Full text: 1952 (0007)

September 1952 
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von denen alsdann dynamisch das Ganze ge 
sunden kann. 
Im industriellen Kraftfeld gehen die Ueber- 
legungen in der Richtung einer organischen 
Arbeitsbeschaffung. Man fängt bei der Errich 
tung solcher Betriebe an, die dynamisch den 
Gesamtwirtschaftskörper beleben, um Engpaß 
betriebe, die wirkliche Lücken ausfüllen und 
die automatisch immer weitere Zweige der 
Wirtschaft in Bewegung bringen. 
Im Bereich der weiterverarbeitenden Indu 
strie werden in der Arbeitsbeschaffung be 
greiflicher Weise arbeitsintensive Betriebe am 
rechten Standort bevorzugt, bei denen also der 
neue Arbeitsplatz wenig Geld kostet, bei 
denen ferner wenig fremdländische, dafür aber 
viele und zur genüge vorhandene inländische 
Rohstoffe benötigt werden und bei denen vor 
allem eine echte Bedarfslücke geschlossen, also 
ein dauernder Absatz und möglichst hier wie 
der ein möglichst großer Auslandsabsatz auf 
die Dauer gesichert wird. Deshalb sollten je 
desmal erst eingehende Betriebs- und Branche- 
analysen, im Zusammenwirken der Wirt 
schafts-, Finanz- und Arbeitsverwaltung er 
arbeitet werden, ehe auf dem Wege einer 
bewährten Industrie-Kreditlenkung Gelder des 
Laudesstocks der Arbeitsverwaltung zur Ver 
fügung gestellt werden. Landesplanung heißt 
nicht mit Zirkel und Reißbrett verkehrstech 
nische > Probleme aufrollen, Landesplanung 
vielmehr: die natürlichen und die menschli 
chen Kraftquellen eines Landes wechselseitig 
miteinander zu entwickeln und dadurch aus 
geglichene, d. h. vielseitige und harmonische 
Ideallandschaften aufzubauen. 
soziale Arbeitsordnung 
Damit stoßen wir — neben der Arbeitsbe 
schaffung — auf das Kapitel einer besseren 
Arbeitsverteilung. Zunächst in räumlicher Hin 
sicht. Wir wissen, daß unser Land von Na 
tur durch seine günstige Lage zu den Roh 
stoffen, ferner durch seine vitale und ge 
schickte Bevölkerung eines der reichsten Län 
der sein könnte. Es ist aber trotzdem als 
Grenzland seither nicht das geworden, was 
seine Bestimmung ist. 
Auf industriellem Gebiet sind seit dem 
Zusammenbruch — neben dem Aufbau der 
bestehenden Werke auch neue Betriebe an- 
gesiedelt worden. Dabei stand der Standorts 
faktor leider nicht im Vordergrund. Es sollte 
— wie gesagt — in den einzelnen Bezirken 
die erforderliche Vielseitigkeit und Harmo 
nie der bestehenden Wirtschaften erreicht 
werden, damit nicht nur alle vorhandenen 
Arbeitsmensehen zum Zuge kommen, son 
dern auch die ihren Kräften entsprechende 
Dauerarbeit erhalten. 
Neben einer besseren räumlichen Ordnung 
der Wirtschaft kommt im Rahmen der Ar- 
beitspolitik eine bessere zeitliche Ordnung 
und ferner eine bessere berufliche Ordnung 
innerhalb der bestehenden Betriebe die höchste 
Bedeutung zu. 
So wie die arbeitenden Menschen elastisch 
sich an den einmal bestehenden Wirtschafts 
körper anpasseu müssen, so gilt dies umge 
kehrt von der Wirtschaft, die sich möglichst 
selbständig nach den im Lande vorhandenen 
Arbeitskräften richten muß, sodaß bei zu 
rückgehendem Arbeitsvolumen nicht Arbeits 
losigkeit entsteht, sondern ein elastischer 
Ausgleich durch Arbeitsstreckung, durch kür 
zere Arbeitszeiten, ferner durch — vielleicht 
vorübergehende — Ausscheidung von Men 
schen, die auf den Arbeitsertrag nicht unbe 
dingt angewiesen sind. 
