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,DJe Arbeit«
Oktober 1946
Einheitsgewerkschaft
und Christentum
Von Fritz Mollemeyer.
Der Verfasser ist Funktionär und
Vorstandsmitglied der Einheitsgewerk¬
schaft des Industrieverbandes der
Eisenbahn, Post und Fernmeldewesen
des Saargebietes und steht auf dem
Boden der Christi. Weltanschauung.
Die Garantie, daß die christliche
Weltanschauung für die in der Ein-
heits - Gewerkschaft organisierten
christlichen Mitglieder unangetastet
und ungefährdet bleibt., besteht vor
allem darin, daß sie in den Satzun¬
gen der Einheitsgewerkschaft (§ 2
Abs. 2 und § 3) klar zum Ausdruck
kommt und darin eine Deutung er¬
fährt, welche gegenteilige Bestre¬
bungen von Grund auf ausschließt.
Von skeptisch eingestellten Außen¬
stehenden könnte eingewendet wer¬
den: „Wie sieht es in der Praxis
aust« Hierüber können wir aus dem
nun fast einjährigen Wirken der
Einheitsgewerkschaft (Gründung
18. November 1945) die Kroiso be¬
ruhigen, die in der Einheitsgewerk¬
schaft eine Gefahr für die auf
christlichem Beden stehenden Mit¬
glieder der Einheitsgewerkschaft
erblicken. Die Einheitsgewerkschaft
hat bisher gemäß ihren Satzungen
peinlichst jegliche, nicht in ihr Ar¬
beitsgebiet gehörende Diskussion auf
politischem oder religiösem Gebiet
vermieden. Und so wird es in Zu¬
kunft bleiben.
In ihrer klaren Haltung sucht die
Einheitsgewerkschaft durch saubere
gewerkschaftliche Arbeit unter
striktester Neutralität für ihre Kol-
Jegen, Arbeiter, Angestellten und
Beamte den heutigen Zeitverhält¬
nissen entsprechend das Möglichste
zu erreichen, was zur Erhaltung,
Förderung und Steigerung der Ar¬
beitskraft und zum Nutzen des allge¬
meinen Aufbaues unumgänglich not¬
wendig ist. Die Aufgaben, die nach
der totalen Niederlage schier unlös¬
lich schienen, sind nicht nur betrieb¬
lich, sondern auch in ideeller Hin¬
sicht gemeistert worden. Hiermit
war viel Kleinarbeit der Funktio¬
näre der Einheitsgewerkschaft ver¬
bunden. Sie haben sich zusammen-
gefunden, um durch gemeinsame
Arbeit all das zu überwinden, mate¬
riell und ideologisch, was die „Nach
uns die Sintfluts-Politiker an Trüm¬
mern hinterließen. Sie stehen hier in
einer Front gleich welcher welt¬
anschaulichen Richtung. So wenig
"wie die nazistischen Blonder uns
unser gesundes menschliches Den¬
ken verwirren konnten, waren sie
imstande, uns unsere christliche
Weltanschauung aus dom Herzen zu
reißen. Da der Beweis einer beharr¬
lichen Haltung erbracht ist, braucht
nicht besonders versichert zu wer¬
den, daß auch für die Zukunft es
für uns eine Selbstverständlichkeit
ist, uns weiter für Menschenwürde
und Nächstenliebe einzusotzen.
