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So wird man eine gute Stenotypistin
An olle Stenotypistinnen — und solche die es noch werden wollen Von Fachlehrerin H. Bertram, Hamburg
Geldverdienen wird heute nicht nur für die
Männer, sondern auch für die Frauen und
Mädchen groß geschrieben. Wir haben uns
daran gewöhnt, daß auf allen Gebieten viel
von uns verlangt wird: wir sollen tüchtig und
fleißig, hübsch und gepflegt sein, kochen und
Kinder erziehen können und immer freund
lich und hilfsbereit sein. Unser Gehalt ist eine
sehr angenehme Aufbesserung der Familien
kasse, denn, ein einzelner Mann allein kann es
ja nicht mehr schaffen, und es ist selbstver
ständlich, daß wir ihm dabei helfen. Es ist
wohl nicht mehr zu übersehen, daß die Frauen
allmählich in alle Berufe eindringen.
Das Heer der Stenotypistinnen ist wohl eines
der größten, daß außerdem sehr schnell ge
wachsen ist und immer weiter wächst. Beden
ken Sie, meine Kolleginnen, daß die ersten
Stenografen nur Männer waren und überhaupt
keine Frauen in Stenografenvereine äufgenom-
men wurden.
Im folgenden sollen einmal die Probleme
unserer Stenotypistinnen — vor allem ihre un
erfreulichen Seiten — aufgezeigt und Verbes
serungsvorschläge diskutiert werden.
Wir alle wissen, wie anstrengend es ist, den
ganzen Tag an der Schreibmaschine zu sitzen.
Deshalb haben die Schreibmaschinenfabriken
daran gearbeitet, neue Mittel und Wege zu
finden, den Sebreiberinnen die Arbeit so ange
nehm wie möglich zu machen. Wenn eine
Stenotypistin ihre moderne Schreibmaschine
voll auszunutzen verstellt, wird die Arbeit
heute die Nerven weniger beanspruchen als
früher. Die Maschinen sind geräuscharm, die
Tasten den empfindlichen Fingerkuppen ange
paßt, die Bedienungshebel bequem und schnell
zu erreichen und beim Brief die „Regel für
Maschineschreiben“ rationell und übersicht
lich
n vielen Büros aber stehen noch die alten,
ehrwürdigen, unmodernen Schreibmaschinen.
Dies macht zwar nichts, wenn auch ihre
Schreibevinnen nach der alten Methode arbei
ten. In diesem Falle würde auch eine moderne
Maschine kaum etwas nützen.
In den Schulen aber werden heute laufend
* Stenotypistinnen ausgebildet, die jede Tipperin
mühelos aus dem Feld schlagen können. Dies
gilt nicht nur für die Schnelligkeit und Sicher
heit, sondern auch für die Gesundheit. Es ist
doch klar: Eine Tipperin muß dauernd auf die
Tasten sehen, das Auge wandert hin und her
und ihre Finger legen am Tage viele Kilo
meter mehr zurück als die einer Blindschrei
berin. liier ein kleines Beispiel:
Die kurze Einleitung eines Geschäftsbriefes
hat etwa — sagen wir — 222 Anschläge. Eine
Tipperin legt hierbei einen Weg von 13 Me
ter zurück, die Blindschreiberin nur vier Meter.
Bei einer Tagesleistung von durchschnittlich
30 000 Anschlägen beträgt die Ersparnis fast
1 ! i Kilometer.
Di ese Rechnung leuchtet ein, denn nach eini
gen Jahren machen sich bei Tipperinnen im
mer gesundheitliche Schäden bemerkbar:
Kopfschmerzen wegen des anstrengenden Hin
sehens, Rücken- und Kreuzschmerzen wegen
der falschen Körperhaltung, Nervenentzün
dungen wegen Überanstrengung usw. Wenn
Sie noch keine Beschwerden gehabt haben,
werden sich diese bestimmt eines Tages ein
stellen. Schlagen Sie diese Warnung nicht
leichtfertig in den Wind, denn erf ahrene Fach
leute haben das alles beobachtet und auspro
biert! Wenn man tlie Sache einmal anatomisch
betrachtet, leuchtet dies auch ohne weiteres
ein.
