ORGAN OER EINHEITSGEHlERRgtHRET DER ARBEITER. RN GESTELLTEN UND BERUHEN
8. Jahrgang Saarbrücken / Juni 1954 Nummer 6
Endlich doch das Betriebsverfassungsgesetz?
Wenn nichts ganz besonderes mehr dazwischen
kommt, dürfte der Saarländische Landtag
im Laufe des Monats Juni endlich das Be
triebsverfassungsgesetz verabschieden. Damit
Lwäre endlich ein sehr umstrittenes Gesetz zu
stande gekommen, das uns jedoch als Arbeit
nehmer — wir dürfen das wohl mit Recht be
haupten — nur in wenigen Punkten zu
friedenstellen kann.
Das Gesetz stellt, wie alle Gesetze, einen
Kompromiß dar, der das Kräfteverhältnis im
Parlament widerspiegelt. Es zeigt uns vor
allen Dingen, daß die saarländische Arbeit
nehmerschaft auf die Staats- und Gesetzes-
maschine noch nicht den Einfluß hat, der ihr
nach ihrer Bedeutung in Wirtschaft und Staat
eigentlich zukäme. Welche Wichtigkeit man
dem Gesetz beimißt und wie heftig das Ge
setz umstritten war, geht aus der Tatsache
hervor, daß jahrelang Verhandlungen mit
weit über 100 Sitzungen für die Verabschie
dung dieses Gesetzes erforderlich waren.
Wir sagten es schon, das Gesetz befriedigt
uns keineswegs, besonders im Hinblick auf
die Tatsache, daß das Mitbestimmungsrecht
der Arbeitnehmer, auf das wir als Einheits
gewerkschaft stets den größten Wert gelegt
fhaben, nur in sehr beschränktem Umfange
durchgesetzt werden konnte.
In den kleinen Betrieben kann nach der
Fassung des vor der Verabschiedung stehen
den Gesetzentwurfes von einer Mitbestim
mung überhaupt nicht mehr die Rede sein.
In Betrieben mit weniger als 21 wahlberech
tigten Arbeitnehmern tritt an Stelle des Be
triebsrates ein Vertrauensmann, dem ledig
lich ein Anhörungsrecht in sozialen und per
sonellen Fragen zusteht.
Eine begrüßenswerte Neuregelung ist darin
zu sehen, daß auch die Jugendlichen unter
18 Jahren, denen weder das aktive noch das
passive Wahlrecht zusteht, ihre besondere In
teressenvertretung im Jugendausschuß finden,
der in Betrieben mit mehr als 5 Jugendlichen
gewählt werden kann. Die Mitglieder des
j ugendausschusses können im Alter von 16 bis
24 Jahren stehen. Bei der Behandlung von
Jugendfragen nehmen die Vertreter dieses
Ausschusses an den Betriebsratssitzungen mit
beratender Stimme teil.
Wir bedauern außerordentlich, daß ein re
lativ großer Teil der Arbeitnehmer durch das
Gesetz von der Wählbarkeit zum Betriebsrat
ausgeschlossen ist. Voraussetzung für das pas
sive Wahlrecht ist die Wählbarkeit zum Saar
ländischen Landtag, d. h. also, daß nur In
haber des roten Passes zum Betriebsrat wähl
bar sind.
Wenn man bedenkt, daß dadurch außer den
13 800 Grenzgängern noch mindestens 20 000
Graupässler von der Wählbarkeit ausgeschlos
sen sind, dann wird man ermessen können,
daß durch diese Regelung die saarländischen
Gewerkschaften, insbesondere die Einheits
gewerkschaft, sehr empfindlich betroffen
werden.
