Februar 1950
DIE ARBEIT**
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»t
Die Verpuffe bei der Kravag Saariouis
Verlauf und £~geb-is einer Be egschaftsversammlung — Eine notwendige
Aufklärung
Bei der Kravag Saailo*. is wurde vergan
gene Woche eine Beiegschaf^Versamm
lung anberaumt. An die 150 Belegschafts
mitglieder waren zur. festgesetzten Stunde
erschienen, eine beachtliche Zahl. Dar
unter waren viele innerhalb ihrer Freizeit
gekommen. Ferner waren erschienen Be
trebsdirektor Sperling, Mitg ieder des Be
triebsrates, des Kreisrats und des Auf
sichtsrates. Vier Stunden lang folgten die
Teilnehmer mit großem Interesse den Aus
führungen.
Was war geschehen? Der ehemalige
Verkehrsinspektor Küsters war frist
los entlassen worden. Vorwurf: gröbliche
Verletzungen der Dienstvorschriften in
Wiederholten Fällen, Ueberschreitung der
D enstbefugnisse. Ferner wurde betont.es
fehlten erhebliche Geldbeträge. Auch die
soziale Seite, Verhalten gegenüber dem
Personal, klang wiederholt an. Erschwert
wird der Fall dadurch, daß es sich ne
ben den rein betrieblichen Interessen bei
dem Kravag-Betrieb um ein Unternehmen
handelt, das umfangreiche Geldmittel,
also Steuergelder, zur Unterstützung be
nötigt und auch erhalten hat. Auch stand
durch allerlei Gerüchtemacherei das An
sehen des Betriebes und der Betriebsan
gehörigen auf dem Spiel.
Die Angelegenheit wurde vor edlem
durch eine öffentliche Versammlung der
Christlichen Gewerkschaft in die Oeffent-
lichkeit gezerrt, die aber nicht zur sach
lichen Aufklärung beitrug, sondern u. a.
eine eigenartige Entschließung faßte, die
auch über den Betriebsrat der Kravag
Saarlouis falsche Behauptungen auf
stellte.
So war es also aus verschiedenen Grün
den geboten, einmal sachlich in einer
Eeegschaftsversammlung Aufklärung zu
geben, bevor weitere falsche Gerüchte
kursierten. Zum andern hat der Vorgang
aber auch gezeigt, wie dringend notwen
dig ein neues Betriebsrätegesetz ist, das
den Arbeitnehmern eine weitgehende Mit
bestimmung verschafft.
*
Eine Aufklärung gab vor der Be
legschaft zunächst Betriebsdirektor Sper
ling, der unterstrich, daß gegenteilige Be
hauptungen der Christi. Gewerkschaft un
wahr seien und daß Herr Hillenbrand zur
Rechenschaft gezogen werde. Es zeigte
sich, daß die Schwierigkeiten eines Be
triebes nur noch vergrößert werden, we.in
ein mangelndes Vertrauensverhältnis und
dessen Mißbrauch vorliegt.
Die Abrechnungsmethoden Küsters,
seien womöglich gewesen. Die gericht-
licbe Feststellung dieser wie anderer
Dinge sei im Gange.
Betriebsobmann Breunig stellte her
aus, weshalb sich der Betriebsrat der
Sache annehmen mußte, Er habe den
Sachverhalt ohne jeden Einfluß der Di
rektion geprüft und die Zustimmung zur
fristlosen Entlassung betont.
Eine lange Dislcussion zeigte die
freimütige und demokratische Behandlung
des Falles vor der Belegschaft. Bürger
meister L a m a r betonte als Mitglied des
Aufsichtsrats der Kravag, was schon wie
derholt gesagt worden War, man könne
eine endgültige Beurteilung erst vorneh
men, wenn die Gerichtsbehörde gespro
chen habe.
