,Die Arbeit'
März 1947
' Seite 3
schaulichen Neigungen. Er erinnerte
an Spaltungsbestrebungerf. und be¬
tonte mit „.allem Nachdruck die Not¬
wendigkeit der Erhaltung der Ge¬
werkschafts-Einheit. Durch diese
Zersplitterung war es Hitler möglich
geworden, seine unumschränkte
Macht durchzusetzen. Er mahnte zur
sachlichen Kritik und nannte Zahlen,
die über den Stand der Organisation
- Aufschluß gaben. Er beleuchtete die
schwachen Stellen einzelner Betriebe
und verwies auf Beispiele nahezu
hundertprozentiger Erfassung., Ein¬
gehend behandelte der Referent die
.Ernährungsfrage, stellte die Schwie¬
rigkeiten heraus, die der Angleichung
der Lebenshaltung der Bergarbeiter
enlgegenstehen und erwartet'* vom
wirtschaftlichen Anschluß an Frank- *
reich die Überwindung des Tief¬
punktes. Die Entnazifizierung der
Betriebe soll in der Entfernung der
Schuldigen, die an leitender und ein¬
flußreicher Stelle stehen, erfolgen.
Sodann^ entwickelte der ' Redner
einen Plan, wie die begonnene
Frauen- und Jugendarbeit fortge¬
setzt werden soll und welche Auf¬
gaben die Fachgruppen und Orts¬
verwaltungen, in dem Getriebe der
Gesamtorganisation zu erledigen
haben. Mit Worten de« Dankes an
die Vertrauensleute und der Mahnung,
weiter tatkräftig am Aufbau unseres
Industrieverbandes Metall mitzu—-
j wirken, schloß der Vorsitzende sein
Referat.
Die Ausführungen des Vorsitzenden
ergänzte Kollege Simon durch deh
-Kassenbericht. Kollege Strempel
erteilte dem Kassierer Entlastung.
Auf den--Bericht der Mandatsprü¬
fungskommission folgte die Aus¬
sprache, in deren Verlauf liaupt-
sächlich Entnazifizierungsfragen, Er-
, nährung und Jugendprobleme be¬
handelt wurden.
Den zweiten Kongreßtag eröffnete
der Präsident der -Einheitsgewerk¬
schaft, Kollege Wacker, mit einem
Referat über das Betriebsrätegesetz.
Die Bedeutung dieses Gesetzes als
Rechtsgrundlage im Betrieb veran-
laßte den Redner auf die Vorläufer
der Betriebsvertretungen hinzu wei¬
sen, die als Arbeiterausschüsse aus
dem Jahre 1916 noch bekannt sind
und Streitfälle vor den Schlichtungs-
ausschüssen austrugen. Im Jahre
1920 folgte das Betriebsrätegesetz,
das von Hitler außer Kraft gesetzt
wurde. Am 10. April 1946 erließ der
Kontrollrat ein Rahmengesetz, zu
dom eine Durchführungsverordnung
der Militärregierung in- Baden-Baden
vorbereitet worden .ist. Nach ein¬
gehenden Beratungen ist die Vorlage
dpreh' die Verwaltungskommission
des Saarlandes angenommen worden.
Der Redner umriß die wichtigsten
und strittigsten. Pabagraphen der Ver¬
ordnung, erläuterte ihre Anwendung
und erklärte, daß sie bei aller Kritik
eine gute Waffe sei, wenn es der Be¬
triebsrat verstünde, sie auch in Ver¬
handlungen mit dem Unternehmer
im Interesse der Arbeitnehmer zu
gebrauchen. ■ v
Wahl des Vorstandes
In der sich, anschließenden Vor¬
standswahl wurde Kollege Fliegler
wieder zum 1. Vorsitzenden gewählt.
Während, der Wahl sprach Kollege
Hasert über die Jugendpflege.
