September 1952
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von denen alsdann dynamisch das Ganze ge
sunden kann.
Im industriellen Kraftfeld gehen die Ueber-
legungen in der Richtung einer organischen
Arbeitsbeschaffung. Man fängt bei der Errich
tung solcher Betriebe an, die dynamisch den
Gesamtwirtschaftskörper beleben, um Engpaß
betriebe, die wirkliche Lücken ausfüllen und
die automatisch immer weitere Zweige der
Wirtschaft in Bewegung bringen.
Im Bereich der weiterverarbeitenden Indu
strie werden in der Arbeitsbeschaffung be
greiflicher Weise arbeitsintensive Betriebe am
rechten Standort bevorzugt, bei denen also der
neue Arbeitsplatz wenig Geld kostet, bei
denen ferner wenig fremdländische, dafür aber
viele und zur genüge vorhandene inländische
Rohstoffe benötigt werden und bei denen vor
allem eine echte Bedarfslücke geschlossen, also
ein dauernder Absatz und möglichst hier wie
der ein möglichst großer Auslandsabsatz auf
die Dauer gesichert wird. Deshalb sollten je
desmal erst eingehende Betriebs- und Branche-
analysen, im Zusammenwirken der Wirt
schafts-, Finanz- und Arbeitsverwaltung er
arbeitet werden, ehe auf dem Wege einer
bewährten Industrie-Kreditlenkung Gelder des
Laudesstocks der Arbeitsverwaltung zur Ver
fügung gestellt werden. Landesplanung heißt
nicht mit Zirkel und Reißbrett verkehrstech
nische > Probleme aufrollen, Landesplanung
vielmehr: die natürlichen und die menschli
chen Kraftquellen eines Landes wechselseitig
miteinander zu entwickeln und dadurch aus
geglichene, d. h. vielseitige und harmonische
Ideallandschaften aufzubauen.
soziale Arbeitsordnung
Damit stoßen wir — neben der Arbeitsbe
schaffung — auf das Kapitel einer besseren
Arbeitsverteilung. Zunächst in räumlicher Hin
sicht. Wir wissen, daß unser Land von Na
tur durch seine günstige Lage zu den Roh
stoffen, ferner durch seine vitale und ge
schickte Bevölkerung eines der reichsten Län
der sein könnte. Es ist aber trotzdem als
Grenzland seither nicht das geworden, was
seine Bestimmung ist.
Auf industriellem Gebiet sind seit dem
Zusammenbruch — neben dem Aufbau der
bestehenden Werke auch neue Betriebe an-
gesiedelt worden. Dabei stand der Standorts
faktor leider nicht im Vordergrund. Es sollte
— wie gesagt — in den einzelnen Bezirken
die erforderliche Vielseitigkeit und Harmo
nie der bestehenden Wirtschaften erreicht
werden, damit nicht nur alle vorhandenen
Arbeitsmensehen zum Zuge kommen, son
dern auch die ihren Kräften entsprechende
Dauerarbeit erhalten.
Neben einer besseren räumlichen Ordnung
der Wirtschaft kommt im Rahmen der Ar-
beitspolitik eine bessere zeitliche Ordnung
und ferner eine bessere berufliche Ordnung
innerhalb der bestehenden Betriebe die höchste
Bedeutung zu.
So wie die arbeitenden Menschen elastisch
sich an den einmal bestehenden Wirtschafts
körper anpasseu müssen, so gilt dies umge
kehrt von der Wirtschaft, die sich möglichst
selbständig nach den im Lande vorhandenen
Arbeitskräften richten muß, sodaß bei zu
rückgehendem Arbeitsvolumen nicht Arbeits
losigkeit entsteht, sondern ein elastischer
Ausgleich durch Arbeitsstreckung, durch kür
zere Arbeitszeiten, ferner durch — vielleicht
vorübergehende — Ausscheidung von Men
schen, die auf den Arbeitsertrag nicht unbe
dingt angewiesen sind.
