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Streit und Friede.
Von Lina Walther.
Schluß.)
Als wieder eine Einladung von Herrn Bachmann
kam, einer Musikaufführung des Herrn Musitdirektors
Rolle beizuwohnen, ging er ganz gerne mit, und hörte auch
mit Wohlgefallen den wohlgeübten Sängern zu, obwohl
heute nicht sein schöner Psalm, sondern ein Schäferspiel
an die Reihe kam. Aber die Augen gingen ihm darüber
auf, worin der Zauber lag, den diese Abende auf Regine
ausübten. Außer vielen jungen Kaufleuten aus Magde—
burg waren da auch Offiziere der Regimenter, die ihr
Standquartier jetzt in Wanzleben und Halberstadt hatten.
Allen gefiel sichtlich die kleine muntere Person, die, wie es
zu Friedrich des Großen Zeit in vielen Kreisen Sitte war,
sich ein Weilchen ganz flott französisch unterhalten konnte,
auch über allerlei leichte, französische Bücher, und sie war
stets umgeben von einem Wall von Verehrern, für unseren
Adjunktus zu seiner eigenen Verwunderung ein recht un—
behaglicher Anblick; was ging's ihn denn an? Heute war
zudem der Dichter Gleim aus Halberstadt zugegen, und
die aus dem niederen Arbeiterstande hervorgegangene
Dichterin, die Karschin, der man nur Endreime gab, und
die daraus nach dem Geschmack jener Zeit ganz gewandte,
gedankenreiche Verse machte. Gleim krönte sie mit dem
Lorbeerkranze, den sie auch den ganzen Abend aufbehielt,
und man wußte nicht, um wen die jungen Damen sich
mehr scharten, um den schönen, stattlichen Musitdirektor,
um die Karschin oder um den Dichter Gleim. Dazu war
die Geselligkeit in hohem Grade glänzend und luxuriös;
Magdeburg und Umgebung hatten gute Jahre gesehen,
und sahen sie auch während des siebenjährigen Krieges.
Während andere Gaue des deutschen Vaterlandes unsäg—
lich litten durch Einquartierung, Truppendurchzüge und
Kriegslasten, war Magdeburg fast ganz davon frei und
konnte seine Erzeugnisse zu doppelten Preisen verwerten.
Die Königin mit ihrem Hofstaate suchte mehrmals Schutz
dort, wenn die Nähe der Feinde sie aus Berlin vertrieb,
und auch dies verschaffte gar vielen lohnende Beschäf—
tigung. So waren alle Verordnungen gegen den Luxus
in Wohnung, Kleidung, Speisen und Gekränken rein ver—
geblich; glänzend ging es zu in den Häusern der wohl—
habenden Bürger, glänzender als es Reinhold nur jemals
gesehen hatte. Er ging zu Fuß nach Hause, die Jungfer
Regine fuhr mit der Familie eines Amtmanns aus dem
nächsten Dorfe; da hatte er Muße, seinen Gedanken nach—
zuhängen. Als sie am andern Morgen fragte: „War es
nicht gestern Abend sfuperb, Herr Adjunktus?“ schüttelte er
den Kopf: „Es war manches Schöne da, aber wir beide
paßten da nicht hin!“ „Wir beide? Herr Adjunktus, ich
verstehe euch nicht; wir sind doch beide musikalisch, und
freilich, Gedichte machen, wie der Herr Gleim und die
Karschin — das können wir nicht, aber wir können uns
doch daran freuen; meint ihr nicht, daß es herrlich sein
muß, wenn so etwas gedruckt wird, was man schrieb?
