ihrer Re
gierung, Mitglied der Internationalen Ar
beitsorganisation zu werden, Kenntnis gab.
In dieser Note war angekündigt worden,
daß die Sowjetregierung der Internationa
len Arbeitsorganisation (IAO) beizutreten
gedenke, und gleichzeitig der Absicht Aus
druck gegeben worden, eine Verfassungs
änderung herbeizuführen. Es war ferner
bekanntgegeben worden, daß sich die sow
jetrussische Regierung durch die Bestim
mungen von Art. 37 der Verfassung der In
ternationalen Arbeitsorganisation für nicht
gebunden erachten werde. Dieser Verfas
sungsartikel verpflichtet die Mitglieder der
Internationalen Arbeitsorganasation, sich
bei Meinungsverschiedenheiten über die In
terpretation der Verfassung dem Entscheid
des Internationalen Gerichtshofs im Haag
oder eines speziellen, von einem Verwal
tungsrat der Organisation eingesetzten Ge
richts zu unterziehen. Auf diesen Vorbe
halt nimmt das Schreiben des Generaldi
rektors ausdrück" di Bezug und erklärt
dann: „Die einzige Bestimmung in der
Verfassung der IAO, die sich mit der Zu
lassung von Mitgliedern der Vereinigten
Nationen zur Mitgliedschaft der IAO be
faßt, ist Artikel 3. Er lautet: Jedes Grün
dermitglied der Vereinigten Nationen und
jeder durch einen Entscheid der General
versammlung in Uebereinstimmung mit
der Charta als Mitglied der Vereinigten
Nationen aufgenommene Staat kann Mit
glied der Internationalen Arbeitsorganisa
tion werden, indem er dem Generaldirek
tor der Internationalen Arbeitsorganisation
von seiner formellen Annahme der Ver
pflichtungen der Verfassung der IAO
Kenntnis gibt;“
„Es ist darauf aufmerksam zu, machen“}
so führt das Schreiben des Generaldirek
tors fort, „daß die Verfassung keine Be
stimmungen für Mitgliedschaft auf Grund
einer unvollständigen Annahme ihrer Ver
pflichtungen enthält. Der Generaldirektor
macht deshalb die Regierung der Sowjet
union auf diese verfassunsmäßigen Punkte
für die Mitgliedschaft der intern. Ar
beitsorganisation aufmerksam. Unter die
sen Umständen mag es der Regierung der
Sowjetunion möglicherweise tunlich er
scheinen, der Frage noch einmal ihre Auf
merksamkeit zu schenken und in dieser
Angelegenheit dem Generaldirektor eine
weitere Mitteilung zukommen zu lassen.“
Es ergibt sich aus diesem Antwortschrei
ben des Generaldirektors des Internat. Ar
beitsamtes in Genf, daß es ihm aus rein
verfassungsmäßig. Gründen nicht möglich
gewesen ist, das ßeitrittsgesuch der Sow
jetunion entgegenzunehmen; doch legt er
ihr nahe, die Sache noch einmal zu prü
fen und durch Anerkennung der Autorität
des Internationalen Gerichtshofes im Haag
oder jenes andern Verfahrens zur Ent
scheidung von Meinungsverschiedenheiten
in Interpretationsfragen ihren normalen
Beitritt möglich zu machen.
— NZZ, 18. November 1953 —