Saarbrücken
8. lahrgang
Juni 1953
Nummer 8
BREUN GER EINHElTSGEHIEHHStHRFTEN DER RRBE1TEH. ANGESTELLTEN UND BERUHEN
—— 9
Probleme der europäischen Wirtschaft
.Wirtschaftlicher Überblick über Europa seit dem Kriege' - Bericht der UN-Wirtschaftskommission
Der „Wirtschaftliche Ueberblick über
Europa seit dem Kriege“ ist wahrschein
lich der kühnste und aufschlußreichste
Wirtschaftsbericht, der jemals von einer
Organisation der Vereinten Nationen ver
öffentlicht wurde. Er enthält einige be
deutende und interessante Schlußfolge
rungen und Empfehlungen, die hier kurz
zusammengefaßt werden sollen.
Der Ueberblick zeigt, daß das Indu
striepotential Europas im ganzen durch
den Krieg verhältnismäßig wenig ange
schlagen wurde und in einigen Indu
strien und Ländern noch gestiegen ist.
Aber wenn das Industriepotential auch
ziemlich standgehalten hat, so verschlech
terte sich die westeuropäische Außen
handelsposition doch in zweifacher Hin
sicht: erstens minderte der Krieg Europas
Verdienstmöglichkeiten im Ausland durch
die Verluste von Einkünften aus auslän
dischen Investierungen, durch Einbuße
in der Schiffahrt und anderen „Dienst
leistungen“ und er zwang bestimmte Län
der zur Aufnahme großer Auslandsschul
den. Anderseits wurde Europa mehr denn
je in der Nahrungsmittelversorgung und
im Rohstoffbezug von den Dollarländern
abhängig, während es gleichzeitig im
mer größere Schwierigkeiten hatte, sich
Dollars zu beschaffen.
Die ersten sechs Nachkriegsjahre wah
ren eine Zeit ständiger Produktionsstei
gerung. Der Ueberblick vertritt die Auf
fassung, daß zu dieser Expansion posi
tive Regierungsmaßnahmen weniger bei
getragen hätten, als damals geglaubt
worden sei. Konzentrierte Nachfrage, als
Folge der vorangegangenen Warenknapp
heit hatte bis 1949 die wirtschaftliche
Aktivität entscheidend vorangetrieben.
Geldabwertungen Ende 1949, der Korea-
Boom im Jahre 1950 und schließlich
die sich mehrenden Ausgaben für mi
litärische Zwecke im Jahre 1951 gaben
dieser Aktivität neue Anstöße. Der Ueber
blick bezeichnet die gegenwärtige Situa
tion als „höchst ungewöhnlich; eine Pe
riode relativen Stillstandes mit gleich
zeitig sich ständig erhöhenden Aufrü
stungsausgaben und einem anhaltenden
Boom in den Vereinigten Staaten.“
Westeuropa hat gegenüber der rest
lichen Welt oder den Dollarländern au
genblicklich keine Unterbilanz. Die Si
tuation ist jedoch außerordentlich un
beständig. Die Zahlungsbilanz konnte bei
einem niedrigen Handelsvolumen ausge
glichen werden, was sich mit einem hö
heren Grad wirtschaftlicher Aktivität
nicht vereinbaren ließe. Dieses Gleich
gewicht konnte vornehmlich durch vor-
Starke Erregung der Arbeitnehmer
im Öffentlichen Dienst
Auch wer dem Oeffentliehen Dienst
nicht angehört, ist in diesen Tagen durch
Pressemeldungen, Rundfunknachrichten,
Flugblätter und öffentliche Kundgebun
gen darauf aufmerksam gemacht wor
den, daß hier etwas nicht in Ordnung
Es läßt sich nicht leugnen, daß der
Ocffentliche Dienst seit Jahren hinsicht
lich seiner Bezüge schlechtergestellt ist
als andere Berufsgruppen. Auch die
Kaufkraftvergleiche mit dem Jahr 1938
geben ein sehr düsteres Bild. Nun war
cs den Gewerkschaften vor über einem
Jahr gelungen, gemeinsam mit den Re
gierungsvertretern auf halbem Wege eine
Lösung zu finden. In der Zwischenzeit
war aber auf Grund des Experiments
Pinay ein allgemeiner Lohn- und Ge-
baltsstop eingetreten. Regierung und
Landtag lehnten es daher ab, die ver
einbarte Regelung in Kraft zu setzen.