Bei der Arbeitszeitgestaltung, bei Entlas
sungen von Doppelverdienern, bei Bekämp
fung von Schwarzarbeit usw. gibt es für die
Arbeitsvcrwaltung keinerlei Zwangsmittel. So
bald jedoch die Arbeitsämter durch ein aus-
gebautes System der Betriebsberatung — das
zur Arbeitsberatung hin korrespondiert — eine
feste Vertrauensstellung in den Betrieben ihres
Bezirks erobert haben, steigt auch ihr Einfluß
dort und damit die Möglichkeiten für eine so
ziale Arbeitsordnung in der Wirtschaft. Je
reifer eine solche Wirtschaft ist, desto mehr
werden dann die konjunkturellen und saiso
nalen Schwankungen in ihr selbst aufgefangen
und Arbeitslosigkeit verhütet. Die systema
tische Bearbeitung sämtlicher bezirklicher Be
triebe im Außendienst und bei Betriebsver
anstaltungen sollte somit als wichtigster Pro
grammpunkt auf der Tagesordnung stehen.
Zehntausende leisten heute Ueberzeitarbeit,
sind also Ueberzeitarbeiter. Und die anderen
sind Norraalarbeiter und Kurzarbeiter und
schließlich die Arbeitslosen. Das geleistete
Ueberzeifarbeitsvolumen würde zweifelsohne
ausreichen, um die vorhandenen Arbeitslosen
zu beschäftigen. Selbstverständlich gibt es
hier kein mechanisches Ausgleiehverfahren
auf eine der Konjunktur und Saison ange-
paßte variable Durchschnittszeit. Aber je rei
fer und aufgeklärter die arbeitende Bevölke
rung und hier namentlich die Betriebsleiter
und Betriebsräte sind, desto selbstverständ
licher und selbsttätiger erfolgt eine vernünf
tige und betriebswirtschaftlich tragbare An
passung. Es muß einfach zum guten Ton ge
hören, daß cs in Arbeitslosenzeiten keine 12-
stündigen Arbeitszeiten geben kann.
Ohne Zwangsmittel müssen ferner die viel
diskutierten Probleme des sogenannten Dop-
pclverdienertums und der bereits dargestellten
Schwarzarbeit behandelt werden.
Man soll auch hier nur auf freiwilligen!
Wege, durch öffentliche Meinungsbildung, eine
Aenderung herbeiführen. Wenn Arbeitsuchende
den Betrieben in Vorschlag gebracht werden
oder wenn Entlassungen überlegt werden,
so muß es zur Selbstverständlichkeit werden,
daß bei gleicher Eignung der soziale Faktor
mitspricht und daß Verheiratete, Familien
väter, auch Aeltere und Kriegsbeschädigte den
Vorrang haben, bzw. vor Entlassung geschützt
werden.
Die Arbeitsverwaltung wird, wenn sie so in
die großen staatspolitischen Arbeitsaufgaben
an vorderster Stelle eingeschaltet sein wird,
das notwendige Vertrauen der ganzen Bevöl
kerung gewinnen, * * *
Die Gewerkschaften in unserer Zeit
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben
Mehr oder weniger Berufene befassen
sich zur Zeit besonders eifrig und auffäl
lig mit dem Thema, welche Aufgaben den
Gewerkschaften obliegen und welehe Gren
zen ihnen gezogen seien. Ludwig Rosen
berg vom Hauptvorstand des DGB, der
kürzlich zu Besprechungen mit der Ein
heitsgewerkschaft an der Saar weilte, hat
in einer seiner letzten grundsätzlichen B;-
trachtungen die wirtschaftlichen und ge
sellschaftlichen Aufgaben der Gewerkschaf
ten in unserer Zeit usnrissen. Da diese Dar
legungen durchweg auch auf unsere Si
tuation zutreffen, seien hier wesentliche
Abschnitte veröffentlicht.
Als es vor Jahrzehnten gelungen war, die
Massen aus dem Zustand der modernen Sklave
rei des Vegetierens wenigstens so weit zu be
freien, daß man von einem zsvar nicht guten,
aber immerhin erträglichen Existieren spre
chen konnte, konnte man daran denken, die po
litischen Konsequenzen zu ziehen. Es galt vor
erst, die politische Gleichberechtigung durch
geheime, direkte und gleiche Wahlen zu er
obern, um dem neuen Stande wenigstens im Rah
men des Vorhandenen Einfluß zu verschaffen.