Umso eigentümlicher muß uns diese Re
gelung berühren, als doch eine große Zahl
der Grenzgänger und Graupässler zum Stamm
personal der saarl. Betriebe zu rechnen ist, ein
Personenkreis, der häufig schon seit Generatio
nen mit den saarl. Betrieben engstens ver
bunden ist. Wenn man weiterhin bedenkt, daß
bis in den höchsten leitenden Stellungen
Nicht-Saarländer beschäftigt sind, dann muß
man sich mit Recht fragen, weshalb der Be
triebsrat für Arbeiter und Angestellte ver
schlossen bleiben soll, wenn diese' nicht die
Saareinwohnerschaft besitzen. Das Argument
der njcht genügenden Werksverbundenheit
dürfte doch keineswegs ziehen, da ein hoher
Prozentsatz der leitenden Funktionen in der
saarländischen Wirtschaft von Nicht-Saar
ländern ausgeübt wird, denen man doch
wahrscheinlich nicht ganz offiziell und gene
rell ausreichendes Verantwortungsgefühl und
Verbundenheit mit ihrem Betriebe absprechen
will.
Wir entsinnen uns recht gut, daß man der
Arbeitnehmerschaft häufig ein besseres Be
triebsverfassungsgesetz versprochen hatte, ais
das der Bundesrepublik. Leider blieb es bei
dem Versprechen, hat man doch in letzter
Minute die §§ 49—77 vollkommen aus dem
Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik
übernommen. Wir entsinnen uns ebensogut,
daß die Gewerkschaften in der Bundesrepu
blik mit aller Entschiedenheit gegen das Be
triebsverfassungsgesetz vorgegangen sind und
auch heute noch die Regelung der Mitbestim
mung als völlig unzulänglich kritisieren. Daß
auch uns im Saarland das Ergebnis keines
wegs befriedigen kann, ja daß wir noch grö
ßeren Anlaß zu Kritik haben, geht schon aus
der Tatsache hervor, daß in der Bundesrepu
blik Vs aller Aufsichtsrats mitglieder sioh aus
der Belegschaft rekrutieren müssen, während
bei uns an der Saar der Autsichtsrat nur mit
V* von Belegschaftsmitgliedern besetzt wird.
Diese Regelung dürften wohl die Kreise be
gründen müssen, die sie gegen den Willen
der Einheitsgewerkschaft durchgesetzt haben.
Das sind nur wenige Punkte, die wir heute
äufzeigen, doch dürften sie genügen, um
unsere Behauptung zu erhärten, daß das vor
der Verabschiedung stehende Betriebsverfas
sungsgesetz unseren Vorstellungen von der
Mitbestimmung keinesfalls entpricht und
allenfalls als ein Anfangsstadium in der Ver
wirklichung der Wirtschaftsdemokratie be
trachtet werden kann.
Gesetze können geändert werden und auch
bei diesem Gesetz besteht die Möglichkeit
einer späteren Änderung in unserem Sinne,
doch dazu gehört, daß die Arbeitnehmer
schaft an der Saar sich ihrer Stärke bewußt
wird und daß sie ihren Standort richtig er
kennt, d. h. also, daß sie sich entschlossen
in ihrer Gewerkschaft zusammenschließt
Wir als Arbeitnehmer müssen vorerst unsere
vordringlichste Aufgabe darin sehen, die Mög
lichkeiten, die uns das Gesetz bietet, voll und
ganz auszunutzen, und wir hoffen, daß aus
den Betriebsrätewahlen, die, wie wir erfah
ren, im August dieses Jahres stattfinden sol
len, die Arbeitnehmervertreter hervorgehen
werden, die sich mit aller Energie für ihre
Arbeitskameraden einsetzen. Hierauf gilt es
sich schon jetzt vorzubereiten.
Aus dem jMhait:
Für Mitbestimmung, Tarifrecht, Besoldungs
und Lohnreform Seite 2/3
Wer schädigt die Interessen der
Arbeiterklasse? Seite 3
Übertragbarkeit des Anspruchs auf
Urlaubsvergütung Seite 4
Blick in die Welt Seite 5
Zuerst gleiche Startbedingungen Seite 6
Freiwillige Höherversicherung Seite 7
Die Arbeitslosenunterstützung Seite 7/8
Zur Problematik internationaler
Lohnvergleiche Seite 9/10
Gemeinwirtsdraft in der
Marktwirtschaft Seite 11/12
Rheuma und Arbeitstätigkeit Seite 14
Mitteilungen der Theatergemeinde Seite 10
(Anzeigenteil)