Es ist erstaunlich, wie wenig Stenotypistin
nen ihren augenblicklichen Leistungsstand,
den sie meistens überschätzen, wissen. Sie
meinen, wenn sie vor Jahren wirklich 200 Sil
ben und 300 Anschläge geschrieben hätten,
jetzt mehr schreiben zu müssen, und werfen
mit Zahlen um sich, die ihnen sogar jeder
glaubt und die kleinen Lehrmädchen entmu
tigt, die sich mit gestochen schöner Schrift
und gewissenhaften Griffübungen die Grund
lagen erarbeiten, die für ein berufliches Fort-
konm«*la unerläßlich sind. Nur ein schön ge
schriebenes Stenogramm kann einwandfrei
wiedergelesen werden. Aber es ist keine
Kunst, eine verzerrte, sich über den ganzen
Block erstreckende Riesenschrift wiederzule
sen, wenn man fast jeden Tag das gleiche
schreibt. Das täuscht, meine Kolleginnen! Da
bei geht die Leistung langsam aber sicher zu
rück.
Del Laie meint: „Ach, so‘n bißchen Steno
grafie! das lerne ich spielend!“ Diese Meinung
ist zwar. weit verbreitet, aber entschieden
falsch. Nur wer sehr fleißig ist, kann es hier
zu etwas bringen. Außerdem sind einwand
freie Deutsehkenntnisse einschließlich Zeichen
setzung von unerläßlicher Voraussetzung. Ol
ten gesagt, die meisten Chefs klagen, daß
diese elementarste Grundbedingung bei vie
len Sehreiberinnen fehlt und daurch viel Är
ger entsteht.
Sehr viele Stenotypistinnen haben ihren Be
ruf nicht richtig erlernt. Eines Tages wurden
sie an eine Schreibmaschine gesetzt, es wurde
ihnen ein Lehrbuch vorgelegt, und dann stüm
perten sie munter drauflos.
Heutzutage werden gute Leistungen verlangt.
120 Silben und 180 Anschläge sind als Anfän
gerleistungen zu bezeichnen. Dazu braucht
man mindestens ein halbes bis ein Jahr bei
eisernem Fleiß. 150 Silben und 250 Anschläge
werden hei einer Vollstenolypistenprüfnng vor
der Handelskammer verlangt, dazu biaucht
man mindestens ein weiteres halbes Jahr.
Langjährige Stenotypistinnen sollten etwa 180
Silben und 350 Anschläge schreiben und eine
gute Allgemeinbildung haben.
Die Anfängerleistung mit 120 Silben kann
man gut mit der Verkehrsschrift erreichen. Auf
keinen Fall soll man eher mit der Eilschrift
beginnen. Eilschrift ist überhaupt nur für er
wachsene, sprachgewandte Menschen mit gu
ter Allgemeinbildung bestimmt, weil durch das
viele Weglassen und Kürzen leicht Verwechs
lungen entstehen, die ein sprachlich Unge
wandter nicht überblicken kann. Wer einen
guten Lehrer hat, kann 150 Silben auch ohne
Eilschriftregeln erlernen. Um auf 180 Silben
zu kommen, gehört etwa ein weiteres, volles
Jahr sorgfältigen Eilschriftstudiums (Eilschrift
ist weit schwerer als die Verkehrsschrift) und
ein zähes Training. Es gibt aber sehr wenige
Chefs, die anhallend so schnell diktieren.
Liehe Leserin, wäre es nicht interessant, ein
mal zu wissen, was man augenblicklich leistet?