Bei der Arbeitszeitgestaltung, bei Entlas 
sungen von Doppelverdienern, bei Bekämp 
fung von Schwarzarbeit usw. gibt es für die 
Arbeitsvcrwaltung keinerlei Zwangsmittel. So 
bald jedoch die Arbeitsämter durch ein aus- 
gebautes System der Betriebsberatung — das 
zur Arbeitsberatung hin korrespondiert — eine 
feste Vertrauensstellung in den Betrieben ihres 
Bezirks erobert haben, steigt auch ihr Einfluß 
dort und damit die Möglichkeiten für eine so 
ziale Arbeitsordnung in der Wirtschaft. Je 
reifer eine solche Wirtschaft ist, desto mehr 
werden dann die konjunkturellen und saiso 
nalen Schwankungen in ihr selbst aufgefangen 
und Arbeitslosigkeit verhütet. Die systema 
tische Bearbeitung sämtlicher bezirklicher Be 
triebe im Außendienst und bei Betriebsver 
anstaltungen sollte somit als wichtigster Pro 
grammpunkt auf der Tagesordnung stehen. 
Zehntausende leisten heute Ueberzeitarbeit, 
sind also Ueberzeitarbeiter. Und die anderen 
sind Norraalarbeiter und Kurzarbeiter und 
schließlich die Arbeitslosen. Das geleistete 
Ueberzeifarbeitsvolumen würde zweifelsohne 
ausreichen, um die vorhandenen Arbeitslosen 
zu beschäftigen. Selbstverständlich gibt es 
hier kein mechanisches Ausgleiehverfahren 
auf eine der Konjunktur und Saison ange- 
paßte variable Durchschnittszeit. Aber je rei 
fer und aufgeklärter die arbeitende Bevölke 
rung und hier namentlich die Betriebsleiter 
und Betriebsräte sind, desto selbstverständ 
licher und selbsttätiger erfolgt eine vernünf 
tige und betriebswirtschaftlich tragbare An 
passung. Es muß einfach zum guten Ton ge 
hören, daß cs in Arbeitslosenzeiten keine 12- 
stündigen Arbeitszeiten geben kann. 
Ohne Zwangsmittel müssen ferner die viel 
diskutierten Probleme des sogenannten Dop- 
pclverdienertums und der bereits dargestellten 
Schwarzarbeit behandelt werden. 
Man soll auch hier nur auf freiwilligen! 
Wege, durch öffentliche Meinungsbildung, eine 
Aenderung herbeiführen. Wenn Arbeitsuchende 
den Betrieben in Vorschlag gebracht werden 
oder wenn Entlassungen überlegt werden, 
so muß es zur Selbstverständlichkeit werden, 
daß bei gleicher Eignung der soziale Faktor 
mitspricht und daß Verheiratete, Familien 
väter, auch Aeltere und Kriegsbeschädigte den 
Vorrang haben, bzw. vor Entlassung geschützt 
werden. 
Die Arbeitsverwaltung wird, wenn sie so in 
die großen staatspolitischen Arbeitsaufgaben 
an vorderster Stelle eingeschaltet sein wird, 
das notwendige Vertrauen der ganzen Bevöl 
kerung gewinnen, * * * 
Die Gewerkschaften in unserer Zeit 
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben 
Mehr oder weniger Berufene befassen 
sich zur Zeit besonders eifrig und auffäl 
lig mit dem Thema, welche Aufgaben den 
Gewerkschaften obliegen und welehe Gren 
zen ihnen gezogen seien. Ludwig Rosen 
berg vom Hauptvorstand des DGB, der 
kürzlich zu Besprechungen mit der Ein 
heitsgewerkschaft an der Saar weilte, hat 
in einer seiner letzten grundsätzlichen B;- 
trachtungen die wirtschaftlichen und ge 
sellschaftlichen Aufgaben der Gewerkschaf 
ten in unserer Zeit usnrissen. Da diese Dar 
legungen durchweg auch auf unsere Si 
tuation zutreffen, seien hier wesentliche 
Abschnitte veröffentlicht. 
Als es vor Jahrzehnten gelungen war, die 
Massen aus dem Zustand der modernen Sklave 
rei des Vegetierens wenigstens so weit zu be 
freien, daß man von einem zsvar nicht guten, 
aber immerhin erträglichen Existieren spre 
chen konnte, konnte man daran denken, die po 
litischen Konsequenzen zu ziehen. Es galt vor 
erst, die politische Gleichberechtigung durch 
geheime, direkte und gleiche Wahlen zu er 
obern, um dem neuen Stande wenigstens im Rah 
men des Vorhandenen Einfluß zu verschaffen. 