. \ In deT staltgefundenen sehr er¬
regten Diskussion ergriff Herr Rieth
noch einmal das Wort zu längeren
Ausführungen, in denen er. auf die
Entnazifizierung und die Ernährungs¬
fragen einging. Nach der Wahl des
erweiterten Vorstandes kamen noch
einige Entschließungen-über Ernäh¬
rungsfrage, Frauenarbeit, Nationali¬
sierung' der Großbetriebe in der
Schwereisenindustrie und Errichtung
von Fachgruppen innerhalb des In>
dustrieverbandes Metall' zur 'An¬
nahme. Als Ort der nächsten Gene¬
ralversammlung wurde St. Ingbert
bestimmt. . - ■
Wirklichkeitsnaher Sozialismus
Gewerkschaften und Sozialisierung
Die Zurückhaltung, die bislang die
Einheitsgewerkschaft der Sozialisie¬
rung und den Durchführungsvor-
schlagen gegenüber beobachtet hat,
rechtfertigt keineswegs die Annahme,
die organisierte Arbeitnehmerschaft
wolle sich der Verantwortung einer
Mitwirkung an der Neugestaltung
der 'wirtschaftlichen und sozialen
Lebensformen entziehen und es zu¬
nächst den politischen Parteien über¬
lassen,* das Terrain zu sondieren und
die Grenzen der Möglichkeiten fest¬
zulegen. Der . Schein trügt, - wenn
auch nicht' bestritten werden soll,
daß, solange der Sozialismus als po¬
litische Forderung das Feld der par¬
teilichen Auseinandersetzung be¬
herrscht und Agitation und Aufklä¬
rung für das Verständnis seiner
Konzeption werben, die Aufgabe der
Gewerkschaften auf vorbereitende.
Einzelaktionen beschränkt bleiben
muß, die mehr der Prüfung seiner
Teilprobleme, wie Lohn- und Preis¬
gestaltung, Betriebsplanungen Mit¬
verantwortung und Mitbestimmung
ll a. m. gewidmet sind. Nicht im
Bereich des Wunschbildes, sondern
auf der Ebene konstruktiver Lö¬
sungen findet die Zuständigkeit der
Gewerkschaften ihr Recht und ihr
Wirkungsfeld. Hier aber gewinnt
ihre Mitwirkung die Bedeutung eines
entscheidenden Faktors praktischer
Wirtschaftsgestaltung. ~/
Der von großen Hoffnungen be¬
gleitete und von einem hohen Niveau
getragene Kongreß der Sozialdemo¬
kratischen Partei zur Sozialisierungs¬
frage in Sulzbach hat in den Refe^
raten, in der Aussprache und in den
Resolutionen <den Willen der großen
Mehrheit des Volkes zum Ausdruck
gebracht, den Schritt von der Theo¬
rie zur Verwirklichung der Verge¬
sellschaftung der Produktionsmittel
zu tun, wenn auch die Parteien
selbst, die mit graduellen Abwei¬
chungen 'das gemeinwirtschaftliche
Prinzip grundsätzlich vertreten, sich
in der Auffassung und Vorstellung
über Methode und Begrenzung der
Sozialisierung noch unterscheiden.
Das mag vor allem in der Beurtei¬
lung der ökonomischen Zwangsläu¬
figkeit *zum Ausdruck kommen. Je¬
denfalls aber treibt das Gewicht der
politischen Forderung die Entwick¬
lung weiter, nicht ohne Befürworter
und Kritiker gleichermaßen mit
einer großen und unausweichbaren
Verantwortung zu belasten, indem
sie beide zu wirklichkeitsnahen, kon¬
struktiven Lösungen verpflichtet, die
geeignet sind, Erstarrungen in Dog¬
ma und Anschauuhg zu überwinden.
Was den Gewerkschaften, die in
den Referaten des Kongresses und
in den vorausgehenden Pressedis-
kussionen wiederholt angesprochen
worden sind, zu tun bleibt, hat der
Präsident der Einheitsgewerkschaft
Heinrich Wacker in seinem
Korreferat klar und eindeutig zum
Ausdruck gebracht.
