5. Jahrgang
Saarbrücken, 25. Oktober 1950
Nr. 20
Die neue Situation im Lohnkampf
Gewerkschaft in zähen Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern - Weitere Teilerfolge - In Erwartung
mehrerer Schiedssprüche - Gegen Verschleppungstaktik - Die Entwicklung beim I.V. Bergbau
Die Auseinandersetzungen um Löhne und Gehälter gehen seit dem Warn
streik mit unverminderter Zähigkeit weiter. In einigen Industrieverbänden
mußten wegen völlig ungenügender Zugeständnisse der betreffenden Ar
beitgeber die Verhandlungen abgebrochen werden, um dadurch die Mög
lichkeit zu haben, schneller vor dem Schlichtungsausschuß zu einem trag
baren Ergebnis zu kommen. Ueberall dort, wo bisher keine greifbaren Re
sultate zustandekamen, befindet sich die Arbeitnehmerschaft infolge der
Mißachtung ihrer berechtigten Forderungen in einer sich steigernden Un
ruhe. Mit großer Spannung blickt man auf den Fortgang der Verhandlungen.
Eine weitere Verzögerungstaktik, verbunden mit dem Absinken der Kauf
kraft auf der emen Seite und hohen Gewinnquoten, verbunden mit einem
übermäßigen Lebensaufwand auf der andern Seite, müßte unweigerlich zu
einer unhaltbaren Situation führen.
■ Der Stand der Verhandlungen m den einzelnen Verbänden ist folgender:
Die Verhandlungen des I. V. Bergbau
sind noch nicht abgeschlossen. Gefor
dert wird nach wie vor die Angleichung
der saarländischen Bergarbeiterlöhne an
dis in Lothringen. Die letzte Entscheidung
liegt beim französischen Industrieminister,
nachdem die Kommissionsarbeiten am
Samstag, dem 14. 10., abgeschlossen und
den zuständigen Regierungsstellen zugie-
stellt wurden. Schnellste Entscheidung in
der Angleichungsfrage ist geboten und
würde das gespannte Verhältnis im Berg
bau abklingen lassen. Andernfalls könn
te der Wirtschaftsfriede erneut gefährdet
werden. Was die allgemein geforderte
Lohnerhöhung angeht, die mit der Begrün
dung, daß sie eine Kohlenpreiserhöhung
erfordern würde, von den Regierungen ab-
gelehnt wurde, ist der I. V. Bergbau ge
willt, zusammen mit den französischen
Bergarbeitergewerkschaften das letzte ge
werkschaftlich® Mittel in Anwendung zu
bringen.
Die J/erhandlungen bei der Fachgruppe
der Bergbau-Angestellten werden fortge
setzt, Das Ergebnis wird im Laufe der
nächsten Tage erwartet.
Die Lohnverhandlungen im L V. Metall
sind nur teilweise abgeschlossen worden./
Für die Schwereisenindustrie konnte in ei
ner am 24. 10. stattgefundenen Verhand
lung kein Ergebnis erreicht werden. Dar-
aui wurde der Schlichtungsausschuß an
gerufen, der demnächst einen Schieds
spruch fällen soll. Unabhängig davon
nehmen die Verhandlungen, bezüglich des
Abschlusses eines Kollektivvertrages ih
ren Fortgang. Eine Aenderung der Situa
tion für die Angestellten und in der wei-
terverarbeifenäen Industrie ist noch nicht
eingetreten.
Die Situation beim I. V. Eisenbahn be
züglich der Forderung aut Auszahlung ei
ner einmaligen Wirtschaftsbeihilfe ist un
verändert und noch nicht entschieden. Bis
her wurde erreicht, daß die Monatsbesol
deten bei Erkrankung ab dritten Krank
heitstage den vollen Lohn weiter erhalten.
Der I. V. O eff entliehe Betriebe und Ver
waltungen hält die berechtigte Forderung
auf Zahlung einer monatlichen Teuerungs
zulage von 4000 Frs. zuzüglich der bisher
gewährten Teuerungszulage von 1000 Frs.
aufrecht. Die Verhandlungen mit der Re
gierung des Saarlandes, die sich schlep
pend hinziehen, nehmen ihren Fortgang."