Durch die Veröffentlichungen des Sta
tistischen Amtes wissen wir, daß die
Preise auch durch das Experiment Pinay
in ihrer Tendenz nicht aufgehalten wer
den konnten. Zwischen September 1951
und Dezember 1952 erhöhten sich die
Stand vom 10. 9. 1951 herstellt, nun
mehr umgehend in Kraft gesetzt wird.
Die Anwesenden lassen keinen
Zweifel darüber aufkommen, daß es
bei dieser Sofort-Aktion nicht bleiben
darf, sondern daß darüber hinaus
eine weitere Anpassung der Gehälter
und Löhne im Oeffentlichen Dienst an
die gegenwärtigen Lebensaltungskosten
notwendig ist.
3. Sie weisen erneut darauf hin, daß
die Verfassung des Saarlandes auch
die Tarifvertragsfreiheit und das Mit
bestimmungsrecht der Betriebsräte im
Oeffentlichen Dienst garantiert und er
warten eine baldige gesetzliche Re-
gelung.
4. Weiterhin erachten sie die bal
dige Aufnahme von Verhandlungen der
Regierung mit den Berufsverbänden
(Fortsetzung Seite 2)
übergehende Dollarzahlungen erreicht
werden, wie zum Beispiel durch off-
shore Rüstungsaufträge der Vereinigten
Staaten und amerikanischen Zuschuß für
die europäische Rüstung. Eine grund
sätzliche Unausgeglichenheit bleibt aller
dings weiterhin bestehen. Westeuropa
muß entweder Mittel und Wege finden,
jährlich 4000 Millionen Dollar mehr ein
zunehmen oder auf Importe verzichten,
die für die europäische Industrieproduk
tion und den Wohlstand Europas lebens
notwendig sind.'
Der Bericht verzeichnet eine bemer
kenswerte Erscheinung der europäischen
Nachkriegsentwicklung: ;.Im allgemeinen
sind die reicheren und industriell ent
wickelteren Länder verhältnismäßig
schnell zu einem noch höheren Niveau
wirtschaftlichen Wohlstandes und indu
strieller Entwicklung vorgestoßen, wäh
rend die ärmeren und weniger entwik-
kelten Länder (Süd- und Südosteuropa)
verhältnismäßig stagnieren.“
Die Richtungen, in denen sich der Aus
bau der westeuropäischen Wirtschaft voll
zogen hat, werden im Ueberblick eini
ger Kritik unterzogen. So haben zum Bei
spiel die Textilindustrien, bei denen es
auf die Dauer doch zu Schrumpfungen
kommen wird, zu große Investitionen er
halten, während die Entwicklung be
stimmter Grundindustrien, wie Kohle,
Stahl und Maschinenbau zu langsam vor
angegangen ist und die Erzeugung neuer
Waren phantasielos und wenig aktiv be
trieben wurde, Im allgemeinen ist viel
zu wenig unternommen worden, um Gel
der den geeigneten Industrien zuzufüh
ren.
Dies sind unter anderem die entschei
denden Gründe für die „Unzulänglich
keit der strukturellen Wiederanpassung“,
durch die es trotz des allgemeinen Wie
derauflebens der nationalen Produktion
zur Handels- und finanziellen Gleichge
wichtsstörung Westeuropas gekommen ist.
Die Beschlüsse zur Ueberwindung der
gegenwärtigen Stockung müßten von fol
genden drei Gesichtspunkten ausgehen:
1. muß zur Beseitigung von Handelsdefi
ziten jede Regierung Zukunftsprogramme
den Plänen anderer Regierungen anpas
sen; 2. können die Wiederanpassungen
bedeutende Verschiebungen innerhalb des
gegenwärtigen Produktions- und Besehäf-
(Fortsetzung auf Seite 3)
Saarländische Arbeitnehmervertreter
in die Aufsichtsräte der Sequesterbetriebe!
Gesamtlebenshaltungskosten weiter um
12,2 o/o, di c Ausgaben für Ernährung so
gar um 16,5 o/o. In Eingaben, Bespre
chungen usw. wiesen die Gewerkschaften
dos Oeffentlichen. Dienstes auf die un
haltbaren Zustände hin und forderten
von Regierung und Landtag baldige Ab
hilfe. Das Resultat war absolut unbe
friedigend.
Line am 2. 6. 1953 in Saarbrücken
tagende Vorständekonferenz der vier Ver
bände des Oeffentlichen Dienstes der
Einheitsgewerkschaft beschloß als erste
Maßnahme die Abhaltung von Bezirks-
konferenzen, die am 10. und 11. Juni
Uo3 durchgeführt wurden. Die Tagungen
waren sehr stark besucht und gaben ge
genüber Regierung und Landtag den Be-
weis dafür ab, daß die Geduld der
oitentliehen Bediensteten sich dem Ende
nähert. Nachstehende Entschließung
wurde auf allen Konferenzen einstim-
nug angenommen:
Resolution.
