September 1950
DIE ARBEIT**
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Bi« Sitzung des Geweiftscr af*sausschusses und det I.V.-Vorstände vom 18. September 1950
Der Gewerkschaftsausschuß und zu
gleich die Vorstände der einzelnen Indu
strieverbände der Einheitsgwerkschaft
traten am 18. 9. 1950 im Gewerkschafts
haus in Saarbrücken zusammen. Jeder
wuß e, worum es ging. Getragen von ecn-
tem Verantwortungsgefühl für die Gemein
schaft, galt es, über c’ie Frage zu entschei
den, ob der soziale Friede noch aufrecht
zuerhalten ist. Es kam aber in dem Ge
dankenaustausch und in den nachfolgen
den Beschlüssen die unbedingte Notwen
digkeit zum Ausdruck, in Anbetracht des
katastrophalen Absinkens der Kaufkraft
der Löhne, Gehälter und Renten, alle Vor
bereitungen zum Handeln zu treffen und
unter Umständen den äußersten Kampf zu
führen.
Um zu einem Sammel- und Ausgangs
punkt für die Erörterungen des Gremiums
za gelangen und um konzentrisch ohne
Zeitverlust, klare Beschlüsse zu erzielen,
gab Ko lege Wacker nach Eröffnung der
Sitzung einen Bericht, wobei er besonders
auf die in den letzten Wochen und Tagen
stattgefundenen Verhandlungen und Be
sprechungen zur Lohn- und Preisfrage hin
wies. Mit aller Klarheit war zu erkennen,
daß die Einheitsgewerkschaft sich die
groß e Mühe gegeben hat, die zuständigen
Stellen rechtzeitig auf die jetzt eingetre
tene Entwicklung aufmerksam zu machen.
Sie hat auch rechtzeitig Gegenmaßnah
men gegen die Teuerungswelle verlangt
und die notwendigen Lohnerhöhungen im
einzelnen begründet.
Die Gründe für die Lohnforderungen
sind vor allem in den höheren Preisen
bedingt, aber auch in den bedeutend ge
stiegenen Leistungsergebnissen der saar
ländischen Arbeitnehmerschaft.
Die einzelnen Industrie verbände haben
nun die Möglichkeit, die Lohngruppenein
teilung unter Beachtung der ehemaligen
alten Tarifverträge wie vor 1935 wieder
durchzuführen, die seinerzeit auf Grund
langjähriger Erfahrung ausgaarbeitet wor
den sind, so daß entsprechend den Lei
stungen der Ärbeitnehmergruppen die Ta
rifgruppen aufgebaut werden und somit
der Streit zwischen Ungelernten, Ange
lernten und Facharbeitern hoffentlich be
seitigt werden kann. Es wird im einzel
nen festzustellen sein, wie weit eine Ein
stufung nichtvollwertiger Kräfte stattfin
den soll. Wo es zu keiner Einigung kommt,
müssen wir die Schlichtungsinstanzen an-
rufen und eine Entscheidung des Schlich
ters herbeiführen.
Kollege Wacker legte die Notwendigkeit
dar, unbedingt für eine technische Verbes
serung der saarländischen Fabrikanlagen
besorgt zu sein, um mit der Konkurrenz
Schritt halten zu können. Unter diesem
Gesichtspunkt sei für die Arbeitnehmer
schaft auch der Schuman-Plan und die
Marshallkredite zu betrachten. Ohne um
fangreiche Kredite käme unsere Produk
tion ins Hintertreffen. Bisher sei es durch
weg so gewesen, daß die Arbeitnehmer
gewissermaßen allein durch den Mehr
wert, den sie schaffen, für dfe ganze In
vestierung aufzukommen hatte, käme
Marshall-Geld in nennenswertem Ausmaß,
dann könnte das Lohnvolumen auch von
dieser Seite her günstig beeinflußt werden
und die Wirtschaft hätte dann immer noch
die Möglichkeit, ihre Verpflichtungen ge
genüber dem Marshall-Plan im Laufe von
Jahren zu erfüllen. Ohne Marshall-Hilfe
müßte aber auf Kosten der Gesamtpro
duktion mit dem von uns erarbeiteten
Geld die Wirtschaft aufgebaut werden.
