August 1953
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Die großen Aufgaben in der Arbeitspolitik an der Saar
Vermehrte Fertigindustrie erforderlich - Vergleiche mit den Nachbargebieten - Ein Vier-Punkte Programm
Die Sorge um die Vollbeschäftigung steht im Vordergrund jeder fortschrittlichen Arbeitspolitik. Arbeitsminister
Kirn befaßt sich in dem nachstehenden Artikel grundsätzlich mit diesem wichtigen Problem, wobei dem Umstand voll
Rechnung getragen wird, daß in einem ausgesprochenen Industriegebiet dieses Thema besonders vordringlich, aber
auch besonders schwierig zu lösen ist. Sehr starkes Augenmerk wird man auf das Vier-Punkteprogramm richten, das
eine Reihe positiver Lösungsvorschläge enthält.
Die Vorschläge bieten zweifellos die Möglichkeit zu einem praktischen Ausbau der Arbeitspolitik auf breiter
Basis. Manche Kreise werden das Material zusätzlich auch als eine wertvolle Diskussionsgrundlage benutzen, eine
Diskussion, die Ergänzungen bringen kann, wobei Fragen näher untersucht werden können, wie Kreditbeschaf
fung für die neuen Industrien, Erhöhung der Lohn summe bei Erhöhung der Produktiviät, das Facharbeiterproblem
z , B. bei Errichtung des Fabrikationszweiges für Schreibmaschinen, Wahrnehmung des Geschmacks der Länder,
die für den jeweiligen Export gedacht sind und vor allem die Auswertung der Erfahrungen, die bereits mit der
Errichtung neuer Fertigindustrien vorliegeu. Große Aufgaben sind hier gestellt.
In den dem Saarland vergleichbaren
Wirtschafts- und Bevölkerungsräumen wie
JSordrhein-Westfalen und Belgien wer
den neuerdings von staatlichen und kom
munalen Stellen die Gründung, Erwei
terung und Verlagerung von Fertigiridu-
strien planmäßig gefördert. In Belgien,
dessen Wirtschaft noch weniger als die
des Saarlandes auf Fertigerzeugnisse ein
gestellt ist, ist unlängst eine Verord
nung in Kraft getreten, welche die Er
richtung neuer Industrien finanziell un
terstützt. An der Ruhr haben in meh
reren Großstädten die Kommunalverwal-
waltungen sogenannte Föiderungsgesell-
schaften gebildet, die das gleiche Ziel
verfolgen wie die belgische Regierung.
Nur die Motive sind in diesen Ländern
nicht ganz die gleichen. Während in dem
dicht besiedelten Belgien eine Industria
lisierung schlechthin angestrebt wird, mit
dem Ziel, einen Teil der vollarbeits
fähigen arbeitslosen Männer zu ab
sorbieren, bemüht sich die Ruhr — wo
rund 70000 vollarbeitsfähige Männer feh
len, aber eine noch größere Zahl be
schränkt arbeitsfähiger Männer arbeits
los ist — mehr um die Schaffung leich
ter bis mittelschwerer Arbeitsplätze für
Erwerbsbehinderte.
Wir gehen im Saarland von den glei
chen Motiven aus wie die Ruhr und
nicht wie Belgien, das eine stärkere In
dustrialisierung auf der ganzen Linie zu
erreichen sucht, während wir eine Ver
mehrung der Fertigindustric anstreben,
die allein in der Lage ist, die noch vor
handenen Arbeitslosen, Körperbehinder
ten, Kriegsbeschädigten und Frauen und
die laufend auf den Arbeitsmarkt treten-
cn „verbrauchten“ Arbeitskräfte der
chwerindustrie aufzunehmen.
Klare Sicht und Zielsetzung.