Eine Fülle von verantwortlicher
Arbeit gestattet es nicht, uns mit
Fragen politischer oder weltanschau¬
licher Art zu befassen. Dies wird
immer Aufgabe der politischen Par¬
teien sein. Wohl kann der aufge¬
schlossene Gewerkschaftler im heu¬
tigen bewegten Zeitalter politisch
p.ioht uninteressiert sein; jedoch
Stehen wir in der Gewerkschaft auf
neutralem Boden und unser Wir¬
kungskreis erstreckt sich ausschlie߬
lich auf Bemfsfragen und solche,
die damit verknüpft sind. In der
Zeit, die uns stets als die „ewig
Gestrigen“ ansprach, verloren wir
nie die Zuversicht, so unwahrschein¬
lich es auch aussah, daß die Ge-
echichtemacher des Dritten Reiches
nach jhrem Abgang durch Männer
abgelöst würden, die U ehe Tragendes
auf allen Gebieten leisten müssen
nml auch zu leisten vermögen. Durch
garantierte Wahlfreiheit und freie
Meinungsäußerung wird es trotz
aller Nöte der Gegenwart möglich
sein, daß die politischen und reli¬
giösen Belange von den besten und
aufrichtigsten Männern unseres Vol¬
kes vertreten werden. Die Einheits¬
gewerkschaft will und wird hei Er-
kämpfung ihrer Ziele über die Par¬
teien hinaus greifen. Und darin er¬
blickt sie ihre Stärke und Bedeu¬
tung. Sie ist gegen Verzettelung der
Kräfte, die einst, die Weimarer Re¬
publik zu Fall gebracht hat. Es hat
sich als verhängnisvoll erwiesen,
uns in Gruppen und Grüppehen zu
verlieren. (Konfessionelle Beamten-
nnd Arbeitervereine usw.) Es ist
daher rückständig, naiv, ja man
möchte sagen verbrecherisch, in der
Anfangsentwicklung einer Nach¬
kriegszeit, die vielversprechend sich
anschickte, das Chaos zu überwin¬
den, durch Zorsplitte rungsbestTe¬
ilungen eine festgefügte, für die
Schaffenden lebenswichtige Organi¬
sation in ihrer Einheit zu bedrohen
und damit einen unübersehbaren
Schaden anzurichten. Mögen alle
diejenigen sich dies vor Augen hal¬
ten, die sich mit dem Wunsche tra¬
gen, weltanschaulich ausgerichtete
Gewerkschaften ins Leben zu rufen.
Abgesehen davon, daß sich diese
Versuche gegen das allgemeine Wohl
richteten, indem sie bei anderen
Richtengen Schule machen würden,
wären verheerende Kämpfe, uner¬
bauliche Auseinandersetzungen und
Prestigeverluste der Parteien die
Folge. Wir sind der Auffassung,
daß in der Gewerkschaft der Christ
mit dem Andersdenkenden in Ge¬
meinschaft Berufsfragen lösen kann,
ebenso wie alle Menschen zusammen
in Betrieben ihre Arbeit vollbrin¬
gen, ohne Schaden an ihrer Seele
nehmen zu müssen. Es wird immer
auf den Einzelmenschen ankommen,
was er an Erziehung von zu Hause
mitgebracht hat, um mit seinen Mit¬
arbeitern friedlich und reibungslos
zu arbeiten. Toleranz zu üben und
gegebenenfalls hoi Angriffen auf
seine innere Ueberzeugung sich mit
geistigen Waffen zur Wehr zu set¬
zen. Die Einheitsgewerkschaft gibt
die Gewähr dafür, daß durch ihr
Beispiel dieser Gei?t sich richtung¬
gebend für alle Mitglieder, beson¬
ders für unsere Jugend, auswirkt.
Ihr aber gilt unsere besondere Sorge.
Das ihnen von Elternhaus, Kirche
und Schule mitgegebene Ideengut,
ihre religiöse weltanschauliche Gei-
steshaltung1 wird uns in unserem
Bestreben unterstützen, sie zu flei¬
ßigen, strebsamen und brauchbaren
Menschen und zu wahren Demokra¬
ten und Gewerkschaftlern heranzu¬
bilden.
Den christlichen Kollegen der
Einheitsgewerkschaft rufe ich zu:
„Eure Berufsinteressen können nur
durch Einheit, welche die Einheiten
gewerkschaft verkörpert, garantiert
werden. Politische und religiöse
Tendenzen in Unserer Gewerkschaft
sind, von Uebel und stellen unsere
Erfolge in Frage. Daher Kampf
gegen alle ZersplitterungsveTsnche
und unverbrüchliche Treue der Ein»
hei tsge werkschaft/1
G e werkschaftschronik
Henri Pauwels t
Unter den Toten des über Neufund¬
land abgestüi-zlen belgischen Trans¬
portflugzeuges befand sich auch der
Präsident der Christlichen Gewerk¬
schaftsintern ationale, Henri Pauwels,
der an der dies jährigen Konferenz der
Internationalen Arbeitsorganisation in
Ottawa in Kanada teilnehmen wollte.
Pauwels war 56 Jahre alt und seit
Oktober 1945 Päsident der Christ¬
lichen Gewerkschaftsinternationale.