Die Versammelten geben gegenüber
Landtag und Regierung ihren Willen
wie folgt kund:
1. Sie sind damit einverstanden, daß
zur Abwendung der größten Notlage
Oeffentlichen Dienst die bereits im
I'ebruar-März 1952 vereinbart Rege
lung für die Arbeiter. Angestellten und
Beamten, welche die Kaufkraft mit
Eingabe der Einheitsgewerkschaft an den französischen Botschafter
Sehr geehrter Herr Botschafter!
Bereits im Jahre 1949 sind wir in der o. a. Angelegenheit an das damalige
Hohe Kommissariat herangetreten und haben auf den untragbaren Zustand
hingewiesen, daß die Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der se
questrierten Betriebe nicht durch Vertreter saarländischer Gewerkschaften bzw.
der Betriebe selbst wahrgenommen wird, sondern durch Funktionäre französischer
Gewerkschaften. Wir möchten ausdrücklich betonen, daß gegen diese Personen
selbst von unserer Seite absolut keine Bedenken bestehen, daß aber u. E. aus
grundsätzlichen Erwägungen heraus die Arbeitnehmervertretung in den Auf
sichtsräten auch von den Kreisen entsandt werden müßte, die ihre Arbeits
kraft den Betrieben zur Verfügung stellen, d. h. also, daß eine Arbeitnehmer
vertretung im Aufsichtsrat nur dann diesen Namen verdienen kann, wenn sie eben
aus den Kreisen der Arbeitnehmer dieser Betriebe hervorgegangen ist.
Wir dürfen darauf hinweisen, daß eine Reihe saarländischer Großbetriebe wie
die Dillinger Hütte, die VSE und die Saarferngas den Bestimmungen der Be
triebsräteverordnung vom 1. August 1947, wonach die Betriebsräte in den Auf
sichtsräten vertreten sein müssen, längst nachgekommen sind und glauben, daß
es dem ganzen Zuge der Entwicklung nicht mehr entspricht, die unter fran
zösischer Sequesterverwaltung stehenden Betriebe von diesen gesetzlichen Be
stimmungen noch weiterhin auszunehmen. Letzten Endes dürfte doch nicht
die Frage der Eigentumsverhältnisse in den Betrieben für die Vertretung der
Belegschaften in den Aufsichtsräten maßgebend sein, sondern der Grundsatz
müßte ausnahmslos eingehalten werden, daß eben in allen Betrieben, in denen
Aufsichtsräte bestehen, auch die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vertreten sind.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Botschafter, Ihren Einfluß in dieser Ange
legenheit in unserem Sinne zu verwenden und gestatten uns den Ausdruck unserer
vorzüglichen Hochachtung.
Einheitsgewerkschaft der Arbeiter, Angestellten und Beamten:
— Hauptverwaltung — gez. Rauch.
Wo bleibt das
Betriebsrätegesetz?
Diese fordernde Frage erheben nun die Ar
beitnehmer an der Saar 6chon seit Jahren, doch
sind sie bis heute ohne bindende Antwort ge
blieben. Zwar hat man bei allen Anlässen dem
schaffenden Menschen an der Saar bestätigt, sei
nem nie erlahmenden Fleiß und seiner fachli
chen Tüchtigkeit sei der Wiederaufbau und das
Aufblühen der durch den Krieg so schwer ge
troffenen Saarwirtschaft zu danken, man hat
ihm auch zugesichert, daß ihm „Der Dank des
Vaterlandes“ den gebührenden Platz in der Mit
bestimmung der Wirtschaft einräumen werde,
aher alle diese hochdotierten Wechsel hat m\n
von Landtagsse&sion zu Landtagssession prolon
giert und bis heute noch nicht eingelöst, obwohl
sie doch von Persönlichkeiten ausgestellt wur
den, deren Solvenz keine Zweifel gestatten sollte.
Ist es nicht verwunderlich, es sei denn, man
hat das Wundem längst verlernt, daß man hin
ter verschlossenen Türen zurückhält, was man
in der Oeffentlichkeit in lauten Tönen fordert.
Die Besetzung des Aufsichtsrates zu einem
Drittel durch Betriebsräte, soll nun die letzte,
schier unüberwindliche Schwierigkeit sein, die
einen ernstlichen Konflikt mit den Vorschriften
des Aktiengesetzes heraufbeschwören könnte.
