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DIE ARBEIT“
Februar 1950
11
Trübe Brille des „Saar-Handwerker"
Der „Saar-Handwerker“, das Organ d.
saarländischen Handwerks veröffentlicht
in der Ausgabe Nr. 22 eine flache iro
nische Betrachtung zum neuen Betnebs-
xätegesetz. Wenn wir eine solche Art von
Polemik ablehnen, so wollen wir doch
die Zeilen unseren Lesern nicht vorent
halten. Der „Saar-Handwerker" schreibt
wörtlich:
Zum neuen Betrieösrätegesetz
Wir veröffentlichen in unserer heutigen Aus
gabe den Entwurf des Arbeitsministeriums zum
reuen ..Betriebsrätegesetz“ und geben gleichzei
tig unsere Stellungnahme dazu bekannt. An
gesichts der ungeheuren Tragweite dieser Rege
lung raten wir unseren Lesern dringend, sich den
Inhalt der vorgesehenen Neuregelung genaue-
e ®ns anzuse' en und in diesem Falle einmal nicht
an einem ..langweiligen, ellenlangen Gesetz" vor-
beizulesen. Gewiß geben wir allen denen recht,
die immer sagen-
Man könnte es auch kürzer lassen".
Wir haben daher einen Vorschlag zu machen,
we’cher der Sachlage ebenso gerecht wird, aber
d=n Vo-zug der Kürze und absoluten Klarheit hat.
Unser Gegenvorschlag krutets
§ i
Der Arbeitgeber hat das Recht und die Pflicht!
1) die zur Zahlung von Löhnen und Gehältern
erforderlichen Mittel pünktlich und ausrei
chend bereitzustellen;
2) Sozialversicherungsbelträg« regelmäßig und
pünkt’ichst abzulühren;
3) re'Te'mätig sämtliche Steuern zu beazhien.
S 2
Alle in § 1 nicht auf^elührten Rechte »leben ln
Gleichberechtigung den Vertretern der Ge
werkschaft und dem Betriebsrat zu. Auel
Was soll man zu solcher Haltung sa
gen? Schon bei einfacher Betrachtung
der besagten Zeilen stellt jeder Leser
fest, daß sie nicht nur ein Armutszeug
nis, sondern auch ein Kennzeichen für
den rückständigen Geist darstellen, der
in diesen Kreisen herrscht, bewiesen da
durch, daß ihnen nichts anderes einfälÄ,
I. R. O. ln emotionaler Suchdienst. Arolsen bei
Kassel, sucht:
Berg. Ernst, Luxemburger, geb. 7, 4. 42 in Saar
brücken, war 1944 in Guben und zuletzt an
geblich in Bad Kreuznach;
Bonnern. Berthold, deutscher Jude, geb. 1926 i»
Deutschland, letzte Nachricht aus Alencon,
Frankreich;
Groll. Johann. Luxemburger, geb. 9. 3. 22 m
Differdingen, Luxemburg, vermißt »eit 19. 10. 48
in der Gegend von Dubrowno;
Jost. Roger, Luxemburger, geb. 9. 8. 26 m Esch'/
Aizette. letzte Nachricht vom 20. 1. 48 aus der
Nähe von Zinten, Ostpr.;
Keilen Peter. Luxemburger, geb. 29. 7, 28 in
Bourscheid. letzte Nachricht vom Dezember
aus Iwankina. Bez. Witebsk, UdSSR, Feldpoet-
Nr. 19226 F;
Linpert. Joseph, Luxemburger, geb. 28. S. 20 ki
Nospelt vermißt seit 28. 6. 44 bei örsoha,
UdSSR;
Bloch Max. luemburgischer Juge. geb. 15. 11. 1886
in Saarbrücken, wurde nach Auschwitz depor
tiert.
um eine sachliche Auseinandersetzung au
führen.
Solche Fomulierungen sind nur mög
lich infolge Mangels an sozialem Denken.
Es fehlt an der rechten Auffassung von
den Pflichten in einer demokratischen Ge
sellschaft und über die Entstehung der
Werte und der Mehrwerte.
Offensichtlich verteidigen sie, wenn
auch in unmöglicher Art und Weise, ei
nen im 19. Jahrhundert üblichen Stand
punkt. Rechte wollen sie, aber die Pflich
ten sollen dem Arbeitnehmer aufgebürdet
werden, der seine Arbeitskraft, sein ein
ziges Kapital, an sie verkaufen muß, um
überhaupt existieren zu können. Wir ver
kennen keinesfalls die Tatsachen, daß
der Gewerbetreibende auch Sorgen hat,
meist finanzieller Art. Aber das hat mit
dem Betriebsrätegesetz nichts zu tun.
