Full text: 8.1953 (0008)

Saarbrücken 
& Jahrgang 
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I 
ORGAN OER EINAEITSGEIDERHSIHAFTEN DER ARBEITER. ANGESTELLTEN UND BEARITEN 
Auf mf tum 1. Hai 1953 
Schaffendes Volk an der Saar, Industriearbeiter, Bauern, Hand- und Geistesarbeiter 
Die Einheitsgewerkschaft der Arbeiter, 
Angestellten und Beamten des Saarlan 
des grüßt Euch alle zum 1. Mai 1953. 
Seit jenem blutigen 1. Mai in Chi- 
kago, als das schaffende Volk zum er 
sten Male den Kampf begann 
für die Menschenrechte, 
für die Befreiung der schaffenden 
Klassen, 
für die Vereinigung der Völker, 
mußte die Arbeiterschaft viele, viele 
Opfer bringen, 
An dem heutigen Tage gedenken wir 
all derer in allen Ländern, welche im 
Kampf für Freiheit, Fortschritt, Völ 
kerverständigung und Frieden sich opfer 
ten. Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor 
diesen Opfern. 
Wir gedenken auch all derer, die in 
Kerkern und Konzentrationslagern der 
Diktatur-Staaten leiden und sterben müs 
sen dafür, daß sie ihren Glauben an 
die Menschlichkeit und ihre Hoffnungen 
auf echte Demokratie, auf wirklichen 
Frieden und wahre Völkerverständigung 
nicht aufgeben. 
Auch derer sei gedacht, die heute noch 
zur Verteidigung der Menschenrechte ihr 
junges Leben lassen müssen. 
Wir vergessen auch nicht die noch 
in Kriegsgefangenschaft befindlichen Kol 
legen un&crei Suarheiniat. 
Wir 'finden uns alle in dem Glauben 
und in der Hoffnung an den Tag, an 
dem doch einmal die Verständigung der 
Völker und der Frieden kommen muß, 
und vereinigen uns in dem Gelöbnis, 
unsere ganze Kraft für diesen Tag der 
Menschlichkeit einzusetzen. 
Nicht zuletzt besinnen wir uns aber 
auch auf unsere eigenen und besonde 
ren Verhältnisse hier im Saarland. 
Dank der Schaffenskraft, dem guten 
Willen und dem vorbildlichen Eifer der 
saarländischen Bevölkerung ist es ge 
lungen, die Saarwirtschaft nach dem to 
talen Zusammenbruch schnell wieder in 
Gang zu bringen. Die Einheitsgewerk 
schaft versäumt nicht, für diese unter 
schwierigen Bedingungen vollzogene Tat 
der Arbeiterschaft erneut ihren Dank 
auszusprechen. 
Von den maßgebenden Stellen jedoch 
erwartet die Arbeiterschaft immer noch 
vergebens die Erfüllung der gegebenen 
Versprechungen. Sic erwartet endlich An 
erkennung für den gezeigten Fleiß, nicht 
allein in Worten, sondern in Taten. 
Niemand wird der Arbeiterschaft die 
Einsicht und die Erkenntnis über die 
gegebenen Notwendigkeiten absprechen 
können, während leider diese Erkenntnis 
oft bei denen fehlt, welche berufen sind, 
entscheidend die Geschicke des Saar 
volkes zu lenken. Wir müssen deshalb 
an diesem Tage demonstrativ unsere 
Stimme erheben und erneut unseren Wil 
len kundtun, unerbittlich im Kampfe um 
die Erfüllung unserer Forderungen vor 
wärts zu schreiten. 
Wir fordern für alle Arbeitnehmer die 
Erhöhung der Löhne und Gehälter als 
Anerkennung für die durch ihre Ar 
beitskraft gestiegene Leistungsfähigkeit 
der Saarwirtschaft. 
\\ ir fordern Gleichberechtigung der 
Arbeit in der Wirtschaft. Jede demo 
kratische Staatsverfassung ist unvollen 
det, wenn im Wirtschaftsraum Ungleich- 
i * ^ ec btes für die Faktoren der 
I roduktion herrscht. Deshalb ist in einer 
wahren Demokratie die Durchdringung 
d< i, \\ irtschaft mit demokratischen Prin 
zipien unerläßlich. Bis heute noch war 
tet die Arbeiterschaft an der Saar ver 
geblich auf ein fortschrittliches Be 
triebsrätegesetz. Wir fordern für * die 
öaarWirtschaft eine moderne Betriebs 
verfassung. 
Wir fordern weiterhin Gleichheit des 
Arbeitsrechts für alle Arbeitnehmer, von 
denen bis heute noch ein beachtlicher 
Teil auf die Anerkennung der Tarifver 
tragsfreiheit wartet. 
Es ist absurd und auf die Dauer nicht 
haltbar, daß die Regierung in ihrer 
Funktion als Arbeitgeber den Gewerk 
schaften als den Vertretern der Arbeit 
nehmer nicht die vollen Rechte als So 
zialpartner zuerkennen will, obwohl glei 
ches Recht für alle Arbeitnehmer als 
Grundrecht in der Verfassung festge 
legt ist. 
