Full text: 1946 (0001)

Zu neuen Ufern 
Wer heute der Jugend helfen 
will, der muß davon* aus¬ 
gehen, daß es in ihr genau 
so aussieht, wie in den Städten, über 
die ein vernichtender Bomben- und 
Feuerhagel niedergegangen ist. Ihre 
Welt ist zusammengebrochen! — Diese 
tiefempfundenen Worte, die uns auf 
eines der brennenden Probleme un¬ 
serer Gegenwart hinweisen und die 
Erkenntnisse eines bekannten deut¬ 
schen Dichters wiedergeben, rühren 
an die Wurzeln eines geistigen, seeli¬ 
schen und materiellen Notstandes, mit 
dem die Jugend ringt und allein, ohne 
verständnisvolle Führung, nicht fertig 
werden will. Die einen resignieren, 
schweigen und finden nicht den Mut, 
über die Trümmer hinweg der harten 
Wirklichkeit in das Angesicht zu 
schauen, um sich mit ihr auseinander¬ 
zusetzen, die anderen gehen ihr aus 
dem Wege und suchen sich durch 
Laster und Müßiggang zu betäuben. 
Es ist in der Tat nicht viel, was die 
Jugend aus dem Zusammenbruch einer 
gewissenlosen trügerischen Farce zu 
bergen vermochte. Was sie einst als 
großartig und machtvoll empfand, lebt 
häufig noch in ihrer Illusion weiter. 
Sie ist noch zu sehr dem raffinierten 
Schein verhaftet, dem sie mit gutem 
Glauben erlag, um dem Heute auf¬ 
geschlossenen Sinnes gegenüber tre¬ 
ten zu können. Zweifel, Mißtrauen 
und Ablehnung sind die Reaktionen 
ihrer enttäuschten Hoffnungen, und 
nur allzu verständlich scheint es, 
wenn sie mit den Begriffen einer de¬ 
mokratischen Weltanschauung, die sie 
allenfalls dem Namen nach kennt, 
nichts anzufangen weiß. Sie ist in der 
Tat in ein schweres, aber nicht hoff¬ 
nungsloses Schicksal hineingestellt 
und auf ihre große Frage nach dem 
Sinn ihres jungen an Enttäuschungen 
gewiß reichen Lebens haben wir, die 
ältere Generation, Antwort zü geben. 
Nicht durch Worte und Versicherun¬ 
gen werden wir ihr Vertrauen ge¬ 
winnen, sondern einzig und allein das 
Beispiel, das wir zu geben bereit 
sind, vermag zu überzeugen. Behan¬ 
delt sie nicht als „schwarze Schafe" 
— sie sind zum allergrößten Teil auch 
nur Verführte und Betrogene — son¬ 
dern wendet die ganze Liebe und 
Sorgfalt auf die Erringung des jugend¬ 
lichen Herzens durch Beweis. Ueber- 
zeugen und Bessermachen! Besser¬ 
machen nicht im Sinne einer materiel¬ 
len Verbesserung— diese liegt außer 
unserer Möglichkeit — sondern Bes¬ 
sermachen im Sinne eines demokrati¬ 
schen Praktikums, Bessermachen durch 
Ueberwindung des Ungeistes einer 
Zeit, deren chaotische Hinterlassen¬ 
schaft niemand stärker belastet als 
gerade die Jugend, Bessermachen 
durch einfühlendes Verständnis dort, 
wo früher Unverstand und Haß re¬ 
gierten. Gebt der Jugend Vorbilder 
— sie wird folgen, gebt der Jugend 
Möglichkeiten — sie wird sie nutzen; 
zeigt der Jugend, daß es hier und 
nirgends anders auf ihre Kraft und 
Mitarbeit ankommt — sie wird sich 
nicht versagen. Denn das Gefühl für 
das Gute, für Gerechtigkeit und An¬ 
ständigkeit ist ja nicht vernichtet, es 
ist da, wenn auch vielleicht ver¬ 
schüttet oder irregeleitet, die jugend¬ 
liche Begeisterung für Ideale, das 
stürmende Drängen um einer großen 
Sache willen sind ja nicht erloschen, 
sie sind da — wenn auch im Verbor¬ 
genen. Helft sie wecken — die Ju¬ 
gend wird bereit sein! 
