Saarbrücken
8, Jahrgang
August 1953
Nummer 10
ORGAN OER EINREITSGEHIERHSIHRETEN DER ARBEITER, RNGEGTELLTEN UNO REflfRTEN
Schumanplan«. Gewerkschaft
Es wird heute viel über die Frage
diskutiert. Bringt der Schumanplan
Vorteile oder Nachteile für die Ar
beitnehmerschaft? Diese Frage ist zur
Stunde in Bezug auf eine allgemeine
Gültigkeit sehr schwer zu beantwor
ten. Zunächst muß man wissen, daß
der Schumanplan eine Anlauzeit von
5 Jahren hat, ferner daß während
dieser Zeit die Artikel und Paragra
phen des Planes abgeändert werden
können, sobald sich herausgestellt,
daß sie praktisch nicht durchführbra
sind. Und an sich stellt der Schuman
plan etwas ganz Neues dar. Es gab
noch keinen Vorläufer auch nur ähn
licher Art.
Bis jetzt gehören 6 Staaten dieser
Gemeinschaft für Kohle und Stahl,
wie sie sich nennt, an. Diese 6 Staaten
sind mit der Sehuinanplanleitung
durch je einen Vertreter der Regie
rung verbunden. Dieses Gremium
nennt sich Ministerrat. Dieser Mini
ster rat hat sehr weitgehende Befug
nisse. kann aber von sich aus noch
lange nicht alle Fragen entscheiden.
Als zweites Organ kann man sagen
besteht die Hohe Behörde. Dieses Gre
mium hat 9 Mitglieder. Davon müssen
2 Deutsche sein, 2 Franzosen, 2 Ita
liener, 1 Belgier, 1 Holländer und ei
ner, der von den Gewerkschaften be
nannt wird. Dies ist im Augenblick
jiy; ; J^&lgiscke Gewerkschaftsfunktio
när Finet. Diese Hohe Behörde hat
neben sich eine Körperschaft, die sich
die Versammlung der Gemeinschaft
nennt. Sie besteht aus 78 Vertretern,
und zwar 18 Deutsche, 18 Franzosen,
18 Italiener, 10 Belgier, 10 Holländer
und 4 Luxemburger. Diese Versamm
lung kontrolliert die Tätigkeit der
Hohen Behörde und hat das Recht,
derselben ihr Mißtrauen auszuspre
chen, kann also die Hohe Behörde
auflösen. Die Versammlung wacht auch
darüber, wie die eingehennden Gelder
durch die Hohe Behörde verwandt wer
den. Sie jetzt den Etat fest und über
wacht denselben. Ferner gibt die Ver
sammlung auch der Hohen Behörde
Richtlinien über die zu treffenden
Maßnahmen.
Neben der Hohen Behörde steht
nnoch der beratende Ausschuß. Die
ser hat die Aufgabe, die Anordnun
gen, die die Hohe Behörde erläßt, zu
beraten. Er kann der Hohen Behörde
seine Meinung über die Anordnungen
die die Hohe Behörde zu Schaffung
des gemeinsamen Marktes für Kohle
und Stahl trifft, zur Kenntnis bringen.
Er setzt sich zusammen aus 17 Erzeu
gern. 17 Verbrauchern und 17 Vertre
tern der Arbeitnehmer. Von den Ar
beitnehmern enfallen 12 Mitglieder
auf die dem Internationalen Bund
freier Gewerkschaften angeschlosse-
nen Gewerkschaften und 5 Vertreter
auf die Christlichen Gewerkschaften.
Diese sind wieder aufgeteilt nach den
Ländern, und zwar 5 deutsche Arbeitneh
mer ,4 Franzosen, 3 Belgier, 2 Italiener,
2 Holländer und ein Luxemburger. Der
schuß tritt nach Bedarf zusammen, im
Durchschnitt in 2 Monaten einmal.
Frankreich hat, weil das Saargebiet ihm
wirtschaftlich angeschlossen ist, dem
Saarland 3 Vertreter in der Schuman-
planv er Sammlung und 3 Vertreter in dem
beratenden Ausschuß zugestanden.
Wenn man so die Zusammensetzung
der Organe der Gemeinschaft für Kohle
jmd Stahl überblickt, sieht man, daß
es absolut demokratisch zugeht. Die Re
gierungen gehen hervor aus den Wahlen
den Parlamenten, sind also demokra
tische Institutionen. 1 Die zur Versamm
lung der Gemeinschaft entsandten Ver
treter müssen den verschiedenen Lan
desparlamenten angehören. Die Mitglie
der der Hohen Behörde werden wieder
von den Regierungen vorgeschlagen, also
bleibt der Bevölkerung eines jeden Lan
des Einfluß auf die Personen, die in
dieser wichtigen Vereinigung die ein
zelnen Staaten vertreten.
