Zu neuen Ufern
Wer heute der Jugend helfen
will, der muß davon* aus¬
gehen, daß es in ihr genau
so aussieht, wie in den Städten, über
die ein vernichtender Bomben- und
Feuerhagel niedergegangen ist. Ihre
Welt ist zusammengebrochen! — Diese
tiefempfundenen Worte, die uns auf
eines der brennenden Probleme un¬
serer Gegenwart hinweisen und die
Erkenntnisse eines bekannten deut¬
schen Dichters wiedergeben, rühren
an die Wurzeln eines geistigen, seeli¬
schen und materiellen Notstandes, mit
dem die Jugend ringt und allein, ohne
verständnisvolle Führung, nicht fertig
werden will. Die einen resignieren,
schweigen und finden nicht den Mut,
über die Trümmer hinweg der harten
Wirklichkeit in das Angesicht zu
schauen, um sich mit ihr auseinander¬
zusetzen, die anderen gehen ihr aus
dem Wege und suchen sich durch
Laster und Müßiggang zu betäuben.
Es ist in der Tat nicht viel, was die
Jugend aus dem Zusammenbruch einer
gewissenlosen trügerischen Farce zu
bergen vermochte. Was sie einst als
großartig und machtvoll empfand, lebt
häufig noch in ihrer Illusion weiter.
Sie ist noch zu sehr dem raffinierten
Schein verhaftet, dem sie mit gutem
Glauben erlag, um dem Heute auf¬
geschlossenen Sinnes gegenüber tre¬
ten zu können. Zweifel, Mißtrauen
und Ablehnung sind die Reaktionen
ihrer enttäuschten Hoffnungen, und
nur allzu verständlich scheint es,
wenn sie mit den Begriffen einer de¬
mokratischen Weltanschauung, die sie
allenfalls dem Namen nach kennt,
nichts anzufangen weiß. Sie ist in der
Tat in ein schweres, aber nicht hoff¬
nungsloses Schicksal hineingestellt
und auf ihre große Frage nach dem
Sinn ihres jungen an Enttäuschungen
gewiß reichen Lebens haben wir, die
ältere Generation, Antwort zü geben.
Nicht durch Worte und Versicherun¬
gen werden wir ihr Vertrauen ge¬
winnen, sondern einzig und allein das
Beispiel, das wir zu geben bereit
sind, vermag zu überzeugen. Behan¬
delt sie nicht als „schwarze Schafe"
— sie sind zum allergrößten Teil auch
nur Verführte und Betrogene — son¬
dern wendet die ganze Liebe und
Sorgfalt auf die Erringung des jugend¬
lichen Herzens durch Beweis. Ueber-
zeugen und Bessermachen! Besser¬
machen nicht im Sinne einer materiel¬
len Verbesserung— diese liegt außer
unserer Möglichkeit — sondern Bes¬
sermachen im Sinne eines demokrati¬
schen Praktikums, Bessermachen durch
Ueberwindung des Ungeistes einer
Zeit, deren chaotische Hinterlassen¬
schaft niemand stärker belastet als
gerade die Jugend, Bessermachen
durch einfühlendes Verständnis dort,
wo früher Unverstand und Haß re¬
gierten. Gebt der Jugend Vorbilder
— sie wird folgen, gebt der Jugend
Möglichkeiten — sie wird sie nutzen;
zeigt der Jugend, daß es hier und
nirgends anders auf ihre Kraft und
Mitarbeit ankommt — sie wird sich
nicht versagen. Denn das Gefühl für
das Gute, für Gerechtigkeit und An¬
ständigkeit ist ja nicht vernichtet, es
ist da, wenn auch vielleicht ver¬
schüttet oder irregeleitet, die jugend¬
liche Begeisterung für Ideale, das
stürmende Drängen um einer großen
Sache willen sind ja nicht erloschen,
sie sind da — wenn auch im Verbor¬
genen. Helft sie wecken — die Ju¬
gend wird bereit sein!
Jungarbeiter und Gewerkschaft
Hat es überhaupt noch einen
Zweck, organisiert zu sein?
Diese Frage tritt uns Gewerk¬
schaftlern alltäglich mit neuer Ein¬
dringlichkeit vor Augen. Vor allem
aber ist es die Jugend, die sie immer
wieder stellt, jedoch nur allzu häu¬
fig hören muß: „Es ist eine überlebte
Sache, organisiert zu sein. Weg¬
geworfenes Geld. Obwohl schon Ge¬
werkschaft und DAF. da waren, ha¬
ben wir Schaffenden alles verloren.
Wir haben nichts mehr zu verlieren
und schlechter als heute kann es uns
nicht mehr gehen.“ Das ist natürlich
falsch und auch dumm. Es stimmt
nicht, daß die Gewerkschaften eine
überlebte Sache sind, im Gegenteil,
gerade in der gegenwärtigen Zeit
sind sie der unerschütterliche Damm,
an dem die Wellen der sozialen Re¬
aktion zerschellen und zurückfluten
müssen. Sie sind der Schutz der
werktätigen Arbeit, die Waffe des
Arbeiters im Kampf gegen die Unter¬
nehmerschaft, der — solange es ka¬
pitalistische Produktionsverhältnisse
geben wird — unvermeidlich ist.
