ORGAN DER
n—w i null i iimrrwTiiBfflWWMWWBWWIWFBl
OER RRREHER, RNGEGTELLTEN UNO RERmTEN
4. Jahrgang
Saarbrücken, 1. März 1950
Nr. 5
Zu den Pariser Verhandlungen
Beim Abschluß dieser Ausgabe lag ein
endgültiges Ergebnis der Pariser Verhand
Jungen noch nicht vor. Die nachstehende,
Betrachtungen sind unter diesem Gesichts
punkt zu bewerten. In der nächsten Aus
gabe unseres Organs werden wir dann
grundsätzlich Stellung nehmen.
Alle Probleme sind für das Saarland
schwieriger zu lösen als für irgend ein
anderes Land. Das liegt an der Bevölke
rungsdichte und nahezu einseitigen Indu
strialisierung. Im Saarland allein kön
nen höchstens für 2 Monate die Lebens
mittel erzeugt werden, die die Bevölke:-
xung braucht. Staaten, bei denen die Be
völkerung überwiegend aus Menschen be
steht, die ihre Existenz in der Industrie
finden, sind bei Krisen sehr gefährdet.
Em Land, dessen Bevölkerung sich da
gegen auf die Landwirtschaft stützt, wird
bei Krisen niemals so stark erschüttert,
wie das bei einem Land, dessen Bevölke
rung zum größten Teil seine Existenz in
der Industrie findet, der Fall ist. Die in
dustrielle Bevölkerung kann sich bei Kri
sen wieder auf das Land zurückziehen,
aber wohin soll im Saarland die Bevölke
rung? Im Saarland gibt es keine Stelle,
die bei einer Krise Arbeiter und Angestel-
te aufnehmen könnte, weil eben die Land
wirtschaft so schwach ist und sich auch
keine andere Möglichkeit zur Beschäfti
gung überschüssiger Arbeitskräfte findet.
Innerhalb Deutschlands bestände die
Möglichkeit, einer Krise auszuweichen,
nicht, weil dort die Verhältnisse so ähn
lich liegen wie im Saarland. Wie verschie
den ist die Struktur der heutigen Bundes
republik von der des Deutschen Reiches
vor 1914. Das Deutschland vor 1914 hatte
weder eine Oder-Neiße-Linie, noch die Be
schränkungen, die ihm der verlorene Krieg
auferlegte. Diese im Osten verlorenen Ge^
biete bedeuten für Deutschland einen un
geheueren Verlust. Einmal die Boden
schätze Qberschlesiens, zum anderen der
landwirtschaftlich nutzbare Boden, von 1
dem 30°V der Nahrungsmittel erzeugt wur
de, die das deutsche Volk damals benö-
ijgte. War es schon damals Deutschland
mir möglich, ungefähr 80 o/o der notwendi
gen Nahrungsmittel auf deutschem Boden
zu erzeugen, so ist das heutige Deutsch
land, selbst wenn die beiden Zonen ver
eint werden, nur in der Lage 45 bis 50 o/o
der Nahrungsmittel zu produzieren, die
das deutsche Volk zum Leben benötigt.
Anders steht es mit Frankreich, wo noch
60 °'o der Gesamtbevölkerung in der Land
wirtschaft ihre Existenz finden können. Bei
gutem Einvernehmen könnten sich Frank
reich und das Saarland so ergänzen, daß
auch die größten Wirtschaftskrisen eben
durch diese Tatsache an Bedeutung und
Tiefe verlieren. Im Notfall ist es sogar
möglich, daß saarländische Arbeitnehmer
in Frankreich vorübergehend, — und wenn
sie es wünschen, auch auf die Dauer Be
schäftigung finden.
Die Einheitsgewerkschaft hat keine an
dere Aufgabe, als zu allen Fragen, die
den Arbeitnehmer angehen, realistisch
Stellung zu nehmehn. Uefoexspannte Pro
gramme und schöne Theorien sind hier
weniger am Platze als praktische Hand
lungen. Keiner von uns weiß, wie sich
das heutige Europa weiter entwickelt
Auch die Gewerkschaften können daher
nicht auf allzu lange Sicht Programme ent
werfen. Ihre Gegenwartsaufgabe ist ge
geben durch die Verhältnisse, sie müssen
sich damit abfinden und aus dem Gege
benen das Beste für die Arbeitnehmer
schaft, die sie vertreten, herauszuholen.
