Januar 1947
„Die Arbeit"
Seife 3
EINHEIT verbürgt unsere KRAFT
Die Verhandlungen der Weltkon¬
ferenz der Gewerkschaften und die
sehr regsame Tätigkeit des Welt¬
gewerkschaftsbundes, dessen Exeku¬
tive die Aufnahme der deutschen
Gewerkschaften in den WGB zur
Diskussion gestellt hat, lassen klar
erkennen, daß die Arbeitnehmer¬
schaft in allen beteiligten Ländern
gewillt ist, die im Kampf gegen
Faschismus, Rassenhaß und religiöse
Unduldsamkeit errungene und sich
(allenthalben festigende Einheit
innerhalb der Gewerkschaftsbewe¬
gung unter Ablehnung jeglicher
parteipolitischer und weltanschau¬
licher Bindungen mit allen durch
den Zusammenschluß gewonnenen
Kräften zu verteidigen. Ueber 65
Millionen Arbeitnehmer in aller
Welt werden durch diese organi¬
sierte Einheit erfaßt und in zuneh¬
mendem Maße vollzieht sich der
Zusammenschluß der freien und
christlichen Gewerkschaften in den
einzelnen Staaten, vor allem in den
katholischen Ländern Italien, Polen,
Jugoslawien, Bulgarien und Rumä¬
nien.
' Auch in Deutschland und im
Saarland hat man erkannt, daß man
neue Wege gehen muß. Die notwen¬
dige Konzentration aller Kräfte, die
allein uns befähigt, den K*&mpf
gegen Ausbeutung und Entrechtung
mit Erfolg auszutragen, setzt die
Einheit aller Schaffenden auf demo¬
kratischer Grundlage und in partei¬
politischer und religiöser Neutrali¬
tät voraus.
Wir wissen heute, daß der Fa¬
schismus mit der Waffe des Gene¬
ralstreiks hätte getroffen werden
können. Aber diese Waffe war stumpf
geworden. Die Arbeitnehmerschaft
in den Gewerkschaften war zerris¬
sen, gespalten und zersplittert. Das
gesamte deutsche Volk muß heute
die Folgen dieser Uneinigkeit tra¬
gen:
Die Lehren der Vergangenheit und
das Verantwortungsbewußtsein der
Funktionäre gaben auch im Saar¬
land den Anstoß zur Bildung von
Einheits - Gewerkschaften. Früher
Christlich organisierte Arbeiter und
ihre politisch nicht belasteten Ge¬
werkschaftssekretäre haben gemein¬
sam mit Vertretern anderer Ge¬
werkschaftsrichtungen die Einheit
vollzogen. Die ehrliche, ja sogar brü¬
derliche Zusammenarbeit in den
Verbänden beweist, daß die Notge¬
meinschaften in den Konzentra-
Voq Aloys Schmitt
tionslagern des Elendes und des
Krieges sich bewährt und manchen
Graben zugeschüttet haben, der ehe¬
mals als unüberbrückbar galt.
Und dennoch gibt es auch heute
unter den Schaffenden des Saarlands
Saboteure unserer Gewerkschafts¬
einheit. So glaubt eine kleine, zum
Teil politisch belastete Gruppe die
demokratische Freiheit benutzen zu
können und eine „christliche" Ce-
werkschaftssekte bilden zu müssen.
Als ehemaliger christlicher Gewerk¬
schaftler stelle ich fest, daß dazu
fürwahr kein Grund vorhanden ist.
Wie sich der Aufbau der Einheits¬
gewerkschaft im Saarland vollzogen
hat, dürfte- in diesem Zusammen¬
hang von Interesse sein.
Als das Saargebiet vom Faschis¬
mus befreit wurde, im „Reich" aber
der Hitlerkrieg noch wütete, ver¬
suchten bereits hier frühere Ge¬
werkschaftler allenthalben Vorar¬
beiten in Angriff» zu nehmen, die
die Bildung von Einheitsgewerk¬
schaften bzw. Arbeiterausschüssen
in den Betrieben bezweckten. Der
Kreis der gewerkschaftlichen Akti¬
visten setzte sich aus verschiedenen
Gewerkschaftsriohtungen zusammen.