Auch die gewerkschaftliche Jugend¬
arbeit hat eine bewährte Ueberliefe-
rung, in deren Daten sich die Erfolge
ihres Einsatzes niederschlagen. Sie
schuf die besten Arbeiterfunktionäre,
die im Kampf gegen Kapitalismus
und Kriegshetze die Ehre der Ar¬
beiterschaft hochhielten und vertei¬
digten. So war es während des
ersten Weltkrieges die gewerkschaft¬
lich organisierte Arbeiterjugend, die
den imperialistischen Militarismus
und die kapitalistische Ausbeutung
energisch bekämpfte und sich nicht
scheute, für ihre Ziele und Ideale zu
demonstrieren.
Und gerade die werktätige Jugend
unserer Zeit, die ein neues Leben auf¬
bauen will, bedarf der Führung der
gewerkschaftlichen Gemeinschaft,
die in besonderem Maße berufen ist,
aus der uns noch erhalten gebliebe¬
nen jungen Generation selbstbewußte
und verantwortungsfreudige Staats¬
bürger zu erziehen. Zu dieser hohen
und schönen Aufgabe aber brauchen
wir Menschen, die mit den Jungen
fühlen, ihre Nöte und Sorgen kennen
und ihr Vertrauen durch echte Ka¬
meradschaft zu gewinnen wissen. In
der Gewerkschaftsbewegung sind
mannigfaltige Möglichkeiten er¬
schlossen, diese Erziehungsarbeit zu
intensivieren und sie in Auswertung
der vorhandenen und geplanten Ein¬
richtungen zu fördern. Das gilt so¬
wohl für die fachliche Berufsausbil¬
dung wie für die gewerkschaftliche
Schulung. In allen Fragen des be¬
ruflichen und täglichen Lebens muß
der Lehrling und Jungarbeiter Rat
und Hilfe in seiner Gewerkschaft
finden. Sie wird ihn schützen gegen
Ausbeutung und Antreiberei, die
Regelung seiner Lohn- und Arbeits¬
bedingungen überwachen, ihn mit
den sozialpolitischen Errungenschaf¬
ten, wie Sozialversicherung, Jugend¬
schutz und dergl., vertraut machen
und seinen kulturellen und sport¬
lichen Wünschen in vielseitigen Ver¬
anstaltungen Rechnung tragen. Auch
auf diesen Gebieten stehen die Ge¬
werkschaften erst im Anfang eines
großzügig geplanten Aufbaues. In
den Jugendsekretariaten verfügen sie
aber bereits über bewährte Betreu¬
ungsorgane, die sich ausschließlich
mit den Fragen des werktätigen
Nachwuchses befassen.
QiiilvniL
XOieuiel Ätang un6 witoitl Jreuöe
23in6en rief; in 6iefeni IDorti
UJíeuíd ¡froijfínn, Gorme, <E>lücT
Sprüht öer 3ugeni> feiler 23licf.
*
öd)mal?lid;cs Pecbccdjcn ift cs,
Dein Vertrauen ju mi|braud;en.
Sdjöne üüorte - Ijoljle Pradjt
Stürmten í>íd; in tieffte Tladjt.
*
3ugeni>, öir ift es befdjiefcen,
0rö£tes £eiö ?u übertm'n6en,
ilnferm Volf aus Hot uni) ödjanfce
fínen neuen IDeg ?u finöen.
*
2Tlu£t 6u för bie gute Sadje
neuen Hlut unö (Blauben fdjöpfen,
21m mit ungebeugten naden
Írífdj 6en Aufbau an^upatfen.
Arbeitsfähiger Nachwuchs
Nach einer Übersicht des Lan¬
desarbeitsamtes stehen im
Saargebiet unter Berücksichtigung
des Zuganges der Schulentlassenen
insgesamt 10 737 jugendliche Ar¬
beitskräfte zur Verfügung. Sie ver¬
teilen sich auf die einzelnen Arbeits¬
amtsbezirke wie folgt:
männl.
weibl.
zus.
Saarbrücken
2156
2032
4188
Neunkirchen
1321
1331
2652
Saarlouis
1097
1175
2272
St. Ingbert
775
850
1625
Saargebiet
5349
5388
10 737
Unter Ausnutzung aller vorhande¬
nen Lehr-, Anlern- und Arbeits¬
plätze für Jugendliche, besonders
auch im Baugewerbe und im Berg¬
bau ist man bemüht, alle arbeits¬
fähigen Jugendlichen unterzubrin¬
gen. Dabei werden die Schwierig¬
keiten nicht'verkannt, die sich be¬
sonders bei der Unterbringung von
Jugendlichen infolge des Mangels an
Arbeitskleidern, Schuhen und aus¬
reichender Ernährung ergeben.
So starb Fritz Husemann
Der „Rheinzeitung“ in Koblenz
entnehmen wir nachfolgenden Be¬
richt über die Ermordung Huse-
manns, des Leiters des deutschen
Bergarbeiterverbandes.