Was wollen eigentlich die Gewerk
schaften mit dem neuen Betriebsrätege
setz? Sie wollen, daß der Arbeitnehmer
neben seinen Pflichten auch ein Recht
auf Mitbestimmung in dem Betrieb haben
soll, mit dem er auf Gedeih und Ver-
Die stete Sorge des schaffenden Men
schen um Lohn und Arbeitsplatz und dfe
in vielen Betrieben geübte soziale Ungerech
tigkeiten zum Nachteil der wirtschaftlich
Schwächeren ließen im Laufe der Zeit die
Arbeitsgerichte entstehen. Der Arbeitneh
mer, der, in Verfassungen alter Kulturländer
verankert, ein Recht auf Arbeit hat, soll ge
gen Willkürmaßnabmen geschützt werden.
Die Arbeit dieser Gerichte liegt auch darin,
durch seine Entscheidungen die Unterneh
mer und Gewerbetreibende zur richtigen An
wendung bestehender Betriebsrätegesetze
. oder -Verordnungen zu veranlassen. Wie
notwendig dies ist, zeigt folgender Fall, den
wir aus der „Welt der Arbeit“ entnehmen
und allen, die es emgeht, zum eingehenden
Studium empfehlen.
Bei den Voßwerken in Sarstedt war es
»wischen der Belegschaft und der Be
triebsleitung zu Diff erenzen gekommen, die
*u einer eintägigen Arbeitsniederlegung
geführt hatten. Ursache war eine inner
betriebliche Umsetzung von Arbeitskräf
ten, gegen die sich die Betroffenen wehr
ten. Als der Betriebsrat den Vertreter der
Industriegewerkschaft Metall aufforderte,
an einer Betriebsversammlung teilzuneh
men, wurde diesem von der Werksleitung
der Zutritt verboten.
Daß um Entscheidung angerufene Ar
beitsgericht Hildesheim erhielt daraufhin
eine einstweilige Verfügung, nach der dem
Gewerkschaftsvertreter unter Androhung
einer Strafe in Höhe von 2000 DM die
Teilnahme an der Betriebsversammlung zu
gewähren war. Die Voßwerke hielten ihr
verbot trotzdem aufrecht und erhoben ge
gen die einstweilige Verfügung Wider
spruch.
Das Arbeitsgericht Hildesheim verwarf
jedoch den Widerspruch u. verurteilte die
Voßwerke zur Zahlung der angedrohten
derb verbunden ist. Zahlreiche Beispiele
lassen diese Notwendigkeit bei der heu
tigen Wirtschaftsform erkennen; und
dem fortschrittlichen Arbeitgeber, dem
das Wohl seines eigenen Betriebes am
Herzen liegt, müßte die Mitbestimmung
seines Betriebsrates, dem die fähigsten
seiner Arbeitnehmer angehören, wahr
lich keine Sorgen bereiten.
Ein kleines Beispiel aus dem Kreise
Merzig soll veranschaulichen, wie not
wendig die Mitbestimmung des Arbeit
nehmers sein kann. Zunehmende Ver
fehlungen der Betriebs- und Geschäfts
führung ließen die Existenz eines Betrie
bes und damit der Arbeiterschaft ins
Wanken geraten. Unregelmäßigkeiten seit
1946 wurden bis zur Korruption gestei
gert, ohne daß der Betriebsrat im Inter
esse des Betriebes die rechtliche Hand
habe hatte, einzugreifen und dem ver
werflichen Tun Einhalt zu gebieten. Soll
der schaffende Mensch in diesem Falle
auch zusehen, wenn seine eigene Exi
stenz und damit die seiner Familie ge
fährdet wird? Das kann man mit dem be
sten Willen dem fleißigen Arbeiter nicht
zumuten und das wird auch der ehrliche
Gewerbetreibende unter den Saar-Hand
werkern einsehen! Und wieviele andere
Beispiele gibt es noch! —Wb—
Strafe in Höhe von 2000 DM. Nach den Ar
tikeln 7 und 8 des Kontrollratsgesetzes
Nr. 22 so begründete das Gericht sein
Urteil, steht dem Betriebsrat das Recht zu
einer engen Zusammenarbeit mit den Ge
werkschaften und zur Abhaltung einer Be
triebsversammlung in jedem Vierteljahr
zu. Diese Zusammenarbeit sei aber nur
möglich, wenn dem Gewerkschaftsvertre
ter die Teilnahme an den Betriebsver
sammlungen gestattet wird. Nur dann sei
er imstande, die gewerkschaftlichen Be
lange dem Arbeitgeber gegenüber zu ver
treten.
