N »vember 1 fl 4 fi
„T)ie Arbeit"
Seife 3
Die Internationale Arbeitsorgani¬
sation hatte am 20. September ihre
29. Generalversammlung im Univer¬
sitätsgebäude von Montreal (Kana¬
da) unter dem Vorsitz des englischen
Arbeitsministers Myrdmn Evans er-
öi inet. Aus 40 Ländern waren 400
Delegierte erschienen.
In den ersten Vollversammlungen
sprachen cm südafrikanischer Dele¬
gierter über die Arbeitslage in der
Südafrikanischen Union und ein in¬
discher Delegierter über die Situa¬
tion in seinem Lande, wobei er
darauf hinwies, daß gewisse Bevöl¬
kerungsschichten Indiens Arbeitsbe¬
dingungen unterworfen sind, die
man nicht als normal bezeichnen
kann. Der Arbeiterdclegierle der
Vereinigten Staaten, Robert Watt,
gab in der Vollsitzung am 24. Sep¬
tember eine Erklärung ab, in der er
ausführte, daß die amerikanischen
Arbeiter eine Weltordnung ver¬
langen, welche die Sorgen und die
Not in Bann tut. Die Geschichte
habe bewiesen, daß man keinen
Frieden auf Reparationsforderungen
an besiegte Länder begründen könne,
sondern nur auf Bedingungen, die
von allen Beteiligten angenommen
verden können. Er fügte hinzu, daß
■seiner Ansicht nach clie Internatio¬
nale Arbeitsorganisation der ge¬
gebene demokratische Organismus
sei, der ein Weltsystem von wirt¬
schaftlicher Gerechtigkeit aufbauen
könne. In einer anderen Vollsitzung
erklärte der demokratische Abge¬
ordnete der U.S.A., Thomas, daß die
Möglichkeit eines friedlichen Zu¬
sammenlebens der Völker keine
Utopie sei. Die Tausende von Kilo¬
metern lange Grenze zwischen Ka¬
nada und den Vereinigten Staaten
sei weder durch Befestigungen, noch
durch Kanonen, noch durch Militär
geschützt. In Kanada hätten die Ab¬
kömmlinge zweier verschiedener
Völkerschaften eine friedliche Zivi¬
lisation auf gebaut.
In der Schlußsitzung sind Evans
erneut zum Pi'äsidenlen, während
Leon Jouhaux und der Delegierte
der Angcstelltenverbände der Ver¬
einigten Staaten, Zellerbach, zu
(Vizepräsidenten bestimmt worden.
Die Heile Jouhaux’
Leon Jouhaux hielt während der
Konferenz eine bedeutsame Rede, in
der er u. a. ausführte:
..Ich will hier nicht nur meiner
persönlichen Meinung Ausdruck
geben, sondern die Meinung der Ar-
Wirlsdiaftsfriedeii bedeutet Völkerflieden
Die Tätigkeit der internationalen Arbeitskonferenz in Montreal
beiter, die ich vertrete und die die Schaft. Sein Zusammenbruch und die
liefe Umwandlung der Lage muß zur
fundamentalen Umarbeitung der
Wirtschaft Europas führen. DieAiii-
ierlen haben mit Recht erklärt, daß ein
dauerhafter Frieden nur mit einem
demokratischen Deutschland mög¬
lich ist, klar gesagt mit einem ent¬
nazifizierten Deutschland. Dieses
Deutschland kann nicht anders ent¬
nazifiziert werden, als durch die
Gevverkschafts - Organisationen auf
freier und unabhängiger Basis. Die
deutsche Wirtschaft kann nicht mehr
geleitet und beherrscht werden von
Reaktionären.
Heute ist es unvermeidlich, daß
man die Wahrheit sieht und daß
man sich mit ihr auseinander set/.t.
Die Organisationen beschäftigen
sich mit den Problemen: „Wieder¬
aufricht ung der Gewerkschaften und
Entnazifizierung in Deutschland.“
Aber die Entnazifizierung bedeutet
nicht nur, daß man Sanktionen ver¬
hängt gegen clie, die schuld sind an
Verbrechen, in die die Welt ge¬
stürzt wurde.
