Sind die Betriebsrafsmitglieder unkündbar?
Tm Zusammenhang mit der Frage, ob bei
dei Kündigung von Betriebsratsmitgliedern
die Dreiwochen-Klagefrist des § 3 KSchG
einzuhalten ist, und ob auf das Arbeitsverhält
nis der Betriebsratsmitglieder die Vorschriften
des § 123 oder des § 124a GewO anzuwen
den sind, ist in letzter Zeit die Meinung ver
treten worden, daß die Vorschrift des § 13
Abs. 1 KSchG nur eine Regelung der Gründe
sieht, ein absolutes Verbot der ordentlichen
Kündigung von Eetriebsratsmitgliedern wenig
sinn- und zweckvoll wäre.
I.
Diese der herrschenden Lehre und Recht
sprechung entgegengesetzte Auffassung wird
von Giintner in RdA 1954 S. 135 und in
AR-Blattei (Foikel-Stuttgart) D Kündigungs
schutz 111 — III Prozeßuale Probleme — ver
treten, der in der Vorsdirift des § 13 Abs. 1
KSchC nur eine Regelung der Gründe sieht,
aus denen Betriebsratsmitgliedern gekündigt
werden darf Das Gesetz lasse die Auflösung
des Arbeitsverhältnisses des Betriebsratsmit
gliedes im Wege der Kündigung nur aus
Gründen zu, die sonst bei Arbeitnehmern für
die fristlose Entlassung erforderlich sind. Das
bedeute nicht, daß die ordentliche Kündigung
verboten sei, sondern es lasse nur nicht die
Umdeutung der rechtsunwirksamen fristlosen
Kündigung in eine fristgerechte zu.
„Es kommt daher einer ordentlichen Kün
digung des Betriebsratsmitgliedes durch den
Arbeitgeber die das Arbeitsverhältnis auf
lösende Wirkung zu, wenn dieser die Kündi
gung in Rechtskraft erwachsen läßt, oder wenn
im Kündigungsstreit vom Gericht festgestellt
wird, daß der Arbeitgeber einen vom Gesetz
als ausreichend anerkannten Grund zu ihrer
Erklärung gehabt hat.“
II.
In der Kunst der Auslegung von Gesetzen
ist Güntner seit jeher eigene Wege gegan
gen, denen man nicht immer zu folgen ver
mag, selbst wenn das Ergebnis seiner Ge
dankengänge Beifall verdient. Es ist m. E.
durchaus richtig, daß Betriebsiatismitglieder
nur aus einem Grund gekündigt werden kön
nen, aus dem sonst ohne Rücksicht auf die
Betriebsratseigenschaft des Arbeitnehmers das
Arbeitsverhältnis fristlos aufgekündigt werden
kann. Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis
werden aber so wichtige, von der herrschenden
Lehre und Rechtsprechung anerkannte Grund
sätze über Bord geworfen, daß man nicht
dazu schweigen kann, wenn der allgemeine
Kündigungsschutz der Betriebsratsmitglieder
zugunsten einer Frage von durchaus unter
geordneter Bedeutung fallengelassen wird.
Wichtig ist, daß Betriebsratsmitglieder wäh
rend der Dauer ihrer Amtszeit vor jeder
Kündigung geschützt sind, weniger wichtig
ist, ob die fristlose Entlassung eines Betriebs
ratsmitgliedes sich nach den Vorschriften des
§ 123 oder des § 124a GewO bestimmt. In
vielen Fällen wild übrigens die Anwendung
des § 124a dem betroffenen Betriebsratsmit
glied keinen geringeren Schutz als § 123
GewO bieten. Geht man davon aus, daß es
der Wille des Gesetzgebers war, den Betriebs
ratsmitgliedern in Fragern der Kündigung
einen Sonderschutz zu gewähren, dann ist
unter allen Umständen daran festzuhalten,
daß § 13 Abs. I KSchG ein absolutes Verbot
der ordentlichen Kündigung von Betriebsrats
mitgliedern erhält.
§ 13 Abs. 1 KSchG lautet:
„Die Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes
ist unzulässig, es sei denn, daß ein Grund
vorliegt, der den Arbeitgeber nach dem Ge
setz zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses
ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist be
rechtigt.“
Wenn Worte überhaupt noch einen Sinn
haben, dann bedeutet die Vorschrift des § 13
Abs. 1, daß das Arbcitsverhältnis der Betriebs
ratsmitglieder nur aus einem wichtigen, zur
fristlosen Kündigung berechtigenden Grunde
gelöst werden kann und daß die ordentliche
Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Be-
triebsratsmitgliedes unzulässig ist.
