Full text: 1.1946 (0001)

August. 1046 
Die Arbeit 
Seite 3 
Die Gründung der Einheitsgewerk¬ 
schaft, d. h. die Ueberwindung 
der Spaltung der werktätigen Men¬ 
schen auf gewerkschaftlichem Gebiet, 
setzt auch eine neue Organisations¬ 
form der heute neuzugründenden Ge¬ 
werkschaft voraus. Nicht nur die Zer¬ 
splitterung unserer großen Gewerk¬ 
schaftsbewegung in parteipolitischer 
und weltanschaulicher. Hinsicht hat 
unsere Kampfkraft geschwächt und 
somit Hitlers Machtantritt mit seinen 
furchtbaren Folgen für unser Volk 
und Heimat ermöglicht, sondern auch 
die durch die Entwicklung überholten 
Organisationsformen haben unseren 
Gewerkschaften nicht die nötige 
Kraft gegeben, um sich erfolgreich 
auf wirtschaftlichem, wie auch auf 
politischem Gebiete gegenüber der 
Reaktion durchzusetzen. 
Was lehrt die Erfahrung? 
Die Arbeiterschaft hat im vorigen 
Jahrhundert ihre Lage richtig erfaßt, 
als sie sich gegen die wachsende 
kapitalistische Ausbeutung zuerst in 
beruflichen Organisationen zusam¬ 
menschloß und daraus eine mächtige, 
breite Gewerkschaftsbewegung ent- 
Warum Einheitsgewerkschaften 
auf der Grundlage der Industrievsrbände? 
wickelte, um sich vor der wachsen¬ 
den Verelendung zu schützen, I n 
dieser Periode haben die Ge¬ 
werkschaften auf dem Gebiete der 
Entwicklung des Klassenbewußtseins 
breiter Schichten der Werktätigen, 
auf dem Gebiete in der Führung von 
Wirtschaftskämpfen der Arbeiter¬ 
klasse. sowie der Unterstützung ihrer 
politischen Kämpfe, Großes geleistet. 
So sehr diese Gewerkschaftsbewegung 
in die Breite ging, so sehr mangelte 
es an einer einheitlichen Auffassung. 
Die theoretische Arbeit wurde ver¬ 
nachlässigt und beschränkte sich nur 
auf einen Kreis Interessierter, anstatt 
alle wichtigen Lehren und Erfahrun¬ 
gen in den Mittelpunkt zu stellen. 
Heute, nach jahrzehntelangem har¬ 
tem und bitterem Kampfe, sind diese 
Probleme durch die geschichtliche 
Entwicklung geklärt. Die gewerk¬ 
schaftliche Einheit ist hergestellt. 
Und darin liegt der große Fortschritt. 
Die Organisationsform der Gewerkschaft 
In diesem Kampf um die Herstel¬ 
lung der Gewerkschaftseinheit nahm 
die Frage der Organisationsform 
immer einen bedeutenden Platz ein. 
Auf dem Halberstädter Kongreß 1892 
wurde schon zum ersten Male der 
Gedanke laut, an Stelle von Berufs- 
Gewerkschaften Industrie - Gewerk¬ 
schaften zu schaffen. Die gewaltige 
kapitalistische Konzentration in Kon¬ 
zernen und Trusts schuf auch in 
Deutschland die gewerkschaftliche 
Zentralisation, weil die kleinen Be¬ 
rufsorganisationen einfach nicht in 
der Lage waren, gegen diese zusam¬ 
mengeballte wirtschaftliche Macht, 
des Unternehmertums anzukämpfen. 
Auf dem Leipziger Gewerkschafts¬ 
kongreß im Jahre 1922 wurde die Bil¬ 
dung von Industrieverbänden be¬ 
schlossen. In der auf dem Kongreß 
mit großer Mehrheit gefaßten Ent¬ 
schließung (475 gegen 168 Stimmen) 
heißt es unter anderem: 
„Dieser Entwicklungsgang wird von 
kapitalistischer Seite mit allen Kräf¬ 
ten gefördert. Das zeigt sich in der 
Verbindung zusammenhängender oder 
verwandter Industriezweige, darüber 
hinaus in der Bildung von Konzernen, 
die mehr und mehr das ganze Wirt¬ 
schaftsleben beeinflussen .. Im Kampf 
der Gewerkschaften um bessere Lohn- 
und Arbeitsbedingungen muß deshalb 
dem straff organisierten Unterneh¬ 
mertum eine in große, leistungsfähige 
Industrie-Organisationen zusammen¬ 
gefaßte Arbeiterschaft entgegen¬ 
gestellt werden ... Die an die Ge¬ 
werkschaften gestellten Anforderun¬ 
gen sind in den letzten Jahren ge¬ 
waltig gestiegen. Die Aufgaben der 
Betriebsräte sowie die Wirtschafts¬ 
fragen und die mit allen Kräften an¬ 
zustrebende Sozialisierung können 
nicht genügend auf der Grundlage 
des einzelnen Berufes gefördert wer¬ 
den. Das kann erfolgreich nur durch 
Industrieorganisationen geschehen .. . 