In Verhandlungen der Fachgruppe Ban
ken und Sparkassen mit dem Bedingungs
ausschuß wurden in freier Vereinbarung
erzielt, daß die Angestellten der Banken
und Sparkassen rückwirkend ab 1. Sep
tember eine Gehaltserhöhung von 12 o,o
aül die Effektivgehälter und eine 12o/oige
Erhöhung' aut das Gehalt eines Sonder
monats erhalten.
Die Verhandlungen der Fachgruppe Ver
sicherungen mit dem Syndikat der Versi
cherungsgesellschaften und Generalagent
ten stehen vor dem Abschluß.
(bn Einverständnis mit den Ministerien
soll ab 1951 für die Angestellten der freien
Berufe eine Zusatzversorgungskasse im
Saarland geschaffen werden, Einladungen
zu einer diesbezüglichen Versammlung
»ergehen in Kürze durch Rundfunk und
Presse.)
Die Fachgruppe Bühne, Film und Kunst
führte kürzlich mit der Generaldirektioiii
des Senders Saarbrücken Besprechungen.
Der Direktor gab eine Erklärung ab, nach
der der Verwaltungsrat mit einer Anglei
chung an die Tarife in Frankreich sich ein
verstanden erklärte. Die Verhandlungen!
Sind noch im Gange. Für die Musiklehrer
wurde ein Mindesttarif vereinbart, der bei
jährlichen Unterrichtsstunden ein Mindest
honorar von 1000 Frs. pro Monat vorsieht,
Die Erlaubnis zur Unterrichtserteilung Ist
von der Zulassung durch das Kultusmini
sterium abhängig. Für die Angestellten der
Lichtspieltheater schweben Verhandlun
gen mit dem Ziele des Abschlusses eines
neuen fortschrittlicheren Tarifvertrages.
Die Lohnerhöhungen beim I. V. Bauge
werbe haben wir in unserer letzten Aus
gabe bereits gebracht, ebenfalls die Lohn-
Gewerkschaftsdelegierte aus zehn Län
dern tagten am 20. und 21. Oktober in
Paris, um in diesem Gremium die Haltung
zum Schumanplan zu erörtern und Be
schlüsse zu fassen. Die Saar war ver
treten durch die Koll. Heinrich Wacker,,
Nikolaus Fliegler und Johann Dreher.
N ach ^eingehenden Beratungen und Prü
fung der wesentlichen Gesichtspunkts
wurde eine Entschließung angenommen,
in der es u. a. heißt:
Resolution
Die Kommission des IBFG für den Sdhu-
manplan hat sich am 20. und 21. 10. 1950
in Paris zu einer Vollsitzung vereinigt.
Sie hat den Bericht der Unterkommission
entgegengenommen.
Sie erinnert an die Entschließung des Exe-
kutivausschusses des IBFG. vom 27. Mai 1950
betr, Schumanplan, in der u. a. gesagt wird,
daß „die freien Gewerkschaften ein Lebens-
Interesse an der rationellen Organisation der
Sehwerin< , 4U'rie in Westeuropa haben/ 4
Sie erklärt, daß sie die Grundprinzipien des
Schumanplans anerkennt.
Sie erinnert daran, daß sie sich ausdrück
lich Vorbehalten hat, die Durchführungsmaß
nahmen dieser Prinzipien zu überprüfen.
Sie drückt ihr Verständnis für die Haltung
der nationalen Zentralen der sechs beteiligten
Länder aus, die im Namen von 8 435 000 Mit
gliedern eine Politik der Beteiligung bei der
Ausarbeitung des Planes verfolgen.
Weiter heißt es n. a.: Sic legt Wert dar
auf, daß ihre Beteiligung und ihre Unterstüt
zung davon abhSngt, daß die Mitwirkung in
allen Institutionen des Schumanplanes auf der
Grundlage der Gleichberechtigung mit allen
anderen interessierten Organisationen erfolgt.
