Oktober 1846
„Die Arbeit"
Sette i»
Zwischen Mangel und Überfluß
(AEP) Mit einem gewissen Skepti¬
zismus erwartet die Weltwirtschaft
die großen Entscheidungen, die bis
zum Ende des Jahres fallen müssen.
Auf dem Gebiete der Energiewirt¬
schaft «pSind die durch die amerika¬
nischen Streikbewegungen aufgetre¬
tenen Gleichgewichtsstörungen all¬
mählich wieder ausgeglichen.
Während die Weltpetroleumpro-
¡duktion um etwa ein Drittel höher
liegt als vor dem Kriege, hat sich
die Weltkohlenproduktion trotz des
Rückgangs in Europa so ziemlich
auf ihrem früheren Stand halten
können, und zwar in erster Linie
dank der Mehrproduktion in den
Vereinigten Staaten, wo beispiels¬
weise im Juni 1946 15,6 Millionen t
mehr gefördert wurden als im glei¬
chen Monat des Jahres 1938. Inner¬
halb der Fehlleistungen der euro¬
päischen Kohlenförderung fällt die
der deutschen Kohlenwirtschaft am
schwersten ins Gewicht, da in
Deutschland nur 38 Prozent der Vor¬
kriegsförderung erzielt werden, was
für die Wirtschaft Europas eine Min¬
derproduktion von monatlich acht
Millionen t ausmacht.
Auch in England werden monat¬
lich etwa vier Millionen t, in Bel¬
gien 700 000 t und in Holland mehr
als 400 000 t weniger erzielt als vor
dem Kriege. Dagegen hat Frankreich
seit Beginn des Jahres seine Vor¬
kriegsförderung überschritten, und
in Polen liegt der Ertrag der Koh¬
lenindustrie sogar um 31 Prozent
über dem Vergleichsstand.
Die Produktion der sonstigen In¬
dustrien entwickelt sich in Europa
ebenfalls nur langsam, und der Pro¬
duktionsindex liegt nur in Bulgarien
und Schweden über dem Vorkriegs¬
niveau und nur in Norwegen auf der
gleichen Höhe wie im Jahr 1939.
In den USA schwankt dieser In¬
dex um 150 (1939 = 100) gegen 186
im Jahre 1945, 216 1944 und 219 1943
und in Kanada um 105 gegen 217 im
Jahr 1945, 253 1944 und 259 1943;
somit läßt sich also in Amerika eine
deutliche Baisse-Tendenz feststellen.
Am meisten sind in den Vereinig¬
ten Staaten die Eisen- und Stahl¬
industrien zurückgegahgen, die im
Monat Mai 1946 sogar unter 100
lagen.
Die Masdhinenproduktion dagegen
ist von 183 im Februar auf 222 im
Mai gestiegen, während die Nah-
¡rungsmitlelerzeugung in der glei¬
chen Zeit von 147 auf 132 gefallen ist.
Der einzige industrielle Sektor, in
welchem die Kriegsproduktion von
der Nachkriegsproduktion übertrof-
fen wird, sind die Textilien, deren
Index die folgende Entwicklung
durchlief: 1942:140 — 1943: 137 —
1944: 132 — 1945: 130 — 1946 (Mai):
146.
Die Herstellung von Baumaterial,
an die infolge des aus dem Wieder¬
aufbau sich ergebenden Bedarfs be¬
sondere Ansprüche gestellt werden
müssen, ist ausgesprochen unzuläng¬
lich. Dazu kommt, daß die Vertei¬
lung von Produktionsspitzen und
Produktionsfehlstellen in der Welt
zu den Schwierigkeiten beiträgt.
Deutlich zeigt sich diese Erschei¬
nung bei der Zementproduktion:
Sowohl Nord- wie Südamerika,
also gerade die Länder, die keinerlei
Kriegszerstörungen erlitten haben,
weisen eine erhöhte Produktion auf,
während in Europa, wo der Krieg
unerhörte Verwüstungen bewirkt
hat, die Zementerzeugung unter
ihrer normalen Produktion zurück¬
geblieben ist: die Vereinigten Staa¬
ten erzeugen monatlich ungefähr 2,1
Millionen t gegen 1,7 Millionen t vor
dem Kriege, Kanada 159 000 l gegen
76 000 t, aber Großbritannien nur
530 000 t gegen 653 000 t. Unter den
europäischen Ländern hat hier nur
Frankreich seine Vorkriegsproduk¬
tion etwas überschritten: 300 000 ge¬
gen 290 000 t.