Aufsichtsratsmitglied W e y a n d gab
menschlichen Erwägungen Raum. Der Be
schuldigte könne beim Arbeitsgericht Ein
spruch einlegen. Sperling hätte aber Vor
gehen müssen, denn sonst hätte der Auf
sichtsrat die Pflicht, ihn zur Verantwor
tung zu ziehen. Auch dieser Fall sei ge
eignet, zu betonen, daß das kommende Be
triebsrätegesetz ein weitgehendes Mitbe
stimmungsrecht für Betiiebsratsmitglieder
bringen müsse. Es sei bedauerlich, daß die
Angelegenheit wie ein öffentlicher Skan
dal aussehe. Die öffentliche Versammlung
der Christlichen Gewerkschaft sei zu ver
urteilen, zumal sie der Kravag völlig
fremde Betriebe mobil gemacht habe. Man
müsse sich dagegen verwahren, daß nur
kleine Leute, bei denen einmal ein Fahr
schein nicht gestimmt habe und die so
zial hilfsbedürftig seien, zut Entlassung
kommen sollen und bei Bessergestellten
alles versucht werde, um eine Entlassung
zu verhindern. Jeder Arbeitnehmer habe
ein Interesse daran, daß der Betrieb ge
sund erhalten bleibe und der Arbeits
friede gewahrt werde. Im Jahre 1949 seien
der Kravag 33 Millionen Frs. aus öffent
lichen Mitteln zur Beseitigung von Kriegs
schäden und Defiziten gegeben worden.
Es wäre unverantwortlich, wenn auch nur
eine Möglichkeit bestünde, öffentliches
zu veruntreuen.
Einige Belegschaftsmitglieder meldeten
sich zu Wort und betonten vor allem die
Notwendigkeit, die oberen Stellen bei Ver
fehlungen nicht zu schonen, wenn man
schon die Kleinen hart angreife. Einige
verwahrten sich auch energisch gegen den
Versuch der Christi. Gewerkschaft, von
außen Unruhe in den Betrieb zu tragen
und den Betriebsrat der Kravag in Saar
louis als „kommunistisch" zu bezeichnen.
Natürlich warte man auch das Gerichts
urteil ab.
Sprecher der Christi. Gewerkschaft, zu
deren Mitglied Küsters zählt, legten haupt
sächlich dar, den Gerichtsbeschluß ab-
zuwerrten, glaubten aber, gleichzeitig Stel
lung nehmen und den Fall in ein eigenes
Licht rücken zu müssen.
Als Sprecher der Einheitsgewerkschaft
nahm Koll. Heinz die Gelegenheit wahr,
auf die Notwendigkeit des energischen
Kampfes für ein neues Betriebsrätegesetz
hinzuweislen.
Er unterstrich, daß der Betriebsrat der
Kravag Saarlouis von der gesamten Be
legschaft gewählt worden ist. Er sprach
sich dann für die Annahme einer Resolu
tion aus und appellierte an den Gemein- '
schaftsgeist im Betriebe, zumal in den
nächsten Monaten, denn es stünden große
Aufgaben bevor, gerade im Industriever-
bgnd Verkehr und Transport, vor allem
auch bezüglich des Abschlusses von Ta
rifverträgen.
Hierauf wurde folgende Entschließung
mit fast allen Stimmen gegen ein paar
Neinstimmen angenommen:
„Di« heutige Betriebsversammlung protestiert
auf das Schärfste dagegen, daß innerbetriebliche
Angelegenheiten der K. V. S. im Falle Küsters
in einer öffentlichen Versammlung der Christ
lichen Gewerkschaft behandelt worden sind,
und verbittet sich die Einmischung Außenste
hender in diese Angelegenheiten, zumal diesel
ben vollständig entstellt waren.
Nachdem nun die Belegschaft über den Fall
Küsters volle Aufklärung erhalten hat, stimmt
auch die Betriebsversammlung der Entlassung
Küsters zu und spricht dem Herrn Direktor
Sperling sowie dem Betriebsrat das volle Ver
trauen aus“
Die ßeschäftigungslage im Saarland
Bericht des Arbeitsministeriums für Monat Januar — Erstmalig Rückgang der Be
schäftigtenzahl — 7418 Arbeitslosa — Dennoch verschiedene Mangelberufe — Die
Aussichten zum Frühjahr
Mit dem Eintritt des Frostwetters ka
men zahlreiche Außenarbeiten, beson
ders im Hochbaugewerbe zum Erlieg an.
