Der Hamburger Streik
Ein Nachwort von Adolf Kummernuß, Vorsitzender der Gewerksdiaft Oeffentlidie
Dienste, Transport und Verkehr
Acht Tage lang, vom 4. bis 11. August 1954,
haben 13 OOO Beschäftigte der Hamburger
Hochbahn, der Gas- und Wasserwerke ge
streikt. Audi in Bayerns Metallindustrie kam
es zu dem bekannten Streik. Weitere Gewerk
schaften haben ihre bestehenden Lohn- und
Gehaltstarife fristgemäß gekündigt und er
warten die Verhandlungen mit ihren Tarif
partnern. Die gleichen Arbeitgeber, die jahre
lang von dem „deutschen Wirtschaftswunder“
gesprochen haben, sind heute erstaunt, daß
die Arbeitnehmer in Form von Lohn- undGe-
haltsforderungen ihren Anteil an diesem Wirt
schaftswunder verlangen.
Warum wurde in Hamburg gestreikt? Die
Gewerkschaft ÖTV hat mit der Hamburger
Hodibahn, den Gas- und Wasserwerken Haus
tarife abgeschlossen. Allen drei Betrieben
wurde die Forderung auf eine Erhöhung der
Löhne um 10 Pf, der Gehälter um 10 vH ein-
gereicht. Diese Forderungen wurden zurück
gewiesen.
Am 29. Juni machte der Sdilichter, Dr.
ÄStenzel, auf Anruf der ÖTV einen Vermitt-
^lungsvorschlag: Erhöhung der Löhne um 5 Pf,
der Gehälter um 3 vH. Erklärungsfrist für
beide Teile war der 15. Juli. Die Hamburger
Hochbahn beteiligte sich nicht an diesen Ver
handlungen.
Die Gewerkschaft ÖTV akzeptierte schweren
Herzens das Ergebnis. Obwohl man 17 Tage
Zeit hatte, verlangte der Hamburger Senat am
14. Juli eine weitere/Verlängerung der Erklä
rungsfrist um 14 Tage. Diese unerhörte Zu
mutung mußte die Gewerksdiaft ablehnen und
ihre Mitglieder entschieden sich dann in einer
Urabstimmung für den Streik, der auch am
4. August morgens früh begann.
Am 5. August, also am zweiten Streiktag,
wurde dann ein Schiedsspruch gefällt, der ma
teriell den gleichen Inhalt hatte wie die Em
pfehlung vom 29. Juni. Also sechs Tage spä
ter nodi einmal das gleiche Ergebnis. Jetzt
nahm der Senat an. Daß die Streikenden die
sen Sprudi als eine Provokation empfinden
mußten, war allen klar, nur nicht dem Ham
burger Senat.
Der lehnte alle erneuten Versuche der Ge
werkschaft, zu Verhandlungen zu kommen,
freundlich aber entschieden ab. Erst eine Son
dersitzung der Hamburger Bürgersdiaft am
11. August zwang den Senat, sich dem Schieds
verfahren zu stellen. Auch hier wurde wieder
um der Versuch unternommen, in dieser Nacht
die Verhandlungen auf den nächsten Tag, 10
Uhr, zu verschieben. Dieser Versuch konnte
durch die Gewerkschaft verhindert werden. Zu
dem Zeitpunkt, an dem der Senat neu ver
handeln wollte, wurde die Arbeit in Hamburg
bereits wieder aufgenommen. Die Hamburger
Herren, die sich in dieser Nacht aus ihren Bet
ten holen ließen, um das schwere Amt des
Schiedsrichters aufzunehmen, verdienen den
Dank der gesamten Hamburger Bevölkerung,
einschließlich der streikenden Mitglieder un
serer Gewerkschaft.
Der Streik in Hamburg war ein Erfolg un
serer Organisation. Die Arbeit wurde so
geschlossen niedergelegt, wie sie auch wieder
aufgenommen wurde. Der vereinbarte Not
dienst wurde exakt durchgeführt. Kranken
häuser und andere ähnliche Einrichtungen
wurden normal mit Gas und Wasser beliefert,
ebenfalls die übergroße Zahl der Haushalte.
Der Hamburger Streik wäre nicht notwen
dig gewesen, wenn der Senat den Betrieben
die Entscheidung nicht aus der Hand genom
men hätte. Wir haben dem Hamburger Senat
in einem Aufruf Verschleppung des Streiks
vorgeworfen und behaupten das heute noch
mit vollem Recht.
Was versucht nun eine gewisse Presse aus
dieser Angelegenheit zu machen? „Kleine
Gruppe fährt Wehrlosen an die Gurgel“ und
„Streikende setzen Bevölkerung unter Gefahr
für Leib und Leben unter Drude“, „Gewerk
schaftsoffensive auf der ganzen Linie“. Solche
und ähnliche Schlagzeilen verunzieren täglich
das unschuldige Zeitungspapier. Diese Schmie
rereien haben nur den einen Fehler — sie
sind nicht originell und nicht neu.
Der Lehrmeister dieser Schreiberlinge, Josef
Goebbels, konnte das viel besser. Was in die
sen Tagen an Schmutzkübeln über die deut
schen Arbeitnehmer ausgegossen wurde, kann
nur mit den Ereignissen der Zeit von 1930
bis 1945 verglichen werden. Es ist derselbe
Geist und die gleiche Absicht: die gewerk-
sdiaftliche Organisation der Arbeitnehmer zu
zerschlagen und den arbeitenden Menschen
wieder rechtlos zu machen.
Aber die Geschichte wiederholt sich nicht,
wenn auch die „Geschichtemacher“ wieder da
sind.
Hans B ö c k 1 e r hat einmal gesagt: „Es
gibt kein zweites 1933.“ Wir alle waren und
sind auch heute noch der gleichen Meinung —
trotz alledem haben 1945 Beamte, Angestellte
und Arbeiter den Wiederaufbau Deutschlands
begonnen, ohne groß nach Löhnen und Ge
hältern odeT einer Erhöhung zu fragen. Jetzt,
wo ihre Arbeit Früchte zu tragen beginnt,
haben sie nicht die Absicht, sich von Schreiber
lingen der alten Reaktionäre in die Ecke stel
len und um diese Früchte betrügen zu lassen.
Wir wollen, daß alle Menschen gleiche Rechte
und gleiche Pflichten haben, nicht nur am
Tage einer Bundestagswahl. Nicht der eine
nur Redite und der andere nur Pflichten.
Oder reibt man sich nur darum im Augenblick
an den Gewerkschaften, um andere fatale Er
eignisse unwichtig erscheinen zu lassen?
Dieser Tage sprach über den Stuttgarter
Rundfunk ein schwäbischer Arbeitgeber sehr
viel Richtiges und Wahres. Er sagte unter an
derem: „Wir sitzen alle in einem Boot.“ Ja
wohl, wir sitzen in einem Boot, aber es geht
nicht an, daß die Arbeitnehmer nur rudern,
während die Arbeitgeber nur steuern wollen.
Wie wäre es, wenn wir in diesem Boot alle
die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten
hätten? Wie wäre es, wenn wir gemeinsam
Front machen würden gegen gewisse Schrei
berlinge, die heute die öffentliche Meinung
vergiften?
Hoffentlich ist es dazu nicht schon zu spät?
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