ORGAN OER EINREITGGEWERRStRflFT DER ARREITER. ANGESTELLTEN UND GERRITEN
8. Jahrgang Saarbrücken / Juli 1954 Nummer 7
Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet
Aenderungsvorschläge der SPS nicht berücksichtigt — Arbeitnehmerschalt enttäuscht
Am Mittwoch, dem 7. Juli 1954, verab
schiedete der Saarländische Landtag in Drit
ter Lesung das Betriebsverfassungsgesetz. Seit
über vier Jahren bemüht sich nun die Arbeit
nehmerschaft um das für sie so wichtige Ge
setz, das in über 100 Sitzungen beraten wer
den mußte, und das immer wieder verschleppt
wurde, weil man der Masse der Wähler, das
sind doch wohl die Arbeitnehmer, nicht
geben wollte, was sie mit Recht erwarten
durfte, und weil niemand die Verantwortung
für ein Surrogat übernehmen wollte, das nie
und nimmer die Zustimmung eben dieser
Wähler finden konnte.
Jetzt, nachdem der Ruf von draußen nach
der längst versprochenen Mitbestimmung
immer lauter erhoben wurde, hat man dem
saarländischen Arbeitnehmer ein , ,,Machwerk
vorgesetzt, das ihn schwer enttäuschen muß.
Gegenüber den Entwürfen der Einheitsge
werkschaft und der SPS aus den Jahren 1949
und 1950 stellt dia-es Betriebsverfassungs
gesetz nur noch einen Torso dar, von 'einer
Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft, von
der man angeblich eine Mitarbeit in echter
Partnerschaft erwartet, kann nur noch in aller
bescheidenstem Umfange die Rede sein.
Wenn wür auch bei dem Gewicht des Ar-
beitgeberHügels im derzeitigen Landtag nicht
mit mehr als einer wenigstens tragbaren
Kompromißlösung gerechnet hatten, so hätten
wir doch erwartet, daß unseren Argumenten,
die von unseren Kollegen in dem sozialpoliti
schen Ausschuß immer wieder vorgebracht
wurden, größere Beachtung geschenkt worden
wäre. Oft genug wurde von der Einheits
gewerkschaft an die Vertreter im Landtag
appelliert, sich ihrer Verpflichtung gegenüber
der Arbeitnehmerschaft bewußt zu sein, doch
winden diese Appelle nur von einer Minder
heit aufgenommen, die auch der so wenig
kompromißbereiten Vorlage ihre Zustimmung
verweigerte.
Noch in der Zweiten Lesung erhob unser
Kollege Heinz, als Sprecher der SPS-Fraktiou
wirklich gemäßigte und wohlbegründete For
derungen, deren Annahme dem Betriebsver
fassungsgesetz noch das Prädikat eines für
die Arbeitnehmerschaft immerhin tragbaren
Kompromisses hätte einbringen können, aber
selbst das w'ollle oder konnte die C\ P-Mehr-
heit nicht koncedieren.
Wir w’ollen diese Forderungen unseren
Lesern zur eigenen Beurteilung in großen
Zügen wiederholen:
1. Einheitliche Klärung der Begriffe „Betrieb
und Arbeitnehmer“ in einem Betriebsverfas
sungsgesetz, das den Öffentlichen Dienst
mit einbezieht, wobei „die Rechtsstellung
der Beamten im Öffentlichen Dienst als
Träger von Hoheitsfunktionen im Betriebs
verfassungsgesetz gesondert behandelt wer
den kann.“
2. Übernahme des Betriebsverfassungsgesetzes
in allen Bestimmungen mit Ausnahme der
jenigen über die wirtschaftliche Mitbestim
mung auch für die Kleinstbetriebe. (Die
verabschiedete Fassung bedeutet eine Ver
schlechterung gegenüber der Betriebsräte-
verordnung von 1947).
3. Gemeinsame Wahl des Betriebsrates durch
Arbeiter und Angestellte.
4. Größere Freistellung der Betriebsräte zur
Erfüllung ihrer Aufgaben.
Zu dem Kernpunkt des Gesetzes, das in
den §§ 46 ff. die Mitbestimmung regelt,
nahm Koll. Heinz eingehend Stellung und
übte mit Recht an der Tatsache Kritik, daß
die Gesetzesvorlage weit davon entfernt sei,
ein echtes Mitbestimmungsiecht in sozialen,
personellen und wirtschaftlichen Fragen zu
gewährleisten. Er rügte besonders, daß das
Gesetz den Arbeitgeber keineswegs hindere,
in Ausübung seine« Direktionsrechtes den
Betriebsrat vor vollendete Tatsachen zu stel
len, Auf dipse Ausführungen unseres Koll.
Ileinz werden wir noch im einzelnen zurück
kommen, wenn wir das Betriebsverfassungs
gesetz im Abdruck kommentiert wiedergebeu
In der Dritten Lesung machte Koll. Rauch
noch einen letzten Versuch, dem Betriebs
verfassungsgesetz ein arbeitnehmerfreund
licheres Gesicht zu geben. Er wdes u. a. noch
mals auf die unhaltbare Bestimmung hin, die
das passive Wahlrecht von der Wählbarkeit
zum Saarländischen Landtag abhängig macht
und damit einen großen Teil von Arbeit
nehmern, die zum Stammpersonal der saar
ländischen Betriebe gehören, überhaupt von
der Wählbarkeit ausschließt (siehe: Endlich
doch das Betriebsverfassungsgesetz? in Nr. 6
der „Arbeit“).
Nun, alle diese Versuche sind an der un
nachgiebigen Haltung der Landtagsmehrheit
gescheitert. Das darf jedoch nicht zur Re
signation der Arbeitnehmer führen, die sich
der Tatsache erinnern sollten, daß soziale
Fortschritte noch nie im ersten Ansturm er
rungen wurden. Für uns gilt es nun, bei den
kommenden Betriebsrätewahlen eindringlich
vor aller Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß
die Arbeitnehmerschaft hinter den noch uner
füllten Forderungen der Einheitsgewerkschaft
steht, und daß sie nicht gewillt ist, auch nach
einer Niederlage — wer sollte leugnen, daß
der vergangene Mittwoch eine Niederlage
für die Arbeitnehmer bedeutet — den Kampf
für ein fortschrittliches Betriebsverfassungs-
ge-etz aufzugeben. Die gegebenen Möglich
keiten wcitmöglichst auszuschöpfen und in
stets neuen Bemühungen zu erweitern, soll
für die Zukunft unsere Losung sein.
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Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet , l
Sind die Preise im Saarland übersetzt . . 2
Der Angestellte in der Einheits
gewerkschaft 4
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unfallversicherung wissen muß ... 6
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Die 37. Tagung der Internationalen
Arbeitskonferenz . • .... 9
Die drillen Länder zur Montan-Union . 10