Nur weniga Betriebe waren in der Lage,
ihre fre gewordenen Arbeitskräfte auf dem
Bauhof bei Instandsetzungsarbeiten an
Maschinen und Geräten oder bei Tief
bauarbeiten zu beschäftigen und notfalls
Kurzarbeit einzuführen. Es kam daher zur
Freisetzung von ca. 2000 Arbeitskräften,
die nur zum Teil von den Arbeitsämtern
für die Dauer der Arbeitsruhe im Bau
gewerbe anderweitig untergebracht wer
den konnten, weil weder der Bergbau
noch die Hüttenindustrie z. Zt. Arbeits
kräfte aufnehmen können. Dadurch ist
zum ersten Mal die seit 1949 ständig an
steigende Zahl der Beschäftigten im Ja
nuar 1950 gesunken. Ende des Monats
wurden 268 911 Beschäftigte gezählt ge
genüber 270 725 zu Beginn des Jahres. Es
ist nicht zu erwarten, daß bei Rückgang
des Frostwetters schon im Monat Febru
ar der frühere Beschäftigungsgrad
schlagartig wieder erreicht wird, weil dar
Monat Februar für Außenarbeiten als be
sonders wetterunsicher gilt und Termin
arbeiten kaum anstehen. Die begonnene
Ausschreibung und Vergebung öffentli
cher Arbeiten dürfte sich erst Ende Fe
bruar, Anfang März auf den Arbeits
markt auswirken. Die Zahl der Arbeits
losen stieg durch den Beschäftigungs
rückgang um 2 034 auf 7 498.
Die Lage in den einzelnen Wirtschafts
zweigen und Berufsgruppen:
Landwirtschaft:
In der Landwirtschaft liegt nach wie
vor ein stärket Bedarf an Fachkräften
vor, der auch in absehbarer Zeit nicht
gedeckt werden kann. Die Abwanda-
rungsbestrebungen von' Fach- und Hilfs
kräften zur Industrie halten an.
Forstwirtschaft:
hauern, Auiforstungsarbeiten wurden
durchgeführt. Im Bezirk Saarbrücken be
steht noch ein Mangel an perfekten Holz
häusern. Aufforstungsarbeiten wurden
nur in geringem Umfange vorgenommen,
Bergbau:
Weder der Saarbergbau noch die lo
thringischen Gruben waren für Arbeits
kräfte aufnahmefähig. Die Zahl der im
Bergbau Beschäftigten ist durch natür
lichen Abgang von 69 849 auf 69 559 zu
rückgegangen.
Eisenerzeugende Industrie:
Bei den saarländischen Hüttenwerken
konnten 165 Arbeitskräfte neu eingestellt
werden. Es handelt sich allerdmgs dabei
überwiegend um Wiedereinstellungen bei
dem Neunkircher Eisenwerk und um Wi --
derbeschäftigung heimkehrender Kriegs
gefangener.
Eisen- und metallverarbeitende Industrie:
Die eisenverarbeitende Industrie ist
nach wie vor gut beschäftigt. Lediglich
bei einigen Montagefirmen traten durch
die jahreszeitlich bedingten Einstellun
gen von Außenarbeiten Stockungen ein,
die zur Verkürzung der Arbeitszeit und
vereinzelt zur Freigabe von Arbeitskräf
ten führten. Die Beschäftigungslage beim
Handwerk war in allen Arbeitsamtsbe
zirken noch zufriedenstellend. Gesucht
waren insbesondere Klempner, Installa
teure und Heizungsmonteure.