Es galt darüber hinaus mit dem Mittel dieser
Gleichberechtigung auf politischer Eherne die
Voraussetzungen zu schaffen, um durch Besei
tigung einseitiger Klassen Privilegien auch die
gesellschaftliche Gleichberechtigung zu erringen.
Es galt und gilt als letztes und eigentliches
Ziel, den Proletarier von dem ihm auferlegten
Sonderschicksal zu befreien — eine Aufgabe,
die, wie man bald erkannte, nur im übernatio
nalen Rahmen zu lösen ist.
Wer die Gewerkschaften nur auf Grund von
Lohnforderungen, aus dem Kampf um die Re
gelung der Arbeitsbedingungen, auf Grund ihrer
in der Zeit und m.it der Zeit wandelbaren
Kampfmethoden beurteilen wollte, versteht die
Gewerkschaftsbewegung und ihre Motive nicht.
Methoden des Kampfes eines Kollektivs sind
bedingt durch die Gegebenheiten, die sich aus
Umwelt und eigener Struktur ergeben. Sie sind
wandelbar, und von der Verhandlung mit dem
Sozialpartner — über den Streik, das heißt
die zeitweilige Arbeitsverweigerung, bis zum,
Generalstreik oder gar zur Revolution gibt es
zahllose Varianten, die noch nichts über Geist
und tatsächliches Wesen dieser Massenorgani
sationen aussagen. Wenn wir uns also dessen
bewußt sind, daß als letztes eigentliches Ziel
allen gewerkschaftlichen Wirkens die Aufgabe
steht, den Proletarier von dem ihm bisher auf
erlegten Sonderschicksal zu befreien — so wer
den wir auch vieles verstehen, was sich im
Kampf der deutschen Gew'erkschaften unserer
Zeit so vielen als unverständlich darstellt.
Wir leben in einem Zeitalter einer tiefgrei
fenden sozialen Revolution»
Manche haben sich daran gewöhnt, die Re
volution an sich als etwas Verwerfliches, als
etwas Unrechtes zu bezeichnen. Man hat in
geschickter Roßfälschermethode verstanden, im
Geiste der Menschen eine Stimmung zu erzeu
gen, die ohne Bedenken Ursachen und Wirkung
verwechselt. Und wie man zeitweilig versucht,
auf dem Wege über Verordnungen und Drohun
gen die Armut und das Elend zu verbieten
anstatt es zu beheben — so hat man oft in
Deutschland den Widerstand gegen gesetzlich
verübtes Unrecht als Verbrechen gebrandmarkt.
Was für Menschen, die hungern, das gestoh-
stohlene Brot ist, ist für Menschen, die poli
tisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich ent
rechtet sind, die echte Revolution»
Jede Revolution — ja selbst die faschistische
— ist nichts anderes als die Quittung für das
Versagen derer, die regieren,. Ohne die Unter
drückung der Bauern, wären die Bauernauf
stände niemals denkbar gewesen, ohne die Skla
verei hätte es nie zum Spartakusaufstan.d im
alten Rom kommen können, ohne die Zügel
losigkeit des Königtums und der Aristokratie
wäre Cromw'ell ebenso undenkbar wie die fran
zösische Revolution, und ohne die- Verbrechen
des Zarismus gäbe es kein bolschewistisches
Rußland. Und geben wir es ruhig zu, daß ohne
das Versagen der Weimarer Republik auch
Hitler undenkbar gewesen wäre.
Spannungen und äußere Unruhen
In einer solchen Zeit leben auch wir. Auch
unsere Zeit ist gekennzeichnet durch das -Ver
sagen der Wirtschafts- und Gesellschaftsreform.
Sie versagt aber überall dort, wo es sich um
die ausreichende Versorgung der Menschheit mit
jenen Gütern handelt, die der Erhaltung und
Erhöhung des Lebens und des Lebensgenusses
dienen könnten»
Ist es erstaunlich, daß wir deshalb in einer
Welt der Spannungen, der inneren und äußeren
Unruhen leben V
Das Zeitalter des Kollektivismus schafft Mas
senfabrikation von Waren und Waffen, wie
von Gedanken und Psychosen» Eis schafft den
Massenwillen zur Befreiung wie den Gedanken
der Massendiktatur, die immer wieder in die
Diktatur eines einzelnen oder einer Gruppe über
alle anderen mündet.