Das von der Betriebsleitung der Voß
werke aus den Artikeln 13 und 14 des
Bonner Grundgesetzes geltend gemachte
Hausrecht werde durch ale Bestimmungen
des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 begrenzt.
Hausfriedensbruch begehe, wer sich un
befugt in das Eigentum eines anderen be
gebe. Das dem Gewerkschaftsvertreter zu
stehende Teilnahme recht an den Betriebs
versammlungen schließe jedoch diesen
Tatbestand aus. Selbst eine Betriebsver
einbarung, die etwa die Mitwirkung der
Gewerkschaften ausschließe, sei rechtlich
ohne Bedeutung, da sie in Gegensatz zu
den Bestimmungen des Kontrollratsge
setzes 22 stehe.
Diese bedeutsame und grundsätzliche
Entscheidung, gegen die noch das Rechts
mittel der Berufung beim Landesarbeits
gericht möglich ist, stellt also ausdrück
lich fest, daß den Gewerkschaftsvertretern
der Zutritt zu den Betriebsversammlungen
auch gegen den Willen der Betriebs
leitung gestattet ist. Ein Widerspruch ge
gen diese an sich selbstverständliche Ge
pflogenheit konnte auch nur in einem Wer
ke entstehen, das durch fortgesetzte Dif
ferenzen mit seiner Arbeiterschaft in
wachsende soziale Spannungen geriet.
„Herr Im Hause" wurde bestraft
2000 DM Strafe, weil man Gewerkschaftsvertretern Zutritt verweigerte
Posi aus dem Ausland
Deutschland. Der aul dem Gründungskongreß
des Deutschen Gewerkschaftsbundes ln Mün
chen beschlossene Kulturpreis für hervorragende
Werke auf den Gebieten Theater, Musik, Film,
Bildende Kunst, Literatur und Wissenschaft soll
um ersten Male im Jahre lz950 verliehen wer
den. Der Kulturpreis der Gewerkschaften soll
als Dauereinrichtung an Künstler und Gelehrte
verliehen werden, die einen besonders wertvolleh
Beitrag für die Arbeiterbewegung leisten
Frankreich Das französische Arbeitsministe
rium veröffentlicht eine Aufstellung der Arbeits
kräfte. die von verschiedenen Zweigen der fran
zösischen Wirtschaft im Jahre 1950 benötigt wer
den. Die Landwirtschaft braucht insgesamt 21 300
Arbeitskräfte. Von dieser Zähl werden rund 7000
für dauernde Arbeit gesuoht und die übrigen
für Saisonarbeiten angefordert. Für die Kohlen
gruben sucht man 60 000 Mann, die jedoeh nicht
zusätz'ich benötigt werden, sondern andere
Arbeitskräfte ablösen sollen. Etwa 2000 ausländi
sche Bergarbeiter werden angefordert. Die fran
zösische Metallindustrie sucht fOOO hochqualifi
zierte Facharbeiter. In der Textilindustrie des
Nordens und in den Vogesen sucht man weib-,
liehe Arbeitskräfte.
ln der am 7. Januar abschließenden Woche
betrug die Kohlenförderung in französischen
Bergwerken 1 061 000 Tonnen. In der gleichen
Woche förderte man an der Saar 307 000 Ton
nen. Eingeführt wurtien in Frankreich Insgesamt
228 000 Tonnen Kohle, die aus Westdeutschland,
Großbritannien. Belgien und Polen kamen.
Die Stromerzeugung betrug in der am 12. Ja
nuar endenden Woche 612 Millionen Kilowatt
stunden, hiervon 238 Millionen hydraulischer und
374 Millionen Kw-Sh thermischer Herkunft. Die
Staubecken verfügen gegenwärtig über einen gu
ter, Wasserstand (51 Prozent).