Jungarbeiter und Gewerkschaft 
Hat es überhaupt noch einen 
Zweck, organisiert zu sein? 
Diese Frage tritt uns Gewerk¬ 
schaftlern alltäglich mit neuer Ein¬ 
dringlichkeit vor Augen. Vor allem 
aber ist es die Jugend, die sie immer 
wieder stellt, jedoch nur allzu häu¬ 
fig hören muß: „Es ist eine überlebte 
Sache, organisiert zu sein. Weg¬ 
geworfenes Geld. Obwohl schon Ge¬ 
werkschaft und DAF. da waren, ha¬ 
ben wir Schaffenden alles verloren. 
Wir haben nichts mehr zu verlieren 
und schlechter als heute kann es uns 
nicht mehr gehen.“ Das ist natürlich 
falsch und auch dumm. Es stimmt 
nicht, daß die Gewerkschaften eine 
überlebte Sache sind, im Gegenteil, 
gerade in der gegenwärtigen Zeit 
sind sie der unerschütterliche Damm, 
an dem die Wellen der sozialen Re¬ 
aktion zerschellen und zurückfluten 
müssen. Sie sind der Schutz der 
werktätigen Arbeit, die Waffe des 
Arbeiters im Kampf gegen die Unter¬ 
nehmerschaft, der — solange es ka¬ 
pitalistische Produktionsverhältnisse 
geben wird — unvermeidlich ist. 
Auch die gewerkschaftliche Jugend¬ 
arbeit hat eine bewährte Ueberliefe- 
rung, in deren Daten sich die Erfolge 
ihres Einsatzes niederschlagen. Sie 
schuf die besten Arbeiterfunktionäre, 
die im Kampf gegen Kapitalismus 
und Kriegshetze die Ehre der Ar¬ 
beiterschaft hochhielten und vertei¬ 
digten. So war es während des 
ersten Weltkrieges die gewerkschaft¬ 
lich organisierte Arbeiterjugend, die 
den imperialistischen Militarismus 
und die kapitalistische Ausbeutung 
energisch bekämpfte und sich nicht 
scheute, für ihre Ziele und Ideale zu 
demonstrieren. 
Und gerade die werktätige Jugend 
unserer Zeit, die ein neues Leben auf¬ 
bauen will, bedarf der Führung der 
gewerkschaftlichen Gemeinschaft, 
die in besonderem Maße berufen ist, 
aus der uns noch erhalten gebliebe¬ 
nen jungen Generation selbstbewußte 
und verantwortungsfreudige Staats¬ 
bürger zu erziehen. Zu dieser hohen 
und schönen Aufgabe aber brauchen 
wir Menschen, die mit den Jungen 
fühlen, ihre Nöte und Sorgen kennen 
und ihr Vertrauen durch echte Ka¬ 
meradschaft zu gewinnen wissen. In 
der Gewerkschaftsbewegung sind 
mannigfaltige Möglichkeiten er¬ 
schlossen, diese Erziehungsarbeit zu 
intensivieren und sie in Auswertung 
der vorhandenen und geplanten Ein¬ 
richtungen zu fördern. Das gilt so¬ 
wohl für die fachliche Berufsausbil¬ 
dung wie für die gewerkschaftliche 
Schulung. In allen Fragen des be¬ 
ruflichen und täglichen Lebens muß 
der Lehrling und Jungarbeiter Rat 
und Hilfe in seiner Gewerkschaft 
finden. Sie wird ihn schützen gegen 
Ausbeutung und Antreiberei, die 
Regelung seiner Lohn- und Arbeits¬ 
bedingungen überwachen, ihn mit 
den sozialpolitischen Errungenschaf¬ 
ten, wie Sozialversicherung, Jugend¬ 
schutz und dergl., vertraut machen 
und seinen kulturellen und sport¬ 
lichen Wünschen in vielseitigen Ver¬ 
anstaltungen Rechnung tragen. Auch 
auf diesen Gebieten stehen die Ge¬ 
werkschaften erst im Anfang eines 
großzügig geplanten Aufbaues. In 
den Jugendsekretariaten verfügen sie 
aber bereits über bewährte Betreu¬ 
ungsorgane, die sich ausschließlich 
mit den Fragen des werktätigen 
Nachwuchses befassen. 