Nicht nur die Umdeutung einer fristlosen
Kündigung in eine fristgerechte ist damit un
tersagt, sondern jede ordentliche Kündigung
schlechthin. Nur w'enn Gründe vorliegen, die
nach dem Gesetz eine fristlose Kündigung
reditfertigen, ist es dem Arbeitgeber gestattet,
das Arbeitsverhältnis von Betriebsratsmitglie
dern aufzulösen. Es kommt dabei durchaus
nicht nur auf den Gebrauch von Worten an,
denn die außerordentliche Kündigung bleibt
auch dann eine außerordentliche, wenn sie
befristet ausgesprochen wird, wie auch um
gekehrt eine fristgerechte Kündigung nicht
einfach in eine fristlose umgedeutet werden
kann. Das Gesetz hat im § 13 Abs. I sehr
wohl zwischen der ordentlichen und außer
ordentlichen Kündigung unterschieden, und es
geht nicht an, durch Auslegungskunststücke
den Willen des Gesetzgebers, der den Be
triebsratsmitgliedern einen über den allge
meinen Kündigungsschutz des Gesetzes hin
ausgehenden Schutz gewähren wollte, zu ver
fälschen. Es sei an dieser Stelle an die Worte
des Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes,
Prof. Dr. H. C. Nipperdey, erinnert, der bei
der Eröffnung des Bundesarbeitsgerichtes u. a.
ausgeführt hat:
„Selbstverständlich bedeutet die Unterwer
fung unter das Cesetz nach den heute allge
mein anerkannten Grundsätzen der Auslegung
und der Rechtsfindung nicht eine Bindung an [
den Wortlaut, sondern eine Bindung an den j
Sinn und den Zweck des Gesetzes. Auf ihn kommt j
es entscheidend an, auch wenn er im Text
einen nur unvollkommenen oder gelegentlich I
verfehlten Ausdruck gefunden hat.“
Ich vermag auch nicht einzusehen, daß das |
absolute Verbot der ordentlichen Kündigung
wenig sinn- und zweckvoll ist, weil es den j
Arbeitgeber unbedingt zur fristlosen Entlas
sung des betriebsrätlichen Arbeitnehmers
zwingt. Liegt ein wichtiger Grund vor, der
zur fristlosen Entlassung berechtigt, dann ist
das Betriebsratsmitglied nicht beschwert, wenn i
der Arbeitgeber von seinem Entlassungsreiht
Gebrauch macht. Der Makel der fristlosen
Entlassung kann an Stelle einer dem Arbeit
nehmer vielleicht sonst als Vergünstigung ge- :
währten ordentlichen Kündigung auch auf !
andere Weise von ihm genommen werden.
Es wäre nämlich durchaus denkbar, daß an
Stelle der fristlosen Kündigung in einem sol
chen Fall aus sozialen Erwägungen das Ar
beitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen
gelöst wird. I r
Audi die Auffassung, daß die Kündigung#'
des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmit- I
gliedes rechtswirksam ist, wenn nicht inner
halb der Dreiwochenfrist des § 3 KSchG
Klage erhoben wird, ist abzulehnen. Eine
Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, die
trotz des Kiindigungsverbotes des § 13 Abs. I
durch den Arbeitgeber ausgesprochen wird,
ist nach durchaus herrschender Ansicht nichtig.
Auf sie finden gemäß § 11 Abs- 4 KSchG die
Vorschriften über die Dreiwochen-Klagefrist
keine Anwendung.
Zusammenfassend komme ich somit zu dem
Ergebnis, daß § 13 Abs. 1 KSchG dem Arbeit
geber verbietet, das Arbeitsverhältnis der Be-
triebsratsmitglLeder im Wege der ordentlichen
Kündigung zu lösen. Liegen dagegen wich
tige, zur fristlosen Kündigung berechtigende
Gründe vor, dann ist die Kündigung zulässig,
auch wenn sie als außerordentliche Kündigung
befristet erfolgt. H. Rüstig.
Funktionärorgan des DGB „Die Quelle“
1954, Heft 9.
Martin Decker £ Co. 6mbH.
SAARBRÜCKEN
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