Was für uns im Moment als Arbeit
nehmer etwas bitter bei dieser Sache
ist, liegt darin begründet, daß die jetzt
sich im Amt befindlichen Regierungen
der Mitgliedsstaaten nicht Arbeiterre
gierungen sind, wie wir sie uns wünschen.
Man hat wohl, Rücksicht nehmend auf die
Parlamentszusammensetzung, zur bera
tenden Versammlung Abgeordnete ge
sandt, die als Vertreter der Arbeitneh
mer gelten. Aber da die Parlamente in
den Ländern, die der Gemeinschaft an
hören, nicht Arbeitnehmermehrheit auf
weisen, sondern die rechts gerichteten
Gruppen die Mehrheit ausmachen, sind
auch wir dort nicht so vertreten, wie wir
das wünschen. So kann man mit ruhi
gem Gewissen sagen, daß leider wir Ar
beitnehmer in allen Institutionen der
Montanunion eben durch die Verhält
nisse in der Minderheit sind. Von die
sem Gesichtspunkt aus, müßten wir ei
gentlich die Gemeinschaft ablehnen.
Aber welches sind auch die uns ange
nehmen Erscheinungen dieser Vereini
gung? Zunächst gibt es einmal zwischen
diesen Ländern keine Zollgrenzen mehr
für Kohle, Stahl und Schrott, d. h. die
mächtigen Erzlager von Frankreich sind
für Deutschland wie für Italien und die
anderen Mitgliedsstaaten genau so zu-
glich wie für Frankreich selbst. Ge
nau so steht es auch mit der Ruhr
kohle. Sie kann zu demselben Preis, wie
diese in Deutschland verkauft wird, auch
von den anderen Staaten bezogen werden.
Für Eisen, Stahl und Schrott gilt das
selbe. Ferner können die Fertigerzeug
nisse der Hüttenwerke in alle Länder
abgesetzt werden, ohne daß sich eine
Regierung oder sonst irgend jemand da
gegen wenden könnte. Durch die Grün
dung der Gemeinschaft hat einmal theo
retisch gesehen der Kampf um die rei
chen Eisenerzlager in Elsaß-Lothringen,'
zwischen Deutschland und Frankreich auf
gehört, ebenso das Bestreben Frankreich
mit Machtmitteln in den Besitz der Ruhr
kohle zu kommen. Man hat durch den
Vertrag erreicht, daß die Rohrstoffe, die
zur Herstellung von Eisen und Stahl die
nen, in allen Ländern zu den gleichen
Bedingungen gekauft werden können. Man
hat dadurch eine Wirtschaftsunion ge
schaffen, der zunächst 150 Millionen
Menschen angehören. Diese Union hat
im Jahre 1952 138 Millionen Tonnen
Kohle gefördert und 42 Millionen Ton
nen Stahl erzeugt.
Durch diese Tatsache hat man sehr
wahrscheinlich die Wirtschaftsrivalität
zwischen Deutschland und Frankreich
weitgehend ausgeschaltet, denn die Kriege,
die bisher zwischen diesen beiden Völ
kern geführt wurden, gingen um den
Besitz dur Rohstoffe.
Wenn die Gewerkschaften im Augen
blick noch vieles an der Gemeinschaft
für Kohle und Stahl auszusetzen haben,
so haben wir doch die feste Hoffnung,
daß im Laufe der Jahre Wandlungen
vollzogen werden, die im Sinne unserer
Wünsche liegen. Genau so gut wie jetzt
Parlamentsmehrheiten vorhanden sind, die
die Idee des Privatbesitzes an den Pro
duktionsmittel bejahen, so können spä
ter durch Mehrheiten, die die Wirtschaft
nach anderen Gesichtspunkten beeinflus
sen, wir immer mehr zu unserem Recht
kommen.'
Das große Geschrei der Kommunisten}
die Gewerkschaften sollen nicht mitwirl
ken, ist Unsinn. Wir Gewerkschaften ver
suchen, in alle Wirtschaftsinstitutionen
einzudringen. Die Forderung der Betriebs
ratsvertretung im Aufsichtsrats, liegt auf
derselben Linie, und wenn uns bei der
Scliumanplanbehörde auch noch in be
schränktem Ausmaß eine Mitwirkung
möglich ist, so betrachten wir dies als
'Anfang. 1 Wir werden darum kämpfen
müssen, daß unser Einfluß steigt.
