5
Januar 1954
Regierungsentscheidung
gefährdet Arbeitsfrieden in Holland
Zwei der drei größten holländischen Ge
werkschaftsverbände, der Niederländische
Gewerkschaftsbund/und die Katholische
l(i - : Arbeiterbewegung, hielten in der vergan
genen Woche eine Sondertagung ab. An
laß hierzu war die Entscheidung der Re
gierung, in den Betrieben, wo kollektive
Arbeitsverträge bestehen, zum 1. Januar
: 1954 eine Erhöhung der Löhne und Ge-
; hälter um 5 v. H. bindend vorzuschreiben
und in anderen Betrieben eine gleiche
Lohnerhöhung zu empfehlen. Diese Auf
besserung soll für Arbeitskräfte über 23
Jahre gelten.
Die Situation in der Gewerkschaftsbe
wegung in Holland unterscheidet sich, ge-
nau wie bei der der politischen Parteien,
grundlegend von der deutschen. Die
drei großen Gewerkschaftsverbände, der
Niederländische Gewerkschaftsbund, die
Katholische Arbeiterbewegung und der
Christlich-Nationale Gewerkschaftsbund
(protestantisch) sind in der „Union“ zu
sammengeschlossen. Sie sind die von der
Regierung und den Arbeitgeberverbänden
r ji anerkannten Gewerkschaften, Außer die
sen gibt es noch den Neutralen Gewerk
schaftsbund (politisch und konfessionell
indifferent), den (kommunistischen) Ein
heitsverband und den unabhängigen Ver
band der Betriebsorganisationen (linksra
dikal, antisowjetisch). Der letzte ist zwar
die kleinste Organisation, zugleich jedoch
die bestorganisierte. Sie konzentriert sich
um den Rotterdamer Hafen und beherrscht
diesen vollständig.
Nach Kriegsende haben die einander fol
genden Regierungen die freie Entwicklung
der Löhne und Gehälter unterbunden und
eine sogenannte gelenkte Lohnpolitik
durchgeführt. Die Löhne wurden dabei
von der Regierung im Einvernehmen mit
den Arbeitgeber- und Unions verbänden
festgesetzt. Dreimal wurde bis jetzt der
Lohn nach Preissteigerungen aufgebessert,
wobei jedoch noch kein vollkommener
Ausgleich erzielt werden konnte. Die ge
lenkte Lohnpolitik verfolgte mehrere
Zwecke. Das erste Ziel war, das Auflodern
großer Lohnkämpfe zu verhindern. Au
ßerdem sollte sie in Verbindung mit der
Steuerpolitik die Unternehmer zu weitge
henden Investierungen zwingen, und zwar
im Rahmen des Industrialisierungspro
gramms.
Trotz wiederholter Versuche der Kom
munisten, mit wilden Streiks diese Poli
tik zu stören, haben sich die Arbeiter im
großen und ganzen der gelenkten Lohn
politik gefügt. Nicht nur, weil sie von den
anerkannten Gewerkschaften unterstützt
wurde, sondern nach dem „Verlust“ In
donesiens wissen auch die Arbeiter, daß
nur eine großzügige Industrialisierung
ihre Lebenslage sichern kann. Da man der
Ansicht ist, eine Konkurrenz sei nur mit
niedrigen Preisen möglich, und da die In
vestierungen die Selbstkosten h ochse brau -
ben, meint man, den niedrigen Preis Hin
durch relativ niedrige Löhne halten zu
können. Der holländische Arbeiter gehört
somit, im Gegensatz zur Zeit vor dem
Krieg, zu den schlechtest bezahlten in
Westeuropa.
Vor einem halben Jahr hat nun das Sta
tistische Zentralamt Hollands den in Lohn
verhandlungen stehenden Parteien Index
ziffern über den Lebensunterhalt geliefert,
die als Grundlage der Besprechung zwi
schen Arbeitgebern und Gewerkschaften
dienen sollten. Die Arbeitgeber errechne -
ten daraus eine notwendige Steigerung der
Löhne und Gehälter um 4 v. H. die Ge
werkschaften dagegen kamen in ihren Be
rechnungen auf 6 v. H. Da ein Vergleich
nicht zustande kam, ernannte die Regie
rung vor einigen Wochen drei Sachver
ständige, deren Gutachten bindend sein
sollte. Dieses Gremium einigte sich nun
auf die Mitte zwischen beiden, nämlich
auf 5 v. H. Dazu wurde erklärt, daß der
Ausgangspunkt der Berechnungen, die Zif
fern des Zentralamtes für Statistik, un
richtig gewesen seien, weil sie nur vor
läufige Gültigkeit besessen hätten. Ueber
Nacht gelieferte neue Ziffern hätten zu der
neuen Entscheidung Anlaß gegeben. Diese
Begründung erweckte in der Arbeiterschaft
stärkstes Mißtrauen.