Habt ihr keine Lust, das zu versuchen?“ „Vielleicht doch,
Jungfer, ehe ihr's denkt.“ „Ehe ich's denke, was meint
ihr? o, ich kann es schon denken! gewiß über den großen
Fritz!“ Es war nämlich an dem Tage zuvor ein Offizier
in Begleitung von 12 Postillonen durch die Stadt geritten,
und hatte den Sieg von Leuthen verkündigt. „Sehet, ich
freue mich ja zu sehr auf nächsten Sonntag, da wird der
Ruhm meines Helden von allen Kanzeln verkündigt.“
„Jawohl, Jungfer Regine, der Ruhm des Königs aller
Könige; der allein hält Krieg und Sieg in seiner Hand.“
Sie sah ihn fast zürnend an: „Ich glaube, ihr könnet gar
nicht schwärmen, weder für die Karschin, noch für meinen
Herrn Rolle, noch für den großen König.“ „Nein, Jung—
fer, so wie das gestern Abend getrieben wurde, so ist es
Menschenanbetung; ich kann mich an allem freuen, was
Gott gab, aber ihm die Ehre allein!“ „Ihr seid recht steif
und feierlich,“ sagte sie. „Jungfer, ihr habet Verstand
genug; besinnet euch, ob ich nicht recht habe?“
Der alte Knote fand indessen, als die Unbequemlich—
keiten des Winters kamen und oft seine Seele zitterte bei
dem Gedanken an ein nahes Ende, daß die kindliche Weise
des Adjunkten, seine frommen, glaubensvollen Tröstungen
Balsam für sein Herz waren, und da es damals oft vor—
kam, daß ein Adjunktus das Töchterchen seines Vor—
gängers heimführte, war es schon oft als leiser Wunsch
in seiner Seele emporgestiegen, er möchte seine Regine
unter so treuem Schutze zurücklassen, wenn Gott ihn ab—
rufe; hörte er nun das beständige Streiten und die un—
aufhörlichen Reibereien, so seufzte er wohl: Das wird
nichts, das wird im ganzen Leben nichts!
Die Passionszeit kam; die Kinder mußten in der
Fasten nachmittags vom Altar die Leidensgeschichte stück—
weis verlesen, aber die Gemeinde nahm nicht Anteil
daran. Da sagte Reinhold früh nach der Predigt: es sei
sehr Unrecht, daß die Kinder allein das Leiden und Ster—
ben des Herren verkündigten; sie sollten nur alle kom—
men, und zwischen den Bibelversen solle ein Gesangvers
eingeschoben werden, bald vom Chor, bald von der Ge—
meinde gesungen. Da kamen sie, erst wenige, dann immer
mehr. Auch dem alten Pastor Knote gefiel es gar wohl;
er war die ganze Zeit reizbar und verstimmt gewesen,
was man an ihm vormals nie gekannt hatte, aber als am
Sonntag Reminiscere zwischen dem dreimaligen Gebete
des Herrn in Gethsemane jedesmal derselbe Vers ein—
setzte: „Herr, wie du willst, so schick's mit mir im Leben
und im Sterben!“ da ging es wie eine Verklärung über
sein Angesicht und in seiner Seele wurde es ganz stille!
Regine hatte wohl erst etwas daher geredet von „neuen
Moden“, aber von Sonntag zu Sonntag wurde sie stiller,
und die nächste Abendunterhaltung in Maadeburg sagte
sie ab.
Das Frühjahr kam, die Gartenarbeit begann; der
Adjunktus hatte schon im Herbste Blumenzwiebeln gelegt,
nun harkte er und begoß, okulierte und kopulierte, und
ging unter seinen Händen eine gar lieblich blühende
Schöpfung hervor; dazwischen beschickte Regine die Ge—
müsebeete, ordentlich, aber seufzend. „Jungfer Regine,“
fragte er betrübt, „freut es euch nicht?“ Sie schüttelte
den Kopf. „Ja sehet, das denke ich mir schön, im Garten
zu spazieren nach Feierabend, wie sie es bei Schwarzens
und Bachmanns thun, Vögel singen hören und Blumen—
duft einatmen; aber wenn ich in den Garten komme — da
wird es mir manchmal recht sauer.“ Er sah sie an, die
immer noch schlanke Gestalt, sie war blaß, und Schweiß—
tropfen standen ihr auf der Stirne. „Jungfer“, sagte er
plötzlich ganz freundlich; „Ihr habt auch gar zu viel Ar—
heit für eure Kräfte; laßt mir den Garten, das Gemüse—
land auch; ich habe Kraft und Lust; wollt ihr?“ Der
Widerspruchsgeist saß ihr tief; aber er hatte so freundlich
gesprochen, „fast liebevoll!“ dachte sie, und das Versprechen
war so verlockend, sie sagte: „Ja, wenn ihr möget, so
danke ich es euch!“ „Seht, ich richte noch alles her, und
dann muß ich einmal nach Thüringen vor Gericht, weil
mein einziges Schwesterlein mündig wird, und der Vor—
mund Rechnung legen will.“ Ein tiefer Schreck flog über
ihr Gesicht: „Ihr wollet fort, jetzt wo die Truppen ziehen;
um Gottes willen, lasset euch nur nicht anwerben!“
„Wäre euch das leid, Jungfer?“ „Ja, der arme Vater
und mein Gemüseland!“ Sie ging erschrocken ins Haus.
und er sang leise beim Hacken und Harken!