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Die Arbeit!
Juli Î94S
Gegen Ausbeutung und Krise
Grundsätze der Gewerksdiaitspolitik
Im letzten Jahr ihres Erscheinens
hat die Zeitschrift für
Gewerkschaftspolitik
und Wirtschaft s-k u n d e in
zahlreichen grundsätzlichen und spe¬
ziellen Artikeln Stellung zur Welt-
■wirtschaftspolitik genommen und in
eindrucksvollen Darlegungen die
Wege gewiesen, die geeignet sind,
der damals wachsenden Krise zu
steuern. Ihre konstruktiven Vorschläge
basierten nicht auf utopischen Vor¬
stellungen, sondern bedienten sich in
ihrer sehr klaren und nüchternen
Konzeption der eindeutigen Feststel¬
lungen, die das Institut für Konjunk¬
turforschung seinerzeit als Ergebnis
seiner Untersuchungen über die deut¬
sche und allgemeine Wirtschaftskrise
der Oeffentlichkeit vorlegte. Die poli¬
tische Entwicklung hat ihre Durch¬
führung verhindert und sieht uns
heute vor einen Scherbenhaufen ge¬
stellt, dessen materielle Beseitigung
allein schon die Kraft einer Genera¬
tion inAnspruch nehmen wird, ganz ab¬
gesehen von den notwendigsten Ma߬
nahmen, die den Wiederaufbau ein¬
leiten sollen. Es ist darum nützlich
und zum Verständnis für die gegen¬
wärtigen Probleme von erheblichem
Wert, in die Gedankengänge der
Pläne einzudringen, die damals als
„wirtschaftliches Aktions¬
program m" von den Gewerkschaf¬
ten entwickelt worden sind und auch
heute noch nichts an aktueller Bedeu¬
tung verloren haben. Wurzeln sie doch
in dem klassischen Gedankengut der
Gewerkschaftsbewegung, das in sei¬
nen Einsichten und seinem gesell¬
schaftkritischen Weitblick mehr als
es unseren Gegnern lieb ist,- durch die
Zeitentwicklung bestätigt wurde. Ja,
man darf heute mit Fug und Recht
sagen, daß eine beträchtliche Zahl
gewerkschaftlicher Gesichtspunkte in
den von den Regierungen getroffenen
Maßnahmen zur Behebung der Krise
verankert worden sind. Selbst der
Nazismus in seiner sogenannten ge¬
lenkten aber imperialistisch ausge¬
richteten Wirtschaft, konnte nicht um¬
hin, wie so oft in seiner traditions¬
armen Praxis, sich mit fremden Fe¬
dern zu schmücken und aus den Er¬
kenntnissen seiner so erbittert be¬
kämpften Feinde zu schöpfen, Daß er
mit unzulänglichen Mitteln und in der
schlechten stümperhaften Kopie einer
planvollen Gemeinwirtschaft sich die
Ueberwindung der Krise erträumte,
ist gewiß nicht allein der Grund seines
Versagens. Er verbrämte mit blut¬
leeren Begriffen und Ideologien seine
Wirtschaftspolitik und verbarg da¬
hinter das verbrecherische Abenteuer
eines Hasardeurs, verriet schamlos die
von ihm usurpierte sozia¬
listische Idee und lieferte Volk
und Wirtschaft der Gewissenlosigkeit
kapitalistischer Kriegshetzer aus. Er
hat also in Deutschland und schlie߬
lich in Europa die Krise über das
Intermezzo einer wirtschaftlichen
„Scheinblüte“ hinaus verlängert und
eine sinnvolle Lösung verhindert.
Seine soviel gepriesene Planmäßigkeit
endete, wie nicht anders zu erwarten
war, in Planlosigkeit und Konfusion.
Aber nicht allein in Deutschland,
auch in anderen Ländern hat das k a-
p i t a 1 i s t i s c h e Wirtschafts¬
system seine Unfähigkeit erwiesen
und sich unter dem Druck der Ver¬
hältnisse zu Maßnahmen entschließen
müssen, die in ihrer Praxis weit¬
gehend von sozialistischen Grund¬
elementen beherrscht werden. Auch
die immer wieder mit wissenschaft¬
licher Diktion und Präzision vorge¬
tragenen Hinweise der Unternehmer¬
schaft auf die „schöpferische Initia¬
tive der freien Wirtschaft“ und auf
den „Automatismus ihrer Selbst¬
steuerungskräfte" haben es nicht ver¬
mocht, den Dammrutsch aufzuhalten.