Der wirtschaftliche Anschluß an Frank
reich hat, das muß wohl jeder Saarländer
offen gestehen, uns sehr viele Leiden er
spart, und wir können mit Recht sagen,
daß wir den grauen Hunger und die Not
durch den wirtschaftlichen Anschluß,
wenn nicht ganz beseitigt, so doch be
deutend gelindert haben. Die saarländi
sche Bevölkerung glaubt durch den wirt
schaftlichen Anschluß ihre Lebensexistenz
gesichert, und wir wollen dafür sorgen,
daß sie in ihren Hoffnungen nicht betro
gen wird. Die Einheitsgewerkschaft als
politisch und religiös neutrale Organisa
tion, d. h. als Organisation, die Menschen
verschiedener politischer und religiöser
Auffassung zu ihren Mitgliedern zählt
und nie m die Sphäre dieser internen An
gelegenheit ihrer Mitglieder eingreift, hat
die Verhandlungen, die m Paris geführt
wurden und werden, mit großem Interesse
verfolgt.
Man weiß heute nicht mehr recht, wo
und wie soll man politische und wirt
schaftliche Fragen trennen. Gerade durch
die staathchen Einrichtungen, die bei allen
Fragen im sozialpolitischen Leben mit
sprechen. hat der Staat großen Einfluß
auf die ^eafaUung dfrW’n o'i'ib-hen und
(Fortsetzung nächste Seite)
Lohn- und Gehaltserhöhung - dringendste Forderung
Teuerungsprämie vor 3000 -frs. pro Monat für alle Lohn- und Gehaltsempfänger, Arbeitslose, Pensionäre und Sozialrentner erforderlich
Die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft
über die spürbaren Verschlechterungen
ihrer Lebenslage, und die immer mehr
m sich greifende Verelendung breiter
chichten der Arbeiter und Angestellten
wächst von Tag zu Tag. Diese katastro
phale Lage der Arbeiter und Angestellten
mußte wiederholt auch von der gerade
nicht arbeiterfreundlichen Presse zugege
ben werden, indem sie die Feststellung
traf, daß die Preise seit 1938 bis heute
um das 20fache stiegen, die Löhne und
Gehälter nur um das lOfache.
Unter welch großen Entbehrungen sich
heute viele Arbeiter- und Angestellten-
Famili^n von Monat zu Monat durchwirt
schaften, um nicht, soweit es noch nicht
geschehen ist, zu verschulden, wird je
der feststellen müssen, der ernsthaft und
objektiv in das Leben der Arbeiterfami
lien Einsicht nimmt. Wenn man tagtäglich
sieht, wie Arbeiterfrauen vor gespickten
Schaufenstern stehen, aber auf viele der
schönen Sachen, ja selbst auf die notwen
digsten Lebensgüter verzichten müssen,
weil das heutige Lohn- und Gehalts ein-
kommen für die überwiegende Mehrheit
der Lohn- und Gehaltsempfänger zum Le
bensunterhalt nicht ausreicht — ja, wie
schmerzlich es für eine Mutter ist, wenn
sie ihrem Kinde, welches einmal Verlan
gen nach einem Leckerbissen trat, ihm
dieses versagen muß, weil das Geld da
für nicht vorhanden ist — ganz zu schwei
gen von dem Los unserer armen Pensio
när- und Sozalrentner, ist es verständlich,
daß die Unzufriedenheit und die Empö
rung über diese Zustande bei der schaf
fenden Bevölkerung immer größer wird.
Daß man mit schönen Worten und Belo
bigungen diesen Zustand nicht beheben
kann, und daß die Geduld der Schaffen-
fenden auch zu Ende geht, sie an Stelle
von den vielen leeren Versprechungen Ta
ten sehen wollen, die ihre Lebenslage ver
bessert, ist berechtigt und erforderlich.
Das Unternehmer Argument: Lohner
höhung sei für die Wirtschaft nicht trag
bar, entbehrt jeder Grundlage, nachdem
feststeht, daß die Gewinne der Großunter-
nehmungen in der Nachkriegszeit weit
über die der Vorkriegszeit anstiegen und
zwar in dem Maße wie die Armut des
schaffenden Volkes zunahm.
Es wurde gerade wieder in den letz
ten Tagen durch die Zeitungen des Groß
Kapitals das Märchen lanziert, eine 15 bis
20-o/oige Lohnerhöhung müßte die Leben-
haltungskosten in den nächsten Monaden
14m mindestens 45 Proz. erhöhen. Man
wird damit rechen müssen, daß diese
Version noch stärker propagiert wird.
£ber der aufgeklärte und aufmerksame
Werktätige wird darauf nicht hereinfal-
\en und sich, nicht von dem berechtigten
Kampf um höhere Löhne und Gehälter
abbringen lassen. Auch wird die abge
griffene Platte über den sogenannten
Preisabbau nicht mehr ziehen.
Die Kaufkraffverminderung der Löhne
und Gehälter im Monat Januar, Fe
bruar 1950 gegenüber dem Jahre 1938 geht
aus nachstehender Tabelle hervor. *)
Vergleiche über die Kaufkraft der Löhne und Gehälter
1438 -- fiefepuar '
M e t >a i tii ^ '*
3038
38x®denlöhn
Ni* * ■'*.