Was die Preisgestaltung anlangt,
so bleibt trotz aller Bemühungen der
Spezialisten der Preisdruck bestehen.
So weist der Index der Großhan¬
delspreise in der Zeit von Januar bis
Juni 1946 die folgenden Steigerungen
auf: in den USA von 140 auf 147, in
Kanada von 142 auf 148, in Argen¬
tinien von 217 auf 236, in Mexiko
von 225 auf 235, in Peru von 217 auf
230, in Großbritannien von 172 auf
183 und in der Türkei von 431 auf
450. Wenn also die Einzelhandels¬
preise sich noch stabil zeigen, so ist
dies nur infolge der Kontrollmaß-
nahmen der Regierungen möglich,
Selbst in Ländern, in denen Wohl¬
stand herrscht, wie in den Vereinig¬
ten Staaten, und in denen somit ge¬
wisse Voraussetzungen der Rück¬
kehr zur Marktfreiheit als gegeben
erscheinen, war es unmöglich, zu
einer Freigabe der Preisbildung
überzugehen.
Um so schlimmere soziale Unge¬
rechtigkeiten müßte eine Rückkehr
zur Preisfreiheit in den MangeLlän-
dern hervorrufen. Hier müßte eine
solche Veränderung soziale Konflikte
herbeiführen, bei denen die Reak¬
tionen der arbeitenden Bevölkerung
noch viel schwerwiegender in Er¬
scheinung treten als dies schon in
den Vereinigten Staaten und in Ka¬
nada der Fall war. Und auch dort
haben sich zwar die Dinge für den
Augenblick wieder etwas beruhigt,
doch sind sicherlich weitere Sozial¬
konflikte in Nordamerika vorauszu¬
sehen.
Bewahrt die Einheit
Ein alter Bergmann schreibt uns
In St. Wendel entdeckte ich eine Zei¬
tung, die sich „Die Arbeit“ nennt. Bald
stellte ich fest, daß sie das Organ der
Einheitsgewerkschaften ist. Als früherer
Funktionär des Gewerkvereins Christlicher
Bergarbeiter freute ich mich von Herzen,
wieder einmal ein Gewerkschaftsblatt
lesen zu können.
Am 1. Mai beteiligte ich mich an dem
Umzug in St. Wendel. Als tvir durch die
Stadt marschierten, kamen mir ganz weh¬
mütige Gedanken. Erinnerungen aus mei¬
ner früheren Tätigkeit stiegen in mir auf.
Wie oft marschierte ich bei Aufmärschen
als freier Mensch aufrecht, geraden
Blickes durch die Straßen der Stadt. Wir
waren glücklich, bis Hitler kam und die
vorwärtsstrebenden Arbeiter zu Sklaven
erniedrigte und sie mundtot machte.
Wenn wir heute eine Einheitsgewerk¬
schaft haben, so kann ein alter Kumpel
das nur von ganzem Herzen begrüßen. Mit
Freuden denke ich zurück an jene Zeit,
in der die beiden Bergarbeiter-Organisa¬
tionen Schulter an Schulter für die Be¬
lange der Bergarbeiter gekämpft haben.
Doch muß ich auch daran erinnern, daß
wiederholt bei wichtigen Anlässen es be¬
denkliche Meinungsverschiedenheiten ge¬
geben hat. Deshalb muß die Parole jetzt
lauten: „Alle schaffenden Kräfte
— hinein in die Einheitsge¬
werkschaft!“ Das Schlagwort, ge¬
trennt marschieren und vereint schlagen,
paßt nicht mehr in unsere, aus tausend
Wunden blutende Zeit. Heute gilt es:
„Vere int marschieren und ver¬
eint schlage n.“
Ich war früher im Gewerkverein Christ¬
licher Bergarbeiter 35 Jahre Funktionär
und Versammlungsredner, ln den Ver¬
sammlungen habe ich meinen Kameraden
immer wieder die englische Gewerkschaft
als Muster vor Augen geführt und dem
Wunsche Ausdruck gegeben, daß auch wir
an der Saar uns zu Einheitsgewerkschaften
zusammenschließen sollten. Jetzt ist es
Gott sei Dank so weit und ich kann nur
allen Bergleuten und Arbeitern zurufen:
Hinein in die Einheitsgewerk¬
schaft!