So besteht allen Ernstes die Gefahr der Auf
hebung des Begriffes der Menschenwürde — je
ner Würde, die in jedem einzelnen von ung
lebt und in jedem einzelnen von uns versklavt
werden kann» Und wie mit dem einzelnen —,
so mit den Völkern.
Eine ideenlose und deshalb gedankenlos han
delnde Gesellschaft weiß in dieser großen Zeit
der Umwertung aller Begriffe nichts großes
Geistiges zu schaffen. Sie versagt hier, wie sie
dabei versagt, die Technik sinnvoll zu nutzen.
Das Bürgertum, das einst in seiner großen Zeit
diese Technik schuf, hatte auch die geistige
Qualität, Träger einer bedeutenden Kultur zu
sein, die ihrer Zeit und dem Zeitgeist entsprach.
Das absterbende Bürgertum, das in Furcht und
aggressivem Neid lebt, unfähig im Großen weit
blickend zu gestalten, zeigt sich ohnmächtig,
Träger einer zeitweisenden und zielgebenden
Kultur zu sein.
Die Konzeptionslosigkeit unserer herrschen
den Schichten zeigt sich in ihrer ganzen Be
trüb! ichkeit. Sie zeigt sich auch im Politischen,.
Das ANTI beherrscht die Politik. Vom PRO wird
nicht gesprochen. Man weiß genau, wogegen
man ist — weiß man aber, wofür man ist?
Man will nicht den Bolschewismus, die Pla
nung, die Vermassung, die Sozialisierung.
Man will —, ja was will man denn?
Man will die Demokratie. Aber eine Demo
kratie, wie sie in die Zeit von 1848 paßte und
nicht eine, wie sie in unsere Zeit paßt. Man
will die Demokratie so formal wie nur möglich
— beinahe unter Ausschluß der Oeffentlichkeit,
das heißt unter Ausschluß jener Gruppen, ohne
die sie heute nicht funktionieren kann.
Man will die Gemeinschaft der Völker. Aber
eine, in der die Völker sich nicht Zusammen
schlüßen, sondern souveräne Staaten. Staaten,
deren Souveränität großenteils nur noch darin
besteht, daß sie selbständig bankrott gehen kön
nen. Staaten aber, dio als einziges heiligstes
Gut gerade diese Selbständigkeit, diesen abge
tragenen Rest der Vergangenheit, unter kei
nen Umständen aufzugebem bereit sind und in
der Gemeinschaft ihre vermeintlichen Sonder-
interessen — also gemeinschaftsfeindliche In
teressen — gewahrt sehen wollen»
Wenn wir uns fragten, welche Stellung und
Aufgabe hat die Gewerkschaftsbewegung unserer
Zeit? — so ist die Beantwortung dieser Frage
nur möglich, wenn man sich der gemachten
Feststellungen bewußt ist.
Die Gew'erkschaften als Kinder ihrer Zeit
sind in Handeln und Möglichkeiten den Ge
gebenheiten ihrer Zeit unterworfen. Es wäre
töricht und schädlich, wollte man etwa ver
suchen, Jahrhunderte der Entwicklung zu über
springen. Es hat sich immer gezeigt, daß der
Rückschlag des Pendels nur zu oft stärker war
als das Vorschnellen am Anfang.
Eis wäre aber mindestens ebenso gefährlich
und vielleicht sogar verbrecherisch, würde man
versäumen, das zu tun, was die Zeit als Auf
gabe stellt, und es hat sich gerade in der jüng
sten Geschichte leider nur zu oft gezeigt, wie
entsetzlich die Folgen eines solchen Versagens
sein können-
Die Gewerkschaften sind heute zu den Orga
nisationen jener Menschengruppen geworden,
ohne die Wirtschaft und Staat nicht existieren
können. Bekennt man sich zu d«*n primitivsten
und grundlegendsten Anschauungen der Demo
kratie, dann kann inan sagen, daß in einer
nicht-diktatorischen Staatsform weder gegen
noch ohne diese Menschen Politik und Wirt
schaft gemacht werden kann.
