OBERN OER EINREITSGEIDERRSLHRPT DER ARBEITER. ANGESTELLTEN UND BEREDTEN
8. Jahrgang Saarbrücken / August 1954 Nummer 8
Für ein besseres Betriebsverfassungsgesetz
Forderungen der Vorständekonferenz - Appell an die Arbeitnehmerschaft - Mit den Streikenden
in der Bundesrepublik solidarisch
,'/% Das am 7. Juli 1954 verabschiedete Betriebs
verfassungsgesetz entspricht nicht den berech
tigten Erwartungen der Arbeitnehmerschaft an
der Saar. Das ist die Feststellung der Vor
ständekonferenz der Einheitsgewerkschaft, dia
am 11. 8. 1954 im Lokal „Zum Hirsch“ in
St. Arnual unter der Leitung von Kolk Weiter
tagte. Das Referat des Kollegen Rauch und
die lebhafte, aber doch sachliche Diskussion
stellten klar die Mängel des Gesetzes heraus,
und die Konferenz erhob in folgender für die
Arbeitnehmer richtunggebenden Entschlie
ßung, die einstimmig angenommen wurde, er
neut die berechtigten Forderungen der Ein
heitsgewerkschaft.
ENTSCHLIESSUNG
Die Vorstände der Industrieverbände der
Einheitsgewerkschaft nahmen am 11. 8. 54
im Lokale „Hirsch“ in St. Arnual in einer
Konferenz, der eingehende Beratungen in
nerhalb der einzelnen Industrieverbände
vorangegangen waren, Stellung zu dem am
7. Juli 1954 durch den saarländischen Land
tag verabschiedeten Betriebsverfassungs-
gcsetz.
Die Vorstände stellen fest, daß es in
erster Linie dem unentwegten Kampfe der
Einheitsgewerkschaft zu verdanken ist, daß
das Gesetz nach 4jähriger Verschleppung
durch den Landtag nun doch zur Verab
schiedung gekommen ist, doch lassen sie
keinen Zweifel darüber, daß es nicht den
berechtigten Erwartungen der Arbeitnehmer
an der Saar entspricht.
Die Konferenz hält sich für verpflichtet,
die Arbeitnehmerschaft an der Saar in aller
Deutlichkeit auf die Mängel des Gesetzes
hinzuweisen, und erhebt getreu dem bis
her von der Einheitsgewerkschaft ver
tretenen Standpunkt erneut folgende For
derungen:
1. Ausdehnung des Betriebsverfassungsge
setzes auf alle Arbeitnehmer, gleichgültig,
ob sie in Privatbetrieben oder in den öf
fentlichen Betrieben und Verwaltungen
beschäftigt sind, wobei den besonderen
Gegebenheiten des öffentlichen Dienstes
ini Rahmen des Betriebsverfassungsgeset
zes durchaus Rechnung getragen werden
kann;
2. Einräumung des vollem Mitbestimmungs-
rechtes in personellen und sozialen Fra
gen, auch für den Vertrauensmann in den
Kleinbetrieben;
3. Abschaffung der Klausel, die das passive
Wahlrecht zum Betriebsrat von dem
Wahlrecht zum saarländischen Landtag
abhängig macht und dadurch eine große
Zahl von Arbeitnehmern, die seit Gene
rationen mit der saarländischen Wirtschaft
engstem verbunden sind und häufig zum
Stammpersonal der saarländischen Be
triebe gehören von der Wählbarkeit zum
Betriebsrat ausschließt;
4. gemeinsame Wahl der Betriebsräte durch
alle Arbeitnehmer in den Betrieben als
Grundsatzregelung, was durch die Be
stimmungen des § 6 keineswegs eine Be
schneidung des Rechtes der Minderheits
gruppen bedeutet.
Die Vorständekonferenz ist der Auffas
sung, daß diese Forderungen unbedingt er
füllt werden müssen, wenn nicht durch die
Diskriminierung einer großen Zahl von Ar
beitnehmern und die Ausspielung von Grup
peninteressen im Betriebsverfassungsgesetz
der Aufspaltung der Arbeitnehmer sowohl
innerhalb der Betriebe als auch innerhalb
der gesamten Volkswirtschaft Vorschub ge
leistet werden soll.