Mit dem Verlust seiner materiellen
Möglichkeiten aber war auch die
geistige Macht des Kapitalismus ge¬
brochen und seine Fundamente be-
gannen zu wanken. Die Methodik der
Wirtschaftsführer und der von ihnen
beherrschten Regierungen verfing
nicht mehr. „Die Produktions¬
mittel, so erklärte damals der All¬
gemeine Deutsche Gewerkschaftsbund,
ins ungeheure ausgebaut,
empörten sich gegen die
Wirtschaftsordnung, die sie
s c h u f.“ Den Kampf gegen dieses
sinnwidrige System hat die Arbeiter¬
klasse in vielen Jahrzehnten allein
geführt. Schon frühzeitig und ge¬
schult durch die Not und das Elend
in ihren Reihen hat sie erkannt, daß
der ungefesselte Kapitalismus in sei¬
ner individuellen Prägung überwun¬
den werden muß, wenn die durch ihn
allein bedingten Krisen vermieden
werden sollen.
Der Auäg^ng des Krieges und der
Verlust der staatlichen Souveränität
enthebt uns zunächsT~rier Noriveffcfig-
keit, auf Probleme näher einzugehen,
deren Diskussion uns heute nicht zu¬
steht. Wir wissen nicht, wie und in
welcher Richtung sich das politische
und wirtschaftliche Schicksal Deutsch¬
lands gestalten wird. Dem S a ar¬
ge b i e t wird der Anschluß an das
französische Wirtschaftssystem den
Weg in die Zukunft erleichtern. Den
Einheitsgewerkschaften erschließt er
neue und verheißungsvolle Aufgaben,
die sie in einen noch engeren Kon¬
takt zu der französischen Ar¬
beiterbewegung bringen wer¬
den, als es bisher der Fall war. Doch
darüber werden wir später noch zu
sprechen haben. Heute gilt es vor
allem, sich über die Grundsätze klar
zu werden, die unserer Arbeit Inhalt
und Ausrichtung geben. Wir haben
sie schon angedeutet und kurz um-
der erste Sdiritt ins £eken
Ein Wort zur Tat
„Denn wo der Wille ist, da ist die Kraft,
Und wo die Kraft ist, ist auch die Macht“.
Die Impulse, die die Überwin¬
dung des Nazismus und der
Sieg über die Mächte der
politischen und geistigen Reaktion in
Deutschland dem Gewerkschaftsge¬
danken gegeben haben, gewinnen in
zunehmendem Maße Gesicht und
Gestalt in dem Wiederaufbau und
in der Organisation der Arbeiter¬
bewegung aller Besatzungszonen. Die
Wiederherstellung der Demokratie
war die wichtigste Voraussetzung
für die gewerkschaftliche Tätigkeit,
die, nach dem Willen der Militär¬
regierungen sich heute überpartei¬
lich vollzieht und unbeschwert durch
den parteipolitischen Kampf mit der
ganzen Kraft ihrer bewährten Tra¬
dition berufen ist, die Entwicklung
zu einer besseren und gerechteren
Wirtschaftsordnung zu fördern und
voranzutreiben. In der Reihe der
Einrichtungen, die der Gewerkschaft
heute in der Durchführung ihrer
Aufgaben zur Verfügung stehen, ge¬
bührt der Presse und insonderheit
der Gewerkschaftspresse ein hervor¬
ragender Platz. Auch damit setzt
sie eine erfolgreiche Überlieferung
fort, stärkt den inneren Zusammen¬
hang ' und schgfft sich ein Steuerungs¬
instrument, von dessen Wirksamkeit
die Geschichte und Statistik der
Arbeiterbewegung in überzeugenden
Daten zu berichten wissen.