Nach der Befreiung Belgiens hatte
er in der Regierung van Acker einen
Ministerposten bekleidet.
Frankreich
Die Verfassunggebende Versamm¬
lung hat am 2. August ein Gesetz
angenommen, das sich mit dem Ur¬
laub für Jugendliche befaßt. Nach
diesem Gesetz hat der Jugendliche
unter 18 Jahren Anspruch auf zwei
Tage bezahlten Urlaub für jeden
Monat, den er gearbeitet hat. Ju¬
gendliche von 18-21 Jahren erhalten
l1/* Tage bezahlten Urlaub pro Mo¬
nat. Jugendliche unter 18 Jahre
können bis 30 Tage, über 18 Jahre
bis 22 Tage Urlaub nehmen, davon
werden die vorgenannten Urlaubs¬
tage bezahlt, während die restlichen
nicht bezahlt werden. Wenn also ein
Jugendlicher von 19 Jahren 6 Monate
in einem Betrieb gearbeitet hat, be¬
kommt er 6 mal 1j/j Tage bezahlten
Urlaub und 13 Tage unbezahlten Ur¬
laub.
*
Der Unterstaatssekretär im fran¬
zösischen Innenministerium, Blondi,
hat in einer kürzlich gehaltenen
Pressekonferenz darauf hingewiesen,
daß während des Krieges in Frank¬
reich 400 000 Gebäude völlig zerstört
wurden und weitere 600 000 unbe¬
wohnbar geworden sind. Dabei stößt
der Wiederaufbau der Wohnräume
auf starke Hindernisse, nicht nur
wegen der Schwierigkeiten in der
Rohstoffbeschaffung, sondern vor
allem auch wegen des Mangels an
Arbeitskräften und insbeson-'
dere aus finanziellen Gründen, da
trotz der gesteigerten Nachfrage nach
Wohnungen die bestehenden Bestinv*
mungen eine Rentabilität des Bau¬
marktes ausschließen. Sowohl lm
Innenministerium wie in der Präfektur
des Seine-Departements wird die Aus¬
arbeitung einer Reform betrieben.
Die Frage, inwieweit der Staat das
Recht und die praktische Möglichkeit
zu einer für alle Teile befriedigenden
Lösung auf dem Wege von Zwangs¬
maßnahmen hat, bildet das Thema
eingehender Studien.
Japan
Im April 1946 wurden in Japan die
Gewerkschaften geschaffen. Ihre
Forderungen waren Lohnerhöhun¬
gen, Teilnahme an der Leitung der
Betriebe, Bekämpfung der Teuerung
und der Beschaffung von Kleidung
und Lebensmitteln. In vielen Fällen
übernahmen die Gewerkschaften die
Leitung der Betriebe, enteigneten die
Unternehmer und setzten Produkt
tionskontrollen ein. Die japanische
Arbeiterbewegung hat einen enormen
Fortschritt in der Festigung ihrer
Position zu verzeichnen. Die beiden
Organisationen, die ähnlich Ben ame¬
rikanischen Gewerkschaften ge¬
schaffen wurden, zählen jetzt drei
Millionen Mitglieder.
Schweden
Die schwedischen Gewerkschaften
zählen augenblicklich 1 122 000 Mit¬
glieder bei einer Bevölkerung von
6 620 000. Außerdem besteht noch
eine Organisation der Staats- und
Privatbeamten, die 300 000 Mitglieder
umfaßt.
ttCLOSEMHOP“ IN ENGLAND
Kampf tim Einheit und Gewerksdbaftszwang
In der letzten Zeit sind in England
immer wieder Streiks durchgeführt
ging, Lohnerhöhungen durchzudrük-
worden, in denen es nicht darum
ken, sondern darum, daß die gewerk¬
schaftlich organisierten Arbeiter nicht
länger mit Arbeitskollegen Zusammen¬
arbeiten wollten, die es ablehnen, sich
einer Gewerkschaft anzuschließen,
oder die kleineren Splitterverbänden
angehören. Die Mitglieder der Trade
Unions stellen »ich auf den Stand¬
punkt, daß Forderungen der Arbeit¬
nehmerschaft nur dann durchgesetzt
werden können, wenn die gesamte
Belegschaft eines Betriebes die Aktio¬
nen ihres Gewerkschafts verbandes
unterstützt. Die Unternehmerschaft
sieht sich in diesem Falle Vertretern
der gesamten Belegschaft gegenüber
und sie kann sich nicht mehr darauf
berufen, daß ein gegebenenfalls zum
Ausbruch gekommener Streik nicht
dem einheitlichen Willen der Arbei¬
terschaft entspricht.