Jakob Sommer, Kreisdeputierter a. D.,
Furschweiler.
Die Aktienkurse der Industrie zei¬
gen in der ganzen Welt eine Ten¬
denz zur Hausse. Der Notenumlauf
wind zunächst noch gehalten, scheint
aber überall nur auf ein Signal zu
warten, um sprunghafte Entwick¬
lungen durchlaufen zu wollen.
In einer Epoche, in der die Welt
über die Ausgestaltung des Friedens
verhandelt, zeichnen sich deutlich
die Fronten ab zwischen den Kräf¬
ten, die den Wirtschaftsliberalismus
wieder anstreben, und denen, die in
der Wirtschaftslenkung das zukünf¬
tige Heil suchen, wünschen die
Rückkehr zu einem System, das dem
vor dem Krieg herrschenden Recht
ähnlich ist, während die anderen
Gebiete, die sich bemühen miissen,
ihre Lücken an Verbrauchs- wie an
Ausstattungsgütern wieder aufzu¬
füllen, darangehen wollen, eine Welt
aufzubauen, wie sie die Vereinten
Nationen vor der Beendigung des
Krieges allen' „Menschen von gutem
Willen“ versprochen hatten. Und nur
die Erfüllung dieses Versprechens
bietet Aussicht, der Welt zu einem
dauernden Frieden zu verhelfen.
Vor dem zweiten Weltkrieg war es
dem Internationalen Arbeitsamt ge¬
glückt, allen zivilisierten Ländern
das Zugeständnis abzuringen, daß
die menschliche Arbeit nicht ein¬
fach eine Ware sei, die sich wie an¬
dere Waren verkaufen lasse. Jetzt,
im Jahre 1946, muß es der inter¬
nationalen Nahrungsmittelorganisa¬
tion gelingen, die Welt einsehen zu
lehren, daß auch die Waren, welche
der Ernährung des Menschenge¬
schlechts dienen, nicht einfach Wa¬
ren wie andere Waren sind. Die
wichtigsten der Ernährung dienen¬
den Stoffe müssen einer internatio¬
nalen Kontrolle unterworfen wer¬
den, sodaß Sicherheitsreserven ge¬
schaffen «werden können, welche
zwischen Mangel- und Überschußge¬
bieten einen Ausgleich gewährleisten
können.
Aber viele Länder bedürfen, um
zu einer normalen und ausreichen¬
den Produktion zurückzuflnden, eines
Kredits, und auch diese Frage muß
Sache der internationalen Organi¬
sation sein. Zugleich wird in der
internationalen Organisation des
Kredits das beste Mittel gefunden
werden, um zu verhüten, daß Kre¬
dite, die zur Behebung wirtschaft¬
licher Notstände gedacht sind, statt
dessen zur Errichtung eines Kriegs¬
potentials mißbraucht werden kön¬
nen. So wird der Frieden nur mög¬
lich, wenn eine neue Welt konstru¬
iert werden kann. Alles, was dieser
Bau an Opfern kosten kann, wird
gering sein im Vergleich mit den
Opfern, die der Krieg mit sich ge¬
bracht hat.
Blick in die Vergangenheit
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebiet
Von Jakob Michely, Dudweiler
(Fortsetzung)
Das Jahr 1890 schuf die General¬
kommission der Gewerkschaften
Deutschlands, die alle Verbände zur
gemeinsamen Interessenwahrung der
Arbeiter und Arbeiterinen Deutsch¬
lands zusammenfaßte. Die Gewerk¬
schaftsbewegung wurde eine starke
wirtschaftliche Macht. Schwere
Kampfe und Verfolgungen fielen in
diese Zeit. Das Zuchthausgesetz der
Reichsregierung von 1899 sollte im
Interesse der Arbeitgeber die Ver-
emsfreiheit vernichten, aber eine
rastlose Gegenaktion zwang den.