Es galt darüber hinaus mit dem Mittel dieser 
Gleichberechtigung auf politischer Eherne die 
Voraussetzungen zu schaffen, um durch Besei 
tigung einseitiger Klassen Privilegien auch die 
gesellschaftliche Gleichberechtigung zu erringen. 
Es galt und gilt als letztes und eigentliches 
Ziel, den Proletarier von dem ihm auferlegten 
Sonderschicksal zu befreien — eine Aufgabe, 
die, wie man bald erkannte, nur im übernatio 
nalen Rahmen zu lösen ist. 
Wer die Gewerkschaften nur auf Grund von 
Lohnforderungen, aus dem Kampf um die Re 
gelung der Arbeitsbedingungen, auf Grund ihrer 
in der Zeit und m.it der Zeit wandelbaren 
Kampfmethoden beurteilen wollte, versteht die 
Gewerkschaftsbewegung und ihre Motive nicht. 
Methoden des Kampfes eines Kollektivs sind 
bedingt durch die Gegebenheiten, die sich aus 
Umwelt und eigener Struktur ergeben. Sie sind 
wandelbar, und von der Verhandlung mit dem 
Sozialpartner — über den Streik, das heißt 
die zeitweilige Arbeitsverweigerung, bis zum, 
Generalstreik oder gar zur Revolution gibt es 
zahllose Varianten, die noch nichts über Geist 
und tatsächliches Wesen dieser Massenorgani 
sationen aussagen. Wenn wir uns also dessen 
bewußt sind, daß als letztes eigentliches Ziel 
allen gewerkschaftlichen Wirkens die Aufgabe 
steht, den Proletarier von dem ihm bisher auf 
erlegten Sonderschicksal zu befreien — so wer 
den wir auch vieles verstehen, was sich im 
Kampf der deutschen Gew'erkschaften unserer 
Zeit so vielen als unverständlich darstellt. 
Wir leben in einem Zeitalter einer tiefgrei 
fenden sozialen Revolution» 
Manche haben sich daran gewöhnt, die Re 
volution an sich als etwas Verwerfliches, als 
etwas Unrechtes zu bezeichnen. Man hat in 
geschickter Roßfälschermethode verstanden, im 
Geiste der Menschen eine Stimmung zu erzeu 
gen, die ohne Bedenken Ursachen und Wirkung 
verwechselt. Und wie man zeitweilig versucht, 
auf dem Wege über Verordnungen und Drohun 
gen die Armut und das Elend zu verbieten 
anstatt es zu beheben — so hat man oft in 
Deutschland den Widerstand gegen gesetzlich 
verübtes Unrecht als Verbrechen gebrandmarkt. 
Was für Menschen, die hungern, das gestoh- 
stohlene Brot ist, ist für Menschen, die poli 
tisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich ent 
rechtet sind, die echte Revolution» 
Jede Revolution — ja selbst die faschistische 
— ist nichts anderes als die Quittung für das 
Versagen derer, die regieren,. Ohne die Unter 
drückung der Bauern, wären die Bauernauf 
stände niemals denkbar gewesen, ohne die Skla 
verei hätte es nie zum Spartakusaufstan.d im 
alten Rom kommen können, ohne die Zügel 
losigkeit des Königtums und der Aristokratie 
wäre Cromw'ell ebenso undenkbar wie die fran 
zösische Revolution, und ohne die- Verbrechen 
des Zarismus gäbe es kein bolschewistisches 
Rußland. Und geben wir es ruhig zu, daß ohne 
das Versagen der Weimarer Republik auch 
Hitler undenkbar gewesen wäre. 
Spannungen und äußere Unruhen 
In einer solchen Zeit leben auch wir. Auch 
unsere Zeit ist gekennzeichnet durch das -Ver 
sagen der Wirtschafts- und Gesellschaftsreform. 
Sie versagt aber überall dort, wo es sich um 
die ausreichende Versorgung der Menschheit mit 
jenen Gütern handelt, die der Erhaltung und 
Erhöhung des Lebens und des Lebensgenusses 
dienen könnten» 
Ist es erstaunlich, daß wir deshalb in einer 
Welt der Spannungen, der inneren und äußeren 
Unruhen leben V 
Das Zeitalter des Kollektivismus schafft Mas 
senfabrikation von Waren und Waffen, wie 
von Gedanken und Psychosen» Eis schafft den 
Massenwillen zur Befreiung wie den Gedanken 
der Massendiktatur, die immer wieder in die 
Diktatur eines einzelnen oder einer Gruppe über 
alle anderen mündet. 