Wir entsinnen uns, daß anfangs — so wurde
argumentiert — die Mitbestimmung mit den
Grundbegriffen des Eigentums in Widerspruch
stand, als ob gewisse Rechtsbegriffe, soweit man
ihnen überhaupt diese hemmende Wirkung zu
sohreiben will, sich nicht häufig schon unter
den geschichtlichen Notwendigkeiten gewandelt
hätten und heute noch in steter Wandlung
begriffen seienl
Nun gut, mögen gewisse objektive Schwierig
keiten am Anfang bestanden haben, so dürfte et
doch einem Landtag, der über Nacht Gesetze
von schwerwiegender Bedeutung und nicht un
bedenklichen Auswirkungen aus der Taufe ge
hoben hat, nicht unmöglich gewesen sein, in
drei langen Jahren die Voraussetzungen für die
Geburt des Retriebsrätegesetzes zu schaffen..
Wenn es der Befriedigung fiskalischer Bedürf
nisse galt, war man eigentlich weniger zaghaft,
es fand sich auch schon eine Mehrheit, wenn
die Belange der Saarwirtschaft — sprich des
Unternehmertums — zur Debatte standen, und
hier, wo es um die Verwirklichung allseits aner
kannter Grundrechte des Arbeitnehmers geht,
der gleichen Arbeitnehmer, die doch durch die
Zahl ihrer abgegebenen Stimmen letzten Endes
joden Landtag tragen, sollen die Hemmungen r.o
unüberwindlich groß sein!
In wieviel Landtagsperioden sollte das Be
triebsrätegesetz nicht ßchon verabschiedet wer
den? Wir befürchten, auch die Frühjahrsseseion
1953 wird vorüber gehen, ohne daß es.die Ak
tenböcke des Landtags verläßt, obwohl es d jeh
schon einmal in zweiter Lesung stand,
Das war allerdings vor den Wahlen!
Auch der neue Landtag fand wieder den
Schwung (?) zur ersten Lesung, zur zweiten Le
sung, geschweige zur endgültigen Verabschie
dung will und will nun das Betriebsrätegesetz
nicht über die Bühne gehen.
Wir können uns des Eindrucks nicht erweh
ren, daß der Einfluß des Unternehmertums im
Landtag stark genug ist, die Verabschiedung
eines für die Arbeitnehmerschaft, das heißt also
der Mehrheit des Saarvolkes, akzeptablen Be
triebsrätegesetzes zu verhindern,
Man will wohl dieses so wichtige Gesetz sj
lange auf Eis legen, bis man hoffen kann, daß
sich die Arbeiterschaft, des allzu langen War
tens müde, auch mit einem billigen Surrogat
zufrieden geben wird, das man heute noch nicht
als Mehrheitsbeschluß des Landtages der Oef-
fentlichkeit anzubieten wagt.
Die Einheitsgewerkschaft erklärt hier unmiß
verständlich, daß sie nicht daran denkt, diesem
infamen. Spiel der Verschleppung noch weiterhin
zuzusehen.
Wenn wir die Mitbestimmung bzw. die Mit
wirkung bei Einstellungen und Entlassungen, bei
Aenderungen der Betriebsstruktur oder des Be
triebszweckes, soweit hierdurch das Arbeitsver-
haltnis der Arbeitnehmer beeinträchtigt wird,
verlangen, wenn wir fordern, daß der Betriebs
rat bei den Einstufungen der Arbeiter und An
gestellten mitzuwirken hat, daß er die sozialen
Einrichtungen des Betriebes mit verwaltet, und
mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsmitglie
der aus den Betriebsräten hervorgehen müssen,
bo handelt es sich hierbei nicht um einen unge
rechtfertigten Geltungstrieb, sondern um Grund
forderungen, die erfüllt sein müssen, wenn der
Betriebsrat überhaupt im Interesse der Beleg
schaft wirken soll.
Wir wissen nur zu genau, daß diese berechn
tagten Forderungen es sind, an denen dis Verab
schiedung des Betriebsrätengesetzes bisher ge-
ucheitert ist, doch fordern wir die Parteien auf,
jetzt endlich im Landtag Farbe zu bekennen
und offen zu gestehen, wer sich zu den Forde
rungen der Arbeitnehmerschaft stellt und we#
dagegen ist. Jedenfalls sind der Worte nun geil
nug gewechselt, und man wird es der Arbeit^
nehmerschaft nicht verdenken können, wenn sifl
endlich Taten sehen will!