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Gottes, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes
Werke, allein durch den Glauben an den getkreuziglen
und auferstandenen Heiland, und daß wir keinen mensch—
lichen Mittler und keinen Vertreter unserer Gebete aim
Throne Gottes nötig haben, sondern daß er selbst, der
Vater, uns lieb hat, und wir zu ihm reden dürfen, wie
die lieben Kinder ihren lieben Vater bitten, — daß wir
keinen Stellvertreter Christi auf Erden haben sollen,
sondern daß einer unser Meister ist, Christus, einer unser
König, der, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden
gegeben ist, und wir alle seine Diener, ein auserwähltes
Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk,
— daß uns das Wort seines Mundes gegeben ist, nicht
als ein besonderes Eigentum der Diener am Worte, son—
dern, daß es in deinen Händen und an deinem Herzen
sei, dein Wegweiser und dein Tröster, — daß wir rein
und unverfälscht die Sakramente unsers Herrn und Hei—
landes haben sollen, weil er sie bei feinem Tode und' bei
seiner Himmelfahrt als seine Testamenie eingesetzt und
hinterlassen hat.
Gedenke an deine Lehrer! Wären sie nicht gewesen,
so ständest du vielleicht heute nech im Bann der Menschen—
satzung, mühtest dich mit äußerem Werk der Gerechtig⸗
keit, deiner Seele Frieden zu schaffen vor der Anklage
des Gewissens, riefest neben und über dem lebendigen
Gott Menschen an, von denen du nicht wissen kannst,
ob sie dich hören. Darum, gesegnet sei das Andenken
derer, welche uns sein Wort gesagt haben; gesegnet sei
von Geschlecht zu Geschlecht das Andenken unserer geist—
lichen Väter! Wer sich des Wortes seines Gottes freut,
wem es in den Nöten seines Gewissens, den Trübsalen
seines Lebens mit seinem köstlichen Troste herrlich und
licht geworden ist, — wer die große Herrlichkeit evange—
lischen Glaubens, in dem wir Gott als die Freien dienen
dürfen, auch nur von ferne erkannt hat, der danke Gott,
daß er uns solche Lehrer gegeben hat, die uns das Wort
Gottes gesagt haben. Und lasset uns Gott von Herzen
bitten, daß er „seines Wortes Licht bei uns lasse ver—
löschen nicht, daß wir sein Wort und Sakrament rein be—
halten bis an unser End'!“
Freilich, jedes Fest, wenn es anders etwas taugen
soll, will mehr sein als eine bloße Erinnerung. Ge—
denken heißt, sich die Vergangenheit im Herzen lebendig,
sie wieder zur Gegenwart machen; wenigstens das, was
aroß, was gottgewirkt, was ewig in ihr war, dem leben—
den Geschlecht erneuern. Unser Text fährt fort: Welcher
Ende schauet an, und folget ihrem Glauben nach. Das
Wort, das sie der Welt sagten, war Leben in ihnen selbst.
Wie hätte es sonst Leben schaffen können? Ihr Glaube
war die treibende und bewegende Kraft ihrer Seelen. In
diesem Glauben haben sie gelebt, gestritten, gelitten, in
diesem Glauben sind sie gestorben. Dem folget nach!
Seid ihr evangelische Christen, so glaubet an das Evan—
gelium, und wandelt so, daß das Evangelium nicht nur
mit eurem Munde, sondern durch eure That verkündigt
wird. Ist euch das Wort Gottes gesagt und gegeben, so
sucht nicht Meister mehr als dies ewige Licht seiner künd—
lich großen Offenbarung.
O, meine Lieben, wo ist nun das Geschlecht, das nach
ihm fraget? Muß nicht in der Lauheit unserer Zeit, in
dem Abfall der Massen vom Glauben das Reformations—
fest zum Propheten werden, der da klagt: Ich habe wider
dich, daß du die erste Liebe verlässest? Muß es nicht
daran erinnern, daß evangelisches Christentum nicht bloß
darin besteht, daß man von Rom und seiner nach Welt—
herrschaft begierigen Kirche sich abwendet und nichts von
ihr wissen will, sendern vorerst und hauptsächlich darin,
daß man des Glaubens seiner Väter würdig, im Glauben
stark, in der Liebe feurig ist und in der Hoffnung der zu—
künftigen Herrlichkeit wandelt?
—
Zion, du Predigerin, steige auf einen hohen Berg!