Der saarländische Bergbau, die eisen
erzeugende Industrie, Teile der eisen
verarbeitenden Industrie, die Baustoff
industrie und das Baugewerbe beschäf
tigen ca. 631/2 »11 er Arbeiter, Die Eigen
art vieler Arbeiter in diesen Wirtschafts
zweigen führt zu einem verhältnismäßig
raschen Verbrauch der menschlichen Ar
beitskraft. Dabei stellt der Bergbau mit
seinen sogenannten bergfertigen Arbeits
kräften an der Spitze. Diese z. Teil 50-
bis 55jährigen, angeblich verbrauchten
Arbeitskräfte sind nur im Sinne des Berg
baues und der übrigen Schwerindustrie
nicht mehr arbeitsfähig, d, h. berufs
unfähig und nicht invalide gemäß der
Reichsversicherungsordnung (RVO), aber
im Sinne der anderen Wirtschaftszweige
und ebenso im Sinne der Sozialversiche
rung meist noch 'einsatzfähig.
Es wird in keinem Lande, auch im
Saarland nicht möglich sein, allen „ab
gelegten“ noch relativ jungen Arbeits
kräften eine Vollrente zu zahlen und sie
damit in die Reihen der Veteranen der
Arbeit einzugliedcrn. Eine solche Uebcr-
legung wird — selbst bei günstigster
Finanzlage der Träger der Sozialversi
cherung — einfach nicht möglich sein,'
;wcil es auch aus wirtschaftlichen, fa
miliären und ethischen Gründen nicht
.vertretbar ist, einen im mittleren Alter
stehenden Menschen der Untätigkeit zu
überlassen, wenn er, wie es der Saar«;
länder von Hause aus ist,' arbeitswillig
pnd wenn er ferner noch arbeitsfähig
und unverschuldet arbeitslos ist.'
geben über das Ausmaß der künftigen
Abgänge an verbrauchten Arbeitskräften
aus der saarländischen Schwerindustrie;
Krieg und Kriegsgefangenschaft haben
auch auf diesem Gebiet weitgehendst
kräftezerstörend gewirkt.
Noch liegen die Ergebnisse der letzten
Bevölkerungs- und Berufszählung, beson
ders über die Zahl der Arbeitslosen und
über Alter und Erwerbsbehinderung der
Arbeiter insgesamt nicht vor. (Das Sta
tistische Amt hat seine Auswertung noch
nicht abgeschlossen). Aber auch ohne
Zahlen sind sich die Fachleute darüber
im klaren, daß die Ueberalterung und
die sonstigen Kriegs folgen (Kriegsver
letzungen, Gefangenschaft und Hunger
jahre 1945-48) noch mehrere Jahrzehnte
lang nachwirken und weit mehr Früh
invaliden anstehen werden als jemals
zuvor.
Aus Vorbesagtem ergibt sich zwangs
läufig eine straffe Planung hinsichtlich
der Schaffung von Betriebsstätten der
Fertigfabrikation und der Lenkung des
Arbeitsmarktes. Das Bestreben der Re
gierung und der Wirtschaft muß es da
her sein, den schwerindustriellen Charak
ter unseres Landes abzuändern und das
seit mehr als 50 Jahren Versäumte -»
Schaffung und Ausbau der weiterverar
beitenden Industrie zu gewährleisten. Eine
so geschaffene gemischte Industrie der
Kolrle, des Stahls und Eisens, der Wei
terverarbeitung und Fertigfabrikation ga
rantiert eine wirtschaftliche Stabilität;
Zur Zeit gibt es rund 3701 registrierte
Arbeitslose, denen 3 575 offene Stellen
gegenüberstehen. Wir haben schätzungs
weise rund 6 500 registrierte Arbeitssu
chende: Frauen, Schwerstkriegsbeschä-
digte, Hütten- und Bergpensionäre, die
eine leichtere Arbeit suchen. Es sind
dies bodenständige Saarländer, deren an
gestammte Liebe zur Heimat und Schaf
fenslust wichtige Aktivposten für un
ser Land sind.
Von diesen rund 9 bis 10000 Men
schen, die Werte schaffen woüen und
eine soziale Sicherheit durch einen Ar
beitsplatz anstreben, muß man ausgehen,
wenn man eine gesunde ArbeUspolitik
betreiben will, und zwar eine Arbeits
politik auf lange Sicht, zumal — wie
schon erwähnt — der Zustrom an ver-,
brauchten Arbeitskräften aus Schwerar
beiterstellen nicht versiegen, sondern noch
annehmen wird.