Industrie der Steine und Erden:
Durch den eingetretenen Frost waren
vereinzelt Betriebe der baustofferzeugen
den Industrie gezwungen, Teile ihrer Be
legschaft zu entlassen. Die Kalkstein-
brüche und Hartstein werke sind weiter
hin für Arbeitskräfte aufnahmefähig. Auch
die Auftragslage in der Glasindustrie hat
eine Besserung gefunden, so daß auch
hier Einstellungen vorgenommen werden
konnten.
Holz- und Schnitzstoffgewerbe:
Die Zahl der offenen Stellen für Bau-
und Möbelschreiner ist gegenüber dem
Monat Dezember wieder leicht angestie
gen. Während die industriellen Betriebe
dazu übergehen, Hilfskräfte anztriemen,
um den Facharbeitermangel zu beheben,
werben die handwerklichen Betriebe um
jede fremdberuflich beschäftigte Fach
kraft. Die von den Sägewerken in ge
ringer Zahl angeforderten Hilfskräfte
konnten ohne Schwierigkeiten zugewia-
sen werden.
Chemische Industrie:
Eine Zündholzfabrik mußte wegen Ab
satzschwierigkeiten Entlassungen vo.neh
men. Die chemisch-pharmazeutische In
dustrie hat vorerst von Entlassungen Ab
stand genommen in der Hoffnung, daß in
Kürze eine Belieferung Frankreichs rci':
saarländischen Arzneimitteln meg i:h sei.
Bei dem Saargummiwerk wurde eine grö
ßere Halle mit Altgummi zerstört. Dia
Produktion hatte jedoch dadurch keinen
Ausfall erlitten.
Nahrangs- und Genußmifte g wa be:
Im Bäcker- und Metzgarhandwerk kam
es nach den Feiertagen zu geringen Ent
lassungen. Die Fieischwarenfabriken
konnten weitere Einstellungen von Ar
beitskräften vornehmen. Die im Vormonat
bei einer Schokoladenfabrik freigesetz
ten Arbeitskräfte kamen wieder zur Ein
stellung. Darüber hinaus konnte ein Be
trieb weitere 18 weibliche Arbeitskräfte
aufnehmen.
Bau- und Baumebengewarbe:
Im Baugewerbe kam es in allen Ar-
beitsamtsbezirken infolge des eingeirele-
nen Frostwetters zu Entlassungen, die
sich jahreszeitlich gesehen, noch ir ei
nem verhältnismäßig engen Rahmen os-
wegien. Es besteht immer noch e.ne
starke Nachfrage nach Maurern, Zimme
rern, E.nscha ern, Eisenf .echtem und Pxat-
tenlegem, besonders im Arbeitsamisbe-
zirk Saarbrücke i.
Im Ma erhandwerk wurden Entlassun
gen vorgenommen.
Bekleidungsgewerbe!
D e K e.der- und Wäscne abiilcen konn
ten ihren bisherigen Eeschäl igungsstand
hol en, wahrend bei dem Handwerk eine
weitere erschreck:e ung der Auftrag s-
lage re st ru rieften war. Die Schuhfabri
ken waren gu: beschäftig- und in gerin
gem Umfang für Fachkräfte noch auf
nahmefähig.
Kauf mäh aiscr-e und Büro erufr:
Handel, Indur r e und Verwaltung wa
ren für sämtliche Argss‘eTenhe ufekeum
aufnahmefähig. Le g ich jüngere Büio-
anger e te, meistens mit Kenntnissen in
Stenographie, Ma^ohinensch reiben und
der französischen Sprache konnten ver-
mitte’t werden. Auch an jüngere Steno
typistinnen besteht noch ein größerer Be
darf. Perfekte Kräfte stehen hier übeT- *
haupt nicht zu-: Verfügung, da die Nach
wuchskräfte es an einer fachlichen Aus
bildung fehlen lassen.
Durch den Winter Schlußverkauf konn
ten mehrere Aushilfskräfte kurzfristig in
Arbeit vermittelt werden.