Zu allen Zeiten' hat das planwirt¬
schaftliche Prinzip das gewerkschaft¬
liche Gedankengut beherrscht. Als
Sachwalter der Arbeitskraft sind die
Gewerkschaften entstanden aus der
Notwendigkeit entschlossener Ab¬
wehr gegen die Ausbeutung des ka¬
pitalistischen Systems. Galt bislang
ihr Kampf dem Schutz der abhängi¬
gen Arbeit, der fortschreitenden Um¬
wandlung des Wirtschaftssystems
zum Sozialismus in den vielseitigen
Phasen " gewerkschaftlicher Arbei/
zur Sicherung der Koalitionsfreiheit,,
der Tarifverträge, des Arbeits¬
schutzes, der sozialen Fürsorge, der
genossenschaftlichen Verbrauchs¬
wirtschaft bis zum gewerkschaft¬
lichen Eigenbetrieb, so erwächst ihm
heute die Aufgabe, die Kräfte, die
auf diesen. Gebieten regsam sind, '
zum geschlossenen Einsatz für'eine
Verwirklichung der Betriebsdemo¬
kratie zu bringen.
Die Veränderung der Besitzstruk¬
tur im Produktionssektor genügt'
allein nicht, wenn nicht zugleich von
innen-her dem Träger der Arbeit
Mitbestimmung und Mitverantwor¬
tung übertragen werden. Unter die¬
sen Auspizien ist das Betriebsräte¬
gesetz ein Element des Sozialismus
und erschließt seiner Verwirklichung
gerade auf der sehr wichtigen Be¬
triebsstufe vielseitige Möglichkeiten
für eine echte und Verantwortung»-*
bewußte Teilnahme der Arbeitneh¬
mer am Leben und Schicksal der
Unternehmung.
Gleichlaufend mit der weiträumi¬
gen zentralen Wirtschaftsplanung
und der Übernahme der Monopol¬
industrien in das Sozialeigentum hat
daher die praktische Durchführung
der Betriebsdemokratie zu beginnen
und die Befreiung der Arbeitskraft
von dem Diktat der kapitalistischen
^Produktionsverhältnisse vorzuberei¬
ten. Erst im Zusammenwirken dieser
Kräfte vermag sich der Sozialismus
und mit ihm echte Wirtschaftsdemo¬
kratie zu entfalten.
Den Gewerkschaften wird es also
obliegen, die politische Forderung
mit realistischen Lösungen zu unter¬
mauern und sich in der Kunst des
Möglichen zu bewähren. Ihre lang¬
jährigen sozialen und wirtschaft¬
lichen Erfahrungen befähigen sia
hierzu in besonderem Maße, umso¬
mehr als in ihren Vorstellungen di«
Kraft der Einsicht iri die Wirt¬
schaftlichkeit und Produktivität ge¬
meinwirtschaftlicher Belriebsformen
eine entscheidende Rolle spielen
dürfte.
In ihren Reihen stehen und arbei¬
ten die Männer der Praxis, die das
wirtschaftliche Geschehen aus der
unmittelbaren Anschauung her ken¬
nen und sehr wohl wissen, daß Lei¬
denschaft und Begeisterung sich mit
nüchterner Überlegung und Berech¬
nung paaren müssen, soll das Werk
Bestand haben. Mögen auch die po¬
litischen Voraussetzungen- günstig
erscheinen, so dürfen wir die öko¬
nomischen Schwierigkeiten keines¬
wegs leichtfertig unterschätzen, die
sich weniger in den kapitalistischen
Widerständen, als vielmehr in den
wirtschaftlichen Trümmern einer
gemeinwirtschaftlichen Losung ent-
gegenstellen. 'Wir werden in vielen
Fällen von vorne anfangen müssen
und lange Zeit noch von der Armut
begleitet sein, ehe wir in der Lage
sind, echten Wohlstand zu verteilen.
H. W.
Blick in die Vergangenheit
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebiet
Von Jakob Michely, Dudweiler
Fortsetzung.