Die hier geschilderte Lage und vor
aussichtliche Entwicklung ist eine Be
sonderheit des Saarlandes mit seiner
Schwerindustrie und seiner Arbeiter
schaft, die zum größten Teil in der
Kleinlandwirtschaft und im Eigenheim
mit Gartenwirtschaft und Kleintierzucht
einen wirtschaftlichen Rückhalt findet,
was sie dadurch in die Lage versetzt,
einen Familienangehörigen mit durchzu
halten. Sobald aber eine Wirtschafts
krise einsetzt und z. B. 10000 Arbeits
kräfte, das wären ca. 31/2 der Beschäf
tigten, freigesetzt werden, treten nicht
nur diese 10000 freigesetzten Arbeits
kräfte auf den Arbeitsmarkt, sondern
auch noch ein Teil ihrer Angehörigen,
z. B. die Tochter, oder der erwerbs-
behinderte Sohn, die heute als angeblich
mithelfcnde Familienangehörige gelten, in
Wirklichkeit aber als arbeitswillige Ar
beitssuchende nicht die passende leichte
Beschäftigung finden und in den Kreis
der „unsichtbaren Arbeitslosen“ geraten
sind. Aus den 10000 freigesetzten Ar
beitskräften werden dann aller Voraus
sicht nach 11000 Arbeitssuchende plus
den bereits vorhandenen Arbeitssuchen
den.
Man tröste sich nicht mit dem Ein-
wand, daß dann die Entwicklung in an
deren Ländern nicht anders verlaufen
werde. In anderen Ländern, z. B. an der
Ruhr, lebt der überwiegende Teil der
Arbeiterschaft von „der Hand in den
Mund“; sie hat keinen wirtschaftlichen
Rückhalt in der Landwirtschaft, wie im
Saarland,' und ihre Töchter und Söhne
sind nicht als mithelfende Faroiliermnge-
KÖrige aus der Arbeitsmarktstatistik veg^
schwundea»’ «e sind beim Arbeitsamt re
gistriert, weil sie entweder eine Arbeits
losenunterstützung, wenn auch nach der
Bedürftigkeitsprüfung erhalten oder in
sonstiger Betreuung des Arbeitsamtes ste
hen, z. B. durch Schalungsmaßnahmen.
Daher auch die relativ höhere Zahl re
gistrierter Arbeitssuchender an der Ruhr
und demzufolge die aktiveren Bestre
bungen für die Schaffung zusätzlicher
leichter Arbeitsplätze. Man beachte die
erfolgreiche Besiedlung des Krupp-Ge
ländes in Essen mit nur Fertigindustrien.
Beschäftigte und Regulative:
Die nachstehende Zahlenaufstiellung über
Wohnbevölkerung, Beschäftigte, Grenzgänger,
Saargänger, Arbeitslose, offene Stellen spricht
eine beredte Sprache. Es ergibt sich daraus
der gewaltige Zuwachs an Beschäftigten seit
1935 bzw.. 1939, und sie besagt außerdem, daß
ein sehr bedeutendes Regulativ im Osten und
Westen unseres Landes geschaffen ist. H12 736
Grenzgängern (Saargänger) aus der Bundes
republik stehen 5993 Saarländer als lothrin
gische Grenzgänger gegenüber. Dieses Regu
lativ ermöglicht arbeitsmarktpolitisch gesehen
ein Ausweichen im Falle des Eintretens einer
Wirtschaftskrise und gibt die Möglichkeit, von
den Saarländern eine stärkere Arbeitslosigkeit
abzuhalten.
(Fortsetzung folgt!)
Zur Erhöhung der Alkoholsteuer.