Wir müssen auf die Hereinnahme der Mar-
shall-Gelder daher einen maßgebenden
Einfluß in Paris erhalten und als Gewerk
schaft ein ernstes Wort bei dem Schuman-
und Marshall-Plan mitzureden haben. Nur
die rentabelsten Betriebe haben Aussicht,
bei der Verteilung der Gelder berücksich
tigt zu weiden. Die anderen Betriebe wer
den dann ihre Leistungsfähigkeit und da
mit Existenzmöglichkeit verlieren. Hierbei
ist auch die außerordentlich starke Bela
stung unseres Sozialetats zu beachten.
Wir werden nicht eher ruhen, bis das
krasse Mißverhältnis zwischen Löhnen,
Renten und Preisen beseitigt ist. Der Au
genblick erfordert große Aufmerksamkeit,
genaue Sachkenntnis und vor allem So
lidarität
Kollege Rauch stellte fest, das Ver
antwortungsgefühl der Arbeitgeber habe
einen katastrophalen Tiefstand erreicht.
Die jetzige Auseinandersetzung müsse dfe
Einheitsgewerkschaft zu einem noch stär
keren Machtfaktor machen. Die gewerk
schaftliche Idee müsse aber auch in den
Betrieben richtig interpretiert werden.
In der Aussprache wurden die Erfahrun
gen der Funktionäre ausgetauscht. Das
Verhalten der Arbeitgeber wurde scharf
unter die Lupe genommen. Durch ihr Ver
halten in bezug auf die Feiertagsbezah-
lung und die festgelegten Mindestlöhn«
hätte sich ein Teil von ihnen als Unruhe
stifter und Gesetzesverächter entlarvt.
Auch sei festzustellen, daß ein Teil von
ihnen sich aus Leuten zusammensetzt, dfe
das Geschäftemachen einer produktiven
Arbeit vorziehen. Sie klagen ständig übeT
schlechten Geschäftsgang. Eine Rückkehr
in die Betriebe als Arbeitnehmer weisen
sie weit von sich.
Durchweg wurde betont, daß es nun kei
nen Zweck mehr hat, von Außenstehen
den immer nur die Arbeitnehmer zur Be
sonnenheit und zur Aufrechterhaltung des
sozialen Friedens ermahnen zu wollen. Dfe
Arbeitnehmer kennen ihre Verantwortung,
sie kennen auch die wirtschaftlichen Zu
sammenhänge und die augenblicklichen
Probleme der Weltpolitik und der Welt
wirtschaft. Sie kennen aber auch die
Möglichkeiten einer richtigen Kreditpoli
tik und einer Export- und Importpolitik
und wünschen auch eine schnelle Hand
habe der Gesetze, um der katastrophalen
Preispolitik wirksam zu begegnen.
Die Sitzung hat gezeigt, daß dfe Ver
bände einheitlich zusammenstehen und
gewillt sind, für die Rechte der Arbeitneh
merschaft das Aeußerste einzusetzen. Es
wird sich jetzt zeigen, daß dfe Gewerk
schaft mehr ist als lediglich eine Organi
sation. Sie ist eine Zusammenfassung
selbstbewußter Menschen, die zum Kampf
entschlossen, auch den Erfolg garantieren
kann.
Beschluß der Konferenz
„Die am 18. September 1950 in d«
Brauerstraße zu Saarbrücken versammel
ten Vorstände der Industrieverbände der
Einheitsgewerkschaft erkennen die Fest
stellung des Gewerkschaftscrusschusses
vom 4. September 1950 in vollem Umfange
an una erkiäreu sich mit den Forderun
gen des Gewerkschaftsausschusses soli
darisch.
Darüber hinaus stellen die Industrie ver
bände fest, daß der neufestg siegte ga
rantierte Mindeststundenlohn von 74.10
Franken ln der Lohnzof’e I keine Norma
lisierung der Kaufkraft bedeutet, ganz b e
sonders deshalb, weil weite Kreise der
Arbeitnehmerschaft nicht unter diese Re
gelung fallen.