Gewerkschaftsbewegung und
Die nachstehenden Ausführungen haben
den Zweck, zu zeigen, daß die in der Ver
gangenheit errungenem Erfolge auf ar-
beitsrechtlichem Gebiet der Arbeitneh
merschaft nicht wie ein Geschenk in den
Schoß gefallen sind, sondern daß diese
Ergebnisse dem vereinten Streben und
Fordern der Arbeiterschaft, geleitet von
der Aktivität ihrer führenden Männer, zu
verdanken sind. — Manches von dem,
was bereits fester Bestand war, wurde,
wie so vieles andere, durch die Flut der
Ereignisse, welche wir alle am elganan
Leib verspürt haben, hinweggeschwemmt.
Heute aber ist es höchste Zeit, an den
Wiederaufbau dpssen zu denken, was nie
dergerissen wurde. Darum hat jeder Ar
beitnehmer, der an den Erfolgen teilhaben
will, die Pflicht, zum Gelingen des Wer
kes beizutragen, will er sich nicht nach
sagen lassen, er wolle ernten, ohne zu
säen.
Die Entwicklung des Arbeitsrechts folgt
nach alter Erfahrung nur zögernd den sich
immer wieder ändernden Organisations
formen des Wirtschaftslebens. Als der
Mensch nur für sich selbst, nur für den
eigenen Lebensunterhalt arbeitete, gab es
noch kein Lohn- und Preisproblem. Diese
Fragen tauchten erst auf, als der Mensch
seine Arbeitskraft einem Dritten zur Ver
fügung zu stellen gezwungen war. Die
Einschaltung des fremden Auftraggebers
erweckte erst die sozialen Schwierigkei
ten.. — Es würde zu weit führen, wenn wir
auf die Frage, wie es zu dieser Entwick
lung kam, näher eingehen würden. Darum
genügt es, wenn wir feststellen, daß der
Uebergang von der mittelalterlichen Dorf-
und Stadtwirtschaft zur Volkswirtschaft,
von der Agrarwirtschaft zum Industrialis
mus m seiner sprunghaften Entwicklung
vom vergangenen Jahrhundert ab einer
seits zwar die Voraussetzungen für den
Zusammenschluß der Arbeitnehmer schuf,
andererseits aber auch, daß sich die Kräf
teverhältnisse immer mehr zu ungunsten
der Arbeitnehmer verschoben. Eine steti
ge Verschlechterung der Arbeitsbedingun
gen war die Folge und die bestehenden
Gegensätze verschärften sich immer mehr.
Wenn sich die Masse der Arbeitnehmer
gegen Ausbeutung und Knechtschaft zur
Wehr setzen wollte, war ihr Zusammen
schluß eine zwingende Notwendigkeit. So
fanden sich auch die Kräfte der Arbeit
nehmer zusammen, welche sich der dro
henden Entwicklung entregenstemmfan.
Sie sammelten sich um bewährte Arbei
terführer, welche als erste die Geweirk-
schaftsidee verwirklichten. Der arbeiten
de Mensch wurde von ihnen zur Verei
digung seiner Lebensbedingungen aufga-
rufen, damit sein Verlangen nach Verbes
serung deT Arbeitsverhältnisse, sein Be
dürfnis nach sozialer Sicherheit und seine
Forderung nach Freiheit erfüllt werde. Im
Laufe der Jahrzehnte haben sich die Or
ganisationsformen der Gewerkschaften
verändert und jeweils der wirtschaft
lichen, sozialen und politischen Entwick
lung angeglichen; ihre Aufgaben und
Ziele sind jedoch dieselben geblieben:
nämlich Hebung des Lebensstandards,
sozialer Schutz und Befreiung von Aus
beutung, Unterdrückung und Abhängig
keit
Wie aber konnten diese Forderungen dair
Arbeitnehmerschaft verwirklicht werden?
Der Unternehmer selbst war Ln den selten
sten Fällen freiwillig zu Zugeständnissen
bereit, weil seine Interessen eine ganz
andere Richtung einschlugen. Anderer
seits genossen die Gewerkschaften lange
Zeu keinerlei staatlichen Schutz. Aber die
Arbeiterbewegung war doch so stark ge
worden. daß dar Staat, wenn auch nur
mit Widerstrsben, dem Druck dar neuen
Strömung nachgeben mußte.