Februar T950 Um die Kaufkraft
von 1938 zu er
reichen-müßte er*
heute verdienen
Kaufkraft
Facharbeiter F I
0,95 Mk.
78.74 Frs.
138,70
65 7 "’o
(Handwerk)
Facharbeiter F 1
0,95 Mk.
74.27 Frs.
138,70
53,5o/o
(Handwerk)
Hilfsarbeiter
0,75 Mk.
68,— Frs.
109,50
57,50/0
Baugewerbe s
Facharbeiter F 2
0,80 Mk.
80,69 Frs.
116,80
69 o/o
Angel. Hilfsarbeiter S 1
0,65 Mk.
66,80 Frfe.
94,90
68 o/o
Holz:
Facharbeiter
0,88 Mk.
72,10 Frs.
128,48
56 o/o
Hilfsarbeiter
0,68 Mk.
57,66 FrS.
99,28
58 ft o
Eine Untersuchung bei drei saarländi-
lohn in der Sonderklasse, unter der Saar-
sehen Hüttenwerken (Burbacher, Breba-
brücken fiel,
für den Facharbeiter pro
eher und Dillinger Hütte)
ergab u. a„
Stunde 0,95 Mk.
daß mehr als 60 Prozent der Facharbei-
Der Nettoverdienst eines Facharbeiters
ter in Gruppe F 1 eingestuft sind und der
der Gruppe F 1 (lediger oder verheirateter
Durchschnittslohn, dieser Gruppe einschl.
mit 2 Kinder)
erfuhr, wie nachstehende
gller Zulagen pro Stunde
78,74 Frs. be-
Tabelle zeigt,
gegenüber dem Jahre 1938
trägt, in der Markzeit betrug der Tarif-
folgende Kaufkraftverminderung:
1938 1950
Stunden-
Nettover-
Stunden-
Netlover-
Um die Kauf-
Kaufkraft
loh n
dienst bei
lehn
dienst bei
kraft von 1938
1938
Mk.
20B Std.
208 Std.
zu erlangen müß
- =
te er ver-
100
dienen
Jan. 'Febr.
Mk.
fts.
1950
Lediger:
Facharbeiter 0,95 162,46
Gruppe F 1
Verheirateter t
Facharbeiter 0,95 199,98
Gruppe F 1
mit 2 Kindern
Wie die Senkung der Kaufkraft des Loh
nes bei den lebensnotwendigsten Nah
rungsmitteln sich auswirkt, zeigt folgende
Gegenüberstellung:
Ein Arbeiter, der im Jahre 1938 ein
Tagelohn von 7.60 Mk. verdiente, konnte
damit 9 Pfund Rindfleisch, oder 20 Pfund
Zucker, oder 160 Pfrind Kartoffeln kaufen.
Derselbe Arbeiter verdient heute ca. 628
Frs. pro Tag und kann damit nur 5 Pfund
Rindfleisch, oder 12 Pfund Zucker, oder
46 Pfund Kartoffeln kaufen.
Wie viel Mehrarbeitszeitaufwand der
Lohnempfänger zum Kauf von Nahrungs
mitteln, Kleidung, Haushaltungsgegen
ständen aufwenden muß, geht aus der
Tabelle „Die heutige Kaufkraft der
Löhne“, die an anderer Stelle dieser Aus
gabe veröffentlich ist, hervor.
Besonders kraß ist die Preissteigerung
bei Haushaltungsgegenständen Wie
schwer es für den jungen Menschen ist,
sich bei diesen Preisen heute einen eige
nen Haushalt zu gründen, dürfte kaum au
gezweifelt werden. Dasselbe trifft auch
für Än.schadüngen von Haushaltsgecen-
stäneuen für die Ausgebombten zu.
D e ange'ü':r'.ev» Beispiele dürften wohl
e: deutig die berechtigte Forderung der
Einhe-'tsfew-srks-"ba f t auf sc'o ’ige Lohn
78,74
18,168
23,719
63,9 o/o
78,74
20,812
29,200
66o o
u. Gehaltserhöhung, sowie sofortige Aus
zahlung einer Teuerungszulage in Höhe
von Frs. 3000.— pro Monat bis zum Ab
schluß neuer Tarifverträge für alle Lohn-
und Gehaltsempfänger sowie für Arbeits
lose. Pensionäre und Sozialrentner.
Die Lohn- und Gehaltsempfänger sind
sich darüber im klaren, daß sie diese
Forderungen, nur durch den entschlosse
nen und einheitlichen Kampf durchsetzen
können. In allen Betrieben, Gruben und
Verwaltungen müssen unsere Funktionäre
und Betriebsräte, sowie die Arbeiter und
Angestellten zu diesen Forderungen Stel
lung nehmen, sich für dieselben einsetzeu
und die Kampfeinheit für die Durchset
zung derselben enger schmieden denn je.
