Einhcitsgewerksdiaft
und schaffende Jugend
von Oskar Müller. •
Die Schaffung der Jugendbewegung
Öer arbeitenden Jugend in Deutsch¬
land fand ihre Grundlage mit Be¬
ginn unseres Jahrhunderts. Durch
die Entwicklung der Industrie kam
die Jugend in Massen als Lohnar¬
beiter in die Betriebe. Sie war recht¬
los. Sie war den Dingen im Betriebe
ausgesetzt so wie sie sich zeigten, so
■wie es den einzelnen Unternehmern
gefiel. Man kannte nicht nur lange
Arbeitszeit, schlechte Löhne, sondern
auch auf dem Gebiete der sozialen
Verhältnisse wurde sie recht stief¬
mütterlich behandelt.
Dies war der Anlaß, daß einerseits
junge Menschen den Mut faßten und
die Initiative entwickelten zu einer
Arbeiterjugendbewegung. Es gab
auch fortschrittliche Kräfte in der
erwachsenen Arbeiterschaft, welche
eich der Jugend und ihrer Probleme
annahmen. Der Prozeß zu einer be¬
achtlichen Jugendbewegung und der
Schaffung von größeren Jugendor¬
ganisationen ging nicht gleichmäßig
und widerspruchslos vor sich. Man
darf es aL ein Wellental auch hier
bezeichnen. Auch im Rahmen der
Jugendbewegung haben sich sehr
schnell die Kräfte des Fortschritts
und ihrer Höherentwicklung heraus¬
kristallisiert und eingehend die Fra>
gen. welche die Jugend angehen, un¬
tersucht, überprüft und ein für das
Leben der Jugend fortschrittliches
Programm geschaffen.
Es waren die Fragen des Jugend-
achutzes, des Jugendrechtes m all¬
gemeinen, sowie auch die Fragen der
Lehrlingsausbildung, des Berufs¬
schulwesens, des Urlaübes, der Be¬
zahlung, der Freizeitgestaltung und
der allgemeinen sozialen Betreuung
im besonderen, welche die Gemüter
bewegten, welche die Parteien und
Gewerkschaften aufmerksam mach¬
ten.
Es gab lange und oft recht stür¬
mische Debatten über das Vereini¬
gungsrecht der Jugend. Endlich im
Jahre 1908 hat. man dann nach echt
wilhelminischer Art ein Vereinsge¬
setz geschaffen. Das Koalitionsrecht
für die Jugend sah jedoch so küm¬
merlich aus, daß sie bis nach dem
Weltkrieg Nr. I auf diesem Gebiete
harte Kämpfe auszufechten hatte.
Bei der erwachsenen Arbeiterschaft
fand sie sehr wenig die gebührende
Unterstützung und auch im Rahmen
der Gewerkschaften hat man ihr
rächt die Rechte gegeben, die ihr
letzten Endes als Mitglieder zuge¬
standen hätten. Es gab sogar gewerk¬
schaftliche Organisationen, welche
die Jugend absonderten vom Leben
der Gesamtorganisation und sie nur
zu sogenannten Bildungsgruppen zu¬
sammenfaßten. Man schuf also im
Rahmen der Mitgliedschaft zweierlei
Recht. Das hatte auch dementsprech¬
end seine Auswirkung. Ein Teil der
Jugend wandte sich restlos dem
Sporte zu und vernachlässigte die
Fragen des wirtschaftlichen und so¬
zialen Kampfes, ein geringerer Teil
ging menr oder weniger in das par¬
teipolitische Getriebe, während je¬
doch ein entscheidender Teil indif¬
ferent. blieb.
Diese Situation hat ganz besonders
in der wilhelminischen Periode die
Reaktion ausgenutzt, um die Jugend
für ihre imperialistischen Zwecke
und Ziele zu mißbrauchen.