Auch bei Wertung aller positiven Seiten
des Betriebsverfassungsgesetzes kommt die
Vorständekonferenz zu der Auffassung, daß
es der Arbeitnehmerschaft nicht die Mitbe
stimmung bringt, auf die sie wegen ihrer
selbst vom Unternehmertum anerkannten
Verdienste um den Wiederaufbau der saar
ländischen Wirtschaft nach dem totalen Zu
sammenbruch im Jahre 1945 vollen Anspruch
hat, und die ihr von höchsten Stellen zu
gesichert war. Wenn diese auch in sozialen
Angelegenheiten für eine Reihe in einem
Katalog festumrissener Fälle gegeben ist,
so kann man in personellen Fragen von
einer echten Mitbestimmung nur noch be
dingt, in wirtschaftliche . Fragen überhaupt
nicht mehr sprechen.
Die Vorständekonferenz erhebt deshalb
die Forderung, daß die Mitbestimmung in
sozialen, personellen und in wirtschaft
lichen Fragen im Gesetz so verankert wer
den muß, daß der Arbeitgeber keine Maß
nahme ohne Zustimmung des Betriebsrates
reditswirksam treffen noch durchführen
kann.
Ganz besonders übt die Vorständekonfe-
renz Kritik an der Tatsache, daß von der
ursprünglich geforderten paritätischen Be
setzung der Aufsichtsräte, nicht einmal die
Besetzung zu einem Drittel mit Vertretern
der Arbeitnehmerschaft verblieben ist, was
man in der Bundesrepublik, deren Betriebs
verfassungsgesetz angeblich aus rechtspoli
tischen Gründen fast wörtlich im Saarland
übernommen wurde, der Arbeitnehmersdiaft
noch eingeräumt hat.
Nicht zuletzt fordert die Vorständekon
ferenz, daß die innerbetriebliche Mitbesim-
mung in der überbetrieblichen Mitbestim
mung der Arbeitnehmer in einer paritätisch
besetzten Wirtschaftskammer ihre Ergän
zung finden muß.
Die Vorständekonferenz ist sich bewußt,
daß wenn auch mit der vorliegenden Fas
sung des Gesetzes vorerst als gegebene Tat
sache zu rechnen ist, die nach besten Kräf
ten unter Ausschöpfung aller Möglichkei
ten im Interesse der Arbeitnehmer auszu
werten ist, der Kampf um die Verbesserung
des Gesetzes auch nach seiner Verabschie
dung fortzusetzen ist. Hierzu ist erforder
lich, daß in den Betrieben, den Industrie-
verbänden und in allen örtlichen Bezirken
den sarländischen Arbeitnehmern der Stand
punkt der Einheitsgewerksdiaft klar und
unentwegt auf gezeichnet werden muß.
Der Arbeitnehmerschaft an der Saar muß
bei den mit aller Gründlichkeit zu betrei
benden Vorbereitungen der kommenden
Betriebsrätewahlen klar gemacht werden,
daß eine Verbesserung des Gesetzes nur
dann erreicht werden kann, wenn es ge
lingt, bei den Betriebsrätewahlen die Kräfte
durchzubringen, die gewillt sind, sich mit
ganzer Kraft für die Interessen der Arbeit
nehmerschaft einzusetzen und sich mit den
Forderungen der Einheitsgewerkschaft soli
darisch erklären.
Die Vorständekonferenz appelliert an die
Arbeitnehmerschaft an der Saar, sich dieser
Tatsache bewiißt zu werden und mit den
Kandidaten der Einheitsgewerkschaft ein
zutreten.
für die wahre Vertretung ihrer Interessen
in den Betrieben,
für ein besseres Betriebsverfassungs
gesetz,
für die Verwirklichung der Wirtschafts
demokratie an der Saar.