Wenn es auch nur schrittweise voran
g-ng, so wurden doch die - ersten Erfolge
auf gesetzgeberischem Gebiet sichtbar Es
isr daher schon als Gewinn zu verbuchen,
daß sich die tätliche Hilfe zunächst nur
auf den Erlaß von EinzelVorschriften er
streckte. Hier war es vor allem die Ge
werbeordnung von 1869, welche m ft ziril-
rechüichen und gewerbepoiizeiliehen Be
stimmungen den Schutz der gewerblichen
Arbeiter und ihrer Arbeitskraft übernahm.
Die Gewerbeordnung, welche zunächst
nur für den norddeutschen Bund erlassen
war, wurde später auch in den übrigen
deutschen Staaten eingeführt und brach e
damu auch für das übrige Deutschland
eine Ausdehnung des Arbei erschulz es. da
m den übrigen Staaten die Arbeher-
schutzgesetzgebung teils wenire’ entwic
kelt war, teils überhaupt nicht bestand.
Eine Abänderung der Gewerbeordnung
von 1878 brachte eine weitere Verbesse
rung der Schutzbestmimungen für die Ar
beiter. Durch Einbringung immer neuer
Anträge un Reichstag, insbesondere be
züglich der Sonntagsruhe, der Frauen-
und Kinderarbeit, der Arbeitszeit und
Nachtruhe der Arbeiterinnen wurdenwei
tere Abänderungen der Gewerbeordnung
ln den Jahren 1903 und 1903 d. reheeoetzt.
Alle diese neuen Vorschriften brachten
eine erhebliche Besserstellung der Arb eit
nehmer gegenüber cem früheren Rechts
zustand. Diese Errungenschaften wurden
während des ersten W-eütkrieges vorüber
gehend außer Kraft gesetzt. ED v e t sie
Jugendliche und weibliche Arbei'er be
trafen, doch bald nach Beend nurg des
Krieges wieder eingeführt. Köcbsf be
deutsam war die Schaffung von Cc, er
be- und Kaufmannsganchts.ü in der Jah
ren 1893 und 1904, welche später inden
Arbeitsgerichten aufcjiagen. Dem lang er
sehnten Achtstundentag brach's die An
ordnung über die Regelung dsr Arbeit
zeit gewerblicher Arbei'er vom 23. No
vember 1918.
Bis dahin war das kollektive Arbefts-
recht noch erheblich im Rückstand ge
blieben, weil man sich nur schwer zu Zu
geständnissen bequemt hatte und es da
bei versäumte, sin systematisches Geset
zeswerk zu formen. Erst nach dem Welt
krieg ging e-s auch auf diesem Geb.et
unter dem Drucke der Arbeiterbewegung
vorwärts, nachdem sich die Gewerkschaf
ten das Recht zur Vertretung der Art eft
nehmerin teressen erkämpft haften. Ein
Markstein dieser Entwicklung ist die Ver
ordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und
“Angestellterausschüsse und Schlichtung
von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. 12. 1918.
Sie brachte eine vorläufige, aber doch
sehr bedeutsame Regelung der wichtig
sten arbeitsrechtlichen und sozialpoliti
schen Fragen, denn auf ihr beruhten die
Unabdingbarkeit der Tarifverträge und die
Möglichkeit ihrer Allgemeinverbindlich-
keitserklärung. In der Weimarer Verfas
sung vom 11. 8. 1919 ist die geplante
Weiterentwicklung des-Arbeitsrechts pro
grammatisch angedeutet: In Artikel 157
heißt es: Das Reich schafft ein einheit
liches Arbeitsrecht. Artikel 159 prokla
mierte die Vereinigungsfrei heil, Artikel
163 die Arbeitspflicht und das Recht auf
Arbeit und Fürsorge,
(Schluß folgt)