So besteht allen Ernstes die Gefahr der Auf 
hebung des Begriffes der Menschenwürde — je 
ner Würde, die in jedem einzelnen von ung 
lebt und in jedem einzelnen von uns versklavt 
werden kann» Und wie mit dem einzelnen —, 
so mit den Völkern. 
Eine ideenlose und deshalb gedankenlos han 
delnde Gesellschaft weiß in dieser großen Zeit 
der Umwertung aller Begriffe nichts großes 
Geistiges zu schaffen. Sie versagt hier, wie sie 
dabei versagt, die Technik sinnvoll zu nutzen. 
Das Bürgertum, das einst in seiner großen Zeit 
diese Technik schuf, hatte auch die geistige 
Qualität, Träger einer bedeutenden Kultur zu 
sein, die ihrer Zeit und dem Zeitgeist entsprach. 
Das absterbende Bürgertum, das in Furcht und 
aggressivem Neid lebt, unfähig im Großen weit 
blickend zu gestalten, zeigt sich ohnmächtig, 
Träger einer zeitweisenden und zielgebenden 
Kultur zu sein. 
Die Konzeptionslosigkeit unserer herrschen 
den Schichten zeigt sich in ihrer ganzen Be 
trüb! ichkeit. Sie zeigt sich auch im Politischen,. 
Das ANTI beherrscht die Politik. Vom PRO wird 
nicht gesprochen. Man weiß genau, wogegen 
man ist — weiß man aber, wofür man ist? 
Man will nicht den Bolschewismus, die Pla 
nung, die Vermassung, die Sozialisierung. 
Man will —, ja was will man denn? 
Man will die Demokratie. Aber eine Demo 
kratie, wie sie in die Zeit von 1848 paßte und 
nicht eine, wie sie in unsere Zeit paßt. Man 
will die Demokratie so formal wie nur möglich 
— beinahe unter Ausschluß der Oeffentlichkeit, 
das heißt unter Ausschluß jener Gruppen, ohne 
die sie heute nicht funktionieren kann. 
Man will die Gemeinschaft der Völker. Aber 
eine, in der die Völker sich nicht Zusammen 
schlüßen, sondern souveräne Staaten. Staaten, 
deren Souveränität großenteils nur noch darin 
besteht, daß sie selbständig bankrott gehen kön 
nen. Staaten aber, dio als einziges heiligstes 
Gut gerade diese Selbständigkeit, diesen abge 
tragenen Rest der Vergangenheit, unter kei 
nen Umständen aufzugebem bereit sind und in 
der Gemeinschaft ihre vermeintlichen Sonder- 
interessen — also gemeinschaftsfeindliche In 
teressen — gewahrt sehen wollen» 
Wenn wir uns fragten, welche Stellung und 
Aufgabe hat die Gewerkschaftsbewegung unserer 
Zeit? — so ist die Beantwortung dieser Frage 
nur möglich, wenn man sich der gemachten 
Feststellungen bewußt ist. 
Die Gew'erkschaften als Kinder ihrer Zeit 
sind in Handeln und Möglichkeiten den Ge 
gebenheiten ihrer Zeit unterworfen. Es wäre 
töricht und schädlich, wollte man etwa ver 
suchen, Jahrhunderte der Entwicklung zu über 
springen. Es hat sich immer gezeigt, daß der 
Rückschlag des Pendels nur zu oft stärker war 
als das Vorschnellen am Anfang. 
Eis wäre aber mindestens ebenso gefährlich 
und vielleicht sogar verbrecherisch, würde man 
versäumen, das zu tun, was die Zeit als Auf 
gabe stellt, und es hat sich gerade in der jüng 
sten Geschichte leider nur zu oft gezeigt, wie 
entsetzlich die Folgen eines solchen Versagens 
sein können- 
Die Gewerkschaften sind heute zu den Orga 
nisationen jener Menschengruppen geworden, 
ohne die Wirtschaft und Staat nicht existieren 
können. Bekennt man sich zu d«*n primitivsten 
und grundlegendsten Anschauungen der Demo 
kratie, dann kann inan sagen, daß in einer 
nicht-diktatorischen Staatsform weder gegen 
noch ohne diese Menschen Politik und Wirt 
schaft gemacht werden kann. 