Ausgehend von die'ser Anschauung, 
beauftragt der Kongreß den Vorstand 
und Ausschuß des ADGB., in kürze¬ 
ster Frist eine Vorlage auszuarbeiten, 
die einen organischen Aufbau von 
Industrieverbänden, deren Abgren¬ 
zung usw. vorsieht.“ 
Nach demokratischen Prinzipien 
hätte man den Beschluß des Leipziger 
Gewerkschaftskongresses durchfüh¬ 
ren und die Schaffung von Industrie¬ 
gewerkschaften vornehmen müssen. 
Aber was geschah? Natür¬ 
lich waren Schwierigkeiten vorhan¬ 
den. Und in den eingesetzten Kom¬ 
missionen entdeckten die Theoretiker 
immer neue Schwierigkeiten, die zu 
einem Berg anwuchsen und die gan¬ 
zen Probleme wurden vor lauter 
Schwierigkeiten zerredet, trotz über¬ 
wiegendem Mehrheitsbeschluß. 
Welche Schlüsse 
müssen wir hieraus ziehen? 
Wenn etwas als notwendig aner¬ 
kannt ist, dann muß diese Notwen¬ 
digkeit verwirklicht werden. Wenn 
eine Aufgabe durch die geschicht¬ 
liche Entwicklung zur Lösung heran¬ 
gereift ist, muß diese Aufgabe gelöst 
werden, man muß die Schwierig¬ 
keiten überwinden, denn die Schwie¬ 
rigkeiten sind so oder anders vor¬ 
handen. Erfreulicherweise können 
wir heute feststellen, daß unsere Ge¬ 
werkschaften, von fortschrittlichem 
Geiste geleitet,auf der Grundlage der 
Industrieverbände aufgebaut sind. 
Daß hier Schwierigkeiten auftraten 
und noch auftreten werden, ist ver¬ 
ständlich. Aber wir müssen und wer¬ 
den sie überwinden. Bei unseren 
angestellten Kollegen werden oft 
noch solche Schwierigkeiten vorhan¬ 
den sein. Aber auch sie werden sich 
nicht der Erkenntnis verschließen 
können, daß Industriegeweikschaften 
heute notwendig sind, denn auch sie 
als Angestellte sind ein Teil der gro¬ 
ßen Arbeiterbewegung und müssen 
mit uns gemeinsam in der Richtung 
vorwärts marschieren. 
Wir glauben, daß wir die richtigen 
organisatorischen Lehren aus der 
Vergangenheit gezogen haben, in¬ 
dem wir unsere Gewerkschaften auf 
der Grundlage der Industrieverbände 
aufbauten. * 
Worin besteht nun das Neue? 
Diese neugegründeten Gewerk¬ 
schaften sind keine Fortsetzung der 
In den Betrieben 
Die Erfahrung zeigte uns, daß die 
Arbeiterbewegung aus den Betrieben 
heraus ihre modernen, fortschritt¬ 
lichen Ideen im Kampf gegen das 
Unternehmertum entwickelte. Aus 
den Betrieben heraus zogen die Ge¬ 
werkschaften in den letzten hundert 
Jahren ihre Kraft. Die Entwicklung 
der Betriebe, von der Handwerks¬ 
stätte über den Kleinbetrieb zu den 
großen Betrieben der Konzerne und 
Trusts, veränderte das wirtschaftliche 
alten Gewerkschaften. An Hand der 
großen Betrieben der Konzernen und 
großen Erfahrungen und Lehren der 
Vergangenheit sind sie der Form und 
auch dem Inhalt nach etwas Neues. 