Der entschlossene und einheitlich ge
führte Kampf wird und muß uns den Er
folg sichern. Paul Obermeier.
- 1) Um die Kaufkraft der Löhne und Gehälter
von heute gegenüber dem Jahre 1938 zu ermit
teln. wurden die Verbrauchsmengen (Ernäh-.
rong, Kleidung, sowie Miete. Heizung. Licht
und sonstige Ausgaben) einer fünfköpfigem
Familie (Mann, Frau und drei Kinder unter 14
Jahren) für das Jahr 19?8 zugrunde gelegt, was
ein Umrechnungsfaktor im Monat Februar 1950
von 1,00 Mk. gleich 146.— Frs. ergab.
Stellungnahme des
Gewerkschaksausschusses
In einer zum 28. 2. 1950 als dringlich ein-
berufenen Sitzung nahm der Gewerk-
schaftsausschuß folg^pde
E n t s c h lie ßung
an:
Der Gewerksehaftsausschuß nahm in
seiner Sitzung am 28. 2. 1950 zu der ge
genwärtigen Lage Steilung. Nach einge
hender Prüfung der Situation kam der Ge
werkschaftsausschuß zu folgendem Ent
schluß:
Der ge cha tsiührende V. rstand per in-
heitsgewerkschaft wird in Verbiiclu;; mit
der Arbeitsrecht- und Tarifkommission
beauftragt, der Regierung unverzüp'ich
nachstehende Forderungen zu unterbrei
ten und sofort die Verhandlungen darüber
einzuleiten:
1. Für alle Lohn- und Gehaltsempfänger
ist pro Monat eine Teuerungszulage in
- Höhe von 3000 ffrs. ab sofort bis z. m
Abschluß neuer Tarifverträge zur Aus
zahlung zu bringen.
2. Das Existenzminim um ist entsprechend
den Berechnungen des Statistischen
Amtes der Regierung auf 19C80 Ifrs.bei
173 Arbeitsstunden festzusetzen.
3. Die Lohnzonen sind sofort auizuheben.
4. Der Landtag wird ersucht, sofort das
Tarifvertragsae^etz sowie das Betr ebs-
rätegesetz, wie es im Entwurf der Ein
heitsgewerkschaft verlieft, unverzüg
lich zu verabschieden.
Der Gewerksehaftsausschuß wendet si^h
gleichzeitig an alle lund^r'e-erbäade u-d
Einheiten der Org-anls.crtio“e mit der Auf
forderung. unverzüglich die Arbeit eh-
merschaft zur Durchsetzung obiger For
derungen vorrubereiten.
Vorwärts im Kampf für die Stärkung der
gewerkschaft icken Einheit rum Wohle des
gesamten schaffenden Vo’kesl
gez.: Kutsch.
IIHIHHllHlllllllllllllillllllflllllliülllillilliHUIIIlilllltilllliflülillllllllllllillHiilllliilniill
Die neue Zulage-Verordnung
Das Ministerium für Arbeit und Wohl
fahrt teilt mit:
Im Amtsblatt Nr. 16 vom 1. März 1950,
S. 160, erscheint die Verordnung betr. Zah
lung einer Zulage an Lohn- und Gehalts
empfänger. Anrecht aaf die Zulaae ha
ben Arbeitnehmer, deren Bruttoeinkommen
im Monat Januar 1950 unter 14 00 ffrs. brw.
zwischen 14 000 und 18jJ(ÜO ffrs. lag. Nä
here Erläuterungen darüber sind in der
Zeitschrift „Arbeit und Wohlfahrt des
Saarlanäes" enthalten.
(Kommentar hierzu nächste Seite)
iiimiiiiwtiiiii«HUHHHiiiiiitiiHf)iiiimiiim)infiHwiötiiitiwiHiimimiHiiin!tiii-Ino
Aus dem Jn(ka£t:
Gewährung einer Teuerungszulage
Eingabe an das Arbeitsministerium
Tabelle über die Teuerung
Vor Gewährung der Berechtigungskohie
Die Stimme der Verbände
Merkblatt
der Gemeinnützigen Baugenossenschaft
Wichtige Aenderung in der Krankenver
sicherung
Wo sind offene Lehrstellen?
Die Theatergemeinde teilt mit
Frau Maria hat weniger Sorgen
Sozkrlve* Sicherung
Post aus dem Ausland
Mitgliederbewegung im Kreise Saarlouie-
Dillingen <
¥
Gewerkschaftsbewegung und
Arbeitsrecht
iiHiittiiiiHmimiiiimiiHimiimmHuiiHiiiiiiiiiimiimiiimiimiiiHiiiHiimnimmiiimi