Die folgenden Grundsätze sind zu beachten:
a) Verbesserung des Lebensstandards drr
Arbeiter;
Vereinbarung in der baustofferzeugenden
und Steinbruch-Industrie. (Neuerdings
wurden Verhandlungen über Erhöhung der
Löhne in der Heizungs- und Installations-
Industrie geführt und durch Schiedsspruch
eine 7o/oige Lohn- und Gehaltserhöhung
angetragen. Der Verbands vor stand teilt
mit, daß diese Regelung, gemessen an den
Lebenshaltungskosten und der eingereich
ten Forderung von 20 o/o, nicht anerkannt
werden kann.
Wie wir bereits in der letzten Ausgabe
deT „Arbeit“ berichteten, ist es beim I. V,
Graphik zu einer Lohnerhöhung gekom
men. Auch die Gehälter wurden um 15 o/ 0 ;
ab 1. Oktober erhöht.
L V. Post und Fernmeldewesen. Die
Löhne im öffentlichen Dienst sind erhöht
worden. Eine Tabelle der Kategorien I—
VIIi einschl. eines Berechnungsbeispiels
ist in dieser Ausgabe an anderer Stelle
veröffentlicht.
(Fortsetzung Seite 2)
b) Notwendigkeit der fortschrittlichen An
gl rieh ung der Löhne;
c) wirksamer "Schutz der Arbeiter gegen die
eventuellen Auswirkungen notwendiger
wirtschaftlicher Umstellungen;
4) Einrichtung eines einheitlichen Marktes
Iür die Arbeitskraft mit bestätigter Qua
lifikation auf dem Gebiet von Kohle und
«Stahl.
Was die Mitarbeit der Ge wer kseha ff »Organi
sationen in den Institutionen des Schumanpla
nes betrifft, äußert sich die Konferenz wie
folgt:
Sfc stellt fest, daß die Chefs der Länder
delegationen diese Notwendigkeit anerkannt
haben.
Sie stellt mit Befriedigung fest, daß dem
IBFG das gleiche Recht, Kandidatenlisten für
die Hohe Behörde vorzulegen, wie das den Re
gierungen zuerkannt werden ist.
Sie bedauert, daß selbst vorübergehend die
Idee der regionalen Gruppen aufgehoben wor
den ist.
Sic fordert, was den Gerichtshof betrifft, daß
mindestens tio Mitglied durch das Iiiternatiol
nale Arbeitsamt ernannt wird.
Die Kommission des IBFG für den Sehuman-
E lan bestätigt das Recht der angcschlossenen
ändcrzentralen und der in Frage kommenden
Berufssekretariate, ihrerseits frei darüber zu
urteilen, ob sie im Schumanplan mitarbeifen
oder nicht.
Sie schlägt vor, daß der IBFG weiterhin
die Tätigkeit der Gcwerksehaftsdelcgiertcn in
den Länderdelcgationen koordiniert. Sie beauf
tragt den IBFG im Namen der Länderzentralen
der Teilnehmerstaaten diese in den verschie
denen Institutionen des Sehumanplans zu ver-;
treten, um dort die Interessen der Arbeiter zu
verteidigen und an der wirtschaftlichen Ver-;
einignng Europas mitzuarbeiten.
Der Gewerkschaftsausschuß
zum Schumanplan
Das Interesse der Saar.
Für das Saarland ist der Schumanplan
und seine Entwicklung von großer Bedeu
tung. Der Schumanplan, als Industrisplan
betrachtet, ist in hervorragendem Maß3
ein Anliegen der Gewerkschaften. Diese
haben sich auch grundsätzlich zum Schu
manplan bekannt (mit Ausnahme des
kommunistischen sogenannten Weltge
werkschaftsbundes). Der Schumanplan
wird sich im Westen auf 20 Millionen
Menschen auswirken, die allein in der
Kohlenwirtschaft und Eisenindustrie be
schäftigt sind.
Die Einheitsgewerkschaft hat schon wie
derholt Stellung genommen. Je mehr der
Plan aber seiner Verwirklichung näher
rückt, desto energischer erhebi die Ge
werkschaft ihre Forderungen, denn für di3
schaffenden Menschen steht sehr viel auf
dem Spiel. Es ist unbedingt erforderlich,
daß das Saarland so schnell wie möglich
im Schumanplan-Komitee eine unmittel
bare vollberechtigte Vertretung besitzt
und nicht wie bisher nur einen Verbin
dungsmann. .