Die versammelten Vorstände fordern
deshalb Ausdehnung des von der Regie
rung festgelegten Existenzminimums auf
alle Berufsgruppen. §ie verlangen weiter
hin, daß die Arbeitgeberverbände noch in
dieser Woche die Verhandlungen über die
von den Industrieverbäden eing er eichten
Ein ernstes Wort in ernster Stunde
In einem Flugblatt wendet «ich die Ge
werkschaft in diesen Tagen an die Unor
ganisierten. Die Fortschritte, die der jahre
lange schwierige Kampf der Gewerkschaf
ten für die gesamte Arbeitnehmerschaft er
rungen hat, müßte echon Anlaß gewesen
sein, daß kein Arbeitnehmer mehr abseite
der Organisation steht, wie er ja auch nicht
abseits steht, wenn es gilt, die ohne sein
Zutun, sondern durch die Anstrengungen
«einer Kameraden errungenen Vorteile in
Anspruch zu nehmen.
Die jetzige Situation hat di« Gewerkschaft
veranlaßt, erneut an die Unorganisierten zu
appellieren. Es wäre sehr wünschenswert,
wenn die organisierten Kolleginnen und
Kollegen auf Grund der Feststellungen des
Flugblattes an die Unorganisierten ange
sichts der besonderen Situation einmal he
rantreten. In u sm Flugblatt heißt es unter
dem Titel „Eia ernstes Wori in ernster
Stunde":
Der Lohnkampf der organisierten Arbeitneh
merschaft des Saarlandes ist in ein entschei
dendes Stadium getreten.
Die willkürlichen Preisteigerungen erschüt
tern mehr denn je die Existenzgrundlagen des
schaffenden Menschen.
^ ur( ‘h die für breiteste Volksschichten un
erträglich gewordene Lage sahen sich die In-
dustrieverhände aller Berufsgruppen veranlaßt,
Lohn- und Gehaltsfordernngen einnntttben
und umgehend Verhandlungen mit den Arbeit
geberorganisationen zu fordern.
Die Gewerkschaften sind sioh bewußt, daß
sie vor grundsätzlichen Entscheidungen stehen
und werden auch nicht vor den letzten Kampf
mitteln zurückschrecken.
Je einiger in dieser Stund« di* Arbeitneh
merschaft, desto näher und größer der Er
folg.
Das in den Syndikaten und Arbeitgeberver
bänden restlos r.usaramcngeschlossene Unterneh
mertum rechnet bei den bevorstehenden Klmp-
fen in erster Linie mit den unorganisierten
Arbeitnehmern I
Kolleginnen! Kollegen! Soll die Rechnung
der Arbeitgeber aufgehen, daß Ihr in dieser
ernsten Stunde, in der es auch um Eure und
die Existenz Eurer Familie geht, Euren orga
nisierten Kollegen in den Rücken fallen wer
det? Seid Ihr Euch darüber klar, daß Ihr Euch
damit selbst Euer Grab schaufelt?
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Wir wissen es, Ihr wollt nicht die Achtung
vor Euch selbst verlieren, Ihr wollt auch nicht
die Achtung Eurer Kollegen verlieren, die mit
Euch arbeiten im Schacht, in der Werkstatt, am
Hochofen, auf dem Bau oder im Büro!
KolleginnenI Kollegen! Unser Kampf ist Euer
Kampf!
Ihr dürft nicht länger abseits stehen! Schließt
Euch Euren organisierten Kollegen an, werdet
noch heute Mitglied Eurer gewerkschaftlichen
Organisation, der
Einheitsgewerkschaft der Arbeiter,
Angestellte« und Beamten
des Saarland:#.
Forderungen auf nehmen und daß diese
Verhandlungen einer befriedigenden Lö
sung zugeführt werden, die den Forde
rungen der Einheitsgewerkschaft ent
spricht.
Sollten die Verhandlungen nicht zu den
gewünschten Resultaten fuhren, so ist der
Gewerkschaftsausschuß in seiner Sitzung,
die für Mittwoch, den 27. September 1950,
festgelegt wurde, beauftragt und berech
tigt, alle erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen.“
An unsece £eser'
Di* Herausgabe dieser Nummer wurde um
einige Tage verzögert, um die Mitglieder so
fort von dem wichtigen Beschluß der Sitzung
des Gewerkschaftsausschuscss vom Mittwoch,
den 27. September, in Kenntnis setzen zu kön
nen.
