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Diese Resolution sagt es mit aller Deut
lichkeit, daß das vorliegende Gesetz wegen
»einer Mängel nur eine Etappe auf dem Wege
zu einer echten Mitbestimmung sein kann, und
es wird nicht zuletzt von dem Kampfeswillen
der Arbeitnehmerschaft abhängen, wie lange
diese Etappe währen wird und wann die er
neut herausgestellten Forderungen der Ein
heitsgewerkschaft Wirklichkeit werden.
Warum diese Forderungen? Nun, wer auf
dem Boden der saarländischen Verfassung
stehen will, brauchte an sich kaum einen
Kommentar; denn „ein einheitliches Arbeits
recht“ dürfte doch wohl die Diskriminierung
eines Großteils der Arbeitnehmerschaft von
vorneherein verbieten. Oder ist es keine Dis
kriminierung, wenn man den gesamten öffent
lichen Dienst aus dem Geltungsbereich des
Gesetzes herausnimmt, wenn man die Klein
betriebe von jeder Mitbestimmung ausschließt?
Steht die generelle Ausschaltung der Grau-
päßler und Grenzgänger nicht in krassem
Widerspruch zu den gerade hierzulande so
nachdrücklich vertretenen Gedanken der euro
päischen Integration, und sollte nicht gerade
das Saarland in dieser Frage richtunggebend
sein?
Kollege Rauch stellte in seinen Ausführun
gen fest und wurde hierin von den Diskus
sionsrednern bestätigt, daß das Betriebsver
fassungsgesetz in seinem 5. Teil, dem eigent
lichen Kern des Gesetzes, den Arbeitnehmern
nicht die echte Mitbestimmung gibt. Er führte
»inngemäß folgendes aus:
Wenn diese in sozialen Angelegenheiten für
eine Reihe in einem Katalog festumrissener
Fälle auch zweifellos gegeben ist, da über
auftretende Meinungsverschiedenheiten die
Einigungsstelle nach § 50 Abs. 2 verbindlich
entscheiden kann, insofern also einseitigen
Verfügungen des Arbeitgebers Schranken auf
erlegt sind, so kann man in personellen Fra
gen von einer echten Mitbestimmung nur sehr
bedingt sprechen, in wirtschaftlichen Fragen
fast überhaupt nicht mehr.
In ihrer praktischen Auswirkung ist die
Mitbestimmung in personellen Fragen nur
wenig geeignet, das Direktionsrecht des Ar
beitgebers einzuengen, da die Verweigerung
der Zustimmung durch den Betriebsrat vor
läufige Dispositionen des Arbeitgebers über
haupt nicht hindert, und dieser dadurch trotz
Widerspruch des Betriebsrates in die Lage
versetzt wird, vollendete Tatsachen zu schaf
fen. Diese durch die Erhebung der Klage vor
den Arbeitsgerichten rückgängig zu machen,
dürfte, wenn überhaupt, dann nur unter größ
ten Schwierigkeiten möglich sein. Immerhin
sind in Verbindung mit dem Kündigungsschutz
gesetz auch in personellen Fragen Einwir
kungsmöglichkeiten des Betriebsrates gegeben,
die es ira Interesse der Arbeitnehmer auszu
nutzen gilt.
Mit den allergrößten Bedenken muß jedoch
festgestellt werden, daß von der versprochenen
Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen
praktisch nichts verblieben ist. Es besteht le
diglich noch ein viel zu eng begrenztes In
formationsrecht in Betrieben mit über 100 Be
schäftigten, das zudem dem Betriebsrat weit
gehend entzogen und auf einen Wirischafts-
ausschuß delegiert ist. Soweit dem Betriebs
rat ein Informationsrecht verbleibt, mangelt
diesem die präzise Verankerung im Gesetz,
sodaß nicht'einmal die Information gewähr
leistet ist, die zur Ausübung der ohnehin
spärlichen Rechte der Mitbestimmung un
bedingt erforderlich wäre. Die angebliche Mit
bestimmung des Betriebsrates bedeutet über
haupt keine Begrenzung der Direktionsgewalt
des Arbeitgebers und überläßt diesem letzt
lich die alleinige Entscheidung. Nur wenn
auf Grund dieser Entscheidung Entlassungen
erforderlich werden, so können die von rechts
wirksamen Kündigungen betroffenen Arbeit
nehmer Klage auf Zahlung einer Abfindung
erheben, d. h. also, daß bei eigenmächtigem
Handeln sich für den Arbeitgeber lediglich
finanzielle Auswirkungen ergeben können, die
ihn kaum von einmal beabsichtigten Maßnah
men abhalten dürften.
Auf diese Mängel des Gesetzes muß auch
der letzte Indifferente hingewiesen werden,
und es muß ihm klar gemacht werden, daß
die Forderungen der Einheitsgewerkschaft
letzten Endes auch seine Forderungen sein
müssen, da sie in seinem ureigensten Interesse
liegen. Ebenso deutlich müssen sich aber auch
alle Arbeitnehmer der Tatsache bewußt wer
den, daß der Arbeitnehmerschaft Erfolge noch
niemals kampflos in den Schoß gefallen sind.