Wegen der Wichtigkeit und Diingachke t
des Problems trat am 16. 10. 1950 der Ge
werkschaftsausschuß der EG zusammen,
um sich positiv zu entscheiden. 65 000
Bergarbeiter und 60000 Metallarbeiter an
deT Saar sind direkt aufs höchste an einer
Regelung^interessiert. Es handelt sich vor
allem darum, daß Europa durch den Schu
manplan zu einer wirtschaftlichen Prospe
rität gelangt, die dem Lebensstandard..der
Arbeitnehmer unbedingt Rechnung trägt
und nicht lediglich kapitalistischen Wirt
schaftsgruppen monopolcrrtiga Vorteile
verschafft.
Kollege Wacker machte in der Sit
zung des Gewerkschaftsausschusses zum
Schumanplan eingehende Feststellungen.
Es gehe um eine bessere wirtschaftliche
emopäische Erzeugung, die sich mit der
Zeit gegen die großen Konkurrenten, die
USA und die Sowjetunion, behaupten
könne.
Einige stichwortartige Feststellungen
mögen andeuten, worum es geht: Abbau
der Zollschranken, Rationalisierung, Ver
einfachung der Verkehrswegen, Erfah
rungsaustausch, gemeinsame Forschungs
arbeiten und vor allem ein garantierter
höherer Lebensstandard.
ifaem leuchtet es nicht ein, daß bei sol
chen Vorarbeiten und schließlichen Ent
scheidungen neben den Regierungen, den
Arbeitgeberverbänden auch die Gewerk
schaften positiv vertreten sein müssen,
In der Aussprache des Gewerkschafts
ausschusses kam zum Ausdruck, daß es -
notwendig ist, irrtümliche Meinungen m
der Oeffentlichkeit und auch in der Ar
beitnehmerschaft über das Gesamtpro
blem zu bekämpfen und daß es notwendig
ist, sich auch hierbei auf den Boden rea
ler Tatsachen zu stellen. Die Mitarbeit
und auch die notwendige Einflußnahme *
aut den Schumanplan seitens der Gewerk
schaften sei dringend geboten. Es han
dele sich bei dieser Mitarbeit und Mitbe
stimmung um eine Schicksalsfrage.
Es kam zur Abstimmung darüber, ob
die Einheitsgewerkschaft die Entsendung
einer Delegation auf Grund der Einladung
des Bundes Freier Gewerkschaften zu ei
ner Sitzung in Paris zur Beratung über den
Schumanplan vornehmen soll. Einstimmig
wurde der Beschluß gefaßt, eine Delega
tion nach Paris zu entsenden. Es handelte
sich aber nicht nur um die Beschlußfas
sung betr. der Delegation, sondern damic
war zugleich verbunden die Zustimmung
zur dauernden Mitarbeit im Schumanplan-
Komitee, sowohl im Gesamtinteresse der
saarländischen Wirtschaft wie im beson
deren Interesse der Arbeitnehmerschalt
an der Saar.
Die Delegation, bestehend aus dem Kol
legen Wacker (der bereits vorher offiziell
die Einheitsgewerkschaft im Schuman
plan-Komitee des Internationalen Bundes
Freier Gewerkschaften vertreten hat), den
Kollegen Dreher und Fliegler, hat am 20.
Uüd 21. Oktober an den Beratungen in
Paris teilgenommen.
Aas dem Jahait:
Tarifrecht und Sozialpolitik im Saarland
Werdegang des Betoebsrätegstses
Europäische Gewerkschaften und
Schumanplan
Arbeit und Recht
Die Lage in der Schlüsselindustrie
Post aus dem Ausland
Der Arbeitsmarkt
Starker Widerhall eines Appells
Briefkasten
Einheit verbürgt den Erfolg i
Daher alle Arbeitnehmer in die Organisation, um das ganze Schwergewicht
in die Waagschale werten zu können„
Drang nach Neuordnung
Standpunkt und Richtlinien der Gewerkschaften zum Schumanplan