Eine große Erregung hat seitdem die Ar
beiter ergriffen. Zum ersten, weil bis heute
die statistischen Unterlagen nicht veröf
fentlicht worden sind und sich somit jeg
licher Beurteilung entziehen. Zum 2., weil
Franco mußte e
man das Gefühl hat, genasführt zu wer
den. Eis liegt auf der Hand, daß das Miß
trauen sich auch gegen die Gewerkschafts
führungen richtet, denen man Teilhaber
schaft an einem abgekarteten Spiel unter
stellt. Diese Gefühle werden übrigens noch
gesteigert, weil die Gewerkschaftsführun
gen sich seitdem gegenseitig mit Vorwür
fen überhäufen.
Die Gewerkschaften, versuchen nun,
mit Sondertagungen das Mißtrauen zu be
seitigen und zugleich die Arbeiter zu be
ruhigen. „Man kann ja nicht um ein Pro
zent des Lohnes Streiks auslösen“, meinte
der Führer der Katholischen Arbeiterbewe-
ung. Der Niederländische Gewerkschafts
und droht demgegenüber zwar nicht mit
einem Ausstand, sprach jedoch davon, daß
die Regierung das Vertrauen gebrochen
habe. Und dies sei um so schlimmer, als
damit die gelenkte Lohnpolitik gefährdet
würde. Man wies dabei auch darauf hin,
daß von seiten der Arbeitgeber schon wäh
rend der Verhandlungen Angriffe auf die
Lohnpolitik unternommen worden seien.
Die Gewerkschaften legten deshalb der Re
gierung nahe, Maßnahmen zu ergreifen,
um den bedrohten Arbeitsfrieden zu fe
stigen. Doch da es schon unter der Be
legschaft einiger städtischer Betriebe in
Amsterdam ernste Anzeichen von Streiks
gibt, ist abzuwarten, wie lange sich die
Arbeiter überhaupt noch bei der Stange
halten lassen.
— WNP, 13. November 1953 —
in Ventil öffnen!
W. B. Durch eine Verordnung vom 16.
Januar 1948 sind die Löhne und Gehälter
der spanischen Arbeitnehmer blockiert.
Jedes Auf mucken der Arbeiterschaft ge
gen die gezahlten Hungerlöhne wird mit
Verhaftungen, Folterungen und Gefängnis
bestraft, der Streik selbst als ein „Ver
brechen“ betrachtet, daß laut Gesetz mit
5 Jahren Gefängnis geahndet wird.
Trotz dem Terror aber kommt es im
mer wieder zu oft recht machtvollen
Streikbewegungen der spanischen Arbei-
beiterschaft, von denen der letzte Streik,
anfang Dezember in Bilbao (Baskenland),
der 5000 Arbeiter erfaßte, von besonderer
Bedeutung ist. Das Unternemertum mußte
kapitulieren und gewisse Forderungen be
willigen. Es geschah dies allerdings nur,
nach dem die spanische Regierung in Ma
drid ihren Willen zum Ausdruck brachte,
in diesem Lohnkonflikt nicht mit der
Staatsmacht einzugreifen. Wohl wurden
zu Beginn der Bewegung 14 Streikende
verhaftet, aber nach einer Informations
reise des Provinzgouverueiu'S' mußte dieser
erklären, daß der Konflikt durch ein Ab
kommen zwischen Unternehmern und Ar
beitern geregelt werden solle.
Noch wissen wir nicht, ob die verhafte
ten 14 Arbeiter inzwischen wieder freige
lassen wurden, aber wir wissen, daß die
Direktion des „Euskalduna-Betriebes“ ih
ren Arbeitern eine außerordentliche Prä
mie bewilligte u. das Unternehmen „Bab-
cok Wilcox“ in Bilbao, bewilligte eine Prä
mie, die 21 Lohntagen entspricht. Es sind
dies die ersten wirklichen Erfolge der
kämpfenden u. hungernden Arbeiterschaft
Spaniens. Warum aber nur „Prämien“?
Noch konnte Franco nicht gezwungen wer
den, die blockierten Löhne aufzuheben. Die
„Prämien“ waren also die Ausweichsmög-
lichkeit. das Ventil, daß vor der ständig
wachsenden sozialen Unzufriedenheit ge
öffnet werden mußte. Die Streiks zeigten
den Grad der sozialen Unzufriedenheit
an. Bei den blockierten Löhnen fie!
das Lebensniveau rasend ab. Das „Bulletin
der Gewcrbckammcr in Madrid“ mußtf
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