QiiilvniL 
XOieuiel Ätang un6 witoitl Jreuöe 
23in6en rief; in 6iefeni IDorti 
UJíeuíd ¡froijfínn, Gorme, <E>lücT 
Sprüht öer 3ugeni> feiler 23licf. 
* 
öd)mal?lid;cs Pecbccdjcn ift cs, 
Dein Vertrauen ju mi|braud;en. 
Sdjöne üüorte - Ijoljle Pradjt 
Stürmten í>íd; in tieffte Tladjt. 
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3ugeni>, öir ift es befdjiefcen, 
0rö£tes £eiö ?u übertm'n6en, 
ilnferm Volf aus Hot uni) ödjanfce 
fínen neuen IDeg ?u finöen. 
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2Tlu£t 6u för bie gute Sadje 
neuen Hlut unö (Blauben fdjöpfen, 
21m mit ungebeugten naden 
Írífdj 6en Aufbau an^upatfen. 
Arbeitsfähiger Nachwuchs 
Nach einer Übersicht des Lan¬ 
desarbeitsamtes stehen im 
Saargebiet unter Berücksichtigung 
des Zuganges der Schulentlassenen 
insgesamt 10 737 jugendliche Ar¬ 
beitskräfte zur Verfügung. Sie ver¬ 
teilen sich auf die einzelnen Arbeits¬ 
amtsbezirke wie folgt: 
männl. 
weibl. 
zus. 
Saarbrücken 
2156 
2032 
4188 
Neunkirchen 
1321 
1331 
2652 
Saarlouis 
1097 
1175 
2272 
St. Ingbert 
775 
850 
1625 
Saargebiet 
5349 
5388 
10 737 
Unter Ausnutzung aller vorhande¬ 
nen Lehr-, Anlern- und Arbeits¬ 
plätze für Jugendliche, besonders 
auch im Baugewerbe und im Berg¬ 
bau ist man bemüht, alle arbeits¬ 
fähigen Jugendlichen unterzubrin¬ 
gen. Dabei werden die Schwierig¬ 
keiten nicht'verkannt, die sich be¬ 
sonders bei der Unterbringung von 
Jugendlichen infolge des Mangels an 
Arbeitskleidern, Schuhen und aus¬ 
reichender Ernährung ergeben. 
So starb Fritz Husemann 
Der „Rheinzeitung“ in Koblenz 
entnehmen wir nachfolgenden Be¬ 
richt über die Ermordung Huse- 
manns, des Leiters des deutschen 
Bergarbeiterverbandes. 
Der fahrplanmäßige Personen¬ 
zug fährt der Station ent¬ 
gegen. verlangsamt sein Tempo, 
Bremsen kreischen, ein Ruck — Pa¬ 
penburg! Für manchen Passagier die 
Endstation seines Lebens. 
„Wollt ihr wohl raus! ihr Schweine! 
ihr Sauhunde!“ brüllten, schwarz¬ 
uniformierte SS-Leute, den Toten¬ 
kopf an der Mütze. Kolbenstoße und 
Fußtritte hagelten auf die wehi-losen 
Gefangenen. 
Rauf auf den LKW. Hände hinter 
dem Kopf verschränkt. Der Motor 
springt an, los gehts; hin- und her¬ 
geschleudert von der schnellen 
Fahrt. Wehe, wer um einen Halt zu 
suchen oder vor Müdigkeit die 
Hände vom Kopf nimmt. Unbarm¬ 
herzig klatscht ihm eine Faust ins 
Gesicht. 
Da, eine weiße Mauer am Wald¬ 
rand. Tore gehen auf, der Wagen 
fährt in den Kommandanturbereich 
des Konzentrationslagers Ester¬ 
wegen. die „Hölle am Waldesrand“. 
„Runter vom Wagen!“ Kolben¬ 
stoße, Fußtritte. „Marsch! Marsch!“ 
zur Kommandanturba racke, Knie¬ 
beuge, Arme vorstrecken, Minuten 
werden zur Ewigkeit. 
