Full text: 1954 (0009)

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So wird man eine gute Stenotypistin 
An olle Stenotypistinnen — und solche die es noch werden wollen Von Fachlehrerin H. Bertram, Hamburg 
Geldverdienen wird heute nicht nur für die 
Männer, sondern auch für die Frauen und 
Mädchen groß geschrieben. Wir haben uns 
daran gewöhnt, daß auf allen Gebieten viel 
von uns verlangt wird: wir sollen tüchtig und 
fleißig, hübsch und gepflegt sein, kochen und 
Kinder erziehen können und immer freund 
lich und hilfsbereit sein. Unser Gehalt ist eine 
sehr angenehme Aufbesserung der Familien 
kasse, denn, ein einzelner Mann allein kann es 
ja nicht mehr schaffen, und es ist selbstver 
ständlich, daß wir ihm dabei helfen. Es ist 
wohl nicht mehr zu übersehen, daß die Frauen 
allmählich in alle Berufe eindringen. 
Das Heer der Stenotypistinnen ist wohl eines 
der größten, daß außerdem sehr schnell ge 
wachsen ist und immer weiter wächst. Beden 
ken Sie, meine Kolleginnen, daß die ersten 
Stenografen nur Männer waren und überhaupt 
keine Frauen in Stenografenvereine äufgenom- 
men wurden. 
Im folgenden sollen einmal die Probleme 
unserer Stenotypistinnen — vor allem ihre un 
erfreulichen Seiten — aufgezeigt und Verbes 
serungsvorschläge diskutiert werden. 
Wir alle wissen, wie anstrengend es ist, den 
ganzen Tag an der Schreibmaschine zu sitzen. 
Deshalb haben die Schreibmaschinenfabriken 
daran gearbeitet, neue Mittel und Wege zu 
finden, den Sebreiberinnen die Arbeit so ange 
nehm wie möglich zu machen. Wenn eine 
Stenotypistin ihre moderne Schreibmaschine 
voll auszunutzen verstellt, wird die Arbeit 
heute die Nerven weniger beanspruchen als 
früher. Die Maschinen sind geräuscharm, die 
Tasten den empfindlichen Fingerkuppen ange 
paßt, die Bedienungshebel bequem und schnell 
zu erreichen und beim Brief die „Regel für 
Maschineschreiben“ rationell und übersicht 
lich 
n vielen Büros aber stehen noch die alten, 
ehrwürdigen, unmodernen Schreibmaschinen. 
Dies macht zwar nichts, wenn auch ihre 
Schreibevinnen nach der alten Methode arbei 
ten. In diesem Falle würde auch eine moderne 
Maschine kaum etwas nützen. 
In den Schulen aber werden heute laufend 
* Stenotypistinnen ausgebildet, die jede Tipperin 
mühelos aus dem Feld schlagen können. Dies 
gilt nicht nur für die Schnelligkeit und Sicher 
heit, sondern auch für die Gesundheit. Es ist 
doch klar: Eine Tipperin muß dauernd auf die 
Tasten sehen, das Auge wandert hin und her 
und ihre Finger legen am Tage viele Kilo 
meter mehr zurück als die einer Blindschrei 
berin. liier ein kleines Beispiel: 
Die kurze Einleitung eines Geschäftsbriefes 
hat etwa — sagen wir — 222 Anschläge. Eine 
Tipperin legt hierbei einen Weg von 13 Me 
ter zurück, die Blindschreiberin nur vier Meter. 
Bei einer Tagesleistung von durchschnittlich 
30 000 Anschlägen beträgt die Ersparnis fast 
1 ! i Kilometer. 
Di ese Rechnung leuchtet ein, denn nach eini 
gen Jahren machen sich bei Tipperinnen im 
mer gesundheitliche Schäden bemerkbar: 
Kopfschmerzen wegen des anstrengenden Hin 
sehens, Rücken- und Kreuzschmerzen wegen 
der falschen Körperhaltung, Nervenentzün 
dungen wegen Überanstrengung usw. Wenn 
Sie noch keine Beschwerden gehabt haben, 
werden sich diese bestimmt eines Tages ein 
stellen. Schlagen Sie diese Warnung nicht 
leichtfertig in den Wind, denn erf ahrene Fach 
leute haben das alles beobachtet und auspro 
biert! Wenn man tlie Sache einmal anatomisch 
betrachtet, leuchtet dies auch ohne weiteres 
ein. 