Wieviel Silben schreiben Sie heute noch und
wieviel Anschläge schaffen Sie auf der
Schreibmaschine? Wie lange brauchen Sie für
einen normalen Geschäftsbrief? Kennen sie
alle modernen Sondereinrichtungen der
Schreibmaschine und wenden Sie sie richtig
an? Pflegen Sie ihre Schreibmaschine? Können
Sie auch nach Diktiergeräten schreiben? —
und noch einsi Reicht ihre Allgemeinbildung?
Jeder Mensch muß sein berufliches „Hand
werkszeug“ pflegen, das muß eine Tänzerin,
das müssen ein Pianist und ein Artist, ein
Handwerker und ein geistig Schaffender —
das muß auch die Stenotypistin. Tut sie es
nicht, sitzt sie jahraus, jahrein ergeben im
Büro ihre Stunden ab — dann „verrostet" sie
unweigerlich.
Das Maschineschreiben wird meist ver
nachlässigt, obwohl es weit schwerer ist, hier
auf eine höhere Geschwindigkeit zu kommen.
Deshalb ist besonders die gute Grundlage so
wichtig. Auch die Zahlen und Zeichen müssen
blind geschrieben werden. Das ist gar
nicht unmöglich, es gehört nur Geduld dazu.
Das rationelle Briefschreihen will ebenfalls
gelernt und geübt sein. In den meisten Büros
achtet man zwar wenig darauf, aber es wird
doch als angenehm empfunden, wenn
Stenotypistinnen diese Regel beherrschen, ganz
abgesehen davon, daß sie so mit ihrer Arbeit
viel schneller fertig werden.
Es ist selbstverständlich, daß eine gute
Stenotypistin nicht radiert und noch viel weni
ger „übertippt“. Selbstverständlich verschreibt
sich auch die beste Sehreiberin, aber so selten,
daß sie es sich erlauben kann, den Brief noch
einmal zu schreiben. Und wenn unbedingt ra
diert werden muß, dann bitte so, daß der Ha-
dierstaub nicht in die Maschine fällt. Wenn
sich der feine Radierstäub mit dem Maschinen
öl vermischt, können die größten Komplikatio
nen eintreteri; solch eine Reparatur ist immer
sehr teuer.
Wie sehen überhaupt in manchen Büros die
Maschinen aus? Ich wette, wenn es Ihre eige
nen wären, würden Sie etwas liebevoller damit
umgeben. Jeden Tag zwei Minuten eine kleine
Reinigung mit Pinsel und Typenbürste —
dann ist die Maschine nie schmutzig. Staub
gibt es immer, das Farbband „fuselt“ und das
Kohlepapier macht schmutzige Finger. Nur
ein sauberer und ordentlicher Arbeitsplatz
macht Ihnen und Ihrer Umgebung Freude.
Dann können Sie Ihre helle Bluse auch einen
Tag länger anziehen.
Auch noch ein Wort über die Fingernägel:
Eine hübsche lange Form ist sicherlich eine
Augenweide, aber für das Maschinenschreiben
unpraktisch, weil man sehr leicht unbeabsich
tigt in der oberen Tastenreihe hängenbleiben
kann.
Das Diktat direkt in die Maschine ist ziem
lich nervenaufreibend, aber man gewöhnt sieh
daran. Hier und bei Diktierapparaten muß der
Chef gut diktieren können, sonst bringt e.r
seine Stenotypistin zur Verzweiflung. Hier
können sich nur überdurchschnittliche Maschi
neschreiberinnen behaupten.
Noch einen Tip für schlechte Augen: Steno
grafieren Sie doch mit Tinte, am besten mit
grüner Tinte! Selbstverständlich können Sie
dies nur, wenn Sie eine tadellose Schrift haben.
Fs gibt ausgezeichnete Spezialstenofüller, die
sehr leicht über das Papier gleiten. Die Schrift
blendet nicht und ist sehr deutlich. Natürlich