Die Mehrheit der christlichen ge¬
werkschaftlichen Aktivisten kam
aus den Reihen des christlichen Me¬
tallarbeiterverbandes und das ist
umso verständlicher, wenn man sich
erinnert, daß es gerade der christ¬
liche Metallarbeiterverband unter
dem Vorsitz von Otto Pick war, der
sich in der Vergangenheit gegen die
Nazigleichschaltung zur Wehr ge¬
setzt hatte. Die Leitung des Gewerk¬
vereins christlicher Bergarbeiter un¬
ter Führung von Peter Kiefer da¬
gegen stellte den Gewerkverein ganz
in den Dienst der „Arbeitsfront".
Das hatte zur Folge, daß viele sei¬
ner Funktionäre in der „Arbeits¬
front" beamtet oder sonstwie aktiv
wurden. Viele sind sogar Mitglied
der Nazipartei geworden. Beim Auf¬
bau der Einheitsgewerkschaften war
. ihnen die Mitarbeit dadurch ver¬
sagt. Restlos und ohne Ausnahme
haben die politisch unbelasteten
Funktionäre, darunter sämtliche Ge¬
werkschaftssekretäre des christlichen
Metallarbeiterverbandes, sich dem
Aufbau der Einheitsgewerkschaften
zur Verfügung gestellt, darüber hin¬
aus selbstverständlich auch viele
Gewerkvereinsmitglieder. Die provi¬
sorischen Leitungen, vom Hauptvor¬
stand an bis zur Betriebsgruppe,
wurden paritätisch besetzt. Kollege
Heinrich Wacker, der Vorsitzende
der Hauptverwaltung der Einheits¬
gewerkschaften, ist der Garant für
eine parteipolitische und religiöse
Neutralität innerhalb der Gewerk¬
schaftsbewegung.
In verantwortungsvoller Beurtei¬
lung der Lage hat die Militärregie¬
rung vor der Gründung der Einheits¬
gewerkschaften eine Besprechung
mit dem Vertreter des Bischofs, dem
Generalvikar, durchgeführt. Der Ge¬
neralvikar sowie auch andere Geist¬
liche des Saarlandes, haben keine
Einwendungen gegen die Schaffung
der Einheitsgewerkschaften erhoben.
Unter den größten, zeitbedingten
Schwierigkeiten und mit großem
Idealismus wurden die Einheitsge¬
werkschaften der Arbeiter, Ange¬
stellten und Beamten geschaffen. Die
Rückschau auf die noch nicht zwei¬
jährige gewerkschaftliche Aufbau¬
arbeit kann die saarländische Ar¬
beitnehmerschaft mit Stolz und
Freude erfüllen. Die Einheitsgewerk¬
schaften sind heute ein wirtschafts-
und sozialpolitischer Machtfaktor im
Saarland.
Der Aufbau und die Leitung der
Einheitsgewerkschaften werden nach
demokratischen Grundsätzen voll¬
zogen. Das Jahr 1947 wird das Pro¬
visorium der Vorarbeiten beenden
und die Organisation der Gewerk¬
schaften vollenden. Die Verbände
werden General - Versammlungen
durchführen und damit Gelegenheit
geben, alle Wünsche und Forderun¬
gen zu Wort kommen zu lassen. Wer
aber dennoch glaubt, in verantwor¬
tungsloser Weise das Gewerkschafts¬
leben zu spalten und die mühevoll
errungene Einheit zu zerschlagen,
ist ein Feind des Arbeiters. Wir elfe¬
malig christlich Organisierten sagen
heute ein überzeugtes Ja zu der Ein¬
heit. Wir brauchen die Einheit heute
mehr denn je. Nur als geschlosse¬
nes Ganzes kann unsere Arbeit Be¬
stand haben, zum Nutzen des Wie¬
deraufbaues, zum Besten der Wirt¬
schaft und für eine bessere Zukunft
der Arbeitnehmerschaft.
Wir früher christlich organisier¬
ten Arbeitnehmer fühlen uns ver¬
pflichtet. auf die unangenehmen Fol¬
gen auf sozialem, politischem und
religiösem Gebiet aufmerksam zu
machen, die die Schaffung einer Ge¬
werkschaftssekte nach sich zieht.