Es ist erstaunlich, wie wenig Stenotypistin 
nen ihren augenblicklichen Leistungsstand, 
den sie meistens überschätzen, wissen. Sie 
meinen, wenn sie vor Jahren wirklich 200 Sil 
ben und 300 Anschläge geschrieben hätten, 
jetzt mehr schreiben zu müssen, und werfen 
mit Zahlen um sich, die ihnen sogar jeder 
glaubt und die kleinen Lehrmädchen entmu 
tigt, die sich mit gestochen schöner Schrift 
und gewissenhaften Griffübungen die Grund 
lagen erarbeiten, die für ein berufliches Fort- 
konm«*la unerläßlich sind. Nur ein schön ge 
schriebenes Stenogramm kann einwandfrei 
wiedergelesen werden. Aber es ist keine 
Kunst, eine verzerrte, sich über den ganzen 
Block erstreckende Riesenschrift wiederzule 
sen, wenn man fast jeden Tag das gleiche 
schreibt. Das täuscht, meine Kolleginnen! Da 
bei geht die Leistung langsam aber sicher zu 
rück. 
Del Laie meint: „Ach, so‘n bißchen Steno 
grafie! das lerne ich spielend!“ Diese Meinung 
ist zwar. weit verbreitet, aber entschieden 
falsch. Nur wer sehr fleißig ist, kann es hier 
zu etwas bringen. Außerdem sind einwand 
freie Deutsehkenntnisse einschließlich Zeichen 
setzung von unerläßlicher Voraussetzung. Ol 
ten gesagt, die meisten Chefs klagen, daß 
diese elementarste Grundbedingung bei vie 
len Sehreiberinnen fehlt und daurch viel Är 
ger entsteht. 
Sehr viele Stenotypistinnen haben ihren Be 
ruf nicht richtig erlernt. Eines Tages wurden 
sie an eine Schreibmaschine gesetzt, es wurde 
ihnen ein Lehrbuch vorgelegt, und dann stüm 
perten sie munter drauflos. 
Heutzutage werden gute Leistungen verlangt. 
120 Silben und 180 Anschläge sind als Anfän 
gerleistungen zu bezeichnen. Dazu braucht 
man mindestens ein halbes bis ein Jahr bei 
eisernem Fleiß. 150 Silben und 250 Anschläge 
werden hei einer Vollstenolypistenprüfnng vor 
der Handelskammer verlangt, dazu biaucht 
man mindestens ein weiteres halbes Jahr. 
Langjährige Stenotypistinnen sollten etwa 180 
Silben und 350 Anschläge schreiben und eine 
gute Allgemeinbildung haben. 
Die Anfängerleistung mit 120 Silben kann 
man gut mit der Verkehrsschrift erreichen. Auf 
keinen Fall soll man eher mit der Eilschrift 
beginnen. Eilschrift ist überhaupt nur für er 
wachsene, sprachgewandte Menschen mit gu 
ter Allgemeinbildung bestimmt, weil durch das 
viele Weglassen und Kürzen leicht Verwechs 
lungen entstehen, die ein sprachlich Unge 
wandter nicht überblicken kann. Wer einen 
guten Lehrer hat, kann 150 Silben auch ohne 
Eilschriftregeln erlernen. Um auf 180 Silben 
zu kommen, gehört etwa ein weiteres, volles 
Jahr sorgfältigen Eilschriftstudiums (Eilschrift 
ist weit schwerer als die Verkehrsschrift) und 
ein zähes Training. Es gibt aber sehr wenige 
Chefs, die anhallend so schnell diktieren. 
Liehe Leserin, wäre es nicht interessant, ein 
mal zu wissen, was man augenblicklich leistet? 