Jerusalem, du Predigerin, hebe deine Stimme auf mit
Macht! Sage der evangelischen Christenheit: Schauet an
das Ende eurer Väter, und folgei ihrem Glauben nach!
Erwache unter uns, du Geist der ersten Zeugen, daß sie
sich sammeln, die Kinder des Lichts, zu der Kreuzes⸗
fahne ihrer Erlösung und ihres Sieges, und im Glauben
die Welt überwinden, die mit Unglauben und Aberglau⸗
ben diejenigen zu verführen sucht, welche Christus euer
erkauft hat. Erwecke, Herr, unser Gott, die heilige Kraft
der Treue, daß wir wie die Väter, unsers Glaubens froh
und bewußt werden, und wenn es sein muß, in den
Wirren und Stürmen der bösen Zeit uns dessen trösten,
daß, was sie uns auch rauben können, das Reich Gottes
unser bleiben muß, und in dem Reiche Gottes unser Ge—
wvinn allerwege größer ist als der Verlust. Herr, Herr,
segne uns und behüte uns! Halte uns bei deinem Wort,
daß dein Wort uns erhalte in frohen und trüben Zeiten,
im Leben und im Sterben, in Zeit und in Ewigkeit.
Dies Gebet sei die tägliche Frucht unsers Gedenkens, und
Gott sage Amen!
Die Frau Marquise.
Von L. Walther.
(Nachdruck verboten.)
Das alte Jahr schien sehr betrübt darüber zu sein,
daß es von der viel älteren, zur Zeit unserer Ge—
schichte noch mit Wällen, Thoren und Türmen eng ein—
Jeschlossenen Stadt Erfurt Abschied nehmen sollte. Das
Wetter machte ein sehr verdrießliches Gesicht, der Sturm
fegte den Schnee in hohe Haufen, und dennoch wurde
nirgends eine Stelle leer; denn unaufhörlich sank der
weiße Flaum hernieder. Wem's möglich war, der blieb
in seinen vier Pfählen, wer hinaus mußte, hüllte sich in
Pelz und Kapuze. Da, zwifchen Tag und Dunkel eilte
zin junges Mädchen durch die Straßen, dessen muntere
Augen und gerötete Wangen gar lieblich hervorleuchteten
aus dem braunen Tuche, mit dem ihr Köpfchen umhüllt
war. Sie trug einen großen, schneeweißen Deckelkorb,
der aus Vorsicht noch mit einer Wachstuchhülle umgeben
war. Manches Auge sah ihr nach, wie sie so geschickt sich
die besten Stellen aussuchte, und so unbeirrt vom Sturm
und Schnee dahinzugleiten schien, als wäre der schönste
Sonnenschein. Sie trat jetzt aus dem hell erleuchteten
Flur eines schönen, großen Hauses. „Fertig“ sagte sie,
ind wendete dann ihre Schritte einer stilleren, weniger
ansehnlichen Stadtgegend zu. Wir sehen sie in einem
chmalen, hohen Hause verschwinden, das zwei Stockwerke
iber dem Parterre besaß. Es war das eigene Haus des
Schuhmacher Dreier, der unten seine Werkstatt. Wohn—
uind Schlafstube hatte.
Eine Treppe hoch wohnte der Herr Sekretär Weißflog
mit Frau und Tochter; er hatte eine größere Wohnung,
da ein Waschhaus und Holzstall überbaut waren, und
zwei Treppen hoch, ja, da wohnte die Frau Marquise.
Eigentlich war's die Witwe des Lehrer Auer; aber die
zanze Nachbarschaft gab ihr jenen hohen Titel, und zwar
nicht im Spott — man haitte sie gerne, nein, einfach aus
dem Grunde, weil ihre Großmutter eine wahre und wahr—
haftige Marquise gewesen war, und die Erinnerung an
diese hohe Ahnfrau noch sehr hereinspielte in das Leben
ihrer Enkelin. Die Tochter der Marquise, Louison Auer,
war eben jenes freundliche Mädchen, das wir ins Haus
treten sehen.
„Guten Abend, Meister Dreier; noch kein Licht?“
„Was soll ich mit Licht, zu meinen Gedanken paßt die
Dunkelheit besser.“ „Leuchten die schon genug?“ fragte
das junge Mädchen heiter. „Ja, da leuchtet sich's was!
Ein Jahr geht nach dem andern hin, man wird immer