Zum wahren demokratischen Leben ge 
hört das Recht der Selbstverwaltung in 
der Sozialversicherung. Die Arbeiterschaft 
erwartet von Regierung und Landtag die 
volle Wiederherstellung des Selbstver- 
waltungsrechtes in der gesamten Sozial 
versicherung. 
Wir fordern Vereinheitlichung der Al 
tersversorgung mit dem Ziel, die Alters 
versorgung auch in der Privatwirtschaft 
der Versorgung im öffentlichen Dienst 
anzugleichen. 
Im Zuge der Sozialgesetzgebung ist der 
Schutz des Arbeitsplatzes unerläßlich. Wir 
fordern deshalb sofortigen Erlaß eines 
Kündigungsschutzgcsetzes, das dem Ar 
beitnehmer, der seine Arbeitskraft ein 
Leben lang für die Interessen des .Un 
ternehmertums hingegeben hat, auch bei 
abnehmender Arbeitskraft gegenüber Ent 
lassungen absoluten Schutz gewährt. 
«* T' 
Zur Erhaltung der Arbeitskraft sind 
gesunde Wohnungen unerläßlich. Wir 
fordern deshalb eine immer stärkere 
Forcierung des sozialen Wohnungsbaues. 
Heute noch und noch auf lange Zeit 
werden die Spuren der letzten Kriegs- 
katastro phe im Saarland zu sehen sein. 
Noch fehlen viele Saarländer, welche in 
Der Internationale Bund Freier Ge 
werkschaften entbietet an diesem 1. 
Mai seinen 54 Millionen Milgliedern in 
72 Ländern und Gebieten aller Erdteile 
brüderliche Grüße der Solidarität. Wir 
gedenken derer, die für Freiheit und 
Fortschritt kämpfen und sich opfern, 
derer, die in den Ländern der Diktato 
ren an militärischen Paraden teilneh 
men müssen, die nichts mit den Frie 
densidealen des 1. Mai gemein haben, 
und wir gedenken vor allem derer, die 
in den Kerkern und Konzentrationsla 
gern der Diktaturen dafür leiden, daß 
sie an ihrem Bekenntnis zu echter De 
mokratie und wirklichem Frieden fest 
gehalten haben. Unsere Gedanken ver 
weilen bei denen, die zur Verteidigung 
der Menschenrechte heute noch auf den 
der Kriegsgefangenschaft der Heimat 
ferngehaltcn werden, noch steht die Ver 
sorgung der Kriegsversehrten und -hin- 
terbliebenen in keinem Verhältnis zu 
den gebrachten Opfern. Wir erwarten, 
daß in der jetzigen Legislaturperiode 
Regierung und Landtag ihr besonderes 
Augenmerk richten auf diese Gruppe 
von Menschen, insbesondere aber auch 
keine Möglichkeit versäumen, auf die 
Stellen einzuwirken, die in der Frage 
der Zurückführung unserer Kriegsgefan 
genen Einfluß haben. 
Mit der gleichen Stärke und Intensität 
wie wir am 1. Mai 11153 unsere Forde 
rungen gegenüber Unternehmertum. Re 
gierung und Landtag erheben, appellie 
ren wir aber auch an die Arbeiter, An 
gestellten und Beamten der Saar: 
Ihr müßt erkennen und aus der Ver 
gangenheit müßte diese Erkenntnis längst 
geboren sein, Euer Schicksal ist das 
gleiche. Es zu Euern Gunsten und so 
mit zu Gunsten des gesamten Saarvolkes 
zu wenden, ist nur möglich, wenn Ihr 
einig seid und Euch in einer machtvol 
len Organisation vereinigt. 
„Schließt die Reihen im Kampf für 
Freiheit und Gerechtigkeit, sozialen Fort 
schritt, Brot und Frieden. Vergeßt auch 
nie, daß unser Ziel erst dann erreicht 
ist, wenn auch die heute noch Unter 
drücktet! wieder fest in unseren Reihen 
stehen können. Laßt uns alle g ; n diesem 
Tage eingedenk sein unserer Verpflich 
tung zur brüderlichen Solidarität. 1 * 
Es lebe die Einheitsgewerkschaft! 
Es lebe das schaffende Volk an der 
Saar! 
Es lebe die internationale Gewerk 
schaftsbewegung! 
Es lebe die brüderliche Solidarität 
der Schaffenden aller Länder! 
Schlachtfeldern Koreas stehen müssen 
und deren Rückkehr zu friedlicher 
Aufbauarbeit wir sehnsüchtig erwar 
ten. 
Der 1. Mai ist der Tag der Besin 
nung. Wir halten an für einen Augen 
blick im harten Getriebe unserer Tage. 
Wir blicken zurück auf das vergangene 
Jahr, was es brachte und was es uns 
versagte. 