(Fortsetzung Seit« 2)
iiiiiitiiiiiiiiiiiitimiiiiiuiiimitiiiiiimiimiiiiiiiiiiiiiiiiHtHiHiMMiiiimiittiiiiiutiuiiiiiiiiiHi
AUS IDEM KNMAlLTt
Große Aufgaben der Arbeitspolkik
Aus den Verbänden
Rahmentarifvertrag für die Tabak-
Industrie
Ausgleich von Härten bei Steuern
Der Theaterspielplan für 1953-54
Zur Diskussion gestellt
Lehrgänge
IIIIMUMUlimifiHllllllllllKHBlUIlSllllllllllllllllllflllllllltlllllllllllllllllllRIIIIIIIIIllllllllllldllll
Freiheil und soziale Gerechtigkeit
Die umfangreichen Arbeiten des 3. Weltkongresses des 1BFG in Stockholm sind von nach
haltiger Wirkung. Ueber wesentliche Punkte wurde in der „Arbeit“ näher berichtet. En
Punkt verdient noch besondere Hervorhebung. In Ansprachen und Resolutionen setzte man
sich mit äußerstem Nachdruck für die Freiheit dea Individiums ein, dieser ersten Vorbedin
gung für den wahren menschlichen Fortschritt. Dabei wurden offen die Zustände gebrand
markt, wo immer sie im argen liegen. Der Vorsitzende des DGB, Walter Preitag, sprach vor
dem Kongreß unter großem Beife’I über Freiheit und soziale Gerechtigkeit, wobei er folgen
des zum Ausdruck brachtet
„Freiheit in der Welt“, das ist die Forde
rung, die heute von den Gewerkschaften heraus
gestellt wird. Wir hoffen, daß es uns gelingt,
in der Zukunft den Frieden zu erhalten. Ist es
nicht ein Wahnsinn, daß ein Menschenge
schlecht, welches unter zwei Kriegen zu leiden
hatte, überhaupt noch kriegerische Gedanken
im Sinn haben kann? Wäre es nicht viel mehr
an der Zeit, daran zu denken, daß es anderes
zu tun gibt, als Kriege zu führen? Wir haben
in den letzten Wochen und Monaten bei uns in
Deutschland von Tag zu Tag gehört, wie sich
Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone
in Bewegung gesetzt haben; wie sie das, was
sie von ihren Eltern ererbt haben, verließen, wie
sie nach dem Westen wanderten, um Freiheit
zu erlangen. Wir haben uns hier über die Vor
gänge unterhalten, die sich in Ost-Berlin und
der. Sowjetzone abgespielt haben. Wir haben
gehört, daß sich die Ostberliner Arbeiterschaft
zur Wehr setzte, daß sie bereit [st, für ihre
Freiheit und für soziale Gerechtigkeit zu kämp
fen. Die Machthaber in der Sowjetzone versu
chen, ihnen die Löhne zu kürzen, ihnen die
Lebensahltung zu verschlechtern. Aber die Arbei
ter sind nicht gewillt, das länger hinzunehmen
Trotz Drohungen und großer Schwierigkeiten
setzten eie sich zur Wehr. Sie machen es an
ders als das Bürgertum, das in den letzten Wo-
chean und Monaten bei Nacht und Nebel nach
dem Westen floh. Wären in Ostberlin und der
Ostzone nicht die Panzer gewesen, der Spuk
der dort regierenden Machthaber wäre nicht in
einer Stunde, sondern in wenigen Minuten be
seitigt worden.
Ein Vok, das seine Freiheit will, ist bereit,
für sie sein Leben einzusetzen und erringt diese
Freiheit auch gegen Gewaltanwendung. Es ist zu
Auseinandersetzungen gekommen, es ist dabei
Blut geflossen; doch das Blut, das der Frei
heit gewidmet ist, wird einmal seine Früchte
tragen. Aus den Vorgängen, die sich Ln Berlin
abgespielt haben, ist eine Bewegung entstanden,
die weit über Berlin und über die deutschen
Grenzen hinausgeht. Aus allen Satellitenstaa
ten treffen Meldungen ein., daß sich die Ar
beiter zur Wehir setzen, daß sie für die Frei
heit kämpfen,, um den Frieden zu erringen. So
sind wir der Auffassung, daß wir die Bemühun
gen dieser Arbeitnehmerschaft anerkennen und
unterstützen müssen. Der Deutsche Gewcrk-
schaftsbund wird alles tun, um Ln den West
zonen diejenigen zu stärken, die bereit sind, für
ihre Freiheit zu kämpfen. Ich weiß, daß d-e
Arbeiter in allen Ländern hinter dem Eisern :n
Vorhang damit rechnen können, daß sie die l n-
terstützung des IBFG für die Zukunft erhalten
werden. Es ist heute die Aufgabe der Gewerk
schaften, die Kämpfenden zu stützen, damit ihr
Wollen zum Erfolg gelangt, damit die Forde
rungen des 17, Juni vom Sieg gekrönt werden.