Sie sind damit an jene Stelle gerückt, an der
bisher das Bürgertum stand: an die Stelle der
tragenden Kraft in Staat und Wirtschaft. Sie
werden zwangsläufig an jene Stelle rucken, die
zur Zeit durch den Abtritt des Bürgertums leer
geworden ist: an die Stelle der kulturtragen-
den Schicht der Gesellschaft.
Durch die ihnen gegebene Eigenart der Orga
nisation sind sie die volksnaheste Form der
menschliche!] Massenvereinigung. Sie haben ihr;
Wurzeln im Alltagsleben jedes einzelnen ihrer
Mitglieder — aller Schichten, aller Berufsgrup
pen bis in die Familie hinein. Sie sind täglich
und stündlich in direktem Kontakt mit den
Sorgen und Hoffnungen aller — unter stän
diger direkter Kontrolle vieler Millionen von
Einzelwesen, die Plan und Absicht, Handeln
und Versagen direkt auf sich b'7-’™ t>^-rtril;n
können.
So sind sie zwangsläufig die Or anisation, die
in der Vertretung der Interessen ihrer Mitglie
der am weitgehendsten Rücksicht nehmen muß
auf die Interessen aller anderen Gruppen und
des Volkes und Staates — denn nur so könn;n
sie der Vielfalt der Interessen, die die Gesamt-'
summe ihrer Mitglieder darsteilt. gerecht wer
den, sollen sie nickt selbst Schaden leiden. Die
Erkenntnis, daß das Wohl des einzelnen in der
Gemeinschaft und nur durch die Gemeinschaft
zu sichern ist, kommt kaum irgendwo so klar
und zwangsläufig zur Anwendung, wie in der
gewerkschaftlichen Organisation. Die Lösung
des Gegensatzes zwischen Kollektiv' und Indi
viduum muß hier ständig gesucht und gefunden
werden.
Es ist selbstverständlich, daß es töricht ist,
von einer solchen Organisation zu erwarten,
sich politisch neutral zu verhalten. Diese For
derung erheben, beweist entweder sträfliche
Dummheit oder bösartige Verlogenheit. Wie
könnte unpolitisch sein, wer das Schicksal von
Millionen bessern und beeinflussen will? Was
ist der Sinn der Politik, wenn nicht das Schick
sal von Menschen zu gestalten? Eine sozial
politische Heilsarmee ist keine Gewerkschaft —
sie wird ihren Aufgaben nicht gerecht. Ebenso
wenig wie die Propheten des Altertums etwa
nur heilige Männer waren, die letzte Dinge sag
ten und nicht etwa revolutionär in ihrer Zeit
gewirkt hätten.
Gewerkschaften und Politik
Neutralität auf politischem Gebiet bedeutet
Selbstaufgabe. Keine Gewerkschaft kann sich
zu dieser Politik bekennen. Wohl aber sind jene
Tage überholt, in denen die Gewerkschaften in
Deutschland einer bestimmten Ideologie aus
schließlich und einseitig verschrieben waren.
Es war gewiß notwendig in den Tagen des
Kampfes um das Lebcnsreeht der Werktätigen.
Aber heute sind gerade in ihren Reihen die Un
terschiede, die nur allzu oft von außen herein-
getragen und künstlich erhalteu wurden, so
gering geworden, daß nichts mehr die Spaltung
rechtfertigen könnte. Nur wer die Kraft der
Werktätigen schwächen wollte, wer den Fort
schritt hemmen möchte, wer das Bestehend»;
unter allen Umständen erhalten und das Kom
mende in seinen Anfängen zerstören will — nur
er hat ein echtes Interesse an der Wiederher
stellung der sich sinn- und ziellos bekämpfenden
Gewerkschaftsrichtungen, denen zum Schlüsse
nur eines gemeinsam ist, daß sie die einzig mög
liche Richtung alle verloren haben. Wer heute
die Gewerkschaften spalten will, ist Handlanger
der Reaktion.
Es ist etwas Großartiges in der Entwicklung
der deutschen Gewerkschaftsbewegung, daß es
ihr gelang, aus der Enge der Parteidogmen her
aus die große Gemeinschaft zu sehaffen, die
alle jene vereint, von deren Tun und Lassen
das Schicksal von Wirtschaft und Staat so weit
gehend abhängt.