Der fahrplanmäßige Personen¬
zug fährt der Station ent¬
gegen. verlangsamt sein Tempo,
Bremsen kreischen, ein Ruck — Pa¬
penburg! Für manchen Passagier die
Endstation seines Lebens.
„Wollt ihr wohl raus! ihr Schweine!
ihr Sauhunde!“ brüllten, schwarz¬
uniformierte SS-Leute, den Toten¬
kopf an der Mütze. Kolbenstoße und
Fußtritte hagelten auf die wehi-losen
Gefangenen.
Rauf auf den LKW. Hände hinter
dem Kopf verschränkt. Der Motor
springt an, los gehts; hin- und her¬
geschleudert von der schnellen
Fahrt. Wehe, wer um einen Halt zu
suchen oder vor Müdigkeit die
Hände vom Kopf nimmt. Unbarm¬
herzig klatscht ihm eine Faust ins
Gesicht.
Da, eine weiße Mauer am Wald¬
rand. Tore gehen auf, der Wagen
fährt in den Kommandanturbereich
des Konzentrationslagers Ester¬
wegen. die „Hölle am Waldesrand“.
„Runter vom Wagen!“ Kolben¬
stoße, Fußtritte. „Marsch! Marsch!“
zur Kommandanturba racke, Knie¬
beuge, Arme vorstrecken, Minuten
werden zur Ewigkeit.
Und dann gehts ins Schutzhaft¬
lager. Laufschritt .marsch-marsch!
Hinlegen! Auf marsch-marsch! Hin¬
legen! Rollen! Auf marsch-marsch!“
durch Dreck und Pfützen bis zum
Bunker-Arrest- und Rapportführer¬
stube. Aufnahme der Personalien
mit Fußtritten und Fausthieben.
Arbeit des Rapportlührers Darrey,
ein geschniegelter und gebügelter
Jüngling aus Dortmund.
Angekommen waren außer einigen
BV (Berufsverbrecher) eine Anzahl
Arbeiter aus Westfalen, politisch
verdächtig, weil sie einen verstor¬
benen Kameraden gemeinschaftlich
zu Grabe getragen hatten. Einer un¬
ter ihnen ist ein Gewerkschaftsfüh¬
rer von internationalem Ruf.
Wir treffen uns abends wieder in
der Baracke. Alles liegt im Bett.
Die Tür fliegt auf, SS-Leute! „Alles
raus aus den Betten! unter die Bet¬
ten! auf die Balken! in die Betten!“
und wieder von vorne, eine halbe
Stunde lang. „Wo ist der Bonze, das
Schwein? Her mit dir! Kniebeuge,
hüpfen! in das Bett! aus dem Bett!“
Fußtritte, Fausthiebe. „Oben zu dem
Judenschwein ins Bett! Du bist doch
auch ein Judenfreund!“ So treiben
es die jungen Vertreter der Natio¬
nalsozialistischen „Arbeiterpartei“
mit einem Arbeiterführer, der dem
Alter nach ihr Vater sein könnte.
Nach einer Stunde verschwinden sie.
Die Nacht ist vorbei. Wecken, Wa¬
schen, Betten bauen, Suppe löffeln.
Antreten der Arbeitskommandos.
Unsere Zugänge von gestern rücken
mit aus zum Sportplatz. Hochbela¬
dene Schubkarren im Laufschritt
durchs Moor schieben. Zwischen¬
durch Sport, Sport und wieder Sport!
„Hinlegen! Auf, marsch-marsch!
Hinlegen! Rollen! Rollen!“ bis die
Morgensuppe hochkommt, bis der
Magen leer ist, bis zur Bewußtlosig¬
keit.
„He, du Bonze! Komm her! Hast
dich von unseren Groschen fett ge¬
mästet, das werden wir dir jetzt ab¬
treiben! Hinlegen! Rollen!“ Wir ken¬
nen die Tour. Wir wissen, was
kommt, und keiner kann helfen:
Rollen bis zur Bewußtlosigkeit, bis
in die Nähe der Postenketten. Die
Posten gehen einige Schritte zurück,
der Häftling ist außerhalb der Kette.
Schüsse peitschen durch die Luft.
Gejohle. Wir schmeißen uns mit dem
Gesicht in den Dreck.
Der Lagerkommandant Loritz
kommt zu dem Angeschossenen.
Mit wehleidig-vorwurfsvollem Ton
spricht er: „Wie konnten Sie denn
auch einen Fluchtversuch machen?"
Der auf den Tod Verwundete reckt
sich hoch, strafft seine Gesichtszüge,
verbeißt mit festem Willen seinen
Schmerz und gibt mit harter Stimme
zur Antwort: „Sie wissen ja, es war
kein Fluchtversuch.“ Blut stürzt ihm
aus dem Mund, ein Strecken, aus. .
Der Kommandozettel kam zur
Schreibstube: „Arbeitskommando
Sportplatz ausgerückt mit 120 Häft¬
lingen. Eingerückt mit 119 Häftlin¬
gen. Ein Häftling auf der Flucht er¬
schossen. SS-Rottenführer Kiesel."
Der Erschossene war der Führer
der deutschen Bergarbeiter, Huse¬
mann.