Nach der Form, durch die Zusammen¬ 
fassung aller gewerkschaftlichen Rich¬ 
tungen und den Aufbau von Industrie¬ 
verbänden mit dem Diel: Ein Betrieb 
— ein Verband. Dem Inhalt nach: 
Durch bewußtes Abgehen von Auf¬ 
fassungen, die die Gewerkschaften 
dem Willen der Imperialisten (d. h. 
dem Willen der Konzern- und Trust¬ 
könige, der Bankiers, Großgrund¬ 
besitzer, Militaristen und Kriegstrei¬ 
ber) unterordneten und Uebernahme 
der Verantwortung für den Aufbau 
des neuen politischen demokratischen 
Lebens, vor allem aber 
„in der Forcierung und Durchführung 
*des Mitbestimmungsrechtes der Ge¬ 
werkschaft in der Produktion.“ 
Es waren unsere Gewerkschafts¬ 
funktionäre, die aus der Erkenntnis 
dieser neuen Lagen die Schlußfolge¬ 
rungen zogen, daß durch die Entfal¬ 
tung der Initiative von unten unsere 
Wirtschaft schnell wieder aufgebaut 
werden muß. Sie arbeiten an der 
Schaffung einer neuen Arbeitsmoral 
und fühlen sich mitverantwortlich 
für die Lenkung der Wirtschaft. Und 
so stehen wir in den Betrieben vor 
- Lösungen und Klärungen von Fragen, 
an die wir auf neue Art herantreten 
müssen. Daß dies keine leichte Auf¬ 
gabe ist, ist verständlich. Oft werden 
wir auf Auffassungen stoßen, die an 
dem alten festhalten oder Auffas¬ 
sungen. die absolut kein Verständnis 
für diese Fragen aufweisen oder be¬ 
sonders bei Frauen und Jugendlichen, 
die nur schrittweise von den alten 
Anschauungen ablassen. Dazu bedarf 
es vor allem einer Sprache, die der 
einfachste Mensch versteht. Kompli¬ 
zierte Probleme muß man so behan¬ 
deln, daß sie für jedermann ver¬ 
ständlich sind. 
liegt unsere Kraft 
und geistige Leben unseres Volkes. 
Die Betriebe spielten in Zeiten gro¬ 
ßer gesellschaftlicher Veränderungen 
eine große Rolle und werden auch 
für die Zukunft von ausschlaggeben¬ 
der Bedeutung sein. Aus dieser Tat¬ 
sache und Erkenntnis heraus, muß 
die Aufklärungsarbeit und Schulung 
im Betrieb beginnen. Hier liegen 
unsere größten Möglichkeiten. Diese 
Kraft zusammenfassend zu gestalten, 
zu entwickeln — davon hangt unsere 
Blick in die Vergangenheit 
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebict 
Von Jakob Michely, Dudweiler 
Die menschliche Arbeit hatte im¬ 
mer irgend eine Verfassung und 
ihre gesellschaftliche und rechtliche 
Form bestimmte die soziale Stellung 
des Arbeitenden, so das Handwerk 
des Mittelalters die Form der Zünfte 
und die freie Lohnarbeit die Form 
der Gewerkschaften. Diese sind ent¬ 
standen als Sehutzorgnnisationen 
der arbeitenden Menschen gegen die 
Ausbeutung des kapitalistischen 
Systems, das mit dem Übergang zur 
maschinellen Produktion die Klasse 
der eigentumslosen Lohnarbeiter 
hervorbrachte und sie in wachsen¬ 
dem Maße, begünstigt durch ein sich 
verschärfendes lohndrückendes An¬ 
gebot von Arbeitskräften seiner Bot¬ 
mäßigkeit unterwarf. Die nackte 
Lohnarbeit, die keinen Rückhalt in 
Eigentum und Besitz fand und den 
konjunkturellen Schwankungen und 
Wechsellagen der Wirtschaft schutz¬ 
los prei.sgegeben war, zwang zum 
organisatorischen Zusammenschluß 
ihrer Träger. Er schuf das Gegen¬ 
gewicht gegen die wirtschaftlich 
starken Arbeitgeber und übernahm 
die wirksame Vertretung der Arbei- 
tgrinleressen. Ein einheitlicher Wille 
mit einer einheitlichen Zielsetzung 
in einer starken gewerkschaftlichen 
Organisation gewährleistete dem 
Arbeiter Schutz gegen Ausbeutung, 
Antreiberei und Lohndrückerei, bot 
ihm Stütze im täglichen Kampf, 
garantierte ihm den Preis seiner 
Arbeitskraft und schuf alle Vorkeh¬ 
rungen zur Sicherung seiner Exi¬ 
stenzgrundlagen. Sie erhob den 
Arbeiter zu einem selbstbewußten, 
wertvollen Glied dieser großen Ge¬ 
meinschaft und stärkte das Solidari¬ 
tätsgefühl, das in den zahlreichen 
Einrichtungen der Gewerkschafts¬ 
bewegung. im Erfolg ihrer Arbeit 
und in der Machtstellung, die sie 
sich im Laufe ihrer Geschichte er¬ 
ringen konnte, sichtbaren Ausdruck 
gefunden hat. 