Es ist auch nötig, daß eine neue
Wirtschaftsorganisation geschaffen
wird, die frei von schädlichem
Einfluss ist; die Idee der Über-
Meinung der 70 Millionen ist, die im
Weltgewerkschaftsbund organisiert
sind.
Sie sind eine Kraft, die die inter¬
nationale Arbeitskonferenz nicht
verkennen kann. Ohne diese Kraft,
sagte einmal unser Albert Thomas,
ist das internationale Arbeitsamt
ein Instrument ohne Inhalt. Das
darf nicht sein und ich bin glück¬
lich, den Direktor meinerseits be¬
glückwünschenzukönnen für seinen
Bericht, der sich nicht fürchtet, der
Wahrheit ins Gesicht zu sehen und
alle Probleme hervorzuheben, die
zur Lösung drängen, wenn man den
Frieden wieder herstellen, die Ent¬
wicklung des sozialen Fortschrittes
und das soziale Recht will.
Es ist wahr, daß breite Schichten
des Volkes und zum Teil die Ar¬
beiterorganisationen sehen, daß der
Friede in der Welt noch nicht her¬
gestellt ist, trotzdem die. Kanonen
stumm sind. Es genügt nicht vom
Frieden zu sprechen, man muß auch
die Mittel wollen, mit welchen Rian
den Frieden aufbaut.
Es ist gewiss daß Europa seine
wirtschaftliche und politische Sta¬
bilität wieder herstellen muß, denn
ohne wirtschaftliche und politische
Stabilität ist kein dauerhafter Frie¬
den möglich. Kann Europa seine
wirtschaftliche und .politische Sta¬
bilität wieder erlangen? Ich glaube
es und bin dessen absolut sicher.
Nichts ist dagegen einzuwenden und
ich bin glücklich, die Erklärung
Marschall Stalins vermerken -zu
können, die er in einem Interwiev
abgegeben hat, daß er fest an eine
Möglichkeit einer freundlichen und
dauerhaften Zusammenarbeit '/wi¬
schen der Sowjet-Union und den
westlichen Demokratien glaubt,
trotz verschiedener ideologischer
Anschauungen. Diese Mitteilung
stärkt uns in dem Vertrauen auf die
Schaffung und Entwicklung des
Friedens. Gewiß gibt es ideologische
Differenzen, aber es gibt viele ge¬
meinsame Interessen und alle Na¬
tionen müssen mitarbeiten an der
Verwirklichung des Weltfriedens.
Deutschland war lange Zeit der
Angelpunkt der europäischen Wirl-
leitung der wirtschaftlichen Struk¬
tur Deutschlands in die Hände der
demokratischen Kollektivität zu
legen, wird die Bedingungen zu
einem sicheren Frieden schaffen
Das internationale Arbeitsamt ist
eine internationale Organisation, die
mehr und mehr eine universelle
werden muß. Nicht nur universell
in Bezug auf die Zusammenarbeit
der Völker, sondern in der Erkennt¬
nis der neuen wirtschaftlichen
Kräfte, die sich in der gegenwär¬
tigen Stunde formieren, für die sich
das Arbeitsamt nicht desinteressie¬
ren kann. Darum stützten wir uns
im Laufe der Diskussion auf die
Vorschläge zur Verfassung, die von
der französischen Regierung ge¬
macht wurden, nicht weil sie uns
volle Befriedigung gewährt hätten,
sondern weil sie ein erster Schritt
auf dem Wege zum Frieden ist.