Wieviel Silben schreiben Sie heute noch und 
wieviel Anschläge schaffen Sie auf der 
Schreibmaschine? Wie lange brauchen Sie für 
einen normalen Geschäftsbrief? Kennen sie 
alle modernen Sondereinrichtungen der 
Schreibmaschine und wenden Sie sie richtig 
an? Pflegen Sie ihre Schreibmaschine? Können 
Sie auch nach Diktiergeräten schreiben? — 
und noch einsi Reicht ihre Allgemeinbildung? 
Jeder Mensch muß sein berufliches „Hand 
werkszeug“ pflegen, das muß eine Tänzerin, 
das müssen ein Pianist und ein Artist, ein 
Handwerker und ein geistig Schaffender — 
das muß auch die Stenotypistin. Tut sie es 
nicht, sitzt sie jahraus, jahrein ergeben im 
Büro ihre Stunden ab — dann „verrostet" sie 
unweigerlich. 
Das Maschineschreiben wird meist ver 
nachlässigt, obwohl es weit schwerer ist, hier 
auf eine höhere Geschwindigkeit zu kommen. 
Deshalb ist besonders die gute Grundlage so 
wichtig. Auch die Zahlen und Zeichen müssen 
blind geschrieben werden. Das ist gar 
nicht unmöglich, es gehört nur Geduld dazu. 
Das rationelle Briefschreihen will ebenfalls 
gelernt und geübt sein. In den meisten Büros 
achtet man zwar wenig darauf, aber es wird 
doch als angenehm empfunden, wenn 
Stenotypistinnen diese Regel beherrschen, ganz 
abgesehen davon, daß sie so mit ihrer Arbeit 
viel schneller fertig werden. 
Es ist selbstverständlich, daß eine gute 
Stenotypistin nicht radiert und noch viel weni 
ger „übertippt“. Selbstverständlich verschreibt 
sich auch die beste Sehreiberin, aber so selten, 
daß sie es sich erlauben kann, den Brief noch 
einmal zu schreiben. Und wenn unbedingt ra 
diert werden muß, dann bitte so, daß der Ha- 
dierstaub nicht in die Maschine fällt. Wenn 
sich der feine Radierstäub mit dem Maschinen 
öl vermischt, können die größten Komplikatio 
nen eintreteri; solch eine Reparatur ist immer 
sehr teuer. 
Wie sehen überhaupt in manchen Büros die 
Maschinen aus? Ich wette, wenn es Ihre eige 
nen wären, würden Sie etwas liebevoller damit 
umgeben. Jeden Tag zwei Minuten eine kleine 
Reinigung mit Pinsel und Typenbürste — 
dann ist die Maschine nie schmutzig. Staub 
gibt es immer, das Farbband „fuselt“ und das 
Kohlepapier macht schmutzige Finger. Nur 
ein sauberer und ordentlicher Arbeitsplatz 
macht Ihnen und Ihrer Umgebung Freude. 
Dann können Sie Ihre helle Bluse auch einen 
Tag länger anziehen. 
Auch noch ein Wort über die Fingernägel: 
Eine hübsche lange Form ist sicherlich eine 
Augenweide, aber für das Maschinenschreiben 
unpraktisch, weil man sehr leicht unbeabsich 
tigt in der oberen Tastenreihe hängenbleiben 
kann. 
Das Diktat direkt in die Maschine ist ziem 
lich nervenaufreibend, aber man gewöhnt sieh 
daran. Hier und bei Diktierapparaten muß der 
Chef gut diktieren können, sonst bringt e.r 
seine Stenotypistin zur Verzweiflung. Hier 
können sich nur überdurchschnittliche Maschi 
neschreiberinnen behaupten. 
Noch einen Tip für schlechte Augen: Steno 
grafieren Sie doch mit Tinte, am besten mit 
grüner Tinte! Selbstverständlich können Sie 
dies nur, wenn Sie eine tadellose Schrift haben. 
Fs gibt ausgezeichnete Spezialstenofüller, die 
sehr leicht über das Papier gleiten. Die Schrift 
blendet nicht und ist sehr deutlich. Natürlich
	        
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