Die Frühzeit der Gewerkschafts¬ 
bewegung 
Der Versuch zur Bildung gewerk¬ 
schaftsähnlicher Organisationen, zu 
einem organisierten Vorgehen ge¬ 
schlossener Arbeiitergruppen frei) zeit¬ 
lich mit der Einführung maschinel¬ 
ler Produktion zusammen. Arbeits¬ 
kämpfe, wie der schlesische Weber¬ 
aufstand führten zu. der Erkenntnis, 
daß nur eine organisierte Kraft den 
Kampf um eine Verbesserung der 
Lohn- und Arbeitsbedingungen ge¬ 
winnen kann. Eine bestimmte Form 
bekamen diese Organisationen erst 
in den 60er Jahren des vergangenen 
Jahrhunderts. Aber schon in den 
ersten Anfängen der modernen Ge¬ 
werkschaftsbewegung begann der 
Kampf der politischen Parteien um 
den Einfluß auf die wirtschaftspoli¬ 
tischen Arbeitervertrstungen, nicht 
gerade zu deren Vorteil, weil man 
sich ängstlich bemühte, die Mitglied¬ 
schaft von Andersgesinnten fernzu¬ 
halten und so die Einheit der Arbei¬ 
ter verhinderte. 
Die Entwicklung der Industrie 
nach 1860 verlief stürmisch und ver¬ 
teuerte die Lebenshaltung. Das 
führte zu Lohnforderungen und 
mancherorts zu Streites, die jedoch 
größtenteils verloren gingen. Die am 
weitesten fortgeschrittenen Arbeiter 
bildeten trotz Vereinigungsverboten 
die ersten Organisationen, die ge- 
gewerkschaftlichen Charakter tru¬ 
gen. 1865 gründete Friedrich Wil¬ 
helm Fritsche den „Tabakarbeiter¬ 
verband“ und 1866 beschlossen 85 
Buchdruckerdelegierte unter Richard 
Härtel den „Verband deutscher 
Buchdrucker“ zu gründen, der als 
Mustergewerkschaft galt. 
Die Einführung der Gewerbeord¬ 
nung im Jahre 1869 hob das Koali¬ 
tionsverbot auf. Am 26. September 
1868 trat der erste deutsche Arbei¬ 
terkongreß in Berlin zusammen, der 
als der Entstehungsort der moder¬ 
nen Gewerkschaften angesehen 
wurde. Aber dieser Kongreß stand 
schon im Zeichen der Spaltung. Drei 
Gruppen stritten sich um den Vor¬ 
rang. Der „Allgemeine deutsche 
Arbeiterverein“, von Lassalle ge¬ 
gründet, zerfiel in zwei Gruppen, die 
sich nach dessen Tode heftig be¬ 
kämpften. Außerdem bestand eine 
von Bebel und Liebknecht geführte 
Gruppe, deren Mehrheit sich auf 
dem in Nürnberg abgehaltenen Ver¬ 
bandstag für die „Internationale 
Arbeiterassoziation“ entschied. Aber 
noch eine andere Partei warb um 
die Gunst der Arbeiter. Der fort¬ 
schrittliche Politiker D r. Max 
Hirsch hatte auf einer Reise in 
England das dortige Gewerkschafts¬ 
wesen kennen gelernt. Er und seine 
Freunde Schulze - Delitzsch und 
Duncker taten sich zusammen. Sie 
beschickten den Berliner Kongreß 
und veranlaßten Zwischenfälle, so 
daß sie des Lokals verwiesen werden 
mußten. Sie gründeten die Hirsch- 
Dunckerschen Gewerkvereine, die 
mehr für die Forderung der Zusam¬ 
menarbeit 'zwischen Kapital und 
Arbeit waren. Am 1. November 
1868 veröffentlichten sie ihr Statut, 
das mit einem Generalrat an der 
Spitze, zentral organisierte Gewerk¬ 
vereine mit Orts- und Bezirksgrup¬ 
pen vorsah. Bei seiner Reise durch 
England hatte Dr. Hirsch den 
Kampfcharakter der eng .ien Tra- 
des Unions verkannt. Spater war der 
Hirsch-Duncker’sche Gewerkverein 
sehr oft gezwungen, seine Auffas¬ 
sungen zu revidieren und hat an den 
Kämpfen teilgenommen, die von der 
Gesamtarbeitersc’caft geführt wur¬ 
den. (Fortsetzung folgt)
	        
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