Sind wir ehrlich genug um zu er¬
kennen, daß sich die Verhältnisse
für die arbeitende Jugend auch in
der Periode von Weimar nicht grund¬
legend geändert haben. Auch die Ge¬
werkschaften der damaligen Zeit
haben nicht den Elan der Jugend be¬
nutzt, um ihn in die Bahnen zu len¬
ken, die mitgehoUen hätten das trübe
Kapitel dos dritten Reiches zu ver¬
hindern. Die alten Militaristen, wel¬
che in den ersten Nachkriegsjahren
ihre Felle fortschwimmen sahen,
haben im Laufe der Zeit Verstanden
wiederum die arbeitende Jugend auf
die'Wege zu führen, welche mit die
Vorausselzungen schufen zu dem
Reiche Adolf Hitlers.
Der Nationalsozialismus schuf
wirklich eine Massen-Jugenclbewe-
gung in Gestalt der Hitlerjugend und
des Bundes Deutscher Mädels. Man
verstand damals die Jugend zu be¬
geistern. Man setzte ihr ein Ideal
vor in Gestalt eines Großdeutsch¬
lands mit seinem Herrenmenschen¬
tum. Man schuf zu gleicher Zeit die
Organisation „Kraft durch Freude“,
machte Auslandsreisen, machte Land¬
verschickungsaktionen, man schickte
wirklich Massen von jungen Men¬
schen in die verschiedensten Gebiete
und an die schönsten Punkte
Deutschlands. Selbstverständlich hat
Hitler nicht das soziale Problem ge¬
löst, jedoch er verstand mit diesen
Methoden die Jugend über ihr Elend,
über ihre Not hinwegzuführen, ja
sogar zu begeistern für das blutige
Ringen des Weltkrieges Nr. 2.
Heute stehen wir vor den Gräbern
von Millionen junger Menschen.
Heute stehen wir vor den Millionen
Bein- und Armamputierter und son¬
stiger Kriegsverletzter. Heute stehen
wir vor den Ruinen unserer Heimat,
vor den zerstörten Arbeitsstätten,
vor den hungernden Menschen. Dies
ist mit das Resultat der Jllusionen,
welche Hitler in die Massen der
Jugend gesetzt hat. Sind wir ehrlich
genug es auch auszusprechen, daß
dieser Zustand mit herbeigeführt
wurde, wenn auch unbewußt, durch
unsere Jugend.
Nun haben wir die Pflicht, die
Aufgabe, mit dieser Jugend den Weg
zu beschreiten, das Chaos zu besei¬
tigen, den Wiederaufbau der Ar¬
beitsstätten, der Wohnungen und un¬
serer lieben Heimat zu vollführen.
Ja wir haben noch viel mehr zu tun.
Wir haben der jetzt vorhandenen
Jugend ein neues Jdeal, einen neuen
Sinn, einen neuen Lebensinhalt zu
geben. '
Wir sind uns bewußt, das ist nicht
leicht, das ist sehr schwer. Dieses
darf nicht geschehen auf dem Wege
des Befehls, auf dem Wege des Aus¬
schaltens, auf dem Wege der Deklas¬
sierung der .Tugend gegenüber, son¬
dern dies kann und darf nur ge¬
schehen auf dem Wege des Näher¬
bringens an die erwachsene Arbeiter¬
schaft, der Mitarbeit, der kamerad¬
schaftlichen Überzeugung. Wir müs-
s m der Jugend beweisen, daß ohne
sie nicht die Katastrophe beseitigt
wird, daß sie mithelfen muß, daß si«
wiederum sich um ihr eigenes Leben»
um das Leben ihrer Arbeitskamera¬
den bemüht Wir müssen ihr helfen
lebensnahe zu werden, Achtung zu
haben vor ihren Eltern und erwach¬
senen Kameraden, eine moralisch
hochstehende Sprache zu führen,
Sinn zu bekommen für das Gute und
Schöne des menschlichen Lebens.
Die Aufgaben, die in der Hinsicht
vor der Einheitsgewerkschaft stehen,
sind groß, sind schwer, sind sogar
sehr ernst. Fassen wir jedoch Mut,
legen wir die notwendige Initiativ©
und Begeisterung an den Tag ich bin
überzeugt davon: Wir werden es
schaffen. Schauen wir hinaus,
wir haben manches schon in Bewe¬
gung gesetzt seit dem Mai 1945, was
lins damals fast unmöglich srhien.