Reichstag zur Ablehnung des Ent¬
wurfs. Es kamen Zeiten der großen
Ausperrungen, durch die die Unter¬
nehmer die Gewerkschaften zer¬
schlagen wollten. Das Gegenteil trat
Die Unorganisierten sttömten
in die Gewerkschaften und viele
zentrale Kämpfe wurden um die
*n den verschiedenen Berufen
geführt. Reichs- und Bezirkstarife
kamen zum Abschluß. Als man sei¬
tens der Unternehmer einsah, daß
Lohnkämpfe und Aussperrungen die
Entwicklung der Gewerkschaften
nicht aufhalten konnten, förderten
sie die „gelben“ Werkvereine, die
vom Arbeitgeber unterstützt und
von ihm abhängig waren. Diese aber
kosteten viel, bekämpften sich und
zersplitterten. Dann versuchte das
Unternehmertum die Gesetzgebung
zu beeinflussen und durch Streik¬
postenverfolgung und Einsatz von
Streikbrecher verbänden seine Ziele
zu erreichen. 1911 bereitete man ein
Antistreikgesetz vor, das bei Aus¬
bruch des Krieges fertig war und
sich in allen seinen Bestimmungen
gegen die Gewerkschaften richtete.
Der Münchener Gewerkschaftskon¬
greß 1913 erhob gegen diesen Ent¬
wurf energischen Protest.
Der Weltkrieg traf die Gewerk¬
schaften schwer. In zahllosen Kon¬
ferenzen der Internationalen Ge¬
werkschaftsbewegung wurde von
Vertretern aller ¡.ander beteuert,
daß ün Falle eines Krieges die
ganze Kampfkraft der Gewerkschaf¬
ten eingesetzt würde, um diesen zu
verhindern. So schrieb kurz zuvor
das Zentralorgan der Gewerk¬
schaftskommission am Schluß eines
Artikels über die Kriegsgefahr:
„Viel, ungeheuer viel steht für die
Arbeiterklasse auf dem Spiel, des¬
halb erheben wir unsere Stimme ge¬
gen die verbrecherische Kriegshetze
und wollen mit unseren Freunden
im Ausland alle Kräfte einsetzen,
um dem Frieden zu dienen und die
Gefahr des Krieges zu bannen.“ Aber
bei Kriegsausbruch wurde kein Ge¬
danke laut, dem Staate gegenüber
die scharfe Waffe des Generalstreiks
zu gebrauchen und den Kriegstrei¬
bern in die Arme zu fallen. Im Ge¬
genteil, die Gewerkschaftsorgane
riefen ihre Mitglieder auf, im In¬
teresse Deutschlands mit der Waffe
in der Hand zu kämpfen. „Alle
Arbeiter, mögen sie sonst stehen
wo sie wollen, sie müssen und wer¬
den ihre Pflicht als Deutsche tun",
schrieb der „Proletarier". Organ des
Fabrikarbeiterverbandes. Ludwig
Heyde ex-klärte: „Die innere Verbun¬
denheit der deutschen Arbeiter¬
schaft mit dem deutschen Heer und
seinen Kämpfen und Zielen, spie¬
gelt sich in der Gewerkschaftspresse
am besten wieder. Durch hunderte
und aberh underte Feldpostbriefe
flutet der Geist der Front in die Rei¬
hen der daheimgebliebenen Kamera¬
den und in die Gewerkschaftspresse,
die diesen Briefstimmen gerne Raum
verleiht.“ Am 19. Juli 1915 brachte
die „Leipziger Volkszeitung“ einen
Aufruf, der zur Ablehnung der
Kriegskredite forderte. Die am 5.
Juli 1915 tagende Konferenz der
Verbandsvorstände wies dieses An¬
sinnen zurück, da es Uneinigkeit
und Zersplitterung in die Reihen der
Gewerkschaften tragen würde. Am
2. Dezember 1916 wurde das vater¬
ländische Hilfsdienstgesetz unter be¬
sonders kräftiger Mitwirkung der
Gewerkschaften angenommen. Der
Vorsitzende des Metallarbeiter-Ver¬
bandes Schlicke wurde in das
Kriegsamt berufen, und gab auf der
Konferenz der Gewerkschaften in
Berlin, an der Dr. Helfferich und
General Groener teil nahmen, seiner
Freude über diese Berufung Aus¬
druck.
(Fortsetzung folgt}