In dieser Entwicklung, die dazu führte, daß
man politisch wirksam sein mußte, ohne Par
tei zu sein, daß man Partei nehmen mußte, ohne
Partei zu sein, liegt aber auch ein© große Ge
fahr: die Verlockung, Partei zu werden.
Die Gewerkschaften als Schule der Demokra
ten, als Stütze der Demokratie, als Schützer
demokratischer Rechte — jederzeit! Als poli
tische Partei aber: nein!
Die Gewerkschaften können der Demokratie
jene Konzeption gehen, die sie über den Zustand
einer Verwaltungsmethode zu dem macht, was
sie sein muß, wenn sie Bestand haben soll: zu
einem Lebensstill
Ein Lebensstil, der unserer Zeit und ihren
Aufgaben entspricht- Ein positives Vorwärte-
drängen, kein ängstliches Zurück. Ein Ziel, das
in die Zukunft weist, keine Politik, deren Zu
kunft in der Vergangenheit liegt.
Sie sind dazu hernfen, dem ängstlichen ANTI
ein mutiges PHO entgegenznsetzen, endlich zu
sagen, was diese Menschheit will und was sie
fürchtet.
Sie müssen die politische Gleichberechtigung
der Menschen endlich verwirklichen durch das
Konzept einer auf allen Ebenen wirksamen De
mokratie: in der Politik, in der Wirtschaft, in
der Gesellschaft.
Sie dürfen sich nicht auf das Wirtschaftliche
allein beschränken.
Die Beseitigung unzeitgemäßer Klassenprivi
legien auf allen Gebieten des menschlichen Le
bens ist eine nicht minder zwingende Voraus
setzung einer wirksamen Demokratie. Das Ge
setz der gleichen Möglichkeiten für alle bedeu
tet keineswegs öde Gleichmacherei, die der
Spießer überall dort fürchtet, wo andere in
seinen wohlumzäunten und wenig ertragreichen
Garten eindringen könnten. Es bedeutet die Be
freiung bisher künstlich gebunden gehaltener
Kräfte des Volkes. Freie Bahn für Könner ge
genüber den Vorrechten der Erben»
An die Stelle der Planlosigkeit und Ziellosig
keit, die heute Politik, Wirtschaft und Gesell
schaft beherrscht, setzen wir bewußt die For
derungen und Ziele der sozialen Revolution —
jener Massenbewegung unserer Zeit, die in der
Demokratie — in der Volksherrschaft — nicht
das Ziel, sondern das Mittel erblickt, das Kern
problem unseres Jahrhunderts zu lösen: Diese
Erde zur Heimat jener zu machen, die mit Geist
und Hand an ihrem Wohlstand und ihrem Blü
hen wirksam sind»
Oft mißverstanden in eigenen Reihen — stän
dig verleumdet von dem Ewig-Gestrigen, in ste
tem Kampf gegen Dummheit und Bosheit ver
suchen die deutschen Gewerkschaften den Kampf
zu führen für eine gerechtere, echte demokra
tische Welt, nicht nur um zu verhindern, daß
uns das Chaos des Urwaldes überkommt, son
dern vor allem um zu erreichen, daß der Mensch
als Mensch leben und wirken und genießen kann.
Es ist die Aufgabe der Arbeiterbewegung und
insbesondere der Gewerk»c 1 lafteai, gerade jenen
Weg zu vermeiden, der unter der falschen Flag
ge einer angeblichen Verständigung lediglich zu
einer Konzentration politischer und militäri
scher Macht geführt hat. Das ist nur möglich,
wenn die internationale Gewerkschaftsbewegung
als die stärkste Kraft der Arbeiterbewegung
überhaupt ohne Rücksicht auf nationale Macht
interessen einer Konzeption folgt, deren Grund
lage die Verwirklichung einer echten Demo
kratie in Wirtschaft und Gesellschaft ist und
die die Voraussetzungen dafür schafft, daß sich
die Völker trotz nationaler Unterschiede in ge
meinsamem Streben in Freiheit zusammenfinden
können und jenen Frieden schaffen, der im Aus-
gleich dcT* rIntcncstStMi unter e-incr
gemeinsamen Zielsetzung allein möglich ist.