Wir werden auch dieses Problem
klären, vor allem dann, wenn wir mit
Offenheit. Ehrlichkeit an die Fragen
heran gehen, wenn wir unserer Ju¬
gend sagen, daß von ihrer Tätigkeit,
von ihrem Verhalten das künftige
Leben abhängig ist.
Es gibt bereits in den Reihen der
Einheitsgewerkschaft schon einen
beachtlichen Teil Jugendmitglieder.
Wir sehen bereits bei den wenigen
vorhandenen Jugendgruppen, wie sie
mit den primitivsten Mitteln ver¬
suchen, ihrem Leben Inhalt zu ge¬
ben und mitzuhelfen der gewerk¬
schaftlichen Organisation eine Basis
zu geben. Manches Mädel, mancher
junge Arbeiter steht bei uns bereits
in Funktion, arbeilet aktiv mit an
dev Klärung gewerkschaftlicher Fra¬
gen. Sind wir stolz auf den
Teil, der den Weg zur Einheitsge¬
werkschaft gefunden hat, der sicht
aktiv in die Arbeit eingeschaltet hat.
Verstehen wir zu würdigen, es sind
Menschen, die noch ein Interesse an
ihrem Leben haben, an unserer Hei¬
mat, an unserer Zukunft.
An Dich, junger Arbeiter, an Dich,
junges Mädel richten wir den Ruf;
Komme zu uns, arbeite mit*
bringe Deine ganze Begeisterung,
Deinen ganzen Elan, es geht um
Dem Leben, es geht, um Deine
Zukunft, es geht darum, den
Mördern Deines Vaters, Deines
Bruders, Deiner Schwester, das
Handwerk zu einem neuen Krieg,
zu einem schlechten Leben für
Dich zu legen. Fasse Mut, halte
den Kopf hoch trotz aller
Schwierigkeiten der jetzigen Zeit,
bedenke, das was Du tust bei uns
und im Betriebe, es ist eine
t ~v.n~„~ufgake
Das Jtigend-Sekretarial
In einer den Kreisgewerkschafts-
jugend - Konferenzen der letzten
Monate des vergangenen Jahres
vorausgega eigenen Jugend-Kundge-
bung der Einheitsgewerkschaften in
Saarbrücken forderte vor einigen
hundert Jungarbeitern Kollege Bür¬
zen die Wahl eines provisorischen
Jugend - Sekretariates, das im An¬
schluß an die Tagung auch gebildet
wurde. Es hat seit Beginn seiner
Tätigkeit die vorerwähnten Kreis¬
konferenzen mit großem Erfolg
— durchgeführt und will mit den
nachstehenden Ausführungen uns
Einblick nehmen lassen in Wesen
und Ziele seiner Arbeit.
Auf einem für den 8. Februar 1947
vorgesehenen und zur Durchführung
kommenden Kongreß, auf dem die
Jugend-Delegierten aller Industrie¬
zweige teilnehmen werden, die im
Verlaufe des Monats Januar 1947 in
Ihren Betrieben gewählt werden,
wird sich die Gewerkschaftsjugend
konstituieren.
Zu den grundsätzlichen Zielen
unserer Gewerkschaftsbewegung als
Träger des wirtschaftspolitisehen
Lebens gehört vor allem „die Besei¬
tigung der Ausbeutung des Men¬
schen durch den Menschen“.
Hinzu treten noch andere, vor¬
nehme Ziele und mit in erster Linie
die Erfassung und Betreuung der in
Industrie und Handel schaffenden
Jugendlichen. Sie soll so rasch als
möglich verwirklicht werden. Die
Organisation liegt bereits in den
Händen des am 16. November 1946
in der Versammlung in Saarbrücken
gewählten provisorischen Jugend-
Sekretariats. Seine endgültige Bil¬
dung ist, wie bereits gesagt, für den
Februar vorgesehen.