Gegen Diktatur und Terror 
Die Menschenrechte werden weiter 
hin mit Füßen getreten. Die Diktato 
ren im Kreml sind besessen von der 
hysterischen Angst all derer, die mit 
brutaler Gewalt ihre Herrschaft aus 
üben. Ihre Unterdrückungsmaßnah- 
(Portsetziing Seite 2) 
miiiiiiiiiiiiiiiifiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiimiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiimiiiiDiimmi 
Öffentliche Kundgebungen am 1. Mai 1953 
Saarbrücken um 10.00 Uhr Landwehrplatz 
Referent: Richard Rauch • Kundgebungsleiter: Klaus Heinz 
Neunkirchen um 10.00 Uhr Unterer Markt 
Referent: Josef Delheid • Kundgebungsleiter: Friedei Bauer 
Homburg um 10.00 Uhr Saalbau 
Referent: Jakob Schäfer * Kundgebungsleiter: Heinrich Simon 
mninnnmuiimiinnmummnmiininiinnmnmmnumiimmninnninnimunnmnim 
Mai-Aufruf 1953 des IßFG 
An die arbeitenden Menschen der ganzen Welt! 
EINIGKEIT 
voe allem! 
Als in der zweiten Hälfte des vori 
gen Jahrhunderts die unterdrückte Ar 
beiterschaft zum ersten Male unter Ge 
fährdung ihres Arbeitsplatzes, ja un 
ter Gefahr für Leib und Leben, ihre 
Forderungen auf Einführung des Acht 
stundentages mit lauter Stimme erhob, 
konnte wohl niemand ahnen, daß die 
ser Tag, wenn auch nach jahrzehnte 
langen schweren Kämpfen, einmal der 
Weltfeiertag der Arbeit werden könn 
te, an dem teilzunehmen keinem Ar 
beitnehmer versagt werden kann. 
Im schnellen Wandel der Zeit wan 
delten sich zwar die Formen der Mai- 
Kundgebungen und der Inhalt einzel 
ner konkreter Forderungen zum 1. 
Mai, aber in seiner Substanz ist er der 
Tag geblieben, an dem sich die Arbei 
terbewegung auf die in ihr wohnende 
Kraft besinnen soll und in machtvol 
lem Bekenntnis das Recht des Arbei 
ters auf ein menschenwürdiges Dasein 
proklamiert. 
Die Besinnung auf das Kräftepoten 
tial, das sich in der Arbeiterbewegung 
( J IE ID IE IR 
trage am 1. Mai die 
| Plakette 
73 
der Einheitsgewerkschaft 
verbirgt, aber noch viel mehr die klare 
Erkenntnis all dessen, was dieses Po 
tential noch an seiner vollen Entfal 
tung hindert, tut uns heute mehr denn 
je not, besonders hier im Saarland, w o 
die Arbeiterbewegung in der jüngsten 
Vergangenheit schwerste Erschütte 
rungen erfahren mußte, nicht zuletzt 
deshalb, weil verblendeter Ehrgeiz ein 
zelner und die Versuche, die Einheits 
gewerkschaft für politische Zwecke zu 
mißbrauchen, in ihrem unseligen Zu 
sammenspiel die natürlichen Grenzen 
mißachteten, die nun einemal einer 
Einheitsgewerkschaft gezogen sind. 
Mit Recht verlangen unsere Satzun 
gen parteipolitische und religiöse Neu 
tralität, 1 also Toleranz vor der politi 
schen und religiösen Meinung des an 
deren, da sie nur so als breiter Strom 
alle Kräfte des sozialen Fortschritts 
vereinen und machtvoll weitertragen 
kann. 
In Anbetracht der Tatsache, daß 
zwar viele Forderungen mutiger und 
selbstloser Vorkämpfer der Arbeiter 
bewegung, die ihrer Zeit noch als welt 
fremde Idealisten, wenn nicht gar als 
unverantwortliche Demagogen erschie 
nen, heute zu unabdingbaren Rechten 
der Arbeiterschaft geworden sind, zu 
behaupten, die soziale Frage sei ge 
löst, dürfte doch wohl mehr als ver 
messen sein. Ebenso vermessen wäre 
auch die Behauptung, der 1. Mai habe 
heute seine Berechtigung als Kampftag 
verloren und sei zur bloßen Erinne 
rungsfeier einer saturierten Arbeiter 
schaft geworden. 
Der Mai-Aufruf der Einheitsgewerk 
schaft zeigt mit aller Deutlichkeit, wel 
che Aufgaben noch der Lösung harren. 
Sollen w ir angesichts dieser, fast über 
schweren Aufgabe unsere Kräfte in un 
fruchtbaren polit‘*chen Auseinander 
setzungen zersplittern, zu Nutzen ei 
nes Unternehmertums, das heute wie 
ehedem den persönlichen Profil vor 
das soziale Wohl stellt, oder sollen wir 
rnmiiiimiiiiiiiimiiiii^iiiuiimiiiiMiiiiiiiiinmmiiiiirn
	        
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