Die Trade Unions führen ferner die
Tatsache ins Feld, daß die Gewerk¬
schaftsgegner zwar keine Beiträge
zahlen wollen, daß sie andererseits
aber mit Freuden und ohne Wider¬
spruch die von den Gewerkschaften
erreichten Vorteile akzeptieren. Auch
in den Vereinigten Staaten sind von
den großen Gewerkschaftsverbänden
ähnliche Aktionen durchgeführt wor¬
den, und es gibt dort Betriebe, in
denen niemand Anstellung finden
kann, wenn er nicht dem Gewerk¬
schaftsverband angehört, mit dem die
Betriebsleitung üblicherweise und aus¬
schließlich ihre Abmachungen trifft.
Die Arbeiterschaft will den Zwangs¬
verbänden der Unternehmer Zwangs¬
verbände der Arbeitnehmer entgegen¬
stellen.
Dieses System hat natürlich seine
Gegner auch in den Reihen der Arbei¬
terschaft und ganz besonders bei den
Feinden des Gedankens der Einheits¬
gewerkschaft. Die Gegner befürchten,
daß das System der Zwangs- und Ein¬
heitsgewerkschaft allzu sehr zur Brut¬
stätte einer Gewerkschaftsbürokratie
werden könnte. Die Anhänger weisen
jedoch darauf hin, daß die Statuten
eine Erneuerung des Vorstandes jeder¬
zeit dann zulassen, wenn die Gewerk¬
schaftsmitglieder fesbstellen müssen,
daß ihre Interessen nicht mehr im
gewünschten Maße vertreten werden.
Die Gewerkschaftsdemokratie könnet
durch die Verpflichtung der gesam¬
ten Arbeiterschaft, den Gewerkschafts-
verbänden beizutreten, also keinen
Schaden erleiden.
In Amerika nennt man das System
der Zwangsmitgliedschaft in der Ge¬
werkschaftsorganisation eines Betrie¬
bes „closed shop" (geschlossener Be¬
trieb). Es finden nur Arbeitnehmer in
dem Betrieb Anstellung, die ihre Soli¬
darität mit der übrigen Belegschaft
durch ihre Zugehörigkeit zur Gewerk¬
schaft zu erkennen geben. Die eng¬
lischen Gewerkschaftler haben wiefi
dieses System in einer Reihe von
Unternehmen zu eigen gemacht.
Die Bewegung findet aber nicht nur
auf der Seite der Arbeitnehmerschaft
Anhänger, sondern auch in den Reihen
der Arbeitgeberschaft. Das große Lon¬
doner Unternehmen „London Passen¬
ger Transport Board“, das alle Per¬
sonenbeförderungsmittel in London
umfaßt und 86 000 Personen beschäf¬
tigt, hat kürzlich bekanntgegeben, daß
es nur noch Angestellte und Arbeiter
neu einstellt und weiterbeschäftigen
wird, die dem Transportarbeiter ver¬
band der Trade Unions angehören, mit
dem in Zukunft allein Verhandlungen
geführt und Abmachungen getroffen
werden. Einige tausend Angehörige
von Splitterverbänden haben der Auf¬
forderung Folge geleitet und eich
beim Transportarbeiterverband eirotra-
gen lassen. Nur zwölf Straßenbahn-
schaffner haben sich widersetzt. Sie
wollen in der Angelegenheit eine ge¬
richtliche Entscheidung herbeifühlen.
In einer Londoner Großschlächterei
dagegen haben die Träger einen Streik
entfacht, bei dem es darum ging,
einige Nichtgewerkschaftler zum Ein¬
tritt in ihre Gewerkschaft zu zwingen.
Man sieht der Entwicklung dieser
immer mehr um sich greifenden Bewe¬
gung in England mit großem Interesse
entgegen, und die Leitung der Trade
Unions läßt ihr weitgehend ihre
Unterstützung zuteil werden.