Die Gegenwart hat es bei uns mit
einer psychologisch und soziologisch
ganz bestimrhten Art junger Men¬
schen zu tun, einer Jugend, dje mit
dem übrigen Volk geführt, und da¬
mit verführt wurde. Sie, die Gewerk¬
schaftsjugend, betrachtet es als dank¬
bare Aufgabe, unsere besonderen Be¬
lange zu schützen, zu erweitern und
außer unseren beruflichen Inleres-
•sen, die natürlich im Vordergründe
stehen, auch jene andern zu fördern
.und zu beleben, die eben einmal der
Jugend eigen sind. Sie will den gu¬
ten in uns ruhenden Kern, unsere
sittliche Zielstrebigkeit und unseren
Lebensmut neu wecken und vertie¬
fen. Sie will uns solange den mühe¬
vollen. über materielle und geistige
Trümmer emporsteigenden Weg füh¬
ren, bis wir auf eigenen festen Füßen
stehen können und, so gereift, selbst
zur Gewinnung klarer Anschauungen
und Begriffe gekomfhen sind. Sic will
unseren Willen richten und stählen,
damit wir Zustände und Vorgänge
erfassen und überprüfen können, das
Für und Wider verschiedener An¬
sichten und Meinungen abzuwägen,
zu kritisieren und zu diskutieren
fähig sind und so die Bildung einer
eigenen Ueberzeugung vorzubereiten
und zu gewinnen vermögen. Die
Wahrheit zu suchen und zu erken¬
nen, soll der Zweck dieser-Tätigkcit
sein.
So wollen wir aber auch das Leben
um uns, das Positive der anderen
Länder, Völker und Klassen kennen
lernen. Es sollen nicht noch einmal
durch Säbelrasseln für die gesamte
Menschheit verderbliche Feindschaf¬
ten gezüchtet werden. Wir werden
eine solche Entwicklung durch de¬
mokratische Gesinnung und Erzie¬
hung zu verhindern wissen.
Die Gewerkschaftsjugend wird da¬
mit. zu. einem Sammelbecken aller
guten und ehrlichen Kräfte Sie will
uns helfen und reicht uns ihre Hand.
Ergreifen wir sie also voll Ver¬
trauen, denn in ihre korrekten Ziel¬
setzungen können wir vertrauen.
Das provisorische Jugend-Sekretariat
hat seine Arbeit aufgenommen und
Richtlinien für die Gewerkschafts¬
jugend vorgeschlagen, die vorbehalt¬
lich einer späteren Erweiterung oder
Einschränkung als Anhalt dienen.
In einer der folgenden Ausgaben der
Gevverkschaftszeitung werden wir
auf diese Vorschläge näher ein-
gehen.
Auf dem Februar-Kongreß sollt
Ihr aus Euren Reihen die besten und
geeignetsten Kollegen wählen, um
das Jugendsekretariat zu bilden.
Wir Jugendlichen betrachten uns
als Bausteine, die das gewaltige Ge¬
bäude der Gewerkschaft tragen.
Laßt uns unablässig an seinem
Wachsen tätig sein durch Aufklä¬
rung und Werbung in den Reihen
der heule noch abseits stehenden
Schaffenden. Wir müssen ihnen hel¬
fen, den Weg zu uns zu finden.
Nehmen wir also unser Herz und
unser Schicksal in die Hand, um ufcs
unsere Zukunft zu bauen, die ja
unsere spätere Gegenwart ist. Alle
sollen erkennen und begreifen, daß
es um unsere Wohlfahrt geht.
So möge jeder im neuen Jahr? die
Parole wohl verstehen:
„Schaffende Jugend der
Saar, vereinige Dich in
der Gewerkschaftsju¬
gend im Kampf für 1 ein
besseres Dasein.“
1Füllte ein großer Staat nur die Hälfte
seines Kriegsbrennholzes zum Bauholze
des Friedens verbrauchen, wollte er nur
halb so viel Kosten auhvenden, um Men¬
schen, als am Unmenschen zu bilden, und
halb so viel, sich zu *iuuickeln. als zi*
verwickeln, uie ständen die Völker ganz
anders und stärker da! (Jean Paul)