Die Auswirkungen der letzten Alkoholsteuer-
•rhöhung haben einen Leser verablaßt, una
folgendehs zu schreiben:
Die Alkoholsteuer wurde neulich um 30 0/0
erhöht. Gut, der Gastwirt soll einen lohnenden
Anteil beim Verkauf verdienen. Aber war die
Verteuerung des Ausschankpreises diesmal nö
tig? Hätten nicht die Wirte die Erhöhung dies
mal tragen können? Die Verbraucher sind doch
keine Krösus©, sondern vielfach schwer schaf
fende Arbeiter, denen der kleine Alkoholgenuß
wirklich zu gönnen ist. Aber ob sie es sich lei
sten können, Aas liegt am Preis.
„Ein Liter Korn kostet dem Wirt Lin Ein
kauf 495 Frs. Darin sind 100 0/0 Alkoholsteuer
enthalten. Es kommt nun ein Aufschlag von
30 o/ 0 auf 100 0/0 Alkohol hinzu. Kornbrannt
wein hat 38 o/o Alkohol. Der Wirt rechnet im
Auschank auf 1 Liter 40 kleine Schnaps. (Das
Finanzamt 50 Stück.) Wie teuer muß der Wirt
nun einen kleinen Schnaps verkaufen?
Lösung: Der Wirt bezahlt für ein Later Kom
495 Frs. Darin sind 100 o/ 0 Steuer enthalten
*= 247,50 Frs. Auf diese 247,50 Frs. kommen
30 o/o Steuer = 72 Frs. pro Liter. Also kostet
der Einkauf 495 und 72 = 567 Fra.
RESTE
DONNERSTAG
FßElTAG
SAMSTAG
SAARBRÜCKEN
Zum neuen Präsidenten des IBFG wurde auf
dem Kongreß in Stockholm der Belgier Omar
Be^u gewählt. Auf dem Stuttgarter Kongreß
des ITF 1950 wurde Begu zum Generalsekretär
der ITF gewählt. Be£u, der Sohn eines Leh
rers. wurde 1902 in Ostende geboren. Er be
gann als Elektriker, wurde Schiffsfunker und
trat der belgischen Gewerkschaft des Funkper
sonals bei, deren Vorsitzender er 1928 wurde.
1932 wurde Becu Generalsekretär der Belgischen
Schiffsoffizier-Gewerkschaft.
Für Ihre Gesundheit täglich . .
N eufanq-ftlahbiec
Prof, Dr. Nölting f. Im Alter von 60 Jahren
verstarb an Herzschlag Prof. Dr. Nölting. Vie
len Gewerkschaftlern ist er besonders bekam*
durch seine Tätigkeit an der Akademie in Frank
furt: deren Leiter er in den zwanziger Jahren
gewesen ist, Er hat sich auch auf anderen Ge
bieten als Mitglied der Gewerkschaft und in
den letzten Jahren als Mitglied des DGB blei
bende Verrdienste erworben. Von 1946 bis 1950
war Prof. Nölting Wirtsehaftsminister in Nord
rhein-Westfalen.
6 050 000 Organteierte im DGB. Die Mit
gliedsziffer im DGB ist im 1. Quartal 1953
weiterhin leichtf angestiegen. Die dem Deut
schen Gewerkschaftsbund an^eschlossenen 16
Gewerkschaften hatten am 31. März ds. Ja,
zusammen einen Mitgliederstand von 050 829
gen 6 047 387 am 31. Dezember 1952. Von den
6 050 829 Organisierten entfallen 5 017 511 auf
Arbeiter, 643 496 auf Angestellte und 389 822
auf Beamte. Der Mitgliederzuwachs im letzten
Quarta geht ausschießich zugunsten der Be
amten.
Herausgeber: Hauptverwaltung der Einheitsgewerk
schaft Saarbrücken S, Braue rstraße 6— t!, Telefon
IW 33-35. Verantwortlich für den Genamtlnbaltt
Richard Rauen; Druck; Druckerei Saar-Zeitung,
Dr. Nikolaus Kontalne, Saarlouls, Elnzelverkanfs-
prels der „Arbeit“ 20— ffrs. (Erscheint regel
mäßig monatlich!.
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