Wir wissen, daß die Einheitsgewerk¬
schaft der Träger der Zukunft sein
wird und wollen deswegen nicht ab¬
seits oder auf verlorenem Posten
stehen.
Haltet hoch die Fahne der Ein¬
heit!
Im Zcidien der W irtschaftsdemokratie
Die neue hessische Verfassung,
die ,von allen Parteien ange¬
nommen worden ist, bestimmt
in:
Art. 38. Die Wirtschaft des Lande«
hat die Aufgabe, dem Wohle des
ganzen Volkes und der Befriedigung
seines Bedarfs zu dienen. Zu diesem
Zweck hat das Gesetz die Maßnah¬
men anzuordnen, die erforderlich
sind, um die Erzeugung, Herstellung
und Verteilung sinnvoll zu lenken
und jedermann einen gerechten An¬
teil an dem wirtschaftlichen Ergeb¬
nis aller Arbeit zu sichern und ihn
vor Ausbeutung zu schützen. Im
Rahmen der hierdurch gezogenen
Grenzen ist die wirtschaftliche Be¬
tätigung frei.
Art. 39. Jeder Mißbrauch der wirt¬
schaftlichen Freiheit — insbesondere
zu monopolistischer Machtzusam-
menbaliung und zu politischer Macht
— ist untersagt. Vermögen, das die
Gefahr solchen Mißbrauchs wirt¬
schaftlicher Freiheit in sich birgt, ist
auf Grund gesetzlicher Bestimm¬
ungen in Gemeineigentum zu über¬
führen Soweit die Ueberführung in
Gemeineigentum wirtschaftlich nicht
zweckmäßig ist, muß dieses Vermö¬
gen auf Grund gesetzlicher Bestim¬
mungen unter Staatsaufsicht gestellt
oder durch vom Staate bestellte Or¬
gane verwaltet werden. Ob diese
Voraussetzungen vorliegen, entschei¬
det das Gesetz. Die Entschädigung
für das in Gemeineigentum über¬
führte Vermögen wird durch das
Gesetz nach sozialen Gesichtspunk¬
ten geregelt. Bei festgestelltem Mi߬
brauch wirtschaftlicher Macht ist in
der Regel die Entschädigung zu ver¬
sagen.
Art. 41. Mit Inkrafttreten dieser
Verfassung werden 1, in Gemein¬
eigentum überführt: der Bergbau
(Kohlen,kKali, Erze), die Betriebe der
Energiewirtschaft und das an Schie¬
nen oder Oberleitungen gebundene
Verkehrswesen. 2. vom Staate be¬
aufsichtigtoderverwaltet: die Gro߬
banken und Versicherungsunterneb-
men und diejenigen in Ziffer 1 ge¬
nannten Betriebe, deren Sitz nicht
in Hessen liegt.
Blick in die Vergangenheit
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebiet
Von Jakob Michely, Dudweiler
Fortsetzung.
Im 18. Jahrhundert, als man die
Bedeutung der Steinkohle für die
Volkswirtschaft erkannt hatte, über¬
nahm der Fürst von Nassau-
Saarbrücken den Abbau der
Saarkohle in eigene Regie, d. h. er
verstaatlichte den Saarbergbau und
unterstellte ihn der fiskalischen Ver¬
waltung. Hitler, dem National-,.So¬
zialisten“, blieb es Vorbehalten, eine
p r i v a t e Aktien - Gesell¬
schaft daraus zu machen.
Der Landesfürst enteignete die bis¬
herigen Inhaber der Kohlengräbe-
reien, z. T. Bauern, mit und ohne
Entschädigung und jedem war es bei
schwerer Strafe verboten, eine Koh¬
lengrube zu eröffnen.. Die Eigenlöh¬
ner wurden zu Lohnarbeitern oder
von den Gruben vertrieben und die
Generalgedinge zunächst einzelnen
Unternehmern übergeben. Aus die¬
sen Kreisen entwickelte sich das Be¬
triebs- und Aufsichtsbeamlenlum,
dem anfänglich noch die Gedinge
und Kohlengewinnung verblieb. Spä¬
ter aber erhielt es Gehalt aus der
Kasse des Landesherren.