Sie sind damit an jene Stelle gerückt, an der 
bisher das Bürgertum stand: an die Stelle der 
tragenden Kraft in Staat und Wirtschaft. Sie 
werden zwangsläufig an jene Stelle rucken, die 
zur Zeit durch den Abtritt des Bürgertums leer 
geworden ist: an die Stelle der kulturtragen- 
den Schicht der Gesellschaft. 
Durch die ihnen gegebene Eigenart der Orga 
nisation sind sie die volksnaheste Form der 
menschliche!] Massenvereinigung. Sie haben ihr; 
Wurzeln im Alltagsleben jedes einzelnen ihrer 
Mitglieder — aller Schichten, aller Berufsgrup 
pen bis in die Familie hinein. Sie sind täglich 
und stündlich in direktem Kontakt mit den 
Sorgen und Hoffnungen aller — unter stän 
diger direkter Kontrolle vieler Millionen von 
Einzelwesen, die Plan und Absicht, Handeln 
und Versagen direkt auf sich b'7-’™ t>^-rtril;n 
können. 
So sind sie zwangsläufig die Or anisation, die 
in der Vertretung der Interessen ihrer Mitglie 
der am weitgehendsten Rücksicht nehmen muß 
auf die Interessen aller anderen Gruppen und 
des Volkes und Staates — denn nur so könn;n 
sie der Vielfalt der Interessen, die die Gesamt-' 
summe ihrer Mitglieder darsteilt. gerecht wer 
den, sollen sie nickt selbst Schaden leiden. Die 
Erkenntnis, daß das Wohl des einzelnen in der 
Gemeinschaft und nur durch die Gemeinschaft 
zu sichern ist, kommt kaum irgendwo so klar 
und zwangsläufig zur Anwendung, wie in der 
gewerkschaftlichen Organisation. Die Lösung 
des Gegensatzes zwischen Kollektiv' und Indi 
viduum muß hier ständig gesucht und gefunden 
werden. 
Es ist selbstverständlich, daß es töricht ist, 
von einer solchen Organisation zu erwarten, 
sich politisch neutral zu verhalten. Diese For 
derung erheben, beweist entweder sträfliche 
Dummheit oder bösartige Verlogenheit. Wie 
könnte unpolitisch sein, wer das Schicksal von 
Millionen bessern und beeinflussen will? Was 
ist der Sinn der Politik, wenn nicht das Schick 
sal von Menschen zu gestalten? Eine sozial 
politische Heilsarmee ist keine Gewerkschaft — 
sie wird ihren Aufgaben nicht gerecht. Ebenso 
wenig wie die Propheten des Altertums etwa 
nur heilige Männer waren, die letzte Dinge sag 
ten und nicht etwa revolutionär in ihrer Zeit 
gewirkt hätten. 
Gewerkschaften und Politik 
Neutralität auf politischem Gebiet bedeutet 
Selbstaufgabe. Keine Gewerkschaft kann sich 
zu dieser Politik bekennen. Wohl aber sind jene 
Tage überholt, in denen die Gewerkschaften in 
Deutschland einer bestimmten Ideologie aus 
schließlich und einseitig verschrieben waren. 
Es war gewiß notwendig in den Tagen des 
Kampfes um das Lebcnsreeht der Werktätigen. 
Aber heute sind gerade in ihren Reihen die Un 
terschiede, die nur allzu oft von außen herein- 
getragen und künstlich erhalteu wurden, so 
gering geworden, daß nichts mehr die Spaltung 
rechtfertigen könnte. Nur wer die Kraft der 
Werktätigen schwächen wollte, wer den Fort 
schritt hemmen möchte, wer das Bestehend»; 
unter allen Umständen erhalten und das Kom 
mende in seinen Anfängen zerstören will — nur 
er hat ein echtes Interesse an der Wiederher 
stellung der sich sinn- und ziellos bekämpfenden 
Gewerkschaftsrichtungen, denen zum Schlüsse 
nur eines gemeinsam ist, daß sie die einzig mög 
liche Richtung alle verloren haben. Wer heute 
die Gewerkschaften spalten will, ist Handlanger 
der Reaktion. 
Es ist etwas Großartiges in der Entwicklung 
der deutschen Gewerkschaftsbewegung, daß es 
ihr gelang, aus der Enge der Parteidogmen her 
aus die große Gemeinschaft zu sehaffen, die 
alle jene vereint, von deren Tun und Lassen 
das Schicksal von Wirtschaft und Staat so weit 
gehend abhängt. 