USA
Der Streik der fast 100 000 Bergarbeiter dauert
or. Trumen versuchte wiederholt zu vermitteln,
neueruings durch Vorschlag eines 70iägigen Waf
fenstillstandes. Ein Untersuchungsausschuß soll
ki dieser Zeit die Möglichkeiten für eine Einigung
prüfen. Immer mehr ergeben sich durch den
Kohlenauefall Rückwirkungen auf die Stahlpro
duktion.
V
Internationale
Gewerkschaftskonferenz in Aachen
Am 15. Januar 1950 fand in Aachen eine in
ternationale Konferenz »tatt, an der die Vertre
ter der Metall- und Bergarbeitergewerkschaften
aus den Vereinigten Staaten, Belgien, Frankreich,
Luxemburg, Holland, England und Deutschland
teilnahmen. Die Konferenzteilnehmer beschäftig
ten sich eingehend mit dem Problem des Ruhr
gebietes. Sie faßten drei wichtige Entschließun
gen, denen wir auszugsweise das Wichtigste ent
nehmen.
I.
Die Vertreter der metallurgischen und der berg-
werklichen gewerkschaftlichen Organisationen
bestätigten, nach einer neuerlichen Prüfung des
Problems des Ruhrgebietes, die früheren Ent
schließungen in Luxemburg am 14. und 15. Marz
1949 und fai Brüssel am 15. und 16. September
1949.
Die Konferenz von Aachen bekräftigt erneut
ihren Willen, daß dieses wichtige Industriegebiet
herausg-enommen wird aus der Macht der Trusts
und reorganisiert wird unter solchen Bedingun
gen, daß die Industrien der Ruhr fürderhin aus
schließlich zur Entwicklung des europäischen
Wirtschaftslebens verwendet werden.
II.
Die Konferenz unterstützt das Verlangen der
deutschen Gewerkschaften, ihren Einfluß in der
Kohlen-, Eisen- und Sahl-vir'schaff zu verstärken.
III.
Die Konferenz richtet an die Signatarmächte
des Ruhrstatutes die Forderung, daß der nach
§ 3 des Ruhrstcäuts zu ernennende Stellvertreter
aui Vorschlag der ge - e kscLaLlichen Organ -'a-
tion des jeweiligen Landes ernannt wird, mit den
gleichen Rechten wie das ordentliche Mitglied.
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ZuscfiuUm aus dem teseckceis
Verschiedene Zuschriften befaßten sich
mit der plötzlichen Erhöhung der Eisen-
bahntaiife. Ein Leser schrieb u. a.:
Das war doch starker Tuback die Preis
erhöhung von 33 Prozent aut einen Schlag,
Sie können sich denken, daß ich den letz
ten Aufschlag bei der Eisenbahn mei
ne. Daß damit hauptsächlich die 3. Klas
se, also die Arbeiterkarten am meisten
betroffen wurden, so was sollte man kaum
für möglich halten. Und dabei ohne jede
Rücksicht auf das Einkommen. Was hat
sich die Eisenbahnverwaltung eigentlich
gedacht? Hat sie gedacht sie müßte
schnell noch andern zuvorkommen die
ebenfalls Erhöhungspläne haben? Man
hört schon seit Wochen, daß auch die
Miete wieder höher werden soll.
Auf alle Fälle, hier ist wieder einmal
von oben herab falsch gehandelt wor
den. Es hat sich ja schon herumgeSpro-
chen daß am Tage der Erhöhung der
Tarife viele Arbeiter das Geld nicht bei
sich hatten um den Mehrpreis zu bezah
len und so eine Schicht verloren oder sich
extra eine gewöhnliche Karte kaufen muß
ten und am Tage später wieder extra eine
Wochenkarte zu dem neuen Preis.
Wer zahlt den Arbeitern den Schaden?
Soll auch hier wieder die breite Masse
die Lasten tragen?
Die geschädigten Arbeiter haben das
Vertrauen, daß die Gewerkschaft sich
energisch der Sache annimmt.
In der Frage sind die Gewerkschafts
vertreter sofort beim Arbeitsminister vor
stellig geworden, und auf Grund der Ini
tiative des Arbeitsministers wurde dann
über den Landesstock sehr bald eine Re
gelung gefunden, die, wie das Arbeits
ministerium mitteilt, eine gewisse Erstat
tung des Lohnausfalls vorsieht. Die Ein
zelheiten wurden inzwischen durch Ta
gespresse und Rundfunk bekanntgegeben.