Die Bergleute arbeiteten im Ge¬
dinge, die Schichtzeit betrug 8 Stun¬
den. Daß die Löhne sehr niedrig ge¬
wesen sein müssen, zeigt eine Er¬
hebung über das Dorf Dudweiler aus
dem Jahre 1756: „Nur ein Einwohner
der 56 Haushaltungen ist wohl¬
habend, 17 haben Äcker, die übrigen
stehen schlecht.“ Ein Reglement
(Arbeitsordnung) für die Bergleute in
Nassau - Saarbrücken bestätigt das
Bevormundungssystem der dama¬
ligen Zeit, das sich bis in unsere Zeit
erhalten hat. Darin heißt es unter
anderem:
Artikel 12: Alle Arbeiter sollen
sich mit dem gesetzten Lohne be¬
gnügen und bei Leibesstrafen
keine Matzhammeleien und betrüge¬
rische Handlungen vornehmen.
Artikel 15: Derjenige Knappe oder
Bergarbeiter, so des Abends nach
10 Uhr auf der Gasse, in fremden
Kartenspiel oder Wirtshäuser, ohne
Freibillett angetroffen wird,
zahlt das erste Mal einen Gulden, das
zweite Mal zwei Gulden Strafe, das
dritte Mal wird er unter Verfall des
guthabenden Lohnes für allezeit
aus dem Bergdienst fortgejagt
werden, desgleichen sollen sie
Artikel 17: an Sonn- und Feier¬
tagen in der noch anzugebenden Uni¬
form gehen, ihren Vorgesetzten mit
Achtung, Gehorsam und Respekt be¬
gegnen, sie jederzeit gehörig begrü¬
ßen, widrigenfalls keiner in Arbeit
aufgenommen, noch darin gelassen
wird.
Dieses Reglement, die Willensäuße¬
rung eines Selbstherrschertums war
die Grundlage aller Arbeitsordnungen
im Saargebiet. Die Arbeitsordnung
von Stumm schrieb seinen Arbei¬
tern sogar vor, daß sie zum Heiraten
seine Erlaubnis einholen müßten, an¬
dernfalls sie mit 10,— RM Geldstrafe
belegt würden. Auch schrieb er in
dieser Verordnung vor, welche Ge¬
schäfte und Wirtschaften von den
Arbeitern der Firma Stumm besucht
werden durften. Pflichten waren in
diesen Musterordnungen in Hülle und
Fülle vorhanden, aber Rechte er¬
wähnten sie nie. Blinder Gehorsam,
Unterwürfigkeit, selbst in Privatan¬
gelegenheiten, wenn cs der Vorge¬
setzte verlangte, bei Androhung
schwerer Strafen und Verjagung,
wurden dem Arbeiter im Saargcbict
zur Pflicht gemacht. Die Folge war
eine unerhörte Korruption, die in
den berühmten Prozessen Hilger-
Krämer. Hilger-Lehnen und den an¬
deren Schmiergeld- und Diebstahls¬
prozessen ihren Niederschlag fand.
Unter diesen Umständen war es
für die Gewerkschaften sehr schwer,
in das Dunkel Saarabiens Licht zu
bringen. Wohl gab es reisende Hand¬
werksgesellen, die den Gewerk¬
schaftsgedanken vertraten. Ihre Or¬
ganisationen beschränkten sich aber
fast ausschließlich auf ihre Berufe.
Der Einfluß auf die Hauptindustrien
Bergbau, Hüttenwerke und Glashüt¬
ten blieb ohne Bedeutung.
Als im Jahre 1389 die Bergarbeiter
des Ruhrgebietes schwere Kämpfe
führten, erwachte auch in der Saar-
arboitersehaft der Drang zur Organi¬
sation. Die Verhältnisse im Saarge¬
biet waren unerträglich geworden.
Betrug zur Zeit der Landesfürsten
die Arbeitszeit in den Gruben acht
Stunden, so wurden jetzt, in dem
Zeitalter des Kapitalismus, zur Grün¬
derzeit, elf Stunden gearbeitet-
i[Fortsetzung toigtji