Letzten Endes ist der Sinn des Bemühens:
Der Friede in Europa und die Freiheit des
arbeitenden Volkes.“
Warum höherer Effektivlohn?
Im Rahmen ihrer Aufgaben hat die Ar
beitskammer wiederholt umfangreiches Ma
terial herausgegeben, das neben anderen
Feststellungen eine feste Beweisgrundlage
für die Forderung auf Erhöhung der Löhne
und Gehälter ist. Eine der letzten Veröf
fentlichungen, die gleichfalls eine wesent
liche Unterstützung unserer Forderungen
darstellt, besagt u. a.:
Ganz von selbst wird sich auf Arbeit
geberseite bei dieser lohnpolitischen Be
trachtung der Einwand einstellen, daß
der Tariflohn mehr theoretischen Dis
kussionswert besitze, da ihm gegenüber
der reale“ Effektivlohn mit etwas an
deren Zahlenwerten stehe. Dazu folgen
des: Der Tariflohn ist für den Vergleich
Lohn-Lebenshaltungskosten die einzig ge
gebene sachlich unbestrittene Vergleichs-
grundlage. Die Leistungs- und Zeitnorm
für den Arbeitnehmer in unserer heu
tigen Wirtschaft ist der Achstundentag,
dem ein auf dieser Basis angenommener
bzw. errechneter Lebenshaltungskosten-
durchschnitt gegenübergestellt wird.
Wichtig bleibt hierbei die Feststellung,
daß der normale Tariflohn weithin noch
nicht den allgemeinen Lebensstandard ga
rantieren kann, d. h. daß der angenom
mene Lebenshaltungskostendurchschnitt
mittels des Tariflohnes in vielen Grup
pen nicht oder noch nicht ganz erreicht
wird. Wenn nun der Effektivlohn diese
an sich für den Tariflohn geltende Le
bensnorm erst sicherstellen muß, so liegt
hier zweifellos eine ungesunde Diskre
panz Lohn-Lebenshaltungskosten vor, die
einmal beseitigt werden muß. Der Effek
tivlohn, solange er kein Tariflohn ist,
d. h. solange er sich nicht mit dem Ta
riflohn deckt, 1 ist und bleibt eine
Ausnahmeerscheinung. Rein theoretisch
vermag er nämlich genau so unter wie
über aem Tariflohn zu liegen (so z. B.
bei wirtschaftlichen Hochkonjunkturen,
und Ueberstundenarbeit wie auch bei
Wirtschaftsdepressionen und Kurzarbeit.
Wenn wir heute in einer —; zunächst
dem Ende sich zuneigenden — Wirt
schaftskonjunktur leben, warum soll dann
die konjunkturbedingt sich anbietende
Ueberstundenarbeit dem Arbeitnehmer
nicht in Form steigender Effektivlöhne
zugute kommen. Oder soll sie statt na
türlicherweise lohnsteigernd zu wirken,
ausschließlich den Unternehmergewinn
befruchten und steigern? Leistet der Ar
beitnehmer doch für den höheren Effek
tivlohn eine ebenso zeitlich wie lei
stungsmäßig ungewöhnliche Mehrarbeit,'
die ihm durch steigenden Effektivlolin
abgegolten werden muß, wenn schon
nicht der Tariflohn angemessen erhöht
wird, wie es gerecht wäre. Für die Lohn
en twicklung aber als Vergleichsmoment
allein das Verhältnis Lohn-Lebenshal
tungskosten anzulegen, wäre mehr als
verfehlt, es wäre unsozial, ungerecht und
unwirtschaftlich. Denn der angestiegene
Effektivlohn ist konjunkturbedingt und
ist deshalb als nichts anders als ein
„arbeitnehmerischer Konjunkturgewinn“
anzusehen, auf den der Arbeitnehmer
schon durch seine Mehrleistung allein
einen unbezweifelbaren Anspruch hat}
genau so wie der Arbeitgeber auf sei*
nen Konjunkturgewinn in Form von Uni
ternehmergewinnen auf Grund von steil
gendem betrieblichen Ertrag. Dient in'
einem Falle der größere Betriebsgewinri
zur betrieblichen Reservenbildung oder
zu betrieblichen Neuinvestierungen, so bei
deutet der konjunkturbedingt gestiegene
Effektivlohn weitgehendst eine SparanSj
läge, also eine persönliche finanzielle!
Reservenbildung, die offensichtlich denj
Charakter eines persönlichen und famir
lären Krisenschutzes besitzt. Zum ande
ren aber ist der leistungsbedingt ge
stiegene Effektivlohn dazu da, den An
teil des Arbeitnehmers an der volks
wirtschaftlichen und betrieblichen Er
tragssteigerung auch in eine persönliche
Kaufkraftsteigerung umzusetzen;