Wesentlich ist, daß die Anforderung des
Erstattungsbetrages über den Arbeitgeber
innerhalb von vier Wochen nach Veröf
fentlichung der Verordnung im Amtsblatt
vorzunehmen iet.
*
Zum Kapitel Zentralisation oder Dezentralisa
tion der Sozialversicherung möchte ich anhand
eines besonderen Falles schildern, wie be
rechtigt die Forderunge der Einheitsgewerk
schaft auf Zentralisation der Soziat-Versicherung
ist:
>
Als kurz vor Weinnacnien die L. V. A. die ein
malige Sonderzulage an die Rentner und Witwen
auszahlte, kam eine über 80 Jahre alte Frau
zu mir "und trug. wo sie die 700.— Frs. herkriegen
sollte, sie sei auf dem Postamt gewesen, dort
sei ihr gesagt worden, daß für sie nichts da sei.
Auf meine Frage, ob sie die Witwenrente von
der L. V. A. beziehe, konnte sie mir keine Ant
wort geben. Ich stellte dann fest, daß sie. da
ihr Mann bei Gebr. Lüttgens in Burbach beschäf-^
tigt war, schon im Jahre 1908 tödlich verun
glückte. nur die Unfallrente bezog. Da aber die
Unfallversicherung die Sonderzulage nicht aus
zahlte. konnte die Witwe die Sonderzulage nir
gends erhalten. Als ich im Jahre 1945 nach
lOjähriger Unterbrechung während des 1000-
jährigen Reiches, wieder zum Knappschaftsäties-
ten ernannt wurde, stellte ich bei der Renten
zahlung, die wir als Aelteste tätigten, fest, daß
in meinem Sprengel noch 4 alte Witwen waren,
die nur die Knappschaftsrente bezogen, weil
ihre Männer vor 1912 verstorben waren. Die Voll
rente wurde diesen 4 Witwen auf meinen Antrag
gewährt. Auf Grund dessen stellte ich v. Monat
für diese Witwe auch den Antrag an die L. V.A.
auf Gewährung der Witwenrente aus der Inv.-
Versicherung. weil ich der Auffassung war, daß
der Absatz des Art. 71 das Einf. Gesetz zur
r. v. O. für alle aufgehoben sei. Inzwischen hatte
ich aber festgestellt, daß der Abs. 1, Art. 71
R. V. O.. nur für die Angehörigen der in knapp-
scliaftlichen Betrieben Versicherten aufgehoben
ist und daß nur diesen die Witwenrente gewährt
werde, auch wenn deren Ehemann vor dem
1. 1. 1912 verstorben ist. Die L. V. A. hat nun auch
der Witwe mitgeteilt, daß sie nach Art. 71. Abs. 1
des Einf. Ges. zur R. V.. O. keinen Anspruch auf
Gewährung der Witwenrente hat, weil ihr Mann
schon 1908 verstorben ist. Die Witwe hat also,
trotzdem sie die Unfallrente bezieht, keinen An
spruch auf die Sonderzulage und was noch
schlimmer ist, keinen Anspruch auf die freie
ärztl. Behandlungen. Dies alles, weil ihr Ehe
mann nicht in einem knappscbaftlichen Betrieb
beschäftigt war.
Derselbe Fall ist mir jetzt von einer Witwe
bekannt geworden, deren Mann bei den Röch-
ling’schen Eisen- und Stahlwerke beschäftigt
war. Für die ärztliche Versorgung werden dann
die Kinder herangezogen, die aber meistens
nicht in der Lage sind, die Kosten zu tragen,
dann muß das Fürsorgeamt die Kosten über
nehmen.
Wie man bei dieser Sachlage noch für eine
Dezentralisierung der Sozialversicherung eintre-
ten kann, ist mir unverständlich.
Im Interesse der sozialen Gerechtigkeit und
auch der Menschlichkeit halte ich es für an
gebracht. diese ungeheuere Härte endlich und
sofort zu beseitigen, zumal nach fast 40 Jahren
nur noch wenige dieser Witwen am Leben sind.
So daß die Aufhebung des Abs. 1, Art. 71 der
-RVO für den Versicherungsträger tragbar sein
muß.
Ich bitte nun die Einheitsgewerkschaft, daß sie
sich bei dem Herrn Minister für Arbeit und Wohl
fahrt dafür etnestzt. daß die liier geschilderte
unbillige Härte beseitigt wird und diesen armen
Witwen ihre schwerste Sorge genommen wird.
Mit „Giüok-Aui“
E. B,