„Die A r b e i t“, das Sprachorgan
der Einheitsgewerkschaft der Arbei¬
ter, Angestellten und Beamten des
Saargebietes unternimmt mit ihrem
ersten Schritt in die Öffentlichkeit
den Versuch, sich an dem Beispiel
ihrer Vorgänger zu orientieren und
wie diese in ihrer besten Zeit alle
Instruktions- und Informationsmög¬
lichkeiten auszuwerten, die ihren
Zwecken und ihrer Zielsetzung zu
dienen geeignet sind. Das aber be¬
deutet bei der Fülle der ihr gestell¬
ten Aufgaben zugleich eine vernünf¬
tige Beschränkung auf jene Fragen
und Probleme, die der Gewerkschaft
als Einheitsorganisation aller schaf¬
fenden Menschen Sinn und Inhalt
geben. In Konkurrenz zur Tages¬
presse treten wollen, wäre ein ebenso
verhängnisvoller Fehler wie der
Verzicht auf Aktualität und zweck¬
bestimmte Interpretation des darge-
botenen Stoffes. Im Gegenteil, nicht
vielerlei sondern viel und zwar in
einer sinnvollen Aufteilung von
Nachricht, Unterrichtung und Unter¬
haltung. Zwar sind ihre Gestalter
nicht unumschränkte Herren über
Papier und vollendete technische
Einrichtungen, doch möchten sie an¬
nehmen, daß es der „Arbeit“ gelin¬
gen wird, im Rahmen der für sie vor¬
gesehenen Erscheinungsweise durch
eine verantwortungsbewußte Aus¬
wahl und Bearbeitung des anfallen¬
den Materials die Ansprüche ihrer
Leser zu befriedigen und ihre Er¬
wartungen nicht zu enttäuschen. Sie
will nichts versprechen und sich
allein durch ihre Leistung rechtfer¬
tigen. Herausgeber und Redaktion
sind sich der Schwierigkeiten be¬
wußt, die sich ihrer Absicht, er¬
kennbar oder nicht, entgegenstellen
werden. Der Wille zur Tat aber ist
stark genug und nicht weniger groß
als die Gewißheit, daß sie in ihrem
Bemühen ihre größte Hilfe und Un¬
terstützung bei denen findet, in des¬
sen Auftrag sie bändeln und wirken.
„Die Arbeit“ ist ein Stück eurer
"Welt, ein Spiegel eurer Sorgen und
Nöte, aber nicht zuletzt ein Weg¬
bereiter eures gemeinsamen Kamp¬
fes. Um dieser hohen Aufgabe wil¬
len aber kann sie der Mitarbeit der
Werktätigen selbst nicht entraten.
Es ergeht daher an alle, die guten
Willens sind und von der Notwen¬
digkeit einer gewerkschaftsbetonten
Presse überzeugt sind, der Ruf zur
tätigen Anteilnahme an unserem
Werk. Wir sprechen euch alle an,
Alter und Jugend, Mann, Frau und
Nachwuchs, besonders aber die Ver¬
bandsvorstände, der gewerkschaft¬
lichen Pressearbeit intensives Tn-
ieressse zu widmen und durch
geeignete Kräfte laufend aus dem
Leben der Organisationen berichten
zü lassen. Wir hoffen, daß dieser
Appell in Beiträgen und Anregun¬
gen seinen Niederschlag finden wird
und in unserer Leserschaft jene Re¬
sonanz auslöst, deren wir für den
Erfolg unserer Arbeit. Mittler und
Brücke zugleich zu sein, bedürfen.
Herausgeber und Redaktion.
J
rissen. Ihr Gegenwartswert ist unbe¬
stritten. Sie sind das Rüstzeug, dessen
wir bedürfen um weiter zu entwik-
keln, was durch die Zäsur des Hitler¬
regimes zum Stillstand kam:
Verwirklichung der demokratischen
Wirtschaftsordnung in einer plan¬
vollen Gemeinwirtschaft
Anpassung der Produktion an den
Gesellschaftsbedarf (Bedarfsdeckungs-
Wirtschaft);
Systematische Stärkung der Mas¬
senkaufkraft, Regelung der Kapital¬
bildung bzw. Kapitalverwendung und
Begrenzung der Arbeitszeit im Zuge
der wachsenden Produktivität der
menschlichen Arbeit;
''rstaatlichung der wichtigsten
Schlüsselindustrien, der Energie-,
Verkehrs* und Kreditwirtschalt;
Genossenschaftliche Steuerung des
Verbrauchs;
Gerechter Ausgleich zwischen Stadt
und Land.
