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völligem Verzicht auf ein Wirken nach außen sich bereit
und fertig zu machen für die Ausrichtung des Großen,
das ihm bevorstand, — wir würden es begreiflich
finden. Aber Jesus kann an keinem Jammer vorbei⸗—
kommen, besonders wenn so großer Glaube ihn zur
Hilfe herausfordert. Und so ist auch jetzt sein Herz
sofort bereit, zu dem Blinden zu Jericho sein königlich
großes Wort: „Sei sehend! Dein Glaube hat dir ge—
holfen“ zu sprechen. Ueber dem Großen, dem Blick
ins Weite und Ferne, läßt der Herr nicht das Kleine,
das Nächstliegende aus dem Auge. Er ist der Heiland
der Welt, aber er bleibt auch der Heiland jeder ein—
zelnen Seele; denn in der Rettung des einzelnen
vollzieht sich ja ein großes Heilandswerk an uns. Zieht
in der Passionszeit der Herr in seiner heldenhaften
Liebe im Geist an uns vorüber, erweckt er vor allem
in unsern Herzen die anbetende Betrachtung, daß es
sich handelt um das Heil der ganzen Sünderwelt, so
soll doch auch in jeder einzelnen Menschenseele der
sehnsüchtige Ruf nach dem Heil nicht verstummen,
sondern erst recht geweckt werden! Die Größe der
Liebe Jesu ist gerade darin offenbar, daß auch der
Geringste nicht vergeblich an sein Erbarmen sich
wendet. Amen.
Wohin?
Von M. Eitner.
Fortsetzung.)
II.
Es geschah, wie der Hausherr es anscheinend
scherzend, dennoch im Ernst, angeordnet hatte.
Als er von seinem Ritt heimkehrte und im Korridor
seinem Zimmer zueilte, kam Harden ihm entgegen.
Seine Augen schienen zu brennen.
„Bodo,“ sagte er, „ich glaubte, verzaubert zu sein.
Du ahnst nicht, wie viel Zeit vergangen ist, seit ich
auf solchem Lager ruhte, wie mir in deinem Hause
geboten wird. Ich habe dann mit dir zu reden. Du
mußt wissen, mit wem du zu thun hast, ehe der Abend
herankommt!“
„Gut, alter Junge! Wir gehen dann zusammen
in den Park. Gleich werden wir zum Kaffee gerufen
werden. Entschuldige mich nur bis dahin! Ein Ritt
durch Feld und Wald hinterläßt Spuren am äußeren
Menschen, die nach einer befreienden Bürste ver—
langen.“
Herr von Weber fand noch Zeit, seiner Frau zu
sagen, daß sie ihn nach dem Kaffee allein mit dem
Gast lassen möchte.
Harden saß still am Kaffeetisch. In dem ver—
lebten Gesicht mit den schwarzen unrnhigen Augen lag
jedoch ein Ausdruck, als möchte er lieber aufspringen
und forteilen, anstatt hier so still zu sitzen.
„Komm', wir gehen jetzt mal in den Park!“ sagte
Weber zu ihm, als Hilde das letzte, für sie bestimmte
Stückchen Kuchen in den Mund gesteckt hatte „Du
kennst ja meine Besitzung, das Stammqut der Familie
meiner Frau, noch nicht.“
Die Herren entfernten sich und Weber nahm
Harden's Arm. Verwundert blickten die Leute des
Schlosses dem Paare nach. Wie stach der Fremde
doch gar so sehr gegen den Herrn ab! Der alte
Johann sprach zu Gunsten des Gastes. „In dem
muß was stecken!“ sagte er. „Unser Herr fährt doch
am besten in der ganzen Gegend, aber der Fremde,
fachdruck verboten.)
— hei, der fährt ja wie der leibhaftige Gottseibeiuns
Unsere Hengste haben sich wohl noch nie unter dem
v eines Lenkers so ohnmächtig gefühlt wie hen⸗
rüh.“
Hilde war den Herren nachgeeilt.
„Will ein Stückchen mitgehen, Papa, nicht wahr
ich darf?“ flüsterte sie.
„Ja, Kind, bis zur Bank bei „Irmas Ruh'“!“
Dort angekommen, setzten sich die Herren. Weber
sagte zu seiner Kleinen: „So, nun lauf', Liebling
un Maiglöckchen, die Mama sehr liebt, und bring⸗
ie ihr!“
Das Kind entfernte sich.
„Jetzt, Edwin,“ begann Weber, „jetzt sage mir,
wie es kam, daß du für mich so ganz verschollen
bliebst, seit ungesühr fünf Jahren nach der Ueber—
nahme deines vaͤterlichen Gutes! Ich war Administrator
bei meinem späteren Schwiegervater. Mir blieb wenig
Zeit. Brieflich habe ich nach dir geforscht, ohne jedock
etwas zu erfahren.“
„Das war ein Glück für mich und für dich, Bodo.
Ich habe nichts zu beschönigen, da der Erfolg meines
Lebens ja auf meinem Gesicht geschrieben steht. Du
sollst alles wissen. Nach dem Tode meiner Mutter
geriet ich in schlechte Hände, die sich wohl meine
Jugend zu nutze machten, doch ich widerstrebte gar
nicht. Bald war ich ein Spieler, ein Säufer und
noch viel Schlimmeres. Oft genug wollte ich mir,
wie ein erbärmlicher Feiglin;, der keine Kraft hat, sich
aufzuraffen, eine Kugel durch das Hirn jagen, doch
immer wieder unterließ ich es. Mein Vermögen habe
ich durchgebracht. Ich dachte dann, wenn ich nach
Amerika ginge, könnte vielleicht dort, unter ganz
anderen Verhältnissen, noch etwas Besseres aus mir
werden. Doch bewahre! Ich bin zurückgekehrt als
derselbe, der ich gegangen war, dem nichts heilig war,
der kein edles Streben mehr kannte. Ich lebte das
frühere Leben weiter, das nun ja sein Ende finden
muß“ ....
„Halt, Edwin!“ unterbrach Herr von Weber, „du
redest wie im Fieber. Da warst der vergötterte Sohn
deiner WMutter, deren ganzes Sein schon hier auf
Erden durch so viel Leid und Krankheit verklärt und
durchgeistigt war. Solltest du so ganz vergessen haben,
wie stolz sie auf dich war, wie sie, wenn ich zu den
Ferien war, immer auf dich hinwies und sagte:
Wenn ich einmal nicht mehr bin, so wird mein
Sohn ein würdiger Vertreter unseres Namens sein?“
„Meine Mutter hat sich getäuscht. Sie würde sich
nicht sehr gefreut haben, wenn sie gesehen hätte, wie
ich am Spieltisch die Nächte zum Tage gemacht, alles
verbracht, und“ ...
„Warum hast du nicht geheiratet?“ unterbrach
Weber wieder. „Ein edles Frauengemüt kann zur
rechten Zeit den Mann noch auf rechte Fährte bringen.“
„Zur rechten Zeit!“ rief Harden, sprang auf und
schritt, von dem Freunde gefolgt, den Parkweg entlang.
„Für mich war der rechte Zeipunkt verloren. Ich
hatte zu oft gesehen, wie die Mütter nach Männern
antzeln für ihre Töchter, um schließlich zwei Menschen
elend zu machen. Ich habe noch anderes gesehen und
erlebt. Laß mich schweigen von den Lasterwegen, auf
denen ich gewandert bin! Ich bin es dir jrdoch
schuldig, dir das anzudeuten, damit du nicht im Un—
gewissen über deinen einstigen Freund bleibst.“