Erfolg der Einheit
Bauarbeiter in der Bundesrepublik erkämpfen höhere Löhne
In der letzten Ausgabe berichteten wir
über die Streikbewegung unter den Bauar
beitern in verschiedenen Gebieten der Bun
desrepublik Die Streiks haben durchweg zu
einem klaren Erfolg der Bauarbeiter geführt
Manches aus der Darstellung in „Der Weit
der Arbeit“ in dieser Streikbewegung und
ihrem Ausgang kann eine wertvoll» Nutz
anwendung auch hier ergeben.
„Der Erfolg ist nicht in Zahlen auszu
drücken. Denn nicht darauf kommt es an,
ob die Ausgangsforderung der Bauarbei
ter nach einer Lohnzulage von 0,20 DM
je Stunde erreicht wurde, oder ob es in
Schleswig-Holstein nur 0,10 DM und im
übrigen Bundesgebiet außer Bayern 0,14
DM je Stunde waren, die schließlich erzielt
wurden. In freien Ländern enden alle
Lohnkämpfe mit irgendeinem Kompromiß.
Nur in Diktaturen, also jetzt auch m Ost
europa, werden Löhne diktiert, und das in
der Regel zu Lasten der Arbeiter.
Halten wir fest: Die Unternehmer hatten
nicht die geringste Neigung zu irgendwel
chen Lohnzugeständnissen. Ihnen ging es
um die Sicherung eines Unternehmerpro-
fits, wie er selbst in den hochkapitalisti
schen Staaten des Westens, besonders in
den USA, nicht mehr üblich ist. Dort hat
man sich daran gewöhnt, die Massen der
Arbeitnehmer an den Früchten einer bes
seren Konjunktur und an den größeren Er
trägen einer erhöhten Wirts chaftlichkeit
teilnehmen zu lassen.
Die große Spanne zwischen der Lebens
haltung in Deutschland und derjenigen in
anderen modernen Industriestaaten ist
das Ergebnis der auf den Lohnstop ge
richteten Politik deT Unternehmer. Besei
tigt ist diese Spanne auch durch den
Schiedsspruch im Baugewerbe nicht.
Bis zu dem Tage jedoch, wo die Bau
arbeiter Frankfurts in den Streik traten.
hatten die Unternehmer geglaubt, machen
zu können, was sie wollten. Sie rechneten
dabei auf ihre Helfer in den Aemtem, und
schließlich rechneten sie mit dem Heer
der Unorganisierten.
Aber alles das hat nichts geholfen. Wo
die Massen der Arbeitnehmer wohlorgam-
sieri una diszipliniert auftreten, da gibt es
keine Untemehmerwillkür, die ihnen auf
die Dauer gewachsen wäre.
Das haben die Bauarbeiter bewiesen.
Alle anderen Arbeitnehmer werden ihr
Beispiel sich vor Augen halten. Tausende
von bisher Unorganisierten haben sich in
zwischen der Gewerkschaft Bau, Steine
und Erden angesch ossen. Hunde, ttausen-
de, Millionen derer, die noch abseits ste
hen, werden jetzt erkennen müssen, daß
die Gewerkschaften mehr sind als das,
was ihnen angedichtet wird. Sie sind mehr
als eine Organisation. Sie sind Inhalt und
Ausdruck einer Bewegung, die nun auch
in Westdeutschland emeut den Kampf
aufeenommen hat mit dem Ziele der Be
freiung des arbeitenden Menschen von
willkürlicher Ausbeutung. In den Vor
stellungen der Unternehmer und ihrer An
wälte in der Regierung, man könne mit
den Löhnen Zwangswirtschaft treiben, die
Preise aber beliebig in die Höhe gehen
lassen, ist eine Bresche geschlagen. Die
ser moralische Erfolg des Streiks ist viel
größer als der materielle. Mögen die im
anderen Lager die Gewerkschaften nur
hassen — man hat sie gelehrt, dfe Kraft
der organisierten Arbeitnehmer zu fürch
ten.
Es scheint, daß es dazu höchste Zeit
war* Höchste Zelt aber ist es bestimmt,
daß alle Arbeitnehmer elnsehen, daß in
den Gewerkschaften ihre wahre Stärke
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