Im April 1892 sandte der Verein
eine in 10 Versammlungen beschlos¬
sene Eingabe an die Regierung, die
die Erfüllung obengenannter Völk-
linger Beschlüsse forderte. Aber die
Regierung kümmerte sich nicht da¬
rum. Als eine neue Arbeitsordnung
erlassen wurde, protestierte im No-4
vgmber eine Massenversammlung auf
dem Bildstock. Sie drohte mit Streik,
wenn die Verordnung nicht zurück¬
gezogen würde. Am 28.- Dezember
1892 brach er aus und war von Ent¬
schlossenheit und Erbitterung getra¬
gen. Es streikten 25 000 von 30 000
Bergleuten. Ihre Führer wurden in¬
haftiert und die Bergarbeiter, uner¬
fahren in Wirtschaftskämpfen, wur¬
den durch polizeiliche und werks¬
kapitalistische Drohungen einge¬
schüchtert Der Direktor der Gruben,
Geheimrat .von Velsen, lehnte jede
Verhandlung .ab und forderte be¬
dingungsloses Wiederanfahren. Die
eingeschüchterten Leute, denen die
Aussperrung. drohte, gingen, einer,
nach dem anderen auf die Grube und
am 15. Jajmqr war der Streik be¬
endet. 2457 Mann wurden entlassen,
darunter alle Vertrauensleute, Älte¬
sten und Apsschußmitglieder des Ver¬
eins. Sie konnten im Saargebiet nir¬
gends mehr Arbeit finden und stan-
- \
den mitten im. Winter mittellos da.
Nach diesem Streik setzte von allen
Seiten eine raffinierte und schmut¬
zige Hetze gegen die Leiter des Ver¬
eins ein. Dazu kamen noch Streit¬
fragen religiöser Natur, Schlägereien
und Tumulte gegen Streikbrecher,
Verhaftungen und Gefängnisstrafen.
Mit Leidenschaft wurde dieser Gro߬
kampf durchgeführt und vor allem
die Frauen feuerten zum Durchhal-
- ten auf. Aber die Arbeiter waren be¬
siegt, zerrissen und zermürbt und der
Rechtsschutzverein ging -ein.
Die Gewerkschaften im Saargebiet
Nach dieser Niederlage, war es
schwer, die Saarbergarbeiter zu or¬
ganisieren. Wohl bestanden im Ruhr¬
gebiet der Bergarbeiterverband und
die christlichen Gewerkschaften, aber
im Saargebiet mußte Schritt um
Schritt, in schwerem Kampf gegen
die Kräfte,der Reaktion d(er Boden
vorbereitet werden. Am schlimm¬
sten gebärdete sich Hilger mit sei¬
nem Werkorgan „Bergmannsfreund“.
'Erklärte er doch in dem großen Pro¬
zeß in Trier 1905: „Ich bin Gegner
der Gewerkschaften, der sozialdemo¬
kratischen und der christlichen. Ich
habe sie nie begünstigt und als im
Saargebiet verbreitet wurde, wir
wünschten den Beitritt zu den christ-
lichen Gewerkschaften, habe ich mit-
teilen lassen, daß das nicht der Fall
wäre.“ * ■
Leider hatte sich auch die Geist¬
lichkeit, die evangelische wie die
katholische, gegen die Gewerkschaf¬
ten gewandt und dadurch einen
Kampf innerhalb ihrer eigenen Rei¬
hen, zwischen christlichen Gewerk¬
schaften, dem' katholischen Volks-
.verein und den evangelischen Arbei¬
tervereinen, herauf beschworen. Die¬
ser Kampf zwischen den Fachabtei-
lungen des katholischen Volksver¬
eins upd den christlichen. Gewerk¬
schaften artete zum Bruderkampf
aus und dauerte bis in die Jahre kurz
vor Ausbruch des ersten Weltkrieges.
Er" hat sehr hemmend auf die Ge¬
werkschaftsbewegung gewirkt.
Seit dem^ Zusammenbruch lde3
Rechtsschutzvereins war‘‘an der Saar
im Gegensatz zum übrigen Deutsch¬
land keine gewerkschaftliche schlag¬
kräftige . Organisation zustandege¬
kommen. Trotzdem versuchten im¬
mer wieder einzelne Bergleute, mit
auswärtigen Organisationen in Ver¬
bindung zu kommen. Heimlich ließen
sie sich die Bergarbeiter-Zeitung zu¬
schicken. Wenn die Bcrgverwaltung
es erfuhr, wurden die Betreffenden
entlassen. Versammlungen waren we¬
gen Polizeiverboten und Saalaustrei¬
bungen im preußischen Teil nicht
möglich. Deshalb hielt man die Ver¬
sammlungen * meistens ,1m baye-»
rischen Teil ab.
(Fortsetzung folglfc