In dieser Entwicklung, die dazu führte, daß 
man politisch wirksam sein mußte, ohne Par 
tei zu sein, daß man Partei nehmen mußte, ohne 
Partei zu sein, liegt aber auch ein© große Ge 
fahr: die Verlockung, Partei zu werden. 
Die Gewerkschaften als Schule der Demokra 
ten, als Stütze der Demokratie, als Schützer 
demokratischer Rechte — jederzeit! Als poli 
tische Partei aber: nein! 
Die Gewerkschaften können der Demokratie 
jene Konzeption gehen, die sie über den Zustand 
einer Verwaltungsmethode zu dem macht, was 
sie sein muß, wenn sie Bestand haben soll: zu 
einem Lebensstill 
Ein Lebensstil, der unserer Zeit und ihren 
Aufgaben entspricht- Ein positives Vorwärte- 
drängen, kein ängstliches Zurück. Ein Ziel, das 
in die Zukunft weist, keine Politik, deren Zu 
kunft in der Vergangenheit liegt. 
Sie sind dazu hernfen, dem ängstlichen ANTI 
ein mutiges PHO entgegenznsetzen, endlich zu 
sagen, was diese Menschheit will und was sie 
fürchtet. 
Sie müssen die politische Gleichberechtigung 
der Menschen endlich verwirklichen durch das 
Konzept einer auf allen Ebenen wirksamen De 
mokratie: in der Politik, in der Wirtschaft, in 
der Gesellschaft. 
Sie dürfen sich nicht auf das Wirtschaftliche 
allein beschränken. 
Die Beseitigung unzeitgemäßer Klassenprivi 
legien auf allen Gebieten des menschlichen Le 
bens ist eine nicht minder zwingende Voraus 
setzung einer wirksamen Demokratie. Das Ge 
setz der gleichen Möglichkeiten für alle bedeu 
tet keineswegs öde Gleichmacherei, die der 
Spießer überall dort fürchtet, wo andere in 
seinen wohlumzäunten und wenig ertragreichen 
Garten eindringen könnten. Es bedeutet die Be 
freiung bisher künstlich gebunden gehaltener 
Kräfte des Volkes. Freie Bahn für Könner ge 
genüber den Vorrechten der Erben» 
An die Stelle der Planlosigkeit und Ziellosig 
keit, die heute Politik, Wirtschaft und Gesell 
schaft beherrscht, setzen wir bewußt die For 
derungen und Ziele der sozialen Revolution — 
jener Massenbewegung unserer Zeit, die in der 
Demokratie — in der Volksherrschaft — nicht 
das Ziel, sondern das Mittel erblickt, das Kern 
problem unseres Jahrhunderts zu lösen: Diese 
Erde zur Heimat jener zu machen, die mit Geist 
und Hand an ihrem Wohlstand und ihrem Blü 
hen wirksam sind» 
Oft mißverstanden in eigenen Reihen — stän 
dig verleumdet von dem Ewig-Gestrigen, in ste 
tem Kampf gegen Dummheit und Bosheit ver 
suchen die deutschen Gewerkschaften den Kampf 
zu führen für eine gerechtere, echte demokra 
tische Welt, nicht nur um zu verhindern, daß 
uns das Chaos des Urwaldes überkommt, son 
dern vor allem um zu erreichen, daß der Mensch 
als Mensch leben und wirken und genießen kann. 
Es ist die Aufgabe der Arbeiterbewegung und 
insbesondere der Gewerk»c 1 lafteai, gerade jenen 
Weg zu vermeiden, der unter der falschen Flag 
ge einer angeblichen Verständigung lediglich zu 
einer Konzentration politischer und militäri 
scher Macht geführt hat. Das ist nur möglich, 
wenn die internationale Gewerkschaftsbewegung 
als die stärkste Kraft der Arbeiterbewegung 
überhaupt ohne Rücksicht auf nationale Macht 
interessen einer Konzeption folgt, deren Grund 
lage die Verwirklichung einer echten Demo 
kratie in Wirtschaft und Gesellschaft ist und 
die die Voraussetzungen dafür schafft, daß sich 
die Völker trotz nationaler Unterschiede in ge 
meinsamem Streben in Freiheit zusammenfinden 
können und jenen Frieden schaffen, der im Aus- 
gleich dcT* rIntcncstStMi unter e-incr 
gemeinsamen Zielsetzung allein möglich ist.
	        
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