Mit Recht wurde von der Konferenz darauf
hingewiesen, daß sich der saarländische Ar
beiter ein Beispiel an der Kampfentschlossen
heit unserer Kameraden in der Bundesrepublik
nehmen müsse, eine Kampfentschlossenheit,
die schon Teilerfolge verzeichnet hätte und
auch zum Enderfolg führen müsse. Die Ver
sammelten erklärten sich einstimmig mit un-
sem Brüdern jenseits der Grenze solidarisch
und entboten ihnen in einer Grußadresse die
besten Wünsche. Es wird jetzt an den Arbeit
nehmern liegen* ob die Forderungen der Ent
schließung auf schnellstem Wege in die Tat
umgesetzt werden können. Diese Entschlie
ßung zeigt den Weg, der zu gehen ist, auf,
und wir sind der festen Überzeugung, daß sie
bei der gesamten Arbeitnehmerschaft vollsten
Widerhall finden wird. »
Lohnkämpfe in der Bundesrepublik verschärft
Berechtigte Lohnforderungen — Resonanz in der westdeutschen Presse — Kampf
entschlossenheit der Arbeitnehmer
Die Lohnbewegungen, die vor einigen
Wochen in der badisch-württembergischen
Metallindustrie ihren Anfang genommen und
dort zu einem beachtlichen Erfolg der Ge
werkschaften geführt hatten, haben sich mitt
lerweile auch auf eine ganze Reihe anderer
Wirtschaftszweige und über das gesamte
Bundesgebiet ausgedehnt.
Bei diesen Lohnkämpfen geht es um nicht
mehr und nicht weniger als um eine gerechte
Beteiligung der Arbeitnehmer an dem gestie
genen Sozialprodukt. Das vielgerühmte Wirt
schaftswunder in der westdeutschen Wirtschaft
wäre ohne den sprichwörtlichen Fleiß des
deutschen Arbeiters überhaupt nicht möglich
gewesen, und die Ausdehnung der Wirtschafts
kapazität ist nicht zuletzt der bisherigen Zu
rückhaltung des DGB in seinen Lohnforderun
gen zu verdanken. Daß nun, nachdem die
Wirtschaft der Bundesrepublik wieder einen
beachtenswerten Stand in der Weltwirtschaft
erreicht hat und die Gewinne der Unterneh
mungen immer stärker angestiegen sind, die
Arbeitnehmer ihre berechtigten Lohnforde
rungen erheben, ist eine ganz natürliche Kon
sequenz, die sich aus der wirtschaftlichen Ent
wicklung ergibt.
Wie sehr die von den Industriegewerk
schaften des DGB erhobenen Lohnforderun
gen berechtigt, ja, geradezu volkswirtschaftlich
notwendig sind, geht eindeutig aus dem
1. Jahresbericht 1954 der „Arbeitsgemeinschaft
Deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Insti
tute“ hervor, der man bestimmt keine einsei
tig gewerkschaftsfreundliche Orientierung vor
werfen kann:
„Lohnerhöhungen gewissen Umfangs süid
konjunkturpolitiseh heute vor allem deshalb
ohne Gefahr, weil durch die anhaltende
Steigerung der Produktivität und durch die
Investitionen, die gegenwärtig vorgenom
men werden, das Güterangebot auf dem
Binnenmarkt wächst, die Nachfrage aber
mit diesem Angebot Schritt halten muß. So
weit sich die Nachfrage nicht durch Ein
kommensschöpfungen erweitert, die außer
halb des Bereiches der von der Lohnpolitik
betroffenen Einkommen liegen, kann der
Ausgleich nur durch Lohnerhöhungen er
folgen.“
-Noch präziser drückt das Deutsche Institut
für Wirtschaftsforschung (Institut für Konjunk
turforschung, Berlin) aus, daß Lohnerhöhun
gen alleine ein kräftiges und gesundes Wirt
schaftswachstum fördern können:
„Nur eine Lohnsteigerung, die den Rah
men der laufenden Produktivitätssteigerung
auch ständig ausfüllt, die also jetzt im
Stadium der Rationalisierungsinvestitionen
auch entsprechend stärker ausgeprägt sein
müßte und die noch darüber hinausgebt,
sofern die Investitionsquote, wie in den
nächsten Jahren wahrscheinlich, zurückgeht,
kann auf die Dauer gefährlichen Preisdruck
vermeiden.“
1'
Diese Einsicht ist leider bei dem westdeut
schen Unternehmertum — an der Saar ist es
nicht anders — nicht gegeben, was liegt also
näher, daß sich die von den Industriegewerk
schaften mit großer Langmut geführten Lohn
verhandlungen verschiedentlich zu Streiks zu
gespitzt haben.
Trotzdem haben diese berechtigten Lohn
kämpfe in Westdeutschland keine gute Presse, *
ja, der Nordwestdeutsche Rundfunk wirft in •
seiner Sendung das „Echo des Tages“ gerade
zu die Frage auf, ob heutzutage Streiks
überhaupt noch tragbar wären, wenn die All
gemeinheit darunter zu leiden hätte. Der
Nachrichtendienst des DGB nimmt am
5. August 1954 zu dieser polemischen Frage'
Stellung in bemerkenswert sachlicher Weise
Stellung:
„In allen Ländern der freien Welt gilt
das Streikrecht als ein unantastbares Recht
der Lohn- und Gehaltsempfänger. In allen
Industrieländern der freien westlichen Welt
ist in den letzten Jahren mehr gestreikt
worden als in Deutschland, ohne daß des
halb dort auch nur der Gedanke aufge
taucht wäre, die Frage aufzuwerfen, ob
Streiks zeitgemäß sind. Legen aber in
Westdeutschland die Arbeitnehmer einmal
die Arbeit nieder, dann wird gleich das
Streikrecht attackiert. Welche sonderbare
Auffassung haben doch gewisse Kreise von
demokratischen Freiheiten. Nach ihrer Mei
nung bestehen diese offenbar darin, daß
in der „freien Marktwirtschaft“ die Preise
ungehindert erhöht werden können. Gleich