' Wie ich sagte, muß der Wirt¬
schaftskrieg verschwinden und da¬
mit dieser verschwindet, müssen die
Wirtschaften der einzelnen Natio¬
nen, anstatt sich gegenseitig zu hem¬
men, harmonisieren und versuchen
sich zu ergänzen, damit endlich die
Entwicklung des sozialen Rechts und
ein besseres Dasein gesichert wer¬
den.“ („Vie Ouvriere")
Gagen Preiserhöhung und Lehnsiop
Protest der holländischen Gewerkschaiten
Der in Amsterdam tagende Kon¬
greß des Holländischen Gewerk¬
schaftsbundes, dem über 300 000 Mit¬
glieder angehören, stand unter der
Devise: „Kampf der Lebensteue-
rung!“ Seit der kürzlichen Radioan¬
sprache des Ministerpräsidenten
Beel, der erklärt hatte, daß eine
Lohnerhöhung zur Zeit nicht in
Frage kommen könne, und daß aber
dagegen für einige lebenswichtige
Artikel, wie für Brot, Milch, Butter
und Käse, eine Preissenkung vor¬
genommen werden müsse, hat sich
die Wirtschaftslage der Arbeiter¬
massen keineswegs gebessert. Der
Gewerkschaftskongreß hat deshalb
die von der Regierung beabsichtig¬
ten Massnahmen scharfer Kritik
unterzogen und sie für unannehm¬
bar erklärt. Er stellte die Forderung
auf, daß die angekündigten Preiser¬
höhungen zumindest vorläufig nicht
durchgeführt werden und daß die
verschiedenen, in der Praxis teil¬
weise gegeneinander arbeitenden
Preiskontrollämter unter eine zen¬
trale Leitung gestellt werden sollen.
Ihre Aufgabe soll es sein, jede un¬
gerechtfertigte Erhöhung mit stren¬
gen Strafen zu ahnden. Ferner
wurde eine Reform des Sozialver-
sicherungswescns und eine weit¬
gehende Zulassung der Arbeiter¬
schaft in der Beaufsichtigung des
Wirtschaftslebens verlangt.
Die modernen Kriege machen viele
Menschen unglücklich, solange sie dauern,
und niemanden glücklich, u enn sie. i <>r-
über sind. (Johann № ol/gang Goethe)
Wer seine Schüler das ABC gelehrt hui,
hat eine größere Tal voll bracht, als der
Feldherr, der eine Schlacht geschlagen.
(Georg li ilhclrn Leibnil)
Blick in die Vergangenheit
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebiet
Von Jakob Michely, Dudweiler
Fortsetzung.
Aber schon im Jahre 1917 war es
mit dem Burgfrieden zu Ende. An¬
läßlich der Kürzung der Brotratio¬
nen am 15 April 1917 kam es in
zahlreichen Betrieben der Kriegs-
Industrie zu großen Streiks, obwohl
die Metallarbeiter-Verbände dies zu
verhindern suchten. 210 000 Metall¬
arbeiter streikten, bis ihnen zurei¬
chende Lebensmittelmengen garan¬
tiert wurden. In den Verbänden be¬
stand aber nach wie vor eine starke
_ pposition gegen die Kriegspolitik
der Gewerkschaften, die immer
mehr anwuchs. Die Streiks mehlten
sich zusehends. Bereits der Muni-
konsarbeiterstreik in Berlin brachte
Forderungen der Arbeiter, die sich
ijiß die Einstellung des Krieges be-
F'igen. Der Januarstreik 1918 forderte
pndeutig die Beendigung des Krie-
, °hne Annektionen und andere
jurchgreifende Maßnahmen uhd
»iPleite in der Aufforderung an alle
Arbeiter Deutschlands und der Welt,
n den Massenstreik zu treten, um
Krieg zu beenden. Mit allen
-»ewaltmitteln wurde versucht, die-
KU Streik zu unterdrücken. Er
sprang auf viele andere Betriebe
über, aber die Geworkschaftsfüh-
riing erklärte, daß sie diesem Streik
fernstünde.
Am 9. November 1918 brach der
Obrigkeitsslaat zusammen. Die
Kämpfe im Jahre 1917 18 brachten
den Gewerkschaften einen großen
Zuwachs aktiver Kräfte. Nach dem
Zusammenbruch erwiesen, sic sich
als die einzige Wirtschaftsorgani¬
sation, die fähig war, den Wieder¬
aufbau in Gang zu bringen. Das
Versammlungsrecht wurde wieder
hergestellt und der Schutz gegen
die Wechselfälle des Lebens gewähr¬
leistet.