Und dann gehts ins Schutzhaft¬ 
lager. Laufschritt .marsch-marsch! 
Hinlegen! Auf marsch-marsch! Hin¬ 
legen! Rollen! Auf marsch-marsch!“ 
durch Dreck und Pfützen bis zum 
Bunker-Arrest- und Rapportführer¬ 
stube. Aufnahme der Personalien 
mit Fußtritten und Fausthieben. 
Arbeit des Rapportlührers Darrey, 
ein geschniegelter und gebügelter 
Jüngling aus Dortmund. 
Angekommen waren außer einigen 
BV (Berufsverbrecher) eine Anzahl 
Arbeiter aus Westfalen, politisch 
verdächtig, weil sie einen verstor¬ 
benen Kameraden gemeinschaftlich 
zu Grabe getragen hatten. Einer un¬ 
ter ihnen ist ein Gewerkschaftsfüh¬ 
rer von internationalem Ruf. 
Wir treffen uns abends wieder in 
der Baracke. Alles liegt im Bett. 
Die Tür fliegt auf, SS-Leute! „Alles 
raus aus den Betten! unter die Bet¬ 
ten! auf die Balken! in die Betten!“ 
und wieder von vorne, eine halbe 
Stunde lang. „Wo ist der Bonze, das 
Schwein? Her mit dir! Kniebeuge, 
hüpfen! in das Bett! aus dem Bett!“ 
Fußtritte, Fausthiebe. „Oben zu dem 
Judenschwein ins Bett! Du bist doch 
auch ein Judenfreund!“ So treiben 
es die jungen Vertreter der Natio¬ 
nalsozialistischen „Arbeiterpartei“ 
mit einem Arbeiterführer, der dem 
Alter nach ihr Vater sein könnte. 
Nach einer Stunde verschwinden sie. 
Die Nacht ist vorbei. Wecken, Wa¬ 
schen, Betten bauen, Suppe löffeln. 
Antreten der Arbeitskommandos. 
Unsere Zugänge von gestern rücken 
mit aus zum Sportplatz. Hochbela¬ 
dene Schubkarren im Laufschritt 
durchs Moor schieben. Zwischen¬ 
durch Sport, Sport und wieder Sport! 
„Hinlegen! Auf, marsch-marsch! 
Hinlegen! Rollen! Rollen!“ bis die 
Morgensuppe hochkommt, bis der 
Magen leer ist, bis zur Bewußtlosig¬ 
keit. 
„He, du Bonze! Komm her! Hast 
dich von unseren Groschen fett ge¬ 
mästet, das werden wir dir jetzt ab¬ 
treiben! Hinlegen! Rollen!“ Wir ken¬ 
nen die Tour. Wir wissen, was 
kommt, und keiner kann helfen: 
Rollen bis zur Bewußtlosigkeit, bis 
in die Nähe der Postenketten. Die 
Posten gehen einige Schritte zurück, 
der Häftling ist außerhalb der Kette. 
Schüsse peitschen durch die Luft. 
Gejohle. Wir schmeißen uns mit dem 
Gesicht in den Dreck. 
Der Lagerkommandant Loritz 
kommt zu dem Angeschossenen. 
Mit wehleidig-vorwurfsvollem Ton 
spricht er: „Wie konnten Sie denn 
auch einen Fluchtversuch machen?" 
Der auf den Tod Verwundete reckt 
sich hoch, strafft seine Gesichtszüge, 
verbeißt mit festem Willen seinen 
Schmerz und gibt mit harter Stimme 
zur Antwort: „Sie wissen ja, es war 
kein Fluchtversuch.“ Blut stürzt ihm 
aus dem Mund, ein Strecken, aus. . 
Der Kommandozettel kam zur 
Schreibstube: „Arbeitskommando 
Sportplatz ausgerückt mit 120 Häft¬ 
lingen. Eingerückt mit 119 Häftlin¬ 
gen. Ein Häftling auf der Flucht er¬ 
schossen. SS-Rottenführer Kiesel." 
Der Erschossene war der Führer 
der deutschen Bergarbeiter, Huse¬ 
mann.
	        
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