Wir wissen, daß diese unverrück¬
baren Ziele nicht von heute auf mor¬
gen erreicht werden können. Wir
wissen aber auch, daß sie Gemeingut
der Werktätigen aller Länder der Erde
sind, weil sie in dem gemeinsamen
Notstand ihren Ursprung zu suchen
haben. Ihre Durchsetzung bedarf einer
planvollen Entwicklung auf weite
Sicht, ihre Verzögerung aber würde
zu der ohnehin durch den Krieg be¬
dingten Katastrophe eine wachsende
Verelendung der großen Masse der
Schaffenden zur Folge haben. Es ist
deshalb die unabdingbare For¬
derung der Gewerkschaf¬
ten, im Wiederaufbau die Grundsätze
gemeinwirtschaftlicher Planung zu
realisieren und in Auswertung der
bereits heute hierfür vorhandenen
Ansätze eine wahrhaft demokratische,
krisenfeste Wirtschaft anzustreben.
ONU und die Gewerkschaften
(AEP) In der Pariser Wochenschrift
„La Tribüne des Nations“ veröffent¬
licht der Sekretär des Weltgewerk¬
schaftsbundes, Louis Saillant,
einen Aufsatz unter der Ueberschrift
„Kann die ONU. auf die Mitarbeit
des Weltgewerkschaftsbundes ver¬
zichten?“ Was insbesondere die
Forderung des Weltgewerkschafts¬
bundes auf Aufnahme in den Wirt¬
schafts- und Sozialrat der ONU. an¬
geht, so ist erinnerlich, daß Ende
Juni der russische Antrag, dem Welt¬
gewerkschaftsbund bei den Rats¬
tagungen Sitz und Stimme zu ge¬
währen, abgelehnt wurde. Saillant
verurteilt diese Obstruktion und
stellt die Frage, warum man bei den
Verhandlungen über den Aufnahme¬
antrag eine solch feindselige Hal¬
tung gegenüber der gewaltigen, über
den Erdball zerstreuten Massen¬
organisation einnehme.
Sidney Hillman f
Eine Nachricht hat uns erreicht,
die sicherlich alle Gewerkschaftler
der Welt betrüben wird. Sidney
Hillman, Vicepräsident des Weltge¬
werkschaftsbundes, ist in seinem
Landhaus von Long-Island, bei New
York, an einem Herzschlag gestorben.
Alle die, die im vergangenen Jahr
an dem Gründungs-Kongreß der
FSM. in Paris teilgenommen haben,
werden sich an die lächelnde Auto¬
rität, an die hohen Gedanken und an
die strenge Beurteilung erinnern, die
alle seine Unternehmungen kenn¬
zeichnen,
Sidney Hillman hatte sein 59. Le¬
bensjahr erreicht. Mit 20 Jahren ist
er von Rußland gekommen — er war
in Litauen geboren —, um sich in
den Vereinigten Staaten ansässig zu
machen. Von seiner Familie aus
wurde er zum Rabbiner bestimmt,
er hatte es aber vorgezogen, für
einen geringen Lohn als Schneider-
Arbeiter in Chicago zu arbeiten. Die
politischen und gewerkschaftlichen
Fragen fesselten ihn frühzeitig. Ge¬
werkschaftlich organisiert in der
„Amalgamated - Clothing - Workers“,
wurde er bald zum Präsidenten die¬
ses Verbandes gewählt. Er nahm
teil an der Gründungs-Konferenz des
CIO. Als Leiter dieser Gewerk¬
schaftszentrale gründete er das „Po-
litical-Action-Comitee“, welches eine
entscheidende Rolle in Roosevelts
Wahlkampagne 1944 gespielt hat.
Hillman hatte durch seine Pläne die
Aufmerksamkeit des Präsidenten auf
sich gelenkt und war maßgebend be¬
teiligt an der Ausarbeitung des
„New-Dea 1“. Er bekleidete sehr
wichtige Posten in der Regierung
Roosevelts und war einer seiner
engsten Mitarbeiter.
Hillman vertrat stets die inter¬
nationale Zusammenarbeit der Ar¬
beiter. Er war Präsident der Ge¬
werkschaft der Textilarbeiter in den
Vereinigten Staaten und Vize-Präsi¬
dent des CIO., Vize-Präsident der
Welt-Gewerkschaften und Mitglied
des Executiv-Komites der amerika¬
nischen Arbeiterpartei.