Die Gewerkschaftsorganisation
hatte in Deutschland zunächst den
Charakter einer Berufsorganisation.
Aber immer mehr kam der Gedanke
zum Ausdruck, Betriebsorganisatio¬
nen zu schaffen, die alle Arbeitneh¬
mer eines Betriebes, gleich welchen
Berufes, zusammenschließen. Die
Einführung des Betriebsrütesystems
war ein großer Schritt vorwärts auf
diesem Wege. Die Arbeiter forder¬
ten nach dem Zusammenbruch des
Kaiserreiches, stürmisch seine Ein¬
führung. Die Entwicklung hat aber
gezeigt, daß die Rechte der Betriebs¬
räte und ihr Einfluß auf die Wirt¬
schaftsführung der Betriebe, einer
wachsenden Beschränkung unter¬
worfen waren. Die Arbeitgeber schu¬
len sich mächtige Verbände, Kar¬
telle und Trusts, die nahezu unein¬
geschränkt die Wirtschaft be¬
herrschten. Dieser Zustand führte zu
zahllosen Streiks und Ausperrungen,
zu Spekulationen und Zusammen¬
brüchen, zu Inflation und Arbeits¬
losigkeit, zu Unruhen und Aufstän¬
den. Auch nach «.lern ersten Welt¬
krieg hat es die deutsche Arbeitneh¬
merschaft. nicht verstanden, ein ge¬
schlossenes Ganzes zu bilden, um
die Wirtschaft und den Staat in
demokratisch-fortschrittlichen Sinne
zu beeinflussen, Oft zeigten die
damaligen verantwortlichen Leiter
der Gewerkschaften eine schwan¬
kende Haltung, vor allem in den
Fragen, die ausschlaggebend für eine
wirtschaftspolitische Entwicklung
waren. Ja, zum Teil unterstützten
sie den deutschen Kapitalismus, der
von einer Krise in die andere ging.
Diese Politik führte zu heftigen
Auseinandersetzungen in den Reihen
der Gewerkschaften und zu einer
neuen Spaltung. Die nationalsozia¬
listische Bewegung halte es unter
diesen Umständen ziemlich leicht, in
den Gewerkschaften ihre Zellen auf¬
zubauen, um sie von innen her zu
durchset zen. Trotzdem haben sie dem,
Hitlerismus am längsten standgehal-
len. Hätle man die ganze organi¬
sierte Kraft der Gewerkschaften ge¬
gen Hitler aufgeboten, wäre ihm der
Sieg über die demokratischen Kräfte
vereitelt worden.Eine der ersten Ma߬
nahmen der Hitlerregierung war die
Zerschlagung der verhaßten Gewerk¬
schafter.. um ihren Auftraggebern,
den Industriebaronen und Junkern,
ihre unumschränkte Herrschaft über
die deutsche Wirtschaft zu ermög¬
lichen.
Am 3. Mai 1933 wurden die Ge¬
werkschaften aufgelöst, ihr Gewerk¬
schaftsvermögen geraubt, die.Funk¬
tionäre verfolgt und zum Teil ermor¬
det. Dann begann die Ara der Recht¬
losigkeit und rücksichtslose Ausbeu¬
tung im Hitlerstaat.
Die Gewerkschaiten im Saargebiet;
Das Saargebiet war eines jener Go*
biete, in dem sich der gewerkschaft¬
liche Gedanke erst spät durchzuset¬
zen begann. Die Schlüsselindustrie,
der Kohlenbergbau, war im Besitz
der damaligen Landesfürsten. Die
Metall- und anderen Industrien be¬
herrschten Stumm, Röchling, Vope-
lius usw. Reaktionäre schlimmster
Art, die >m Saargebiet ein Bevor¬
mundungssystem errichteten, das
man das „saarabische